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Herrn Asmus Semper sticht der Hafer.
Salomon Freudenthal war Prokurist einer großen Bankfirma und Dichter. Er entstammte einem winzigen Dorf an der Nordsee und war in bitterer Armut aufgewachsen. Als der Vater gestorben war, da war die Familie gerade kurz zuvor zum zweiten Male abgebrannt, und ihr Vermögen bestand in einem Fäßchen eingemachter Gurken. In der Schule hatte der Knabe zwar »de Jud« geheißen und war auch wohl hin und wieder gehänselt worden; im ganzen aber hatte man sich vorzüglich vertragen, schon deshalb, weil man Salomons im Religionsunterrichte nicht gut entbehren konnte. Zwar nahm er an diesem Unterrichte natürlich nur als Zuhörer teil; aber der Lutherische Katechismus prägte sich auch so seinem schnell fassenden Kopfe ohne Schwierigkeiten ein, und wenn ein friesischer Flachskopf herunterschnurrte:
»Ich glaube an Jesum Christum, Gottes eingeborenen Sohn –«
und dann stecken blieb, dann half Freudenthal ihm weiter:
»geboren von der Jungfrau Maria –«
und so kam der schönste konfessionelle Friede zustande. Bald nach dem Tode des Vaters hatte ihn ein großes Hamburger Bankhaus in die Lehre genommen, und seit mehr als 25 Jahren hatte er die Millionen seiner Chefs sich mehren sehen – ohne Neid, heiter lächelnd im Besitze sichreren Reichtums. Bei seinem Jubiläum hatten seine Prinzipale und Kollegen durch einen Zufall erfahren, daß ihr totsicherer Zins- und Diskontrechner seit langem ein Dichter, ein stillbescheidener, feiner Didaktiker von deutschem Rufe sei. Er wäre gestorben, eh' er's ihnen verraten hätte.
Durch Rosenberg hatte Asmus ihn kennen gelernt, und sie hatten sich als Landsleute schnell und ganz von selbst auf den plattdeutschen Komment geeinigt, d. h. sie sprachen nicht nur in ihren höchsten Momenten plattdeutsch miteinander, sondern sie machten sich auch ihre gelegentlichen Komplimente in der Form von Grobheiten und warmherzigen Schimpfworten.
Schier atemlos hatte sich Asmus auf dem altväterischen Sofa in Freudenthals »bester Stube« niedergelassen. Ihm war bei seinem Vorhaben gar nicht wohl. Freundschaft, die Geld verlangt, macht sich immer verdächtig; das war bei allen solchen Gängen sein Gefühl. Freudenthal trat ein, ein zartes Männchen mit Kinderhänden und mit der Glatze eines Bankiers, aber mit den Augen eines Schalks, der gern Spinoza liest und Schach spielt.
»Tach, mein Junge, wie geht's dir?« rief er. »Hab' grade 'n feines Gedicht von dir gelesen, in der »Gesellschaft«. So'n gans lütt beten Talent hest du doch, du Döskopp.«
Asmussen wurde etwas wärmer.
»Dieses Urteil wirst du bereuen, wenn du hörst, daß ich dich um zwanzig Mark anpumpen will.«
Freudenthal kicherte lustig wie ein Backfischchen. »Jo, denn nehm ick allens torüch!« rief er. »Ick gläuv, dat war gonnich vun di.« Er schloß ein Schränkchen auf. »Wullt du hunnert Mark hem'm?«
»Nee nee!« rief Asmus erschrocken. »Ick bin bang vor de Zinsen!«
»Jo, foftig (fünfzig) Prozent mutt ick hem'm. Monatlich natürlich.«
»Na, scheun, denn giv mi dottig (dreißig) Mark.«
Freudenthal kicherte in den Schrank hinein und kam mit dem Gelde. »Hier, min Jung', un wenn du mehr bruukst, denn segg man Bescheed.«
Asmus dankte.
»Was macht denn das Drama?« fragte Freudenthal. »Darauf bin ich mächtig gespannt.«
»Das ist noch immer so ungeboren wie bisher,« seufzte Asmus in tiefer Niedergeschlagenheit.
»Wird schon kommen, wenn die neun Monate herum sind!« meinte Freudenthal.
»Das ist ja das Schlimme,« rief Asmus, »die neun Monate sind längst herum! Es ist ja da – und ist doch nicht da! Wie soll ich dazu kommen?«
»Du kommst dazu,« sagte Freudenthal. »Du kommst noch mal hoch, davon bin ich felsenfest überzeugt. Denk an dat, wat ick seggt hev, du Schopskopp!«
»Gut, dann komme ich nächstens und hole mir Vorschuß darauf.«
»Jo, dat doo man,« kicherte Freudenthal hinter dem Davoneilenden her. –
Asmus kaufte also ein. Er kaufte auch Lachs, richtigen Lachs, weil Lohfeld der Feine ihn so gern aß. Gewiß: auch Asmus Semper aß ihn gern; aber das muß denn doch hier zur genaueren Charakteristik des Herrn Semper ausdrücklich bemerkt werden, daß er unter diesen Umständen für sich selbst keinen Lachs gekauft hätte.
