Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Chlodwig von Hohenlohe (1819-1901)

Daß er kein großer Staatsmann war, wird von keinem bestritten. War er ein vornehmer Mann? Was ist ein solcher? Hohenlohe war ein sogenannter Reichsfürst, gehörte zum höchsten Adel, von allen Äußerlichkeiten der Vornehmigkeit fehlte ihm keine; wie stand es innen mit dem ›vornehmen Mann‹? Er gebot über alles Äußerliche, dessen Mangel so manchen innerlich Vornehmen zur Erde beugt, erniedrigt, zur Selbsterniedrigung zwingt – durch die nackte Not, durch den Hunger. Ich habe mehr als einen dieser Art gekannt, manchen auf den Bürgers Verse jammervoll paßten:

Mannstrotz

Solang ein edler Biedermann
Mit einem Glied sein Brot verdienen kann,
Solange schäm' er sich, nach Gnadenbrot zu lungern!
Doch tut ihm endlich keins mehr gut,
So hab' er Stolz genug und Mut,
Sich aus der Welt hinaus zu hungern!

Der Fürst Hohenlohe hatte sein Lebenlang alles und jedes in Hülle und Fülle genossen, nicht bloß alles mit Geld zu Kaufende, sondern alle höchste Ämter, Ehren, Auszeichnungen, Gnaden dieser Welt. Man sollte denken, ein Hohenlohe, dessen Adel so alt wie der der Wittelsbacher und der Hohenzollern, ein, wenn er wollte, völlig unabhängiger Mann, ein geborener Fürst, – wie leicht hätte dem das Vornehmsein fallen müssen, das in der innern Freiheit besteht, in der Verachtung alles dessen, was die unvornehme Welt erstrebt und bewundert. Chlodwig Hohenlohe ist niemals ein Freier gewesen; er war zum Diener geboren, war noch in seinen letzten Jahren ein Diener, keiner weiß von ihm eine Tat des Freien zu berichten.

Unter Hohenlohes Kanzlerschaft wurde der Unheilsknoten zwischen Frankreich und Rußland geschürzt, und er hat nichts getan, der Gefahr zu begegnen. Unter seiner Kanzlerschaft, gegen seine bessere Überzeugung, wurde die Dratung an Krüger abgesandt, deren Wirkung auf Volk und Regierung Englands unermeßlich war und blieb. Hohenlohe hat nicht gewagt, sie zu verhindern.

Er soll einmal auf den Vorwurf, wie viel er habe geschehen lassen, erwidert haben: Wenn Sie wüßten, was ich verhindert habe! – Entlastet dies seine Verantwortung? Warum hat er etwas gegen seine bessere Einsicht geschehen lassen? Weil er nicht seinen Abschied nehmen wollte; weil er ein Kleber am Amte war; weil er Reichskanzler bleiben wollte um jeden Preis, auch um den der ärgsten Demütigung nicht bloß als Beamter, nein auch als Mann. Der eigne Sohn Alexander schreibt in seinem Buch ›Aus meinem Leben‹ (1925) mit sichtbarer Schonung über den Vater (Seite 353):

›Ich sehe noch meinen Vater, wie er manchmal vor mir stand, aus seinem Ankleidezimmer kommend, im Begriff, zu irgend einer Hoffestlichkeit oder dergleichen zu fahren, in seiner ganz mit Gold überstickten Uniform, behangen mit unzähligen Ordenssternen und Kreuzen in Diamanten und in Metall und mit den schweren goldnen Ketten verschiedener hoher Orden, so des österreichischen Goldenen Vließes, des Schwarzen Adlers, des Andreas-, Hubertus-, Annunziaten- oder anderer Orden, und im wahren Sinne des Wortes buchstäblich erdrückt unter dem Gewicht der goldenen Last all dieser Auszeichnungen, als ob sie ihn zu Boden zöge. Ich entsinne mich noch, wie er, als ich ihn auf all die Orden deutend fragte, ob ihm denn diese Last nicht zu schwer und ob es denn wirklich notwendig sei, daß er sich diese ganze Plage antue, zu Hof zu gehen, mir lächelnd folgende Verse aus einem seiner Lieblingsgedichte von Platen zitierte:

›Wie scheint so klein, so schwach, so unbedeutend der Mensch, wenn er die Sterne sieht.
Ein jeder glaubt ein All zu sein und jeder ist im Grunde nichts.‹

Er schien auf der einen Seite die Auszeichnungen, das Hofleben, alle Eitelkeiten der Welt und das Streben danach gering zu achten; auf der andern Seite schien, selbst in seinen hohen Jahren, vielleicht aus Atavismus, vielleicht aus jahrelanger fast zum Bedürfnis gewordener Gewohnheit, hohe Ämter und Würden inne zu haben und auf leitenden hervorragenden Posten zu stehen, im Grunde doch der Ehrgeiz in ihm noch nicht erloschen zu sein.‹

Hohenlohe der Reichsfürst klebt nicht bloß an dem Amt, das der Kaiser durch seine verfassungswidrige Willkür zu dem eines Schreibers herabwürdigt; sondern er, der wohl tausend Festabende bei Hofe mitgemacht und dem sie aus dem Halse hängen müssen, geht ins Schloß, wo es für ihn nichts Neues gibt, und setzt sich der beleidigenden Demütigung durch den Kaiser aus, der höchste Beamte des Deutschen Reichs, der Nachfolger Bismarcks, ein 80 Jahre alter Mann! Ist der vornehm, der das nicht entbehren kann, der dafür eine Demütigung auf sich nimmt?

Noch eine andre Stelle in dem Buch des Sohnes ist aufschlußreich; auf S. 237 heißt es über den Vater:

›Ich entsinne mich, wie einmal eine Meinungsverschiedenheit zwischen Kanzler und Kaiser entstand und wie er in seiner Erregung über den Widerstand des Kanzlers, als dieser ihn schließlich bat, ihn aus seinem Amte zu entlassen, ausrief: ›Ich kann doch nicht alle acht Tage einen neuen Kanzler nehmen. Da werfe ich lieber meine Krone zum Fenster hinaus.‹ Trotzdem beharrte der Reichskanzler bei seinem Abschiedsgesuch und fuhr nach Hause, ohne daß der Kaiser eine Entscheidung darüber gegeben, und nachdem mein Vater ihm geantwortet hatte, er werde es sich überlegen. Nach Hause zurückgekehrt – der Vortrag hatte vormittags im Neuen Palais in Potsdam stattgefunden – erzählte mir mein Vater den Vorfall. Der Gegenstand der Differenz war folgender gewesen:

Der Kaiser, damals sehr ungehalten über die Haltung der Zentrumspartei und argwöhnend, daß die Staatssekretäre von Marschall und Bötticher, deren Stellung durch Einflüsse der Militairs und der Konservativen bei Hof unterminiert worden war, mit dieser Partei gemeinsame Sache machten, hatte verlangt, mein Vater solle sie sofort zum Rücktritt von ihren Ämtern veranlassen. Dieser hatte sich dem widersetzt, weil er auf ihre bewährte Mitarbeit nicht verzichten wollte. Nun war zufällig für denselben Abend ein großes Hoffest zu Ehren irgend eines Potentaten angesagt, an dem der Reichskanzler, wie üblich, teilnehmen sollte. Ich machte meinen Vater darauf aufmerksam, daß es meiner Auffassung nach unter den obwaltenden Umständen, wo der Kaiser noch keine Entscheidung über sein mündliches Entlassungsgesuch getroffen habe, doch unmöglich sei, daß er an diesem Abend bei Hof erscheine; denn ob nun der Kaiser mit ihm spreche, als wenn nichts vorgefallen sei, oder ob er ihn ignoriere, in jedem Falle werde er in eine schiefe Lage kommen. Ich riet ihm daher, einfach an den Flügeladjutanten telephonieren zu lassen, er sei durch seine Amtsgeschäfte verhindert, zu kommen. Davon wollte aber mein Vater nichts wissen, sondern eigensinnig, wie manchmal alte Herren sind, beharrte er auf seinem Vorhaben und wies mich, als ich ihn nochmals zu überreden versuchte, davon abzustehen, ganz gegen seine Gewohnheit, ungeduldig mit den Worten ab, er wisse, was er zu tun habe, und brauche meinen Rat nicht. Darauf verließ ich ihn und fuhr nach Hause. Ich muß aber gestehen, ich fühlte mich schmerzlich berührt, denn ich hatte ja nur sein Bestes im Auge gehabt und ihm eine eventuelle Unannehmlichkeit ersparen wollen. Ich war so ärgerlich, daß ich beschloß, an dem Tag nicht mehr zu ihm zu gehen. Gegen Abend erfuhr ich dann telephonisch aus dem Reichskanzlerpalais, daß der Kanzler doch ins Schloß gefahren sei.

Als ich den nächsten Morgen mich bei dem Adjutanten Grafen Schönborn erkundigte, wie es am Abend vorher zugegangen sei, erfuhr ich zu meinem Entsetzen, daß sich meine Befürchtungen vollkommen verwirklicht hatten. Der Kaiser hatte mit dem Reichskanzler überhaupt nicht gesprochen. Äußerst verstimmt darüber, da ich ahnte, wie sehr dieses Verhalten des Kaisers meinen Vater gekränkt und welchen Eindruck es bei Hof gemacht haben mußte, konnte ich mich nicht entschließen, wie ich es sonst jeden Morgen gewohnt war, zu meinem Vater zu gehn. Bald darauf kam ein Bote mit einem Brief meines Vaters, der mich bat, zu ihm zu kommen. Als ich eintrat, empfing er mich mit den Worten: ›Du hast doch Recht gehabt. Ich hätte besser getan, nicht hinzugehn.‹ Ich sprach schnell von etwas anderem, um ihm weitere Erörterungen dieses peinlichen Zwischenfalles zu ersparen.‹

Hohenlohes Erscheinung – ich habe ihn nur im Reichstage am Bundesratstisch gesehen, zwischen 1894 und 1900 einige Dutzend Male – ach wie dürftig war sie! ›Das Männeken!‹ sagten Abgeordnete zu einander. Ich habe ebenso untermittelgroße Männeken gekannt, aber die waren Männer und wirkten als Männer, als sehr große Männer, sobald sie den Mund auftaten, z. B. Menzel und Vischer. Hohenlohe machte ganz und gar nicht den Eindruck eines irgendwie bedeutenden Menschen, geschweige eines Staatsmanns. Man hörte ihn ja nie wirklich sprechen, denn das Ablesen kurzer vorher ausgearbeiteter und von einem Beamten der Reichskanzlei sauber abgeschriebener Bemerkungen war kein Sprechen. Wurde er durch den Verlauf einer Aussprache im Reichstag genötigt, etwas frei zu bemerken – was aber sehr selten geschah –, so kam eine klägliche gestammelte Plattheit heraus, die zum Glück in höchstens zwei Minuten zuende war. Ein Staatsmann braucht keineswegs ein Redner, gar ein großer, zu sein; aber was gehört denn dazu, über eine Sache, die man beherrscht, und über lauter Sachen, die keine besondere Kunst der Prosa fordern, einige verständliche Sätze in gebildeter Sprache zu sagen?

Sei er kein schellenlauter Tor,
Es trägt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Witz sich selber vor.

Hohenlohe war nicht nur der einzige Kanzler, er war der einzige höhere Beamte, den ich als unfähig zum kleinsten zusammenhängenden Vortrag über einen ihm geläufigen Gegenstand kennen gelernt habe. Er fiel schauderhaft selbst gegen Caprivi ab; und wie erschien er nach Bismarck, den ja die meisten Abgeordneten noch gekannt hatten!

 

Hohenlohe hat es gewiß sehr gut gemeint, und ganz so willfährig und aalig wie Bülow dem Kaiser gegenüber ist er nicht gewesen. Das ändert nichts daran, daß der Bund der Feinde Deutschlands im Osten und Westen unter ihm geschlossen wurde, daß nichts geschah, wenigstens England daraus fernzuhalten, ja daß eigentlich unter ihm die feindselige Abkehr der noch frei gebliebenen entscheidenden dritten Großmacht begann.

*


 << zurück weiter >>