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Wie der Wikingerkönig Pfannfisch aß.
So seltsam verketten sich der Menschen Schicksale, daß diese Schreckenszeit der Cholera einen großen Segen für Asmus im Gefolge hatte. Die Schulen wurden nicht eher wieder eröffnet, als die Stadt von Amts wegen für seuchenfrei erklärt war, und Asmus hatte nun Zeit, Zeit, Zeit! Wie ein gefangener Panther sich mit beiden Pranken auf den fiebernd erlechzten Knochen stürzt, so – fast hätte auch er gebrüllt – warf er sich auf sein Drama. Und schrieb in sechs Wochen die ersten drei Akte, schrieb in einem Gefühl, als schlügen ihm unaufhörlich Flammen ums Haupt.
Er liebte sonst nicht, über unfertige Dinge zu sprechen; es schien ihm, daß man dadurch den geheimnisvollen, keuschen Vorgang des Werdens störe; aber jetzt hielt er sein Werk so fest in der Hand, daß es mußte, wie er wollte, und als er eines Tages mit Harald Danebrog beim Weine saß, da sprang ihm sein Plan über die Zunge.
Harald der Däne mußte tief sein Haupt neigen, wenn er bei den Sempern zu Besuch kam, und wenn er nicht der berühmteste Dichter seines Landes gewesen wäre, so hätte er auch als Riese auf allen Jahrmärkten der Welt sein Glück machen können. Asmus wenigstens unterhielt sich, wenn er vor ihm stand, immer mit seinem obersten Westenknopf (und dabei war die Weste noch ziemlich tief ausgeschnitten!) und hatte anfänglich immer das possierliche körperliche Gefühl, er stünde als kleiner ABC-Schütze vor dem Herrn Oberlehrer. Haralds Größe war aber nur ein Bruchteil seiner Schönheit, einer Schönheit, die auch das Herz eines Mannes gewinnen mußte. So mußten die Wikingerhelden, die alten Nordlandskönige, die über ihre Schiffsschnäbel hinauslugten nach Sizilien, so mußten sie ausgeschaut haben wie dieser Dichter, und da sich Haar und Bart des Riesen in tausend und tausend kleinen Löckchen kräuselten, so hatte Asmus ihm den Namen »König Ringelhaar« gegeben.
Harald Danebrog hatte die komische Erklärung abgegeben, daß er von nun an Hamburg als seinen festen Wohnsitz betrachte, und wohnte seit kurzem mit Asmus im gleichen Hause. Wer Harald kannte, hatte zu seiner Erklärung sanft, aber andauernd gelächelt; sein fester Wohnsitz war Rom oder Neuyork oder Moskau oder London oder San Franzisko oder Wien oder Buenos Aires oder Küßnacht oder Kopenhagen oder sonst ein Punkt der gebräuchlichen Landkarten oder – das war noch sein »festester« Wohnsitz – eine Yacht oder ein Boot auf dem Ozean. Er kannte jeden Fischer und Schiffer seiner Nordseeküste, jede Kutscherkneipe in Rom und jede Absinthbude von Paris. Und überall dort hatte er »alte Freunde«, »feine, feine Menschen!« wie er treuherzig versicherte. Man hatte ihm geraten, seine goldechten Seemannsgeschichten durch Sempern in das Plattdeutsch der Wasserkante übertragen zu lassen; er hatte den Nachbarn aufgesucht, und die Herzen hatten sogleich zusammengeschlagen, obwohl das eine so viel höher saß als das andere; der große und der kleine Klaus waren beim ersten Wort und Blick Freunde geworden und blieben es bis ans Ende.
Asmus hatte gerade den dritten Akt vollendet und genoß jenes nach langer Anspannung aller Kräfte eintretende köstliche Verlangen, Nerven, Hirn und Sinne loszulassen, spielen zu lassen, als sich langsam die Tür öffnete und ein Goliath ohne Kopf sichtbar wurde, der einen Spazierstock von der Länge und Dicke eines kleinen Mastbaumes in den Schirmständer stellte. Dann wurden unter dem oberen Türrahmen auch Kinnbart, Nase, Augen, Stirn und Haupthaar sichtbar, und Harald Danebrog rief mit leisem dänischen Anklang:
»Hurra, Asmus Semper, mein Verleger fließt wieder! Guten Tag! Von Szeit szu Szeit schreibt er mir nämlich: Lieber Freund, wir müssen mal wieder stoppen; das Maximum is erreicht; er is lange Szeit sehr trocken szu mir gewesen; aber nu fließt er wieder!« Und er schwang, indem er einen lustigen Pfiff hören ließ, mehrere blaue Scheine in der Luft.
»Kommen Sie mit!« rief er, »ich habe Konszertkarten; wir wollen Robert Schumann hören! Wo ist Ihre Frau Gemahlin, sie muß auch mit!«
Aber Hilde wollte sich von ihrem jüngsten Kinde nicht trennen. So ging Asmus allein mit.
Auf der Straße erwartete sie eine sehr schöne und stolze Dame, die Harald mit glücklichem Lächeln als »Die Heldin seines besten Romans« vorstellte. Man hörte »Das Paradies und die Peri«, und als es zu Ende war, sagte Danebrog:
»Ein bißchen szu viel Szucker! Kommen Sie, lieber Freund, wir wollen ein herbes Manneswort reden szu einander,« und sie suchten einen charaktervollen Moselwein aus. Dann nahm er seine Dame, die schöne Astrid, und Asmussen mit in eine Artistengesellschaft von Skandinaviern, die den vergötterten, verhätschelten Landsmann erwartete. In dem kleinen Séparé eines ersten Restaurants war eine bunte, übermütige Gesellschaft versammelt: Chansonetten, Tänzerinnen, ein Impresario, ein Konsul, ein Großkaufmann u. a. m., und die Unterhaltung ging bald dänisch, bald deutsch, bald englisch, bald französisch; der Sekt aber war nur französisch. Es ging ausgelassen zu ohne Schlüpfrigkeit; daß Harald hie und da eine der Damen küßte und daß die Geküßte stolz auf einen solchen Gunstbeweis war, das verstand sich von selbst. Harald saß eben als König Ringelhaar an der Tafel, und Asmus saß da wie ein Kandidat der Theologie, was er von allen Dingen der Welt am wenigsten war. Ihm war diese ungezwungene, losgebundene Lustigkeit schön und ergötzlich; er bewunderte die Menschen, die diese Leichtigkeit der Bewegung hatten und in fünf Minuten sechsmal den Gegenstand der Unterhaltung wechselten; er hatte diese Leichtigkeit nicht. Und nichts schien ihm lächerlicher, als sich etwas gewaltsam zulegen zu wollen, was man von Natur nicht hatte. Freilich: im vertrauten Kreise konnte er Purzelbaum schlagen vor Übermut; aber sich im Handumdrehen hineinfinden in eine bis dahin nie betretene Sphäre, dazu war der dreißigjährige Mann noch immer zu langsam, zu ungelenk und – zu schüchtern.
Auf die Dauer bedrückte ihn deshalb diese Umgebung, und obwohl die Damen gelegentlich die liebenswürdigsten Versuche machten, ihn in den Strudel der Unterhaltung mit hineinzuziehen, wofür er ebenso dankbar wie verlegen lächelte, war er es recht zufrieden, als man aufbrach und er allein mit Harald und seiner Herzensdame nach Hause fuhr.
Nach Hause?
Es war gegen drei Uhr in der Nacht, als sie durch ein Gäßchen der Vorstadt fuhren und Danebrog durch die dichten Läden eines Wirtshauses ein ganz, ganz dünnes, schwächliches Lichtstrählchen schimmern sah.
»Oh – sasa – hwit!« er stand im Wagen, pfiff, schnalzte mit den Fingern und hob das rechte Bein zum Tanze – »hier wohnt mein Freund ter Muilen; hier müssen wir aussteigen; seine Frau macht den schönsten Pfannfisch, den es gibt!«
Asmus lachte laut heraus. Schön Astrid aber schien an solche Königslaunen gewöhnt zu sein, und man schritt auf die Tür des Wirtshauses zu. Harald pochte leise mit seinem Stock an die Tür. Nichts regte sich. Er pochte lauter. Umsonst.
»Im Namen des Königs!« rief Asmus.
Harald begann, die holländische Nationalhymne zu pfeifen. Das half. Die Tür zeigte plötzlich einen schmalen Spalt, und als der Wirt den langen Gast erkannte, tat sie sich weit auf wie eine Palasttür.
Es war eine sehr primitive Kneipe mit rohen Holztischen und -stühlen, aber sauber und nett; alles Metallene blitzte wie neue Dukaten. An einzelnen Tischen saßen hartnäckige Gäste, die mit trotzigen Mienen den Gesetzen über den rechtzeitigen Schluß des Wirtshausbetriebes Hohn sprachen. Wirt und Wirtin schienen die Ehre des hohen Besuches voll zu würdigen.
»Das ist mein lieber Freund ter Muilen!« sagte Harald und legte brüderlich den Arm um dessen Schulter, »oh, das is ein feiner Mensch!« Er spitzte dabei die Lippen wie bei einem ausgesuchten Weine.
»Und das is meine verehrte Freundin,« fuhr Harald fort und küßte der Wirtin die Hand, »sie macht den besten Pfannfisch von der Welt; können wir noch Pfannfisch haben, liebste Freundin?«
»Aber gewiß!« rief die beseligte Frau, »so viel Sie wollen, Herr Danebrog!« Man sah es ihr an: für diesen Kavalier hätte sie einen Ozean voll Pfannfisch bereitet.
Als dann ein sehr trinkbarer Rotspohn aufgefahren war, rief König Ringelhaar plötzlich: »Ich habe gehört, Sie schreiben ein Drama. Was is das? Das müssen Sie mir erzählen!«
Und da Asmus auch die letzten Akte schon im Kopfe fertig hatte und Mosel, Champagner und Bordeaux sich in seinem Haupte zu einer neuen, blühenden Provinz vereinigt hatten, so schoß er los.