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Vor dem Umsturz hatte ich von ihm nichts gewußt, nur seinen Namen zuweilen gelesen als den eines sozialistischen Mitgliedes des preußischen Abgeordnetenhauses. Er sprach überwiegend über Schulfragen und galt für einen klugen, gemäßigten Mann. Von mir hatte er gewußt; er hatte meine ›Deutsche Stilkunst‹ gelesen und zeigte mir nach unsrer Bekanntschaft das Buch mit zahlreichen Anstreichungen und Randmerken von seiner Hand. Kaum Minister geworden, schrieb er mir einen mich überraschenden freundlichen Brief und lud mich zu sich ins Ministerium ein, indem er sich entschuldigte, ›wegen Überlastung mit Geschäften vorerst nicht zu mir kommen zu können‹. Ich wohnte schon seit Jahr und Tag in Bornim.
Auf meine Meldung beim Amtsdiener im Hause 4 Unter den Linden kam er mir auf dem Flur entgegen, bewaffnet mit dem zerlesenen Band meiner ›Stilkunst‹, führte mich ins Heiligtum seiner Ministerschaft und begann sogleich von der Notwendigkeit eines neuen Lehrstuhls für Deutschen Stil, den er für mich schaffen wolle. Ich war damals 67 geworden, was er mir nicht glauben wollte, und sagte ihm, daß ich für solche Aufgabe wohl zu alt sei; verschwieg ihm nicht, daß die Fakultät, unter Gustav Roethe, den stärksten Widerstand leisten würde, zumal da ich mich über Roethes Todfeindschaft gegen reine Deutsche Sprache sehr unverblümt in meiner ›Stilkunst‹ und in meinem ›Sprich Deutsch!‹ geäußert hätte. Auch andre Mitglieder der Fakultät seien mir zweifellos gram, denn so mancher habe in meiner ›Stilkunst‹ einen Hieb wegen seines undeutschen Ausdrucks abbekommen, und eine empfindlichere Menschengattung als Universitätsprofessoren gebe es nicht. Sie seien, gleich den Predigern und allen Lehrern, gewöhnt, nie Widerspruch zu hören; untereinander schonen sie sich, sie halten sich für Götter, gelten für Halbgötter, – nie würden sie Einen unter sich, neben sich dulden, der es gewagt hatte, an ihrer Gottähnlichkeit und gar an ihrem klassischen Deutsch zu zweifeln. Von jedem andern Professor glaubt jeder Professor: der schreibt schlecht. Er selbst aber –? Nie werde Roethe mir meine Angriffe verzeihen.
Grade wegen Ihrer Angriffe, meinte Hänisch, kann Roethe sich nicht widersetzen. Offenbar schwebte dem guten Hänisch ein besonders vornehm denkender Gegner vor. – Ich erwiderte ihm: Sie sind zu neu in Ihrem Amt, wissen auch sonst nicht viel von Professoren und ihrer vornehmen Abgeklärtheit. Ich weiß mehr davon: Roethe wird mit Klauen und Zähnen, besonders aber mit allen ›Fakultätsrechten‹ gegen meine Berufung ankämpfen, und Sie, der hochmächtige Minister, sind einem Roethe gegenüber machtlos.
Hänisch war wirklich noch zu neu in seinem Amt: er war sehr zuversichtlich, daß Roethe – den er übrigens politisch und menschlich nicht ausstehen konnte – garnichts gegen ihn, den Minister, vermöge. Hänisch hatte sich getäuscht, ich behielt Recht: der Minister war ohnmächtig gegen Gustav Roethe. Er war abhängig von seinen Räten, und obwohl von diesen keiner mein Gegner war, eher das Gegenteil, obwohl keiner ein Anhänger Roethes war, – gegen diesen Mann wagte niemand sich einzusetzen.
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Hänisch war ein wohlmeinender und sachlich bestrebter Mann, ein für die Verbesserung des preußischen Schulwesens leidenschaftlich bestrebter – Laie. Um selbständig seinen Räten gegenüberzutreten, hat er sich eifrig mit Fragen des Schulwesens beschäftigt; aber er blieb Laie, drang den Dingen nicht bis auf den Grund. Namentlich den Lehrplan der höheren Schulen, den er für sinnlos hielt und dessen entschiedene Änderung für ihn die nächste und wichtigste Aufgabe war, konnte er nicht meistern, weil er selbst nicht auf der Höhe der Bildung stand, um sich klar zu werden, wie der neue Lehrplan beschaffen sein müsse. In den eingehenden Gesprächen, die ich mit ihm bei seinen häufigen Besuchen in unserm Garten geführt, habe ich wohl ein redliches Bestreben zum Guten und Bessern wahrgenommen, aber keine sachliche Beherrschung der Frage: Was ist wahre Hochbildung, und wie gelangt der Schüler zu ihr? Er wußte, wie jeder Tiefdenkende weiß, daß keine gründliche Besserung unsers noch immer mittelalterlichen höheren Schulwesens möglich ist, ohne den Zustand zu beseitigen: 15-16 Stunden wöchentlich für Fremdsprachen, 3 für Deutsch. Er wußte, daß die höheren Schüler mit einer lächerlich geringen Kenntnis des bildendsten Stoffes, der Deutschen Literatur, die Schule mit dem ›Zeugnis der Reife‹ verlassen, daß von einer Bekanntschaft mit der Weltliteratur garnicht gesprochen werden dürfe, daß die Beherrschung untadliger Deutscher Sprache in Wort und Schrift bei dem jetzigen Lehrplan unerreichbar sei, daß Deutschland hierin hinter allen Bildungsländern der Welt weit zurückstehe. Er sah das alles, er wollte es brennend gern ändern, – er scheiterte an dem Widerstande der Jahrhunderte alten Überlieferung, der Redensarten ohne Inhalt, obenan der von der ›formalen Bildung‹, die einzig durch den Unterricht in fremden Sprachen, der lateinischen vom 9. Jahr ab, erworben werden könne, und ohne ›formale Bildung‹ kein menschenwürdiges Dasein, nicht wahr? Diese hohlste und dümmste aller inhaltloser Phrasen mit einer entschiedenen Handbewegung in ihr Nichts zu scheuchen, dazu war Hänisch unfähig, – wie bis jetzt alle Unterrichtsminister und die meisten Schulverbesserer.
Hänischs Herkunft – er war der Sohn einer Gräfin von Schwerin-Löwitz und eines Arztes Hänisch – ist bekannt; auch wie dieser Gräfinsohn ein Sozialdemokrat werden konnte. Er hat mir die jammervolle Geschichte erzählt: sie ist beispielhaft für die Verbohrtheit und Engstirnigkeit einer Kaste und eines Zeitalters. Daß Hänisch ein vaterländisch gesinnter Mann war, weiß ich. Wir standen bei mir vor dem Altarbilde der Brüder van Eyck, da sagte Hänisch zähneknirschend: Das haben die Schufte uns auch geraubt! Als das Gespräch auf Wilhelm 2. kam, seufzte er: Nicht wahr, so durfte dieses Geschlecht nicht enden!
Er hatte Freude an der Natur, aber er wußte nichts von ihr. Als er beim Eintritt in unsern Garten die riesenhafte Goldparmäne in voller Blüte sah, wie eine einzige zartrosa angehauchte weiße Wolke, war er ganz benommen und frug mich: Können Schneebälle so groß werden? Er kannte keinen blühenden Apfelbaum. Ich sagte zu ihm sehr ernsthaft: Niemand dürfte Minister werden, der nicht einen eignen Garten hat. Er verstand meinen Sinn, stimmte ›im Prinzip‹ zu, meinte aber: Dann wird man nie ein volles Ministerium zusammenkriegen. – Ich sagte ihm bei der Gelegenheit: Ich halte es für bildender, einen Apfelbaum zu kennen, ihn von einem Birnbaum zu unterscheiden, als den ersten Aorist vom zweiten –: darin steckt der ganze Streit um den Lehrplan und das ganze Gefasel von der ›formalen Bildung‹. – Sie haben Recht, meinte er, aber machen Sie das mal meinen vortragenden Räten begreiflich. Worauf ich trocken erwiderte: Gäbe es gar keine andern Räte als die jetzigen? – Er seufzte nur.
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Hänischs Lieblingsgedanke war der Ausbau der Volkshochschule. Wie manchmal haben wir unter unsern blühenden Bäumen gesessen, während er mir eine Zukunft mit einer hochgebildeten Arbeiterschaft ausmalte. Ich hörte ihn gern darüber sprechen, denn was klingt schöner als ehrliche Begeisterung? Dann aber mußte ich in seinen brausenden Wein der Möglichkeit das kühle Wasser der Wirklichkeit gießen. Ich frug ihn: Wo sind die Lehrer, die an den Volkshochschulen lehren sollen? – Verdutzt sah er mich an: Die Lehrer? Haben wir nicht hundert, tausend Professoren aller Wissenschaften, die sich gern dazu bereit finden lassen werden? – Ich erwiderte: Bereit? ja; befähigt? nein. Ich habe oft in Arbeiterbildungsvereinen Vorträge gehalten, z. B. in dem bei Krupp in Essen, und da habe ich überall hören müssen: Wir verstehen die Vorträge der Professoren nicht, weil sie eine Sprache sprechen, die wir nicht kennen, weil sie eine mit unverständlichen Fremdwörtern durchwirkte Sprache reden. – Aber das wird anders werden, sagte Hänisch; die Professoren sind doch vernünftige Männer, sie werden sich ihrer Zuhörerschaft anbequemen. – Sie sind vernünftige Männer, aber sie werden nichts dergleichen tun; sie können es nicht und sie wollen es nicht; sie sind überzeugt, daß die Deutsche Sprache sich zur Behandlung wissenschaftlicher Gegenstände nicht eignet; sie werden niemals Deutsch sprechen, sie haben es ja niemals gehört, nicht als Schüler, nicht als Studenten, nicht als reife Männer. Man kann nur, was man irgendeinmal gelernt hat, und die Deutsche Schule, auch die republikanisch preußische Schule lehrt ihre Schüler nicht Deutsch sprechen, weder reines, noch richtiges, noch volksverständliches Deutsch. – Hänisch gab noch nicht nach: Dann werde ich eine besondere Bildungsanstalt errichten, an der Lehrer mit reiner und volksverständlicher Sprache herangezogen werden. – Auch das, lieber Hänisch, ist unausführbar; zu solcher Bildungsanstalt gehören wiederum Lehrer, und wo sind die Deutschen Lehrer, wo sind die Lehrer des Deutschen, die so durchdrungen sind von der Notwendigkeit reiner, wirklich Deutscher Sprache und so geübt in reiner Deutscher Vortragsrede, daß sie die neuen verständlichen Volkshochschullehrer ausbilden können?
Hänisch sah das ein: er hatte ein wenig auf meine Mitwirkung gerechnet, hatte sich von einem Lehrstuhl für Deutschen Stil, mit angegliederter Übungsklasse (›Seminar‹!), viel versprochen; doch selbst wenn Herr Roethe erlaubt hätte, daß ein Deutsch schreibender und sprechender Mann Vorlesungen über reines Deutsch und Deutschen Stil hielte, – was hätte ich Einer ausrichten können? Eine Jahrhunderte alte Sprachverluderung wird nicht durch einen Mann ausgetilgt. Ja wenn ich unbegrenzte Macht und – Jugend hätte! Die Jugend vermisse ich noch nicht, aber die Macht. Etwa die eines Kemal Pascha beim Aufzwingen der Weltschrift.
Hänisch hat noch erlebt, daß seine stolzen Pläne eines weitverzweigten Volkshochschulwesens kläglich scheiterten: die nach Bildung dürstenden Arbeiter bekamen es schnell satt, den Vorträgen von Lehrern zu folgen, die in all ihrer Wissensgeschwollenheit das Eine nicht gelernt hatten: sich in verständlicher Sprache auszudrücken.
