Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Zweikampf vor einem Parkett von Königen.
Noch ein ganz anderes, aber auch ein freundliches Omen begrüßte ihn auf der ersten Probe im »Weaner« Burgtheater, als er, auf der Bühne stehend, hinter sich in einem prachtvollen Heldenorgan die ausreichend unwienerischen Worte hörte: »Segg'n Se mol den Lothgeter, wenn he mi noch mol verkehrt bescheed seggt, denn kriegt he een an'n Backboord, dat'e gläuvt, em hett 'n Perd pett't!«
Wundersam ergriffen –
»Mit Schmerzenssehnsucht wird sie dich ergreifen, Wenn sie dir anklingt auf der fremden Erde!« |
wandte Asmus sich um und blickte in ein gutmütig lachendes Gesicht, das nach allem andern eher aussah als nach feindseligen Tätlichkeiten.
»Gun Dag, Herr Semper,« sagte dasselbe Gesicht, »See verstohn jo gottseidank ook 'n Wort Plattdütsch. Wat mokt Hamborg?«
Es war Geert Riemer, der Asmussens jungen deutschen Helden spielen sollte, und, beim Himmel, so sah der Mann aus! Das war deutsche Kraft, deutsche Schönheit, deutsches Licht aus deutschen Augen. Schallend fiel Asmussens Hand in die Hand eines neuen und treuen Freundes.
Wenn Asmus in seinen frühen Kindheitstagen einen überschwänglichen, unerfüllbaren Wunsch aussprach, so pflegte seine Mutter wohl zu sagen: »Ja ja, wenn's Schiff von Holland kommt.« Und dann war er sofort zufrieden; denn er war tief überzeugt, daß über kurz oder lang dieses frachten- und freudenschwere Schiff in die Elbe bei Oldensund einlaufen werde. Mit seinen 38 Jahren war er nun freilich zu alt, um noch an dieses Schiff zu glauben; er erwartete jetzt andere Schiffe aus anderen Ländern, und zum mindesten träumte er gern von solchen Schiffen. So malte er sich mit Vorliebe aus, welch ein Glück es sein müsse, wenn er sich einmal von allen Bühnen Deutschlands die Schauspieler aussuchen könnte, um seine Stücke zu besetzen. Für jede Rolle den besten, den passendsten, der zu finden war! Welch ein Fest! Auch hier in Wien hatte er Anlaß zu solchem Traume, denn auch hier haperte es mit der Besetzung einer Hauptrolle bedenklich, und obendrein handelte sich's um eine Dame; man mußte also noch Galanterie üben. Überhaupt merkte Asmus, der Antidiplomat, daß er sich auf der Bühne schrittweise zum Diplomaten umbilden müsse; man sollte vielleicht unsere Gesandtschaftsgehilfen zur Vorbildung in eine Bühnenleitung schicken; das Gleichgewicht einer Schauspielerseele ist empfindlicher als das Gleichgewicht Europas. Zum Ersatze war hier der elegante Dekadent mit dem verkümmerten Herzen ganz vorzüglich besetzt, und es gelang das schöne Spiel, die Hörer nicht nur lachen, sondern in Rührung lachen zu machen und Mitleid mit einem Überlegentuenden zu erwecken. Das köstlichste Erlebnis aber war die Generalprobe. Da erschien im Zuschauerraum alles, was diesem altberühmten Kunstinstitute angehörte, als zu einer gemeinsamen Angelegenheit, an der wie an jedem neuen Werke nicht nur Ruf und Ehre der Mitwirkenden, sondern der ganzen »Burg« beteiligt war, und der Dichter sah sein Werk gespielt vor einem Parkett von Königen der Bühne. In den Pausen traten diese Könige mit dem Regisseur, dem Direktor und dem Dichter zusammen, um zu beratschlagen, wo etwa noch zu bessern sei; das Ganze war ein köstlich erwärmtes, erregtes Konvivium der Kunst unter sich, ohne Publikum und doch wieder mit einem idealen Publikum von Wissenden, ein esoterisches Kollegium, und als Asmus nach der Probe im Hotel zum Bären mit solchen Männern in heiterem Kunstgespräch zusammensaß, da hatte er schon das Beste genossen, was ihm Wien zu bieten hatte, und bei jedem Glase und bei jedem bunt beschwingten Scherzwort klang es heller in ihm:
»'s gibt nur a Kaiserstadt, 's gibt nur a Wien!« |
Daß er sich in einer Kaiserstadt aufhielt, wurde ihm am übernächsten Tage deutlich, als er sich die erste Wiederholung seines Stückes vom Publikum aus ansah; während des ersten Aktes entstand in der kaiserlichen Inkognito-Loge ein geheimnisvolles Geräusch: Franz Joseph war erschienen, um sich das neue Stück anzusehen, das einer krankhaften Hirn- und Herzensmode den Krieg erklärte. Am Abend vorher hatte der »Zweikampf« vor dem schwierigen Wiener Publikum die Prüfung bestanden, und fröhlich-stillen Herzens fuhr Asmus heim zur gewohnten Schularbeit, zum Glück seines Herdes und zu neuem Schaffen.
Zuvor aber kam noch Berlin.
An jenem Tage, als der »Zweikampf« in Dresden das Licht der Öffentlichkeit erblickt hatte, hatte ein hervorragender Berliner Theaterdirektor, ein Mann von großer Intelligenz in engen Bezirken, zu einem seiner Kollegen gesagt.
»Heute wird in Dresden der ›Zweikampf‹ gegeben von Asmus Semper. Ich habe das Stück abgelehnt. Vielleicht war ich ein Ochse.«
Und als ihn einer seiner Schauspieler wegen der Ablehnung dieses Stückes zur Rede gestellt, hatte derselbe Mann gesagt: »Ich hätt's ja vielleicht nehmen sollen; aber ich konnte doch in meinem Theater kein Stück geben, das gegen alles streitet, was ich in eben diesem Theater immer vertreten habe!« Da hatte der Schauspieler geantwortet: »Gerade deshalb hätten Sie's spielen sollen!«
Von diesen Gesprächen erfuhr Asmus erst nach Jahren; hätte er sie jetzt schon gekannt, so hätte er in ihnen vielleicht Wetterzeichen erkannt.