Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XLVIII. Kapitel.

Von himmlischer und irdischer Liebe und von irdischem Haß.

Er war auch von je der Meinung gewesen, ein Lump kann kein Künstler werden, sollte es wenigstens nicht werden. Er war in dieser Hinsicht mit seligen Erwartungen in die Literatur eingetreten. Als er zu hoffen wagen durfte, dermaleinst ein deutscher Dichter und Schriftsteller zu werden, da war ein berauschendes Gefühl einer innerlichsten Standeserhöhung über ihn gekommen, das Gefühl, daß er vielleicht berufen sei, in eine wirkliche Adelsklasse einzutreten. Der schreibende Stand war ihm der Stand der »Ritter vom Geiste«; er glaubte an einen hohen Feingehalt dieses Wortes. Daß Menschen niemals Engel seien und sogar Schiller keiner gewesen sei, wußte er gut genug; aber er meinte, wer mit der göttlichen Gunst begnadet sei, zu seinen Mitmenschen reden zu können, mit dem unvergleichlichen Glück, den Beruf eines Goethe, Schiller und Lessing teilen zu dürfen, der sei unzweifelhaft und ganz von selbst, bei aller menschlichen Schwäche und auch bei bescheidenster Begabung, im Grunde seines Wesens ein Ritter, ein tapferer, ehrlicher Mensch. Und da die Männer, die in seiner Kinder- und Jugendzeit den deutschen Parnaß beherrschten: die Keller, Anzengruber, Reuter, Groth, Scheffel, Freytag, Spielhagen, Fontane, Storm, Raabe, Jensen, Heyse, Jordan, Wilbrandt, Hamerling, Geibel und viele andere, solche Ritter waren und die Kritik zu jenen Zeiten das war, was sie immer sein sollte: eine Unterhaltung zwischen gebildeten und anständigen Leuten, so wurde Asmus in seiner hohen Erwartung nur bestärkt. Als dann die Periode der Schmähkritik anhob und das Schandmaul eine kritische Instanz wurde – und gleich die höchste! – da wurde er stutzig; sein volles Erwachen sollte aber erst kommen, als er Erfolge errungen hatte. Da wurde er nachhaltig aufgeklärt.

Inzwischen war der »Heilige Bureaukratius« auch in Berlin gegeben worden, und auf einer Probe hatte Asmus ein bezeichnendes Erlebnis gehabt. In diesem Stück gab es eine Liebesszene, in der ein junger Mann in aller Schüchternheit und Unbeholfenheit eines »reinen Toren« um ein reines Mädchen warb. Der Darsteller des jungen Mannes aber hatte seine eigene »Auffassung«: er machte sehr kurzen Prozeß und riß das Mädchen an sich wie ein brünstiger Holofernes aus dem Tiergartenviertel, mit der deutlich untergelegten Überzeugung: »Mir widersteht ja doch keene.« Das war damals »Weltanschauung« in der Liebe: der Mann brutal und das Weib von solcher Brutalität entzückt. Das mochte ja auch in manchen Fällen zutreffen; aber in diesem Falle lag die Sache doch wesentlich anders. Asmus machte also Regie und Darsteller darauf aufmerksam, daß sein Held kein brünstiger Stier sei; »dieser junge Mann«, sagte er, »ist natürlich so sinnlich wie jeder gesunde Vollmensch; aber wenn ein deutscher Jüngling dieser Art um sein Mädchen wirbt, ist er sich seiner Sinnlichkeit kaum bewußt; irdische und himmlische Liebe mischen sich in ihm zu jenem unnennbaren, berauschenden purpurnen Wirbel, den ein Faust, ein Ferdinand v. Walther, ein Siegfried, Liebe nennen.« Man sah ihn an wie ein neu entdecktes Tier; denn als Mann aus der Provinz wagte er, Berliner Kunst zu meistern. Aber als er ihnen vormachte, wie er sich das denke, da begriffen sie, was er wollte, und spielten es.

