Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Asmus als Schauspieler und die Meinungen der Samtjoppe.
Die Zeitungen begrüßten das Stück ganz vorwiegend freundlich und zum Teil äußerst freundlich; nur Armin Schwollenthin schimpfte kannibalisch; nach ihm war etwas so Schlechtes noch nie über irgend eine Bühne irgend eines Erdteils gegangen. Er sagte sich: Wenn meine Lyrik nichts taugt, sollen deine Stücke nichts taugen; denn er war ein später Nachkomme des vortrefflichen Dr. Bartolo, und dessen Arie:
»Süße Rache, o süße Rache, Du gewährest hohe Freuden! Nur die kleinen Seelen leiden, Dulden, schweigen, wenn man sie kränkt« |
war der Kern seiner Weltanschauung.
Beim Publikum aber fand »Der Verrat« so großen Anklang, daß der Verein anschwoll und das Stück noch ein fünftes Mal (noch ein fünftes Mal!!) gegeben werden mußte und der Dichter nach Abzug der Agentenprovision noch 17 Mark 50 Pfennige (in Worten: siebzehn Mark auch fünfzig Pfennige) ausbezahlt erhielt. Und nun wollte es die »Freie Bühne« in Hamburg auch spielen, aber ohne Honorar. Und als drei Tage vor der Aufführung ein Hauptdarsteller erkrankte, da sprang Asmus selber ein. Er hatte erst im 2. Akt aufzutreten, und als er erschien, schlug ihm eine prasselnde Beifallssalve entgegen. Die Folge war, daß er am ganzen Leibe zu zittern begann und, als er sich im Spiel eine Zigarre anzuzünden hatte, immer wieder mit dem Zündholz danebenfuhr. Aber dann beruhigte er sich und führte seine Rolle mit Wollust und mit Glück zu Ende. Er gelobte sich: Wenn ich wieder einmal zur Welt komme, werde ich Schauspieler. Als er im letzten Akt eine Weile schweigend auf der Bühne zu stehen hatte, flüsterte ihm die Darstellerin seiner Heldin zu: »Sehen Sie nur, wie die Leute weinen! Das ganze Publikum schneuzt sich.« Und gleich darauf sagte sie: »Ich habe solches Magendrücken; ich kann keine Pellkartoffeln vertragen.«
Alle diese Erfolge zusammen waren so viel des süßen Trankes, daß es höchste Zeit für eine bittere Beimischung war. Und die Bitternis kam reichlich genug. Gesina Bleicken, die bunte, surrende Libelle, die ungleiche Schwester Hildens, hatte bald nach ihrer Vermählung zu kränkeln begonnen, und die Arzte hatten keine Hilfe gewußt. Wenn ihr Mann auf dem Wege nach Brasilien schwamm, hatte sie sich daheim in Schmerzen gewunden; wenn er auf kurze Tage bei ihr weilen durfte, hatte sie sich ihre Qualen lachend verbissen; wenigstens er sollte glücklich sein. Aber endlich ließ sich's nicht mehr verhehlen; es mußte auf Tod und Leben operiert werden, und der Tod war wieder einmal schneller als das Leben und ergriff mit Hast die schöne Beute. Wenige Stunden nach der Operation verschied sie in den Armen ihres Gatten und ihrer Schwester. Asmus beweinte dieses heitere Gegenbild seines Weibes wie ein Bruder; sie war ihm immer ein Teil seines Hauses gewesen; aber weit mehr noch litt er durch die Seele seiner Frau. Wie sollte sie es tragen, die schon so schwer an ihres Kindes Leiden trug?
