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Asmus Sempers Freunde wühlen, und er betritt »heißen Boden«.
Daß Asmussens Hoffnung trotzdem nicht untergehe, dafür sorgte zwar zur Genüge schon sein Herz, das um so höher emporsprang, je härter es das Schicksal auf die Erde schleuderte; aber seine Freunde halfen ihm dabei. Dietrich von Löwenclau stieg von Hyperbel zu Hyperbel, wenn er von diesem Drama sprach.
»Semper, mein Semper, es ist ja die Tragödie, die immer am schrecklichsten war und ist, so lange die Erde steht; daß wir untergehen müssen, wenn wir gegen den Konventionalismus angehen!!! Die ›Partei‹ ist ja dabei so gleichgültig!! Aber einen Schritt weit vom Herdenviehwege gehen – das ist allemal der Tod. Das große, große Viehzeug aller Stände – all–llerrr Stände!!! – duldet solche Kerle wie Ihren Helden niemals, niemals unter sich!! Und die Direktoren sind natürlich so feige wie diese ganze Gesellschaft!! Aber ich wühle für Sie, ich wühle überall, wo ich kann! Schierholz in Breslau will alles aufbieten, seinen Direktor zur Annahme zu bewegen. Und dem Prinzen Schonndorf hab' ich über Ihr Stück geschrieben – Gott, ist das ein unsagbar feiner und vornehmer Mensch!! – bitte: es gibt auch vornehme Prinzen, Sie Demokrat!! Das heißt: eigentlich sind Sie Feudal-Aristokrat, Sie Schäker Sie! Der Prinz wird Ihr Stück lesen und wird Ihnen schreiben; er ist ein feiner Poet und ein gren–zen–los gütiger Mensch. Also Kopf hoch, Sie Mutiger; wir dringen doch durch!!!«
Asmus wußte vollkommen, wie laut in solchen Ausbrüchen Löwenclaus das Herz mitsprach, lauter als alles andere; aber eben dieser heiße Hauch eines wilden Herzens tat ihm wohl.
»Semper, Semper!!!« schrie Löwenclau und kam noch einmal zurück. »Wie kommen Sie dazu, in diesem Trauerspiel das scheußliche Wort ›gestatten‹ zu gebrauchen!! Ist ja schauderhaft!! Bei ›gestatten‹ denke ich immer an Cerevis, Commis voyageurs, en général: Flachköpfe. ›Erlauben‹, heißt es, mein Dichter, › errrlau–ben‹!! A rivederci, a rivederci! Meinen Handkuß Ihrer himmlischen Frau!!«
Eine Auseinandersetzung darüber, warum denn »erlauben« und nicht »gestatten«, war ausgeschlossen, weil er zwischen den einzelnen Sätzen nie eine Zeitlücke ließ, durch die man hätte eindringen können, und er nach dem letzten Satze immer schon weg war wie Ziethen im Busch. Er hätte auch kaum zu sagen gewußt, warum man nicht »gestatten« brauchen dürfe; Gefühl war alles; ihm folgte er blindlings.
Der Prinz von Schonndorf-Karlsreuth, den Löwenclau gemeint hatte, ein konservativer und kirchentreuer Mann, der aber in Zürich noch Gottfried Kinkel und Johannes Scherr gehört hatte und sie dankbar verehrte, und der alte herrliche Wanderer, Roman- und Balladendichter Theophil Fournier schrieben Asmussen Briefe, die ihn glücklich machen mußten, und das alles war herzerfreuend und erhebend für Hilden wie für Asmussen und nicht zuletzt für seine Mutter; aber so viel es erhob, so viel zogen alte, schwere Lasten wieder herab.
Der Zustand der kleinen Gesa änderte sich nicht. Als wieder einmal Sommerferien gekommen waren, kratzte Asmus alles zusammen, was er an Geldmitteln aufbringen konnte, und zog auf vier Wochen mit den Seinen, mit Betten und Küchengerät, wie die Zigeuner, nach einem zwei Stunden entfernten Dorf am Flußufer. Von der Luft am Wasser erhofften sie Heilung ihres Kindes. Vergeblich. Als sie heimkehren mußten, war das Kleine so krank wie je und Hilde so schwach wie zuvor. Eine Mutter erholt sich nicht, wenn ihr Kind leidet.
Inzwischen hatten Asmussens Freunde weiter »gewühlt«. Auf ihr dringendes Zureden hatte eine Hamburger Bühne sich geneigt erklärt, sein Stück herauszubringen. Er möge nur mit der Direktion in Unterhandlung treten. Asmus betrat frohbewegten Herzens den altberühmten und ebenso reparaturbedürftigen Musentempel und wurde über eine wackelige Stiege vor den Stellvertreter des Direktors geführt. Der Mann empfing ihn sehr freundlich und sagte: »Ja, wir haben die Absicht, Ihr Stück zu geben.« Nun, da war ja die Erfüllung! Wenn ein anscheinend ehrenwerter Mann dergleichen sagte, so war natürlich kein Zweifel mehr. Überglücklich stolperte Asmus die finstere Hühnerstiege hinunter; fast hätte er sich den Fuß gebrochen; aber was hätte das an einem solchen Tage bedeutet! Er nahm sogar, leichtsinnig geworden, eine Pferdebahn, um nur seiner Frau und Geliebten so früh wie möglich die Nachricht zu bringen. Er kannte das Theater noch nicht, der Arme.