Die Aufführung brachte dann an Stelle des nach bekannter Regel zu erwartenden furchtbaren Durchfalls einen ebenso großen Erfolg wie in Dresden. Und mit diesem Erfolge begann ein großes Kesseltreiben gegen Asmus Semper, der es gewagt hatte, den »Zweikampf« zu schreiben.

Die Rezensionen, die er jetzt von den Erbosten erfuhr, waren nach einem ziemlich feststehenden Schema geschrieben; er hätte sie vor ihrem Erscheinen aus dem Kopfe fast wortgetreu hersagen können. Das Muster war etwa so:

»Zu welchen Abgründen der Geschmacklosigkeit die Tantiemengier unserer Bühnenjobber führt, das konnte man am Dienstag an dem sogenannten »Lustspiel« des Herrn Asmus Semper beobachten. Der ehemalige Hosenspanner aus der Weltstadt Oldensund hat mit seinen früheren Machwerken so viel Geld »verdient«, daß es ihn nach mehr gelüstete. Das ist begreiflich; er sollte sich nur nicht einbilden, daß dies Gelüsten mit Kunst irgend etwas zu tun hätte. Seine grob zurecht gezimmerten, auf die niedrigsten Instinkte des Publikums spekulierenden Reißer und Tendenzschmarren müssen jedes feiner und zarter organisierte Empfinden zurückstoßen. Die Autoreneitelkeit des Herrn »Dichters« wird den johlenden Beifall der Menge natürlich auf sein eigenes Konto setzen; er hat sich aber ausschließlich bei den Darstellern zu bedanken, die ihr hervorragendes Können für diesen Kitsch einsetzten. Herr A. schuf einen prachtvollen, überlebensgroßen Schulrat, Herr B. eine bis ins Feinste hinein durchgearbeitete Charakterstudie als Pastor, Frl. C. einen entzückenden Backfisch von hinreißender Natürlichkeit usw. usw.«

Und alles ohne Apparat.

Nicht Asmus allein genoß den Vorzug solcher Behandlung; eine gewisse Gruppe von Dichtern wurde ausnahmslos und bündelweise verrissen, wie auch ihre Werke. Und am Schlusse solcher Besprechungen hieß es mit selten durchbrochener Konsequenz:

»Der Autor kann sich für den Erfolg bei den Darstellern bedanken; ihnen allein galt denn auch der Beifall des Publikums.«

Das konnten diese Kritiker hören. Ihre Ohren waren so entwickelt, daß sie bis in jeden Winkel des Theaters reichten. Und wenn die Leute klatschten, so hörten sie genau, wie die Hände immer: »Darsteller! Darsteller!« machten, ganz wie jener Trinker, der zur Enthaltsamkeit verurteilt war und aus dem Geläute des Kölner Domes immer »Aquavit! Aquavit!« heraushörte. Ja, selbst wenn die Zuschauer den Dichter mit Namen riefen, hörten sie deutlich, daß die Darsteller gemeint waren. In Deutschland gab es plötzlich Bühnengenies wie Futterrüben; jedes Landstädtchen von 5000 Einwohnern hatte ein Dutzend Devrients, das unaufhörlich Dichter »rettete«. Asmus verlegte sich aufs Warten. Er war ja Optimist und dachte: einmal muß es ihnen doch selbst zu dumm werden. Wenn sie zehn Jahre lang diese Albernheit im Munde gewälzt haben, muß doch selbst ihnen ein fader Geschmack auffallen. Aber sie stellten an sich selbst keine Ansprüche und hatten Opfermut: Wenn es eine Nichtswürdigkeit zu verüben galt, so scheuten sie keine Trottelhaftigkeit.

Als Asmus nach einer süddeutschen Erstaufführung am Schreibpult des Telegraphenamtes stand, um seiner Hilde einen Sieg zu melden, da hörte er zwei Männer an den Nebenpulten über den Erfolg des Abends reden. Sie hatten Sempern offenbar nicht bemerkt.

»Wie war's denn?« fragte der eine.

»Waren Sie nicht da?« der andere.

»Nur zwei Akte; ich hatte keine Zeit mehr.«

»Na – es war Beifall,« erklärte der Gefragte mißvergnügt.