Die Ferien waren nah, und da auch Asmussens Nervenkraft durch die doppelte Last seines doppelten Berufes erschöpft war, so verlangte der Arzt, daß die ganze Familie in ein Seebad reise. Das war leichter verordnet als bezahlt. Asmus saß wieder einmal an seinem Schreibtisch, den Kopf in die Hand gestützt, und rechnete mit imaginären Größen, als Harald Danebrog eintrat. Kaum hatte ihm Asmus wehmütig lächelnd von der Verordnung des Arztes gesprochen, als der Riese aufsprang und, im Zimmer hin und herlaufend, rief:
»Holla – sasa – da weiß ich was! Sie müssen nach Dänemark, Sie müssen nach Hjerneborg, das is ein famoses kleines Fischerdorf an der Nordsee, ich schreib' noch heute an meinen Freund Thorstad, ein feiner Mensch! Da leben Sie sehr billig, sehr billig, un da werden Sie gut verflegt un können alle Tage segeln un fischen un baden. Sowie Sie auf dänischen Boden kommen, rufen Sie den Staßionsvorsteher un sagen: »Ich soll Sie grüßen von Harald Danebrog!« denn sorgt er für Sie, das is mein Freund, ein feiner Mensch! und die Leute in Hjerneborg sind meine Freunde, alle Menschen an der ganßen Küste sind meine Freunde, un sie lieben mich alle, un wenn ich hinkomme, so feiern sie mich wie einen König!«
Das begriff Asmus vollkommen.
Etwa eine Woche vor Antritt der Reise schlenderte Asmus über den Hamburger Jungfernstieg, als ihn ein Bekannter, ein junger Schriftsteller, anhielt.
»Kommen Sie mit in die ›Goldene Traube‹« sagte der, »Sie werden eine interessante Gesellschaft kennen lernen.«
»Kann ich denn da so ohne weiteres hineinschneien?« fragte Asmus. »Wenn ich nun keinen von der Gesellschaft kenne?«
»Das schadet nichts,« erklärte der andere, »gesellschaftliche Formeln und Höflichkeiten verachtet man dort.«
Es war ein düsteres, fensterloses Klubzimmer in einem Bierlokal mittleren Ranges, das überall nach fadem Bier und kaltem Tabakrauch duftete. Am Präsidentenplatze saß ein brutal aussehender Mann in einer Samtjoppe und offenem Hemde, mit zerrauftem Haar, der unaufhörlich und mit großem Nachdruck sprach wie ein Mann, der weiß, daß er nur Gold spricht, und neben ihm saß die einzige Dame des Kreises, ein eigenwillig, aber dürftig und geschmacklos gekleidetes Mädchen mit kurzgeschnittenem, fettigem Haar; sie schaute in unentwegter Andacht zu ihrem Nachbarn empor und schien religiös überzeugt, daß er nur Diamanten von der Größe des Kohinoor rede. Dann war da ein Herr mit dichtem Schwarzhaar, dessen verkniffenes, finsteres Gesicht noch dadurch verdüstert wurde, daß es offenbar seit langem nicht gewaschen war, und der in die Reden der Samtjoppe gelegentlich ein bissig beistimmendes Wort warf, ferner ein »tip top« gekleideter junger Rechtsanwalt mit sorgfältig gepflegten Händen, die er öfters betrachtete, sodann ein tiefgefurchter Schauspieler mit grauer, schminkeverdorbener Haut und herabgezogenen, erstarrten Mundwinkeln, der bisher immer nur Dienerrollen bis zu zwölf Worten gespielt hatte, ein Unterprimaner mit einem Hochmut im Gesicht, der für Homer, Michel Angelo, Beethoven und Goethe zusammen genügt hätte, wenn sie beschlossen hätten, hochmütig zu sein, und noch fünf oder sechs andere Gestalten von geringerer »Bedeutung«.
»Wenn Nietzsche uns nichts anderes gegeben hätte als seinen ›Fall Wagner‹,« rief der Samtbejoppte, »so verdiente er schon dafür göttliche Verehrung!«
»Bravo!« rief der Unterprimaner, und der Redner sandte ihm einen sonnigen Blick.
»Ich war da gestern eine Viertelstunde im Lohengrin – glänzende Besetzung, gar nichts zu sagen – aber man kann, man kann das ja nicht mehr anhören!« Er parodierte mit einem Gaumen und Nasentenor:
»Nun sei bedankt, mein liiiieber Schwan –!« es wird einem ja speiübel dabei – ich bin wie gepeitscht davon gelaufen. Da lob' ich mir den guten Flotow und seine ›Martha‹, das ist doch wenigstens ein ehrlicher Kitsch, der nichts anderes sein will!«
»Aber der ›Ring‹,« wagte ein tollkühner Mensch aus sicherer Entfernung einzuwerfen.
