Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XXXIX. Kapitel.

Herr Semper fühlt sich versucht, einen Polizeiherrn zu umarmen.

Und als sie folgenden Tages heimfuhren, glückselig ohne Übermut und darum dritter Klasse, da hatten sie, wie ein Fürstenpaar, von Dresden bis Hamburg einen ganzen Wagen für sich allein und tobten darin wie Schulkinder, wenn der Lehrer nicht da ist. In der Tat: Magister Schicksal ließ sie einen ganzen Tag ohne Aufsicht; er schien sie vergessen zu haben, und sie machten es sich zunutze. Wenn der Schaffner notgedrungen einmal durch den Wagen gehen mußte, so schien sein Gesicht um Entschuldigung zu bitten und zu sagen: Ich weiß: Hochzeitsreisende; ich störe sehr ungern; aber die Pflicht, die Pflicht . . .

Asmus machte nie Bestechungsversuche, weil er meinte: Deutschland muß rein bleiben, wenn es groß bleiben soll. Auch erwartete er von jedem deutschen Beamten, daß er ihm den dargebotenen Taler vor die Füße werfen werde. Aber eine nachträgliche Bestechung, beim Aussteigen in Hamburg, hielt er hinwiederum für Ehrenpflicht, weil es ihm nicht in den Sinn wollte, daß so viel Menschenfreundlichkeit und Zartgefühl unbelohnt bleiben sollte.

Der Tanz mit nackten Beinchen, den die Kinder bei der Heimkehr der Eltern in grauer Morgenfrühe aufführten, gefiel den beiden ersichtlich besser als irgend ein »Ballett-Divertissement« aus der »Afrikanerin« oder der »Margarethe«.

Und als Asmus nun die Zeitungen mit den Rezensionen auseinanderfaltete, da wollte er zunächst seinen Augen nicht trauen. So viel Lob hatte er in seinen kühnsten Träumen nicht erwartet, und er schämte sich förmlich, daß er über Nacht solch ein Mordskerl geworden sei. Und ein Mann hatte bei Gott den Mut, zu schreiben: »Der Naturalismus kannte keine ungebrochenen freudigen Menschen; er kannte nur nervöse, schwächliche, verlogene, verbitterte, in sich erschöpfte Naturen. Er kannte kein frohes Gelächter, er kannte keine poetische Vergeltung – dergleichen kam ja im Leben, so wie er es verstand. niemals vor! ›Doch!‹ ruft das Publikum millionenstimmig, ›dergleichen kommt wohl vor! Wir wollen das sehen!‹ Es wirkte befreiend, daß Patrone, die man als kraftlose Wichtigtuer längst erkannt, die aber die Kunst verstanden hatten, sich einen Klüngel zu bilden und niemanden neben sich aufkommen zu lassen, endlich einmal als das abkonterfeit wurden, was sie wirklich waren. Diese Komödie könnte den alten Wahlspruch »In tyrannos« tragen.«

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich sein Name und die Kunde von seinem Erfolge durch ganz Deutschland und darüber hinaus. Man wollte sein Bild abdrucken, obwohl er physiognomisch zu dem belvederischen Apoll keine Beziehungen hatte, wollte den Lesern die Lebensgeschichte dieses Menschen erzählen, von dem man ja bis dahin gar nichts gewußt hatte! Man schickte ihm Glückwunschdepeschen und Blumen von nah und fern, und Honorius veranschlagte den Tantiemensegen auf etwa 50 000 Mark. Asmus konnte sich in all seiner Freude eines heimlich-bitteren Lächelns nicht erwehren. Siebzehn Jahre lang hatte er gerungen, freilich unter dem Beifall allerbester Männer und Frauen; aber in der sogenannten »Öffentlichkeit« hatte kein Hahn nach ihm gekräht, und an der Beschaffung des täglichen Brotes hatte er sich schier zuschanden gerungen. Jetzt mit einem Male »konnte er was«, war er ein »Faktor«, eine »Potenz«.

Das Buch redet in einsamer Kammer mit stummen Zeichen und durch das kühle Auge zu Einem; das Drama spricht in festlicher Versammlung mit lebendiger Lippe und Gebärde und durch Auge und Ohr allabendlich zu Tausenden. Das schafft den schnell sich verbreitenden Erfolg, und dieser plötzliche, überraschend in die Weite wachsende Triumph ist es, der dem Dramatiker den furchtbaren Neid erweckt.

Einstweilen aber blühte die Freude noch weiter. Er wollte für sein Leben gern nach Wien, um sein Werk an der geweihten Stätte deutscher Bühnenkunst, am Burgtheater, zu sehen und einstudieren zu helfen. Aber dazu gehörten elf Tage Urlaub, und soviel durfte sein Freund Murow nicht geben; das konnte nur der Herr Senator Hartmann, sein höchster Vorgesetzter. Und es kam Asmussen etwas reichlich frech vor, nach so langem Urlaub schon wieder mit der gleichen Bitte zu kommen. Aber die Versuchung war zu groß, und so kratzte er denn alle Stilkünste, über die er etwa verfügte, zusammen und begründete in einem acht Seiten langen Gesuch ausführlich und zwingend, daß ein deutscher Dramatiker unbedingt zu einer Erstaufführung nach Wien müsse. Der Herr Senator war ehemals der strenge und schneidige Polizeiherr von Hamburg gewesen, und Asmus versprach sich wenig Erfolg. Der Souverän – denn ein Hamburger Senator ist souverän wie ein König – beschied ihn zu sich. Das war schon auffällig; er konnte ja sein Ja oder Nein aufs Gesuch schreiben und damit basta; dem Herrn Semper sollte wahrscheinlich mündlich bedeutet werden, daß er reichlich anspruchsvoll sei.

»Na, Herr Semper, Sie wollen nach Wien? Bitte, nehmen Sie Platz!« sagte der Herr Senator.

»Ja – wenn es möglich wäre –« meinte Asmus.

»Ja, warum sollte das nicht möglich sein? Wie lange wollten Sie weg?« Er blickte in das Gesuch. »Elf Tage? Und darum Räuber und Mörder? Die hätte Ihnen doch der Herr Schulrat auch geben können.«

»Der Herr Schulrat meinte, ich solle mich lieber an Sie wenden. Vielleicht, weil ich erst ein Jahr Urlaub gehabt habe.«

»Na ja, wenn schon. Das sagt ja nichts. Wenn Sie mal wieder 'n Jahr frei sein wollen, um sich ungehindert der Dichtung widmen zu können, dann genieren Sie sich nicht; da wird nichts im Wege sein.«

Umarmungen aus überquellender Dankbarkeit sind schon einem preußischen Polizeipräsidenten gegenüber nicht am Platze, bei einem Hamburger Senator aber noch tausendmal weniger. »Innigsten Dank« zu sagen, wäre ebenfalls noch dichterischer, unhanseatischer Überschwang gewesen; denn es gibt Dinge, für die man noch inniger dankt als für freigebig erteilten Urlaub. Überhaupt, was heißt »inniger« Dank. Wenn man in Hamburg dankt, so tut man' s immer von innen; also was soll der Pleonasmus? Nur »danke« zu sagen, das war Sempern wiederum viel zu kahl. Und so kam er vor lauter Zweifeln überhaupt nicht zum Reden; erst als der Senator dem mit weniger geistreich als selig geöffnetem Munde und noch viel geöffneteren Augen Dasitzenden die Hand reichte und rief:

»Nun, Herr Semper, dann wünsche ich Ihnen eine angenehme Reise und allen möglichen Erfolg!« da rief Asmus: »Vielen, vielen Dank Herr Senator!« und entlud in seinem Händedruck die aufgestaute Seelen- und Körperwärme.


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