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Er war der Gastgeber des für alle Teilnehmer denkwürdigen Mahls im Kaiserhof so um den Herbst 1881. Wildenbruch, Blüthgen, der dichtende Prinz, ich – wir alle haben nach Jahren, nach Jahrzehnten bei jeder Begegnung von jenen Stunden gesprochen. Selbst Wildenbruch, der Vielgefeierte, fing später, so oft wir einander, immer im Tiergarten, trafen, davon an, wie merkwürdig es damals zugegangen sei: vier Männer viele Stunden lang im ernsten Gespräch über echte Kunst, echte Dichtung.
Mit Schönaich war ich durch mein ›Magazin‹ bekannt geworden; seine Gedichte waren eingehend besprochen worden, ›so daß man etwas draus über sich lernen kann‹ – so bat er uns drei, die wir uns bis dahin nur oberflächlich gekannt, mit ihm zu speisen. Das Mahl begann um 1 und dauerte bis 9 Abends! Man denke aber nicht, daß wir 8 Stunden lang getafelt haben. Wir saßen viele Stunden vor einem Glase Wein, einer Tasse Kaffe, einem Glase Bier und sprachen über Dichtung und Dichter, auch über solche, die nicht dichten können und es dennoch tun. Es hat sie damals gegeben, es wird sie immer geben, es gibt sie heute zu Dutzenden – mit dem Hauptunterschiede, daß einer, der durchaus nicht dichten kann, heute sehr berühmt wird, es lange bleibt und selbstverständlich in die preußische Dichterakademie kommt; dies hat es damals noch nicht gegeben. Die Berühmtheit derer, die nicht dichten können, stammt erst aus der zweiten Hälfte der 80er Jahre.
Emil Schönaich war der bescheidenste von allen berühmten Dichtern, die ich je gekannt habe. Von den Großen: Keller, Heyse, Raabe und einigen Andern spreche ich nicht, denn von denen versteht sich das von selbst. Ich meine die noch aufstrebenden jungen Dichter, die sich schon einen Namen gemacht haben. Schönaich war einmal ein Berühmter, vom Ende der 70er bis nach der Mitte der 90er. Aber er war berühmt wegen seiner weniger bedeutenden Dichtungen. Sein Bestes fiel in die Zeit des Ruhmgetöses um Hauptmann: ›Der Heiland der Tiere‹ (1896), ein schönes Seitenstück zu Widmanns ergreifender ›Maikäfertragödie‹. Ich mache bei dieser Gelegenheit nachdrücklich auf beide Werke aufmerksam.
Wildenbruch sprach, was sehr begreiflich war, von seinen dramatischen Erfolgen und neuen Plänen. Wir hörten ihm gern zu, denn er sprach gut, und seine Freude über die schwer genug errungene späte Anerkennung tat uns allen wohl. Wir sprachen vom wahren und vom falschen Ruhm, – damals fiel Wildenbruchs in meinem ›Was bleibt?‹ aufbewahrtes Wort: ›Shakespeares Ruhm ist doch eine längst überwundene Legende.‹ Mehr als 30 Jahre später hat mir Blüthgen geschildert, wie ich aufgefahren war und loslegen wollte, wie aber der feine sanfte Schönaich begütigend Öl in die Brandung goß mit seinem reizenden Satz: Es gibt alte und es gibt neue Unsterbliche. Wildenbruch nahm dies halbernst gesprochene Wort ganz ernst, und so plätscherte unser Gespräch lieblich weiter über die auf dem Grunde liegenden scharfen und runden Kiesel.
Ich sprach von den Sorgen und Mühen um mein ›Magazin‹, Blüthgen sprach von seinen Gedichten, Kinderliedern, Geschichten, jeder sprach von sich, – Schönaich hörte jedem zu, warf zuweilen eine für jeden erfreuliche Bemerkung ein, sagte kein Wort über sich und seine Gedichte. Erst als ich beim Nachhausegehen Blüthgen hierauf hinwies, kam ihm diese Merkwürdigkeit zum Bewußtsein.
Emil Schönaich war der Urenkel jenes von der Deutschen Literaturgeschichte her bekannten Christophs von Schönaich (1725 bis 1807), der ein Heldengedicht ›Hermann, oder das befreite Deutschland‹ (1751) mit sehr jungen Jahren verfaßt hatte und dafür von Gottsched gekrönt worden war. Lessing hatte auf das fürchterliche Werk die Verse gedichtet:
Dir Gott der Dichter muß ich's klagen,
Sprach Hermann, Schönaich darf es wagen
Und singt ein schläfrig Lied von mir.
Sei ruhig, hat Apoll gesprochen,
Der Frevel ist bereits gerochen,
Denn Gottsched krönet ihn dafür.
Natürlich wußte Prinz Schönaich von jenem Ahnherrn und seinem Heldengedicht, sprach heiter darüber, ließ aber den Satz fallen: Ganz so schlecht, wie es nach Lessings Versen scheinen möchte, ist der ›Hermann‹ nicht. Als ich nach 20 Jahren an die Vorarbeiten zu meiner Deutschen Literaturgeschichte ging und zu Gottscheds Zeit gekommen war, erinnerte ich mich an des Prinzen Wort, las große Stücke aus dem ›Hermann‹ und mußte dem Urenkel beistimmen.
Ich habe den lieben Menschen und feinen Dichter nicht wiedergesehen, doch haben wir all die Jahre bis zu seinem Tode in freundlichem Briefwechsel gestanden. Fast alljährlich bekam ich von ihm eine Einladung nach seinem holsteinischen Wohnsitz Haseldorf; immer kam mir etwas in die Quere, und doch wären es gewiß heitre Tage geworden: Blüthgen konnte nicht genug erzählen von der entzückenden Gastfreundschaft, die er bei dem Prinzen und seiner Gemahlin wiederholt genossen hatte. Durch Blüthgen muß er von meinem Unfall erfahren haben, der mich kurz vorm Erscheinen meiner Deutschen Literaturgeschichte betroffen hatte: von einem Fußknöchelbruch. Mit reizenden Versen sandte er mir, noch aus seines Vaters Keller, eine Flasche Burgunder von 1853 und eine Flasche Rüdesheimer ›aus Ihrem Geburtsjahr‹, mit liebreichen Wünschen für schnelle Wiederherstellung.
Emil Schönaich wurde mit nur 56 Jahren von der grausamsten aller Krankheiten hinweggerafft; er hatte sie mit Heldensinn ertragen, um den Seinen allzugroßen Schmerz zu ersparen. Vergessen ist er noch nicht; wird einst sein ›Heiland der Tiere‹ entdeckt, so ist ihm eine dichterische Auferstehung sicher.
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