»Der Ring???« brüllte das Samtjakett. Und dann schaute der Gewaltige sich mit mildem Lächeln im Kreise um und wiederholte mit innigem Mitleid: »›Der Ring‹! Ja, das ist der kreißende Himalaja, der einen Bandwurm gebiert! Das ist die Impotenz in Permanenz! Das ist das Löwengebrüll eines Flohs! Oder die Fondsbörse in Walhall!«
Der Gymnasiast bestätigte das durch Kopfnicken, und die Augen der Dame feuchteten sich in Anbetung.
In solchem Tone ging es stundenlang fort. Die großen Toten der Menschheit hatten, soweit man ihrer zu denken geruhte, einen schlechten Tag heute, und den Mitlebenden ging es, von Nietzsche abgesehen, noch schlechter. Es ging schlimmer zu als im allergiftigsten Kaffeeklatsch; nicht nur die Denker und Künstler, auch ganze Weltanschauungen und Weltperioden fielen wie die Fliegen, und die Walstatt war bald mit Kulturleichen übersät. Als einziger schöner Rest blieb die samtjoppozentrische Weltanschauung. Asmus hörte schließlich nur noch mit einem Ohr zu. Da fiel das Wort »Schiller«.
»Na,« sagte der Mann, der Asmussen eingeführt hatte, in einem Sondergespräch mit dem Schauspieler, »Sie müssen doch schließlich zugeben, daß Schiller eine nicht wegzudenkende Potenz in unserer Kultur ist.«
Der Schauspieler schaute um Sukkurs aus nach dem päpstlichen Stuhle.
»Schiller?« klang es von dorther mit glücklichem Frohsinn. »Der Moraltrompeter von Säkkingen? Ein I–di–ot!!!«
Die Samtjacke hatte ein mächtiges Schallrohr. Das Wort »Idiot« donnerte wie ein Hundertpfünder durch den Raum, und alles Bier in den Gläsern erzitterte.
Asmus hatte jetzt die Tiefe dieser Modernität genügend ergründet; er verabschiedete sich, und sein Begleiter mit ihm.
»Die Gesellschaft scheint Ihnen nicht sonderlich zu behagen,« meinte der.
»Nicht zu behagen, ist kein Wort,« versetzte Asmus. »Mich übermannt der Ekel. Sehen Sie, ich bin auch für Kritik, für strengste Kritik an allen Weltdingen, und übe sie selbst. Aber wer niederreißt, muß dafür etwas aufrichten können, muß es wenigstens mit ebenso strengem Eifer versuchen. Man muß ein Gewissen haben. Wenn ich dergleichen Gewäsch höre, dann fühle ich mich versucht, zu den orthodoxesten Priestern Roms, zu den reaktionärsten Junkern Hinterpommerns und zu den ältesten Stücken der Birch-Pfeiffer zu flüchten, weil dort sicherlich noch mehr Freiheit und mehr Leistung ist als bei solchem Gelichter. Alle diese ›originalen‹ Geister sind Parasiten auf den großen Schöpfungen der Vergangenheit; sie suchen dadurch aufzufallen, daß sie sich recht abstechend anders färben als der Lorbeer, auf dem sie nisten. Ich habe diese Schimpfereien jahrelang angehört, anfangs staunend, verblüfft, bewundernd, weil ich's mir nicht anders denken konnte, als daß hinter so viel Kühnheit, ja Frechheit eine große Kraft verborgen sein müsse. Ich habe von Jahr zu Jahr gehofft auf die große Synthese dieser Zerfetzer, auf die große Fleischwerdung ihres Ideals. Ich habe begriffen, daß Frechheit nichts anderes ist als der Versuch, Kraft vorzutäuschen, und erwarte nichts mehr. Und wenn Sie noch einen Grund für meinen Ekel hören wollen: Es ist mir ein Greuel, wenn Künstler in solcher Weise über Künstler herfallen. Hier waren's freilich Impotenzen; aber leider kommt dergleichen auch unter Künstlern vor. Die Künstler sind das Salz der Erde. Wenn aber das Salz dumm wird, womit soll man salzen?«
Der Begleiter schien ähnlicher Meinung zu sein; aber er war ein vorsichtiger Mann, der nicht gern gegen den Strom der Zeit schwamm.