Der Abend verlief wunderschön, auch für Asmus; denn er durfte sich sagen: für vier bis fünf Tage haben wir wieder zu essen. So trug er denn auf Wunsch der Freunde mit offener, heiterer Seele »Die Kraniche des Ibykus« vor. Diese Leutchen, die alles Neue mit froh empfänglichen Sinnen in sich sogen und mit Freuden Liliencron, Ibsen, Zola und Hauptmanns »Weber« lasen, bewahrten in ihrem Herzen unantastbar den Schiller und den Klopstock, den Herder und den Lessing, von Goethe nicht zu reden.
»Sag mir um Gotteswillen!« rief Rosenberg – er hatte Asmussen inzwischen das »Du« angetragen, und man war dann zur allgemeinen Verbrüderung übergegangen – »sag mir um Gotteswillen, warum gehst du mit deiner Vortragskunst nicht an die Öffentlichkeit!«
»Du denkst dir das so leicht,« versetzte Asmus. »Mindestens zwanzig Vereinen hab' ich mich schon angeboten – immer vergebens.«
»Nun, in zwei oder drei Vereinen könnt' ich vielleicht eine Einladung durchsetzen, in einem gewiß. Das ist freilich ein jüdischer; es fragt sich, ob du da lesen willst.«
»Kamel,« sagte Asmus.
»Gut,« sagte Rosenberg, »ich nehme das für einen Ausdruck der Übereinstimmung. Du wirst lesen, und ich werde darüber einen Bericht ans »Abendblatt« senden, nach der Melodie Karl Moors: ›Auf, ihr Klötze. ihr trägen Klumpen‹ usw.«
In seinem gläubigen Idealismus, seinem rückhaltlosen Menschenvertrauen dachte Rosenberg sich das sehr einfach.
Asmus las auf sein Betreiben in einem und noch einem Verein, und Rosenberg schrieb flammenfeurige Berichte nach der Weise »Habemus papam eloquentiae!« oder so. Aber das »Abendblatt« druckte sie nicht, und als Rosenberg in einem leidenschaftlichen Briefe die Redaktion zur Rede stellte, schrieb man ihm: Wir kennen Sie nicht und kennen Herrn Semper nicht. Lassen Sie Herrn Semper öffentlich sprechen, und wir werden einen Rezensenten schicken.
»Dagegen ist im Grunde nicht das Geringste einzuwenden,« sagte Asmus, »so betrübend es für uns in diesem Falle ist. Wenn die Zeitungen unabhängig von allen Freundschaften, Vetternschaften, Genossenschaften und Aktiengesellschaften urteilen, so ist es ein köstlich Ding um die Zeitungen.«
»Natürlich,« rief Rosenberg, »wenn! Also du mußt jetzt selbst einen Vortragsabend veranstalten. Dann müssen sie kommen, und sie müssen loben.«
Asmus mußte laut auflachen. »Selbst einen Vortragsabend veranstalten! O du liebe schnauzbärtige Innocentia! Und mit dem Defizit Konkurs anmelden?«
»Ich habe einen sehr großen Bekanntenkreis,« rief Rosenberg, »hundert Karten bring' ich spielend unter. Damit sind die Kosten gedeckt.«
Asmus starrte ihn an. »Ja – wenn das wäre –«
Der Abend kam zustande; Asmus borgte sich einen Frack, der ihm schlecht saß, rezitierte von Shakespeare bis Gottfried Keller und gab auf Verlangen eine eigne Dichtung zu, als der Beifall nicht enden wollte; Asmus war grenzenlos selig; Rosenberg war es vielleicht noch mehr und lud Hilden und die Freunde in einen Weinkeller. Als sie mit dem ersten Glase anstießen, riefen Hildens Augen: Asmus Semper hoch, hoch, hoch! Und als Rosenberg zahlen wollte, sagte der Kellner: »Ist bereits erledigt,« und als Rosenberg sich verwundert im Kreise umsah, drehte ihm Asmus eine Nase.
»Auch noch zahlen! Das könnte dir passen!« höhnte er.
Der Überschuß betrug nämlich über hundert Mark oder vierzehn Tage Sorgenfreiheit.
Am folgenden Abend waren die Blätter des Lobes voll.
Erst viel später kam Asmus durch einen Zufall dahinter. daß Rosenberg die meisten Karten aus eigener Tasche verschenkt hatte.
Solcher Freunde hatte Asmus nicht viele; aber gute Freunde lebten ihm auch sonst noch.
Also welches Recht hatte der Mann eigentlich, sich unglücklich zu fühlen, sehr unglücklich? Was wollte der Mann eigentlich?
»Den sticht der Hafer,« sagte das Schicksal.