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Friederike Kempner (1831-1904)

Von Angesicht habe ich die Dichterin nicht gesehen; ich bin nur noch einer der letzten Zeugen der Morgenröte und des Sonnenaufgangs ihres Ruhmes. Paul Lindau hatte sie entdeckt: die erste Auflage ihrer Gedichte war seiner ›Gegenwart‹ zugesandt worden, ich denke 1873; zufällig hatte er hineingeblickt, war entzückt, setzte sich hin und schrieb eine Anzeige, die Friederike auf einen Schlag berühmt machte. Es war ein literarisches Ereignis, von andrer Art als die plötzliche Berühmtheit der Ostpreußin Johanna Ambrosius, deren Urheber Hermann Grimm war und die nach kurzem Erstrahlen wieder erlosch. Friederikes Ruhm ist jetzt ein wenig abgeblaßt, neue Auflagen ihrer Gedichte erscheinen wohl nicht mehr; vergessen aber ist sie nicht, Lichtstrahlen aus ihren Werken leuchten noch oft in Unterhaltungen auf, allerdings nur, um allgemeine Heiterkeit zu erwecken; aber ist das nicht auch eine Art kleiner Unsterblichkeit?

Man hat sie verhöhnt, aber was ist aus den Verhöhnern geworden? Wer hat im Ringen ums Nichtvergessenwerden gesiegt? Friederike singt:

Dichterleben, Himmelsgabe,
Selbst im Unglück glücklicher
Als die breiten, kot'gen Pfade
Der Gemeinheit sicherlich.

Wagt jemand dies zu bezweifeln?

Friederike über die Leidenschaft:

Sie ist nicht von Gott gesandt
Der die Güte einst erfand.

Man mag manches dagegen einwenden, aber hat Friederike nicht das Recht ihrer eignen Meinung?

Ewig lebt die Wahrheit,
Ewig lebt das Recht,
Menschlichkeit ist Klarheit,
Hassen, das ist schlecht.

Antigone hat Ähnliches kürzer gesagt; dürfen aber solche ewige Wahrheiten nicht immer wieder nachdrücklich eingeprägt werden?

Im Sturm, wie in der Mimose,
Im Meer, wie in der Rose,
Doch immer bewußtlos, selbständig nicht,
Natur, du bist doch nur ein Gedicht.

Man setze den Namen Gerhart Hauptmann darunter, und Alfred Kerr schreibt einen Aufsatz darüber mit zehn Klammern, zwanzig Gedankenstrichen, dreißig Punkten.

Das Tier.

Es liebt und haßt, fühlt Weh und Freude,
Das müßt ihr ja doch zugestehn;
Daß es nicht auch Französisch spricht,
Das ändert doch die Sache nicht.

Ein gewöhnlicher Dichter, Im-, Ex-, ja Hyperpressionist, stelle sich auf den Kopf, – eine so unvergeßliche Strofe gelingt ihm nicht. Hier war der unerklärliche Genius selbst am Werke.

Die Welt ist ein Rätsel,
Man ratet es nicht,
Und will man's erraten,
Das Herz einem bricht.

Man beachte die Feinheit der eigenartigen Beugung in ›ratet‹: Friederike supra grammaticam.

Mahnung an die Anarchisten.

Kehrt zurück zu Recht und Ehre,
Merkt euch der Geschichte Lehre:
Niemals nützlich war der Mord,
Und es gibt ein ewiges Dort!

Der markige Schluß wirkt erschütternd. Dazu die Sprachschöpferkraft: ›ein ewiges Dort‹! Von Stefan Georges altbackenen ›glüh, Gleiß, Glast‹ schwärmen seine Posaunenbläser: ›neugegossenes, eigengeprägtes Sprachgut‹.

Friederike hat nach dem Lorbeer getrachtet, er war die Sehnsucht ihres Lebens, wie die aller großer Dichter:

Ich liebe dich, ich will's gestehen,
Mehr als das erste Frühlingswehen,
Dein süßer Duft, der ewig währt,
Ist in der ganzen Welt geehrt.
Doch nicht des Siegerlorbeers Blatt –
Wer es empfängt, getötet hat –
Der schmale, schön gezackte ist's:
Du dunkelgrüner Lorbeer bist's.

Friederike hat gewußt, daß böse Menschen, wenige irregeleitete, sie nicht für eine der ganzgroßen Dichterinnen hielten, die ist dadurch nicht verbittert worden, hat bis in ihr hohes Alter für die Heiligtümer ihrer Dichterseele gekämpft, sie besungen; hat, wenigstens nach ihrer Meinung, dafür gelitten und ist heimgegangen in dem Glauben, der Menschheit nur Gutes getan zu haben. In diesem Glauben ist sie sehr glücklich gewesen, ein langes Leben hindurch, 30 Dichterjahre einbegriffen. Freilich, sie hat sich, wie so viele andre Dichter beiderlei Geschlechts, über ihre Gabe getäuscht. Ihr Geschmack und ihre Gabe waren nicht auf der Höhe ihres Herzens; von wie vielen Andern müßte bei strenger Prüfung dasselbe gesagt werden!

Vor mir liegt die achte Auflage von Friederike Kempners Gedichten aus dem Jahr 1903. Jede Auflage war in mehren Tausenden erschienen. Ihre Berühmtheit war allerdings ganz besondern Schlages: sie galt mit Recht als die merkwürdigste Verkörperung des unfreiwilligen Humors. Nun, ist dies nicht auch etwas Preisenswertes? Man nenne mir das Volk unter den Literaturvölkern, das einen Band wie Friederike Kempners Gedichte aufzuweisen hat! Wenn man aus Friederikens viel zu vielen Gedichten eine feine Auswahl veranstaltete, alles nur Mittelmäßige und Platte ausschiede, nur die schönsten Perlen unfreiwilligen Ulkes aneinander reihte, – das gäbe ein reizendes Reclam-Bändchen.

Und wie nun, wenn Friederike mit bewußter Absicht so gedichtet hätte, wie sie es tatsächlich in der harmlosen Einfalt ihres Herzens getan hat? Wäre die Spaßigkeit ihrer allbekannten Gedichte absichtlich, so müßten wir die Dichterin lieben und bewundern, wie wir Wilhelm Busch bewundern. Aber ist nicht grade die Einfalt ihrer Verssprache, wodurch sie völlig unbewußt eine so unwiderstehlich drollige Wirkung erzeugt, nahezu dem Genie verwandt?

Friederike Kempner hat sich stets heilig ernst genommen; sie hat den vergoldeten Silberlorbeerkranz, den ihr die Breslauer Studentenschaft einst gewidmet, mit stolzem Selbstgefühl als den wohlverdienten Lohn einer echten Dichterin empfangen. Wohl hat sie sich gelegentlich über Kränkungen, z. B. durch namenlose Briefe, beklagt, sich jedoch mit ihrer beneidenswerten Schwungkraft darüber hinwegzuheben gewußt. ›Denn‹, so heißt es in dem Vorwort zur 5. Auflage ihrer Gedichte, ›gibt es ein einziges Streben oder eine einzige Schrift, welche etwas will und nicht angefeindet worden wäre?‹ Nein, du gute Friederike, es gibt keine einzige solche Schrift! Wer kann dir das besser bezeugen als ich, dessen harmloses Buch ›Was bleibt?‹ sogar sich einigen Widerspruch hat gefallen lassen müssen.

Wodurch erzeugen so viele Gedichte Friederikens ihre überwältigende Drollerei? Durch den schreienden Gegensatz zwischen ihren hochherzigen Empfindungen und ihrem so überaus undichterischen Ausdruck. Ganz allein steht sie hierin nicht: es gab zu Friederikens Blütezeit eine sehr vornehme Dichterin Deutscher Sprache, von der sich annähernd dasselbe hätte sagen lassen. Man sagte es von ihr nicht laut, ließ es jedenfalls nicht drucken, weil sie keine schutzlose sehr alte Frau, sondern eine Königin war: Carmen Sylvas Gedicht, z. B., auf den Säugling Moses mit seinen ›kleinen Strampelbeinchen‹ konnte ebensowohl von Friederike Kempner sein. Ich habe mir einst den Spaß gemacht, Gedichte von Carmen Sylva und Friederike Kempner einer künstlerisch gebildeten Gesellschaft durcheinander gemischt vorzulesen –: man hat die beiden Dichterinnen ebensowenig im hellsten Licht zu unterscheiden vermocht, wie man roten und weißen Wein im Dunkeln getrunken unterscheiden kann.

