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Rosegger (1843-1918)

Im September 1881 fand in Wien eine Schriftstellerversammlung aus allen Ländern statt. Im Hause eines reichsdeutschen Dichters, der damals in Wien lebte, gab es ein Festmahl für eine größere Zahl von Mitgliedern der Versammlung. Von jenen Gästen, von uns Anwesenden allen, war Rosegger der Bedeutendste; aber wer von den Franzosen, Engländern, Italienern usw. kannte den bescheidenen, den schüchternen 38jährigen Peter Rosegger? Namentlich die Franzosen waren die Gefeierten und führten das große Wort. Es war die Zeit, wo Zola, die Goncourt, Flaubert für die ewigen Dichter der Weltliteratur galten, denen wir Deutsche nach der Ansicht der damaligen Deutschen Lärmmacher, obenan M. G. Conrads, nichts an die Seite zu stellen hätten. Daß der eine Gottfried Keller alle französische Erzähler jener Zeit in den Schatten stellte, hätte man schon damals wissen können; aber denen, die es wußten, verbot die Deutsche Bescheidenheit, es auszusprechen.

Die bei solcher Gasterei üblichen Trinksprüche wurden gehalten, einige auf die erlauchten Gäste aus der Fremde, – deren Namen heute niemand mehr kennt; kein Mensch kümmerte sich um Rosegger. Er selbst schien das ganz in der Ordnung zu finden, denn die Franzosen waren die große Mode, und Rosegger war damals wohl bekannt, aber lange nicht so berühmt, nicht einmal in Deutschland, höchstens in der Steiermark, wie z. B. der große Franzose Louis Ulbach. Weiß heute noch ein einziger Leser, wer Louis Ulbach (sprich: Ulbak) war? Damals aber war er ein sehr großer Mann, einer der Vorsitzer jeder solcher Weltversammlungen.

Ich aß und trank wie die Andern, hörte den Reden zu und dachte mir mein Teil. Als Herausgeber des ›Magazins für Literatur‹ hatte ich in der Weltliteratur umschauen und vergleichen gelernt, und das tat ich zwischen dem Trinken, Essen und Redenhören auch an jener Tafel. Ich teilte das Ergebnis der Betrachtungen meiner Frau mit; sie dachte wie ich und sagte: So sag es ihnen doch! Ich sträubte mich, sie drang in mich, denn sie kannte und liebte Roseggers Schriften, sie kannte die des großen Ulbak und liebte sie nicht. ›Auf deine Verantwortung!‹ sagte ich, erhob mich und sprach – absichtlich französisch, damit mich auch die großen Franzosen verstünden – etwa Folgendes: Wir sehen in diesem kleinen erlauchten ( illustre) Kreise überwiegend, – was sage ich? lauter weltberühmte Dichter (Heiterkeit, doch jeder stimmte mir ein wenig zu), daran besteht kein Zweifel, wenigstens unter uns. Und weil wir alle so sehr berühmt sind, so wollten wir einmal zusammenkommen, um unsre Berühmtheit wechselseitig vergleichend zu genießen. Aber so berühmt wir alle sind, es gibt Unterschiede, wie die zwischen Fürsten und Rittern, und wir haben einen Fürsten der Kunst in unsrer Mitte, – bescheiden wie die Fürsten sind, seines Ranges bewußt, der Welt unbekannt, der heimliche Kaiser der Dichtung. – Ich hatte Rosegger nicht angeblickt, kein Mensch, außer meiner Frau, ahnte, wohinaus ich zielte, Rosegger wohl am wenigsten. – Dann fuhr ich fort und wandte mich zu ihm, der zu meiner Rechten saß und nun heftig erschrak –: Sehen Sie, liebe Freunde aus aller Welt, diesen bescheidenen Fürsten neben mir – Rosegger duckte sich wie vor einer nahenden Gefahr –; wer von Ihnen ahnt, daß dieser stille Herr, dem Sie die Bescheidenheit vom ängstlichen Antlitz lesen, daß er der Fürst über uns allen ist, einer der größten Erzähler Deutschlands und der Welt, dieser Herr Peter Rosegger, der in Deutschland nur die Größten zu seinen Gleichen hat, den in Frankreich Alphonse Daudet, in England George Eliot, in Italien Farina und Verga als ihre Genossen anerkennen würden. Er ist im Auslande noch wenig bekannt, aber Sie alle werden ihn noch kennen lernen und die Verbreiter seines Ruhmes sein. Ich bitte Sie, anzustoßen auf Peter Rosegger, den großen Dichter.

Alle erhoben sich; die Fremden hatten gesehen, daß wir Deutsche alle es mit Rosegger so meinten, wie ich gesagt hatte; sie glaubten mir, taten sehr begeistert, überschütteten den sich windenden und verkriechenwollenden Rosegger mit ihren Huldigungen, aber sehr glücklich hat er sich in jenen Augenblicken doch gefühlt.

Nach vielen vielen Jahren, 1908, rief ich Roseggern bei einem Besuch in Graz jenen Vorfall ins Gedächtnis. Oh er hatte ihn nicht vergessen: ›Ich bin in meinem Leben nie so bestürzt und so beschämt gewesen wie damals.‹ Und ich konnte hinzufügen: ›Ein Franzose hat das beste Buch über Sie geschrieben.‹

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