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Noch einen andern Lieblingsplan hat Hänisch mit mir besprochen; an einem schönen Junitage 1919 war er eigens zu mir herausgefahren, in dem ihm von Herrn Noske geliehenen Staatskraftwagen. Er wollte meine Ansicht und meine Vorschläge hören zu der schon damals geplanten preußischen – oder Deutschen – Dichterakademie. Hänisch war der erste Träger dieses Gedankens. Mit 5 Mitgliedern sollte die Akademie begründet werden; alsdann könnte sie sich durch Zuwahl erweitern. Er brachte mir seine Mitgliederliste mit: sie enthielt die Modegrößen, einige unsrer Besten fehlten, weil man von ihnen nicht sprach. Daß Gerhart Hauptmann obenan stand, fiel mir nicht auf. Ich sagte ihm, was er schon wußte, fügte aber hinzu: Wäre ich Minister und hätte eine Dichterakademie zu begründen, so müßte ich – gegen meine Überzeugung – Hauptmann hineinberufen, aber nur weil er zur Zeit sehr berühmt ist, aus keinem andern Grunde. Von Thomas Mann war zwischen uns nicht die Rede. Da wenigstens eine Dichterin hineinsollte, so nannte ich selbstverständlich Isolde Kurz. Ihren Namen hatte er gehört, sonst nichts. Er nannte Klara Viebig, denn der Name war ihm aus den Zeitungen bekannt. Ich sagte ihm: Wenn nicht Isolde Kurz, dann kann einzig Ricarda Huch in Betracht kommen. Den Namen hatte der, sonst nicht bildungslose, Unterrichtsminister nie gehört. Es war der unsrer Zeit eigne Gegensatz zwischen Genanntsein und Wertsein.
Unter Hänisch wurde der Plan nicht verwirklicht; den Ruhm, ihn zuerst gehegt zu haben, will ich ihm an dieser Stelle wahren. Ich glaube nicht, daß unter Hänisch eine Dichterakademie zustande gekommen wäre mit etwa 40 Mitgliedern, worunter so wenige Zahlen und so viele, ja Dutzende Nullen.
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Wir haben Gastgeschenke getauscht, wir Geistesfürsten: Frau Hänisch gab meiner Frau ein blutjunges Zicklein, das ihr beim Einzug in den Palast unter den Linden beschwerlich war; meine Frau schenkte ihr eine Legehenne, und beide Frauen waren dessen froh. Unser Zicklein starb nach wenigen Tagen: es war zu früh von der Mutterbrust entwöhnt worden, weil es unter den Linden keinen Ziegenstall gab. Unsre braune Urseltochter hat für Hänischs Kinder lange fleißig gelegt.
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Jede tiefe Umwälzung wühlt die Grundsuppe nach oben; so war es in der großen Französischen Revolution, so in der kleinen Deutschen von 1848. Warum will man sich wundern, daß es bei uns nach dem Zusammenbruch von 1918 ebenso zuging? Kommende Geschlechter werden sich wundern oder bewundern, wie schnell das ohne Ordnung nicht lebenkönnende Deutsche Volk die zerstörte öffentliche Ordnung wiederhergestellt hat.
Ein paar sehr tolle Dinge geschahen allerdings im November und Dezember 1918. Daß ein Herr Kurt Eisner das Staatsoberhaupt von Bayern werden konnte, war eins der stärksten Stücklein der Weltgeschichte. Überboten wurde es dadurch, daß Adolf Hoffmann Unterrichtsminister in Preußen wurde.
Ist er es denn geworden? Und wie ist er es geworden? Wer hatte ihn dazu ernannt? Der Hergang ist bis heute nicht aufgeklärt; alle Zeitgenossen und Zeugen neigen dahin, daß er von niemand dazu ernannt worden, daß er selber sich ernannt und seine Parteifreunde keinen Widerspruch erhoben hatten. Wäre ich im November Mitglied der sozialistischen Partei gewesen, ich hätte mich mit einiger Unverschämtheit zum Eisenbahnminister ernennen können und hätte zweifellos ein größeres Recht dazu gehabt als Adolf Hoffmann zu seinem angemaßten Amt als Unterrichtsminister. Das Ding hieß damals sogar noch Kultusminister. Adolf Hoffmann und Kultus –!
Als einer von zwei Unterrichtsministern! Denn als ich im Anfang des Dezembers 1918 einer Einladung Hänischs ins Ministerium folgend mich in das Haus 4 Unter den Linden begab und dem Pförtner sagte, der Herr Unterrichtsminister habe mich eingeladen, frug er mich gemütlich: Welcher von beiden – Herr Hänisch oder Herr Hoffmann? Damals erfuhr ich zuerst, daß Adolf Hoffmann auch Unterrichtsminister war. Es war ein ganz einziger Fall, wohl nicht bloß einzig in der preußischen, sondern in der allgemeinen Staatengeschichte: zwei Minister friedlich neben einander für dasselbe Fach. Friedlich? Nur so so: es gärte von Geschoß zu Geschoß, und durch die Gärung wurde der eine Minister hinausgegoren. Der Pförtner erklärte mir: Herr Konrad Hänisch ist der Unterrichtsminister im Erdgeschoß, Herr Adolf Hoffmann der im ersten Stock, eine Treppe höher. Also blieb ich zuvörderst im Erdgeschoß und hatte meine Unterredung mit Herrn Hänisch. Dann aber kam mir die Neugier, mir Herrn Adolf Hoffmann, den Minister im ersten Stock, anzusehen; ich ging einfach die schöne Treppe hinauf und ließ mich anmelden. Hoffmann kam selbst ins Vorzimmer und führte mich an seine Arbeitsstätte. Ich kannte ihn seit einem Jahrzehnt und länger, hatte im Grunde meine Freude an ihm gehabt, an seiner urwüchsigen, oft gradezu dichterischen Ausdrucksform, hatte über seine Irrungen Wirrungen mit dem dritten und dem vierten Fall hinweggehört, denn dieses Gebrechen machte er dadurch wett, daß er bei weitem weniger Fremdwörter gebrauchte als seine gebildeteren Parteigenossen. Wer mir aber einst gesagt hätte: eine Zeit wird kommen, wo Adolf Hoffmann Unterrichtsminister ist, den hätte ich für einen Schwätzer gehalten. Hoffmann – preußischer Staatspräsident: das hätte nicht völlig außerm Bereich des Möglichen gelegen; jedoch Unterrichtsminister? – nicht im Traum.
Jetzt aber war er's, im ersten Stock, und der Pförtner hatte ernst und fast ehrerbietig gesagt: der Herr Kultusminister Hoffmann im ersten Stock. Fürwahr das ging hinaus über das Wort von ›den Träumenden‹.
Man hat sich über Adolf Hoffmann lustig gemacht, manchmal mit Recht, zuweilen ohne Recht. Er war in all seiner Unbildung kein übler Mensch. Mit seinem Mutterwitz, seiner fabelhaft geistesgegenwärtigen Schlagfertigkeit, seinem derben ins Schwarze treffenden Gegenwort eine nicht zu übersehende und zu überhörende Erscheinung. Er sprach ›falsches Deutsch‹, d. h. er verwechselte gelegentlich, nicht sehr oft, den dritten und den vierten Fall; aber er schämte sich dessen nicht, war beinah stolz darauf, denn er sah seine Unwissenheit nicht als eigne Schuld an, sondern machte die schlechte Schule verantwortlich, durch die er gegangen war. Darin hatte er offenkundig Unrecht: fast alle seine Parteigenossen hatten auch nur die Volksschule durchgemacht und sprachen doch weit überwiegend ganz gutes Deutsch, kein wesentlich schlechteres als die ›Akademischgebildeten‹ in allen andern Parteien. Sie alle hatten bei ihrem Eintritt ins öffentliche Leben begriffen, daß sie ihre mangelhafte Schulbildung durch Selbstunterricht ergänzen müßten, und sie hatten das getan. Adolf Hoffmann hatte nichts dergleichen getan und war in seiner Unkenntnis der Sprachgesetze verharrt. Vergriff er sich in einem der Parlamente, denen er angehörte, bei der Wahl zwischen den zwei feindseligen Fällen, und machte man sich durch Zwischenrufe über ihn lustig, so war er nur im ersten Augenblick betroffen, dann aber schleuderte er den Lustigmachern zurück: Warum ist die Deutsche Volksschule so schlecht? – Er hätte besser getan, sich einmal mit festem Willen dahinterzusetzen und richtiges Deutsch zu lernen. Viele Dümmere als Adolf Hoffmann haben das fertiggebracht.