Nicht alles übrigens, was unter Friederikens Namen geht, ist echtes Gewächs. Man hat ihr das Leid angetan, auf ihre Art, aber in arger Übertreibung weiterzudichten, und die ›Germanisten‹ der Zukunft werden vielleicht sehr scharfsinnige Abhandlungen darüber schreiben, was echte und was nachgemachte Friederike ist, z. B. über das schöne Gedicht:

Rechts sind Bäume, links sind Bäume,
In der Mitte Zwischenräume …
Durch die Flur, ach!
Fließt ein Bach …

Zur Steuer der Wahrheit kann ich versichern, daß diese Verse nicht von Friederike herrühren.

Von den besseren Gedichten Friederikens möchte ich sagen, was ich in meiner ›Deutschen Literaturgeschichte‹ von manchen Dichtern der Gegenwart sage: sie dichten an der Poesie vorbei. Friederike hat manchmal eine wahrhaft dichterische Empfindung, die ein Volldichter zu einem wirksamen Gedicht gestalten würde; aber ihre Gabe reichte nicht hin, das einzig treffende Wort zu finden. Auf dieser Ohnmacht des Ausdrucks beruht die Drolligkeit aller berühmtgewordner Verse Friederikens. Wir fühlen, was die Frau des reichen Mannes in dem Gedicht ›Der Kontrast‹ zu dem alten Bettler Schönes sagen will; aber wir lächeln, wenn Friederike ihr die Worte auf die Lippen legt:

Ich habe keine Zeit zu Ihnen. –
Ob Robert etwa Kleingeld hat?

Es war ein echtes und starkes Gefühl, das Friederiken die berühmte Strofe eingab:

In den Augen meines Hundes
Liegt mein ganzes Glück,
All mein Innres, Krankes, Wundes
Heilt in seinem Blick.

Mehr als einmal, wenn mich das anständige, unschuldige kluge meines treuen Hundes über eine menschliche Niedertracht getröstet hat – und das hat es! –, habe ich zu meiner Frau diese Verse Friederikens gesprochen, weil es von einem großen Dichter keine gibt, die das zugrunde liegende treffende Gefühl ausdrücken.

Besonders spaßhaft wird sie, wenn sie neckisch sein will:

Unnütz lyrisches Gesinge,
Unnütz lyrisches Geklinge,
Gehst du mir nicht aus dem Sinn,
Schreib ich aufs Papier dich hin.

Oder wenn sie scherzt:

Ihr wißt wohl, wen ich meine,
Die Stadt liegt an der Seine,
Entschieden ist's die schönste Stadt,
Die man wohl je gesehen hat.

Und dann das berühmte Gedichtlein von der Berechtigung aller Versgattungen:

Daktylen und Jamben, Trochäen,
Sie schließ ich in einen Bund,
Die Regel, sie ewig zu trennen,
Hat keinen vernünftigen Grund.

Ist dies etwa nicht wahr? Friederike hat so ziemlich in allem, was sie gedichtet hat, vollkommen Recht; leider kommt es für die Dichtung aufs Rechthaben viel weniger an als aufs Rechtsagen.

Selbst wo wir vor ungeheurer Heiterkeit überhaupt nicht mehr sprechen können, da müssen wir ihr das Zugeständnis machen, daß sie etwas ganz Richtiges hat sagen wollen und auch gesagt hat. So z. B. in den Versen, die ich für den Höhepunkt unfreiwilliger Drolligkeit halte (aus dem langen Gedicht ›Der Tierbändiger‹). Es handelt sich um Johanna, die Tochter des Bändigers, deren Kopf bei einer Schaustellung im Rachen der Riesenschlange steckt:

Nun öffnet der Bändiger den riesigen Mund,
Sein stierer Blick sprüht funkelnden Glanz,
Johanna ist tot, doch sie ist ganz.

Und damit tröstet sich der Bändiger einigermaßen. – Sollte man solche Kleinode untergehen lassen?

*


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