Der Baron aber hatte in der Reichshauptstadt die Trommel gerührt. »Seit vierzehn Tagen bin ich hier in Berlin,« schrieb er, »einer un–er–hört interessanten Stadt!!! Täglich mache ich hier die un–glaub–lichsten Bekanntschaften unter Dichtern, Malern, Musikern, Journalisten, Schauspielern usw. usw. Das Ekelhafte hier ist, daß jeder auf den andern hackt und ihm nicht das Weiße im Auge gönnt; aber wo wäre das anders! Ick lach mi een in stillen un quäl mi dor nich üm. Überall spreche ich für Sie, überall lese ich Ihre Gedichte vor, und die › Freie Kunstgesellschaft‹ wird Sie zu einer Vorlesung einladen; Dr. Breslauer hat es mir versprochen. Three cheers for Mr. Semper!! Yours for ever. Löwenschwanz.«
Und die Einladung kam. Mit hochgespanntem Herzen fuhr er in den Lehrter Bahnhof ein. Berlin! Also sozusagen das deutsche Paris sollte er sehen, die Stadt, die nicht nur die vollkommenste Ansammlung, sondern auch die höchste Vollendung alles Bedeutenden, Großen, Glänzenden in Politik, Wissenschaft, Kunst und Technik aufweisen – sollte. Und in der Tat: die Stadt selbst machte Eindruck auf ihn, weniger durch das, was sie war, als durch das, was sie bedeutete. Am Reichstagsgebäude vorüber, durch die Friedrichstraße, die Linden ging er, sein Köfferchen in der Hand, mit Ehrfurcht und Staunen. Hier war jeder Fleck historischer Boden; hier geschah jeden Tag etwas Bedeutendes, Weltbewegendes; hier wurde Geschichte gemacht. Etwas Festliches hatte diese ganze Stadt, nichts Behaglich-Ergötzlich-Festliches, nein, etwas Stolz- und Prangend-Festliches wie eine dauernde Parade, wie ein immerwährender Einzug des großen Friedrich oder des alten Wilhelm nach einem siegreichen Kriege. Mit diesem Eindruck mischte sich das bange Gefühl, daß man sich hier behutsam bewegen müsse, wenn man seine geringe Barschaft nicht im Handumdrehen los werden wolle.
Löwenclau hatte ihm ein kleines Restaurant, das auch Zimmer vermiete, als sauber, ruhig und billig empfohlen; es sollte in einer schmalen Seiten-Sackgasse der Linden liegen. Asmus fragte einen jungen Mann nach der Gasse und der wies ihn mit einem unangenehmen Grinsen sehr bereitwillig nach Osten. Asmus lief mit seinem Koffer die ganzen Linden bis zum Schloß hinunter und fand die Gasse nicht. Als er wieder fragte, sagte man ihm, daß er im Gegenteil nach Westen gehen müsse. Jetzt verstand er plötzlich das Grinsen seines ersten Berliner Wegweisers. Endlich fand er dann sein Hotel.
Vor dem Berliner Publikum hatte man ihm bange gemacht. Das sei ein sehr heißer Boden für einen Neuling. Mit heftigem Herzklopfen, mit stockendem Atem saß er am Pult und las fremde und eigene Dichtungen. Aber er fand für alles ein sehr freundliches Publikum, das ihm lautlos zuhörte und überreichen Beifall spendete.
Schon seit einiger Zeit hatte er sich über gewisse Erscheinungen der zeitgenössischen Literatur geärgert, die anspruchsvolle Plattheit für »naturalistische Dichtung« ausgab, die das Häßliche und Banale suchte und wirklich nichts anderes war als die Photographie des Zufälligen und Bedeutungslos-Alltäglichen. Er las ein paar Satiren auf diese Zigarrenstummel-»Gestalter« und erweckte damit das beifälligste Lachen und Lächeln; aber ein Professor von der Berliner Universität sagte dann beim Bier: »Sie haben dem Kalb ins Auge geschlagen. Da saßen ein paar Herren, denen die Schuhe, die Sie hinstellten, wie angegossen paßten. Zittern Sie! Diese Leute haben die vollkommenste Pietätlosigkeit auf ihre Fahne geschrieben; nur vor einem fordern sie unbedingte Pietät: vor sich selbst, vor ihren Dogmen und Künsten.«
Asmus ahnte nicht, daß Feinde auf ihn lauerten und wieviel ihrer wären; aber auch, wenn er es gewußt hätte, würde er nicht gezögert haben, sich getrosten Mutes noch einige dazu zu machen. Nach diesem Gespräch mit dem Berliner Professor kam ihm wohl gelegentlich von weitem das Gefühl, daß er sich Feinde erwecken könnte; aber wenn sie mit anständigen Waffen kämpften – was war dabei? Leben ist Kampf, und Kampf ist Leben. Wenn man mit offener Stirn und ehrlichen Waffen stritt, war's gar ein herrliches Leben!