Daß er gar wohl im Stande war, umzulernen, habe ich bei jenem Besuch im Unterrichtsministerium erfahren. Dem jetzt aus dem öffentlichen Leben Ausgeschiedenen gereicht das, was ich erzählen will, nicht zur Schande, und ich habe es keineswegs aufs Lustigmachen abgesehen. Wir unterhielten uns damals nicht etwa über den Umsturz und die Aussichten der Deutschen und der preußischen Republik, sondern – über seine alten Feinde, den dritten und den vierten Fall, weil die nichtsozialdemokratischen Zeitungen täglich darüber ungesalzene Späße brachten, die den Herrn Minister mit Recht ärgerten. Er war sehr bewegt, als er mir von seiner elenden Jugend und von den Herzensnöten seines Mannesalters sprach, mit einer sich ganz erschließenden Vertraulichkeit, die ich noch heute achte und nicht täuschen darf. Es war zu jener Zeit, als selbst ein Minister sich keine Leckerbissen, z. B. gutes Obst, kaufen konnte, – so war er denn garnicht verletzt, als ich ihm ein paar prächtige Äpfel aus unserm Garten überreichte, die meine Frau mir als Tagzehrung nach Berlin mitgegeben hatte. Hoffmann und ich hatten in früheren Zeiten so zueinander gestanden, daß ich mir das ganz gemütlich ohne Achtungsverletzung mit diesem Minister erlauben durfte.
Und dann, wohl bei einem seiner Verstöße, kamen wir auf den dritten und vierten Fall. Da erfuhr ich denn von ihm: er habe schon mehr als einmal ernstlich versucht, den Unterschied zwischen den verdammten Rackern kleinzukriegen; aber aus Büchern habe er es nicht erlernen können, und wer hätte es ihn mündlich lehren wollen? Die Leute denken immer, ich bilde mir etwas auf meine Unkenntnis ein; das ist nicht wahr, ich möchte sehr gern richtig sprechen; es ist nicht angenehm, ausgelacht zu werden, oft von Leuten, denen man sich geistig überlegen fühlt; jetzt bin ich zu alt, um es noch zu lernen. – Aber, Herr Hoffmann, man ist, solange man geistig frisch ist, nie zu alt, etwas hinzuzulernen; ich treibe augenblicklich Japanisch, und ich sage Ihnen, das ist schwerer als mir und mich. Es gibt zwei Wege zum richtigen Deutsch, den einen: Sie achten beim Lesen von Büchern und Zeitungen auf jeden dritten und vierten Fall und merken sich, was und warum; den zweiten: Sie lassen sich den innern Unterschied, den des Lebens, dessen Ausdruck die Sprache ist, einmal gründlich klarmachen. Es ist damit nicht so wie mit den Verbotstafeln im Grunewald, so dumm geht es in der Sprache nicht zu. Soll ich Ihnen einmal den innern Unterschied ausklamüsern, den zwischen: Ich haue dich, daß du Baumöl gibst, und: Ich haue dir eine runter –? Lachend und bereitwillig setzte er sich zu einer Unterrichtsstunde hin, wie sie seit der Erschaffung Preußens und des preußischen Unterrichtsministeriums noch nie erteilt worden, und ich begann. Glaubt man, es sei mir eine Kleinigkeit gewesen? Man versuche es einmal selbst, sich das klarzumachen, und mache es einem Unwissenden klar. Ich erklärte ihm das Innenwesen des dritten und des vierten Falles durch möglichst einleuchtende Begriffslehre und durch treffende Beispiele, und er verstand, er erfaßte, er verarbeitete. Ich stellte ihm Aufgaben –: er löste sie richtig, der alte Knabe, – er stand im 61. Lebensjahr. Er hatte, hoffentlich unverlierbar, gelernt: Dieses Bild – es war noch Bismarcks – hängt an der Wand; ich hänge den Mantel an die Wand. War das nichts? Ich war stolz auf meine Lehrgabe, er stolz auf seine ›Verstehste‹, – ich habe ihm damals sichtlich eine große Freude bereitet.
Der Zustand mit der doppelten Ministerschaft war unmöglich; Hoffmann sah das selber bald ein, und sein Austritt geschah in aller Freundschaft mit Hänisch. Jedenfalls hat es in Preußen, in Deutschland nie einen merkwürdigeren Minister gegeben als Adolf Hoffmann. Schaden hat er nicht gestiftet; es hat schädlichere Minister, sogar schädlichere Unterrichtsminister in Preußen gegeben als ihn. Adolf Hoffmann war ein lustiges Zwischenspiel in verwünscht ernster Zeit.