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Herr Semper benimmt sich auch ferner mit unverantwortlichem Leichtsinn.
So also erging es ihm mit Sauerbrand. Dann kam Aaron Baumblatt der Rezensent. Aaron Baumblatt sah aus wie das Kreuzungsprodukt eines polnischen Juden und eines Lamas und stammte aus Tarnopol in Galizien. Er hatte die Überzeugung, sehr bedeutend auszusehen, einen »interessanten Kopf« zu haben; daher blieb er bei jeder Premiere, in jedem Zwischenakt, das Gesicht ins Auditorium gewendet, so lange auf seinem Parkettplatze stehen, bis alle Anwesenden gesehen hatten: der scharfe Baumblatt ist da mit dem Charakterkopf. Er aber sprach es durch seine Mienen aus: »Ihr, der blöde Haufe, mögt euch nach Belieben amüsieren oder langweilen, euch rühren lassen oder lachen – den Wert des neuen Stückes bestimme ich. Ich bin das Maß der Dinge. Ich bin das Reichsgericht für Kunstsachen. Und wenn er dem Autor oder Schauspieler wohlwollte, wenn es vielleicht gar ein Stammesgenosse war, dann schrieb er hernach lauter »feine« Sätze, lauter »Brillanten« wie:
»Löwensteins Dichtung ist keine Kunst; sie ist mehr, ist ein unendliches Jenseits aller Kunst, eine schneidende Transversale alles Weltgeschehens, projiziert aus den Horizont unseres Nervensystems oder vielmehr eine hochgeschwungene Tangente des Seins, die, die Wirklichkeit nur in einem Punkte mit sensitivster Schamhaftigkeit berührend, in den ewigen Raum verläuft, um von dorther die zermalmenden, zerfleischenden Sensationen transzendenter Urweltgedanken zu holen –«
oder so ähnlich, und wenn er den Dichter haßte, so schrieb er solche Sätze wie:
»Das Stück hat drei Akte und Grundsätze. Die Heldin hat Grundsätze und Pockennarben. Der Autor wurde dreimal gerufen und erschien viermal –«
und so weiter. Geistsprühend also, durchaus geistsprühend. Am schlimmsten erging es den armen Dichtern, die deutsches Wesen verrieten. Er hatte den stillen, fanatischen Haß mancher östlichen Juden gegen alles Deutsche. Wenn er dergleichen witterte – und darin witterte er scharf – dann fletschte er.
Baumblatt hatte das Theaterreferat am »Patriotischen Anzeiger« und stand mit zahlreichen auswärtigen Vertretern seiner »Branche« in einem festen Vertragsverhältnis. Sie mußten bei den Theatern ihrer Städte sein Stück »Der Springer« anzubringen suchen, und wenn es gelungen war, einen Direktor dahin zu bringen, daß er zähneknirschend den »Springer« gab, dann war Baumblatt von einer wirklich rührenden Dankbarkeit. Er ruhte dann nicht eher, als bis er seinen Geschäftsfreund ebenfalls »lanciert« hatte. So empfahl er denn der »Rostra« dringend, aber schon sehr dringend, einen seiner Schützlinge, »eine große Zukunftshoffnung«, zu einer Vorlesung kommen zu lassen. Die »Rostra« prüfte die Verse der Zukunftshoffnung und zeigte sich, wie Zuleika, »gänzlich abgeneigt«. Da Asmus als Vorsitzender das höfliche Ablehnungsschreiben zu unterzeichnen hatte, so fiel ihm auch in erster Linie der Genuß des Odiums zu. Baumblatt aber war ein anständiger Kritiker; er quittierte meistens erst nach sechs Wochen. Da erschien in einer Theaterrezension, mit der die »Rostra« gar nichts zu tun hatte, die Bemerkung, daß die »Rostra« für unsere Stadt ganz etwas anderes bedeuten könnte, wenn sie wirklich künstlerisch und nicht so erschreckend dilettantisch geleitet würde.
»Aha,« sagte sich Asmus.
Dann war eine ganz scharmante Begleiterscheinung der »Rostra« Frau Kitty Krüger, die Gattin des Redakteurs Krüger. Sie war hübsch und zierlich und überfiel Asmussen eines Abends im Foyer des Theaters mit stürmischen Lobsprüchen.
»Also: ich bin einfach weg in Ihre Bücher!« rief sie ganz nahe vor seinem Gesicht. »Ich nehme sie jeden Abend mit zu Bett!« (Asmussen wurde ganz warm.) »Darin steckt doch endlich einmal wieder eine Persönlichkeit, ein Mann! Das sind doch endlich einmal wieder Verse! Wer kann denn heutzutage noch Verse machen!«
Und so weiter. Welcher junge Mann ließe sich nicht gern von einem hübschen Weibe solche Dinge sagen? Asmus hatte eben noch wenig Erfahrung in diesen Dingen. Er wußte noch nicht, daß nach solchen Einleitungen früher oder später immer die verschämte Bemerkung kommt: »Ich habe mich auch mal versucht –«
Hier z. B. kam sie. Frau Kitty überreichte ihm ein schmächtiges Bändchen: »Brennende Gluten«.
»Nicht wahr, Sie sagen mir Ihre ehrliche, ungeschminkte Meinung, Herr Semper. Bitte, versprechen Sie mir das!« bat sie mit großen, flehenden Augen.
»Selbstverständlich, gnädige Frau,« sagte Asmus und schwur ihr in seinem Herzen tiefste Redlichkeit.
»Bitte, tun Sie es!« flehte sie. »Ich will keine Lobhudeleien, ich will Wahrheit. Und ich weiß: Sie sind ein Mann, der offen und rücksichtslos seine Meinung sagt. Bitte, geben Sie mir Ihre Hand darauf, daß Sie mich nicht schonen werden.«
Asmus gab ergriffen seine Hand und genoß noch am selben Abend eine größere Anzahl »Brennender Gluten«.
Ein ganz kleines Talentchen, sagte er sich. Wenn es nicht da wäre, wäre die Welt um nichts ärmer. Aber sie hat gehört, daß man für sehr kühn gilt, wenn man sehr erotisch ist, daß eine möglichst klare, gar nicht mehr mißzuverstehende Darstellung intimster Liebe sogar schon Genie bedeutet, und daß es allerkühnste Genialität beweist, wenn eine Frau diese Liebe so oft wie möglich schildert. Ihre eigene Glut ist noch dazu sehr klein, ein kleines bürgerliches Herdfeuer; sie hat sich einen Blasebalg aus Berlin verschrieben, und damit pustet sie, daß die Verse mit Asthma behaftet scheinen.
Immerhin: ein Gedicht war darunter, das nicht übel geraten war, und darob freute sich Asmus. So konnte er ihr doch etwas Angenehmes sagen.
»Ein Gedicht hat mir nicht übel gefallen,« sagte er, als er ihr wieder im Theater begegnete.
»Eins? I gitt, Sie gräßlicher Mensch!« rief sie mit scheinbar scherzhaftem Schmollen, und dann fächelte sie sich und ging zu ihrem Manne.
Einige Tage später traf er seinen Freund Globendorff, den Buchhändler, auf der Straße.
»Die Krüger hat dir ihre Gedichte gegeben, was?« fragte Globendorff. »Wie sind sie denn?«
»Eins ist ganz nett,« erwiderte Asmus. »Das hab' ich ihr auch gesagt.«
Globendorff heftete einen starren Blick auf ihn.
»Du bist gegen diese Leute von einer gefährlichen Offenheit,« sprach er mit ahnungsvollem Klange. –