Und der Wackere, nun hinreichend unterrichtet, depeschierte über Sempers Erfolg an seine Blätter.

Asmus sah in einer Erstaufführung einen Kritiker mitten im Publikum ein langes Telegramm schreiben, während auf der Bühne gespielt wurde. Es war seit langem eingerissen, daß Berichterstatter lange vor Schluß Theater und Konzert verließen und über Dinge schrieben, die sie nicht gesehen und gehört hatten, ja, die gar nicht geschehen waren. Es gab ihrer, die sich rühmten, daß sie keiner Vorstellung bis zum Schlusse beiwohnten, und einer, der ganz redlich war, erklärte in einer großen Zeitung, über die Stücke gewisser Dichter könne man ruhig schon vor der Aufführung schreiben, daß sie durchgefallen seien. Er traf den Nagel auf den Kopf; denn cliquenfremde Dichter und ihre Werke wurden eben bündelweise abgetan. Ein Dichter solcher Art hätte einen Faust, multipliziert mit Hamlet, schreiben können – sein Urteil war lange vor dem Erscheinen seines Werkes gesprochen.

Ein paar Blätter hatten denn auch der Vereinfachung wegen schwerhörige, fast taube Rezensenten, die von dem, was auf der Bühne verlautbarte, nichts mehr hörten und deshalb immer ihre Gattinnen neben sich hatten. Aber als Musikreferenten wurden sie nicht verwandt.

Unter den Rezensenten, die Asmussens Tantiemen besonders tief verabscheuten, war einer der Mundgewaltigsten Herr Sauerbrand. Da traf Herrn Sauerbrand eines Tages das Unglück, daß er selbst mit einem skrupellosen Schwank Erfolg hatte und hübsche Tantiemen erhielt. Asmus erwartete stündlich eine öffentliche Bekanntmachung des Herrn Sauerbrand, daß er den üblichen Judaslohn für Kunstverrat mit Empörung zurückweise und den Theatern wieder zustelle. Aber Sauerbrand litt an einem Schreibkrampf für Postanweisungen.

So schamlos gehässig die Verreißer und Selbstdichter gegen artfremde Dichter aufzutreten pflegten, so holdselig benahmen sie sich gegen Cliquenbrüder, Lokalkollegen und Berufsschwager und gegen sich selbst.

Ein eigenartiger Zufall wollte, daß Erfolge der Herren Sauerbrand und Genossen niemals »äußere«, sondern »innerliche« waren, daß sie niemals den Darstellern, sondern dem Dichter zu danken waren, daß niemals Pöbel im Theater war, sondern Publikum, und wenn das Publikum in die Hände klatschte, so hörte der kritische Selbstdichter ganz deutlich »Der Dichter! Der Dichter!« heraus, genau wie jener Mann, der aus dem Geläute des Kölner Doms immer »Aquavit! Aquavit!« heraushörte.

Wenn das Werk eines Günstlings aber sang- und klanglos durchgefallen war, so schrieben sie: »Das feine, gehaltvolle Werk hinterließ sichtlich einen tiefen Eindruck.« Die Entschlossensten jedoch machten tatkräftig aus einem Sieg eine Niederlage, aus einer Niederlage einen Sieg. Nur war ihre Intelligenz nicht so stark gebaut wie ihre »Amoral«: sie waren nicht konsequent, wie man an ihrem Schema erkennen kann:

Wenn das Stück eines Günstlings gefiel, so war das Stück herrlich, das Publikum gescheit.

Wenn das Stück eines Günstlings durchfiel, so war das Stück herrlich, das Publikum ein Vieh.

Wenn das Stück eines Verhaßten durchfiel, so war das Stück erbärmlich, das Publikum gescheit.

Wenn das Stück eines Verhaßten gefiel, so war das Stück erbärmlich, das Publikum ein Vieh.

Der »Heilige Bureaukratius« wurde nach und nach in alle Kultursprachen der Welt übersetzt; folgerichtig schmähte man ihn in Deutschland in allen Tonarten der Gasse.


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