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Schon der Name! Wie flach dagegen, selbst abgesehen von dem überflüssigen Latein, Delphinium. Wer denkt denn beim Anblick der Einzelblüte an die Gestalt des Delphins, und wer hat je einen Delphin gesehen? – Wie drängt sich beim Hinwandeln durch unsern ragenden blauen Juniwald das Bild auf: stahlblaue Ritterlanzen stehen hochaufgerichtet zum blauen Himmel. Das Jahr hat die Frühlingshöhe erstiegen; der Rittersporn blüht um die Wende vom Hochfrühling zum Frühsommer, sein ist die Wonnestunde des Jahres, des Lebens. Frühling läßt sein blaues Band Wieder flattern durch die Lüfte und schlingt es von Lanze zu Lanze.
Durch Zufall ist es einmal geglückt, einen duftenden Rittersporn zu züchten; er hat nicht durchgehalten, ist wieder verschwunden. Das ist ein Glück, denn wenn dieser blaue Ährenwald gar duftete, wäre es in ihm nicht zu ertragen. Natürlich hat er, wie fast jede starkfarbige Blume, einen zarten hauchigen Duft, aber nur in der nächsten Nähe und aus sehr vollen Rispen. Nein, die Schönheit des Rittersporns liegt in Wuchs und Farbe. Er wächst fabelhaft schnell, wenn er einmal zu sprießen begonnen: 3 Zentimeter in einer Nacht sind nicht selten, nach starkem Frühlingsregen bis zu 5 Zentimeter und darüber. Werden die Blütenrispen, gleich Weizenähren, sichtbar, so weiß man: die blauen Tage kommen bald, der blaue Himmel tropft zur Erde nieder, die blaue Blume leuchtet gen Himmel zurück, und dann sind auch die Tage der Rosen.
Wenn wir im Winter von unserm Garten sprechen – wir sprechen jeden Tag von ihm und seinen Wonnen, die sich nach den Staudengattungen stufen und steigern –, dann fehlt nie das Wort: Wenn wir erst im Rittersporn sitzen –! Wir sitzen in ihm, wie in einem Ährenfelde, jeden Morgen zwischen dem letzten Drittel des Mai und dem Ende des Juni, und schwelgen in der sonndurchleuchteten Bläue. Es gibt noch andre blaublühende Stauden, doch keine von dieser Höhe, dieser Wachs- und Blühwilligkeit, dieser leichten Vermehrung, und dabei ganz winterhart. Auf unsre Rittersporne können wir uns verlassen: keiner versagt, jeder kehrt im neuen Frühling üppiger zurück, strebt noch höher empor. Wir haben in unserm quer durch den ganzen Garten laufenden Rankrosen-Gebälk – in der Deutschen Bildungssprache unfehlbar: Pergola – eine Innendoppelhecke aus Ritterspornen gepflanzt, zwischen und um die Rankrosen. Im Vorfrühling sieht das sehr harmlos aus: kleine grüne Polsterchen zeigen sich, alles ist noch offen zwischen den fast kahlen Rosenranken. Kommet aber vier Wochen später und versuchet, den innersten Weg dieses Laubenganges entlang zu schreiten! Ihr kommt nicht durch dieses Dickicht, das hoch über eure Häupter ragt und euch mit blühender Bläue umflutet. Zehn Töne Blau, mehr als zehn Töne der blühenden Rankrosen dazwischen, drumherum, hoch darüber, denn selbst die höchsten Rittersporne bleiben tief unter den in den Himmel kletternden Rosen. Die Rittersporne möchten wohl hochhinaus, eine neuste Züchtung heißt ›Größenwahn‹ (Preis 6 Mark); aber es ist dafür gesorgt, daß sie nicht ganz bis in den Himmel wachsen.
Welche Farbe steht am schönsten zum Blau des Rittersporns? Wir haben sie alle ausgeprobt, vornehmlich das Rosa und Rot der Rosen; doch über den Zwiegesang von gelben Trollblumen in dicken Haufen und Rittersporn, besonders dunkelblauem, ging uns nichts. Dergleichen kriegt man erst nach Jahren heraus, meist durch Zufall, wohl auch durch liebreichen Rat. Wer einen Garten von nur 100 Geviertmeter hat – und so groß ist das kleinste Laubenstück –, der kann sich diesen Farbenrausch bereiten: zehn Rittersporne vom Italienischhimmelblau bis zum Amethystgefunkel, dazwischen acht dicke, immer dicker anschwellende Trolle – erlebt das mal erst und macht dann meinethalben im- oder expressionistische Verse drumherum. Geht ihr von einer so wunderschönen Wirklichkeit aus, so kann wohl, wenn ihr darnach seid, eine wirkliche Schönheit daraus erklingen, gewiß nicht solch Geweimer wie das des ekstatisch-kosmisch-pessimistisch-agogisch-hyperlyrischen Großkophtas:
Die Blume, die ich mir am Fenster hege,
Verwahrt vorm Froste in der grauen Scherbe,
Betrübt mich sehr trotz meiner guten Pflege.
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Es gibt nicht bloß blauen Rittersporn, wir haben in unserm Garten auch die andersfarbenen. Der gelbe ist nicht viel wert, nicht so viel wie ein beliebiger hellgelber Ginster. Man pflanzt ihn an um der Merkwürdigkeit willen. Aber der weiße Rittersporn, ja der lohnt! Wie eine kleine drolligerweise zur Erde niedergefallene Wolke erscheint er mir, dem Kurzsichtigen, auf zehn Schritte. Zwischen die blauen Vettern gehört er nicht, aber auch er verträgt sich gut mit den gelben Trollen.
Wüchse der ›scharlachrote Rittersporn‹ ( Delphinium nudicaule) so hoch wie der blaue, so wäre er weltberühmt; so aber, nur einen Fuß hoch, spillerig, nicht in die Breite wachsend, ist er eine sehr ziervolle Seltsamkeit, die man natürlich haben muß, wenn man den Staudenfimmel hat, den jeder Gartenmensch bekommt. Man zeigt den roten Sporn seinen Gästen, nachdem sie den dicht daneben aufragenden blauen bewundert haben; doch nie kann er eine Herrscherrolle spielen. Der nachdenkliche Mensch, und jeder Gartenfreund wird einer, steht vor dem Scharlachroten und fragt: Woher stammst du wohl? Das Gefieder, zwar feiner geschlitzt, ist ritterspornig, die Form der Blüten desgleichen; aber wie kamst du dünner roter Zwerg in diese Sippe der blauen Riesen? Seine Heimat ist Nordamerika, doch hatte ihn keiner der mich besuchenden nordamerikanischen Freunde zuhause je gesehen.
Hat der Leser ohne Garten eine Ahnung, wie hoch ein blauer Rittersporn werden kann, wenn ihm Erdreich, Standort, Sonne, Bewässerung zusagen? Ich habe mich neben unsre blauen Enaksöhne gestellt: sie ragten mehr als 1 Meter über meinen Scheitel. Ich bin sicher, man könnte sie bis auf 3 Meter steigern; aber ich rate ab: die Stiele brechen wie Glas, und allzu hoher Rittersporn widerspricht dem Schönheitsmaße seiner Gattung.
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