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Paul Heyse (1830-1914)

Deutschland hat größere Dichter hervorgebracht, – im 19. Jahrhundert keinen, dessen ganzes Dasein so ausschließlich und so tief in Kunst begründet war wie das Paul Heyses. Er war nichts, wollte nichts andres sein als ein Dichter. Die Philister in München – es gibt dort ebenso viele wie überall – haben sich einst lustig gemacht über Heyses Eintragung in die Spalte ›Beruf‹ bei der ›Personenaufnahme‹ oder in der Steuerliste: Dichter. Bitte, ihr Lustigmacher, was hätte er sonst schreiben sollen? Schriftsteller? Der gilt ja wohl als ein Beruf, Dichter nicht. Aber Heyse war kein Schriftsteller, er war ein Dichter und hat niemals etwas andres wirkend getan als gedichtet, oder allenfalls kurze Einleitungen für und über Dichtungen geschrieben, wie z. B. die in seinem ›Deutschen Novellenschatz.‹

Es ist oft gesagt worden: viele Künstler enttäuschen bei menschlicher Bekanntschaft. Ich halte diese Behauptung nach meinem Erleben für falsch: mich hat noch nie ein echter großer Künstler, ein wahrer Dichter enttäuscht, und doch ist mir das Glück beschieden worden, mehr als einen zu kennen. Von einigen ›größten Deutschen Dichtern‹ der Gegenwart haben mir Kenner versichert, sie seien im menschlichen Verkehr mit diesem oder jenem schwer enttäuscht worden; der eine sei zu geistesleer, ja zu dumm gewesen, der Andre zu anmaßend und eitel, der Dritte zu kleinlich usw. Ich habe dann immer erwidert: Vielleicht liegt nicht Enttäuschung vor, sondern Täuschung: du hattest dich über seine Dichtergröße getäuscht, bevor du ihn von Angesicht gekannt. – Wie gesagt, mich hat ein großer Dichter als Mensch nie enttäuscht. Paul Heyse der Mann blieb mir bei der Begegnung der, als der er mir in seinen Dichtungen erschienen war, natürlich nur noch blutwärmer, herzgewinnender, menschenlieber.

Daß er Mitarbeiter meines ›Magazins‹ wurde, verstand sich so ziemlich von selbst; freilich nicht mit Abhandlungen ›über‹, sondern nur mit Gedichten und Umdichtungen aus dem Italienischen. Doch schon in blutjungen Jahren hatte ich seine Teilnahme erfahren: der längst hochberühmte Dichter nahm sich die Zeit, meine in den Studentenjahren verfaßten Übersetzungen italienischer Volkslieder – sie sind nachmals unter dem Titel ›Italienische Liebeslieder‹ erschienen – einer genauen Durchsicht zu unterziehen. Er hat mir dazu einen Rat gegeben, der mir für jenes Büchlein und für manche folgende Umdichterarbeit von hohem Wert geblieben ist: ›Keine Lizenzen!‹ Das hieß bei Heyse: keine Vergewaltigung an der natürlichen, fließenden Sprache, bloß aus Vers- oder Reimnot. So hatte er's von je gehalten: äußerste erreichbare Reinheit der Form. So sollte man's durchweg halten. Alle dichtende Völker, seit den ältesten Tagen, sind streng in der Form geblieben; wir Deutsche sind es in den Zeiten der alt- und der mittelhochdeutschen Dichtung auch gewesen; erst im Neuhochdeutschen beginnt die Verwahrlosung oder doch Bequemlichkeit der Form. Selbst Goethe hat geschrieben:

Ein reiner Reim wird wohl begehrt;
Doch den Gedanken rein zu haben,
Die edelste von allen Gaben,
Die ist mir alle Reime wert.

Heyses Sprüchlein lautet:

Wie rein die Zellen sich zusammenschließen,
Darin das Bienchen birgt den Honigseim,
So laß, Poet, die Müh dich nicht verdrießen
Und birg dein Süßestes im reinsten Reim –

und ich gebe ihm den Vorzug. Ich setze beide Sprüche über diese wichtige Kunstfrage her, weil ich mit Heyse eingehend darüber gesprochen habe. Er hat sich gefreut, daß ich auf gleichem Gedankenwege zum gleichen Ergebnis gekommen war. Über den von mir als lehrreichstes Beispiel wiederholt – in meinem ›Goethe‹ und in ›Was bleibt‹ – herangezogenen Fall: Goethes störenden Reim ›röter – später‹ im ›Epilog zur Glocke‹, habe ich Heyse meisterlich sprechen hören. Wesentlich aus Heyses und Geibels Reimweise hat die Deutsche Versdichtung gelernt und sie ist dann zurückgekehrt zu dem strengen Grundsatz und der peinlich genauen Übung der mittelhochdeutschen Minnesänger, die nach höchster Vollkommenheit in der Form gestrebt hatten.

Aus Rom heimreisend, 1882, besuchte ich Heyse in seinem schönen Heim in München, wurde von ihm mit einer rührenden Herzlichkeit empfangen und sprach mit ihm über manche ernste künstlerische Frage, so auch über die des reinen und des läßlichen Reimes. Heyse sagte wunderschöne Worte; ich habe mir leider nichts davon aufgeschrieben, doch ist mir sein Gedankengang geblieben: Goethe durfte zu seiner Zeit so denken und reimen; wir, die wir auf seinen und seiner großen Zeitgenossen Schultern stehen, dürfen es nicht mehr. Was ich über den falschen Reim im ›Epilog zur Glocke‹ in meinem ›Goethe‹ gesagt habe, geht auf jenes Gespräch mit Heyse zurück.

Zur Zeit meines Besuches bei Heyse waren Zola und die ihm befreundeten ›Naturalisten‹ die bewunderten Vorbilder für manche Deutsche Romanschreiber geworden. Das ›Jüngste Deutschland‹ begann sich anzukündigen. Heyse war entsetzt über die neue Auffassung von der Kunst, besonders der erzählenden; sein späterer Roman ›Merlin‹ beweist, wie aufrührend für ihn die ›naturalistische‹ Kunstrichtung gewesen ist.

Nach meiner Ansicht ging er in der Begründung seiner Ansicht zu weit. Ich wagte, seinem Satze: ›Was gehen mich die Schicksale solches Gesindels (wie in Zolas Romanen) künstlerisch an?‹ zu widersprechen. Ich warf ihm ein, man müsse unterscheiden zwischen Menschen niedrigsten Standes und Gesindel. Ich hielt ihm Romeo und Julia auf dem Dorfe von Keller vor und frug ihn: ob er deren Schicksal für weniger wertvoll hielte als das der zwei Grafenkinder in Verona. – ›Gewiß nicht; aber vergleichen Sie die Behandlung Zolas z. B. im ›Assommoir‹ mit der Kellers!‹

Wir einigten uns, daß es schließlich immer auf die Behandlung ankomme, daß der große Dichter auch den niedrigsten Stoff zu adeln vermöge, und daß nur die an sich leeren oder abstoßenden Stoffe außerhalb der wahren, also der bleibenden Kunst ständen.

Ich war noch recht jung, so viel Belesenheit aber in manchen Literaturen besaß ich, daß ich ihm schon damals sagen konnte, was ich ihm 20 Jahre später gesagt habe, als er mir die Freude machte, mich in Berlin zu besuchen: aufzuregen braucht man sich über keine zeitweilige Berühmtheit des Wertlosen, die Zeit vernichtet alles Scheinberühmte in kürzester Frist, gleichviel ob man es bekämpft oder nicht.

Heyses Bekämpfung des ihm verhaßten, scheinbar allherrschenden Naturalismus hat ihn von einer Seite gezeigt, die man bis dahin an ihm nicht gekannt hatte: es war der erste und einzige literarische Kampf seines Lebens. Und dieser Kampf war ganz überflüssig, der Naturalismus ist an sich selbst und in sich zusammengesunken. Heyse selbst hat noch erlebt, daß die Zeit über Zola, seine Schule und seine Deutschen Nachahmer hinwegschritt. Er war zu weise, um sich einzubilden, er habe durch seinen zornigen ›Merlin‹ den Untergang der grobschlächtigen Abpinselung der sogenannten Natur, d. h. der möglichst treuen Wiedergabe des langweiligen Schmutzes herbeigeführt oder auch nur beschleunigt.

Diese Erinnerung sei nicht geschlossen ohne ein Wort über den gütigen Menschen Paul Heyse. So oft an mich die Not des Schriftstellerstandes besonders erschreckend herantrat und ich nicht selbst oder durch nahe Freunde helfen konnte, wandte ich mich an Heyse, und niemals hat er versagt. Seine Beziehungen zur Schiller-Stiftung konnten manchmal ein wenig helfen, und wo das nicht anging, hat er selbst gespendet oder gesammelt. Nie hat er mit allgemeinen Redensarten abgespeist, nie sich auf die gar zu große Zahl der an ihn gerichteten Gesuche berufen. Wo Not war, da half er, wenn er irgend konnte. Paul Heyse war ein Edelmensch, – ich habe keinen noch Bessern im Leben gekannt.

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