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Wilhelm von Schoen

Ein deutscher Botschafter (Geboren 1850)

Er ist der einzige Deutsche Botschafter, den ich gut gekannt habe, über den ich mir ein Urteil zutrauen darf, nach dessen Wesen und Wirken ich das Deutsche Botschaftertum in dem Zeitalter nach Bismarck messe.

Meine verstorbene Frau, die das Recht hatte, sich gelegentlich in andern Sprachen als der Deutschen auszudrücken, die sie am liebsten und rein sprach, nannte gegen Ende der 70er den bei uns freundschaftlich verkehrenden jungen Hilfsbeamten im Auswärtigen Amt Wilhelm Schoen immer nur › notre petit Schoen‹. Er war gar nicht klein, war so groß wie ich, und mich fand meine Frau nicht klein; aber sie hatte die Vorstellung eines kleinen Herrn Schoen und blieb dabei. Ich denke, sie tat das, weil er so siegreich liebenswürdig, so ungemein verbindlich war, der geborene, vorausbestimmte Gesandte. Wir hatten uns 1879 kennen gelernt, sind uns nach einer Unterbrechung von Jahren 1884 wieder in Bern begegnet, wo er während eines Urlaubs des Gesandten von Bülow – nicht Bernhards – zum zeitweiligen Geschäftsträger vorgerückt war, dann nie wieder. In einem losen Briefwechsel sind wir geblieben.

Ich habe mich über Schoens schnelle und glänzende Laufbahn nicht gewundert. Er war mir vom Anfang unsrer Bekanntschaft als ein sehr gescheiter, besonnener, vorsichtiger Kopf und als ein fleißiger Arbeiter erschienen. Ausgestattet mit allen für einen Gesandten nötigen guten Eigenschaften, wozu außer Sprachkenntnissen ein Vermögen gehörte, das ihm gestattete, wirksam aufzutreten, – wie sollte er da nicht schnell vorwärtskommen? Als er, für nicht lange, Staatssekretär des Äußern wurde, vermißte man an ihm die Rednergabe, wodurch seine Geltung gegenüber dem Reichstag erschwert wurde. Nun, Bismarck war durchaus nicht das, was man einen guten Redner zu nennen pflegt, und doch scheint er auf den Reichstag gewirkt zu haben. Der Reichskanzler Bülow hingegen – ja der war ›der glänzende Redner‹, wie der Reichstag einen brauchte und bewunderte.

Im Reichstag und in der Presse hat seiner Zeit die Ansicht geherrscht, Schoen sei kein hervorragender Diplomat, eben weil er kein glatter Redner war. Wie steht es denn überhaupt mit der immer wiederholten, noch heute nicht verstummten Klage, unser Unglück sei ›unsre unfähige Diplomatie‹ gewesen? Das ist grundverkehrt: wir haben ausgezeichnete Botschafter und Gesandte gehabt, und ich bin überzeugt, Schoen war keiner der schlechtesten oder der wenigen guten. Kein einziger Fall ist ihm nachgewiesen oder nur vorgeworfen, wo er einen Fehler begangen habe. Aber – hätte zwischen 1890 und 1914 selbst ein Botschafter wie Bismarck auf irgendeinem wichtigen Auslandsposten Erfolge erzielen können? Man prüfe die Bücher über Kiderlen-Wächter, die Erinnerungen Eckardsteins, manche andre Schriften ähnlicher Art und frage sich: Konnte ein Deutscher Gesandter seit 1890 etwas leisten? Er war ja nur der Briefträger oder der Mundbote des Auswärtigen Amtes, und dem, was er schriftlich oder mündlich der fremden Regierung zu sagen hatte, wurde von dieser kein Wert beigelegt. Um auf die fremde Regierung zu wirken, ihre Richtung, ihre Entschlüsse zu beeinflussen, mußte der Deutsche Botschafter eine Deutsche Politik vertreten, auf die sich die fremde Regierung verlassen durfte, und solche Deutsche Politik gab es von 1890 bis 1914 nicht. Hatte ein Deutscher Botschafter mit einem auswärtigen Minister über eine schwebende Frage gesprochen und die angebliche Ansicht und Absicht des Deutschen Außenamts vorgetragen, so erfuhr tagsdrauf oder am selben Tage der fremde Außenminister, daß der Kaiser einen Brief ganz andern Inhalts nach Rußland oder England geschrieben, oder im Gespräch mit einem fremden Botschafter das Gegenteil gesagt habe. Keine fremde Regierung glaubte das, was ein Deutscher Botschafter amtlich ausgesprochen hatte; keine wußte, was eigentlich Deutschlands Absicht war. Es gab eben keine Deutsche Absicht, oder es gab täglich eine andre. Es gab in der Außenpolitik Deutschlands nichts Feststehendes; es gab nur täglich, manchmal stündlich wechselnde Ansichten, Absichten, Stimmungen Wilhelms 2. Die zunächst Beteiligten, die im Außenamt und die Deutschen Botschafter, sagten dann: ›Der Kaiser ist eben impulsiv‹. Dies sagten sie, wenn es einer hörte; gedacht haben sie etwas andres.

Doch nicht einmal mit seinen Berichten an das Deutsche Außenamt konnte einer unsrer Botschafter die nackte Wahrheit, die erkannte, aussprechen. Schwarz durfte er nicht sehen, denn Schwarzseher wurden nicht geduldet, Sah er dennoch schwarz, und alle unsre Botschafter haben Jahrzehnte hindurch schwarz gesehen, so mußte er das Schwarze für sich behalten und mußte rosafarbig berichten, oder sonst in einer bunten Farbe, aber auf keinen Fall schwarz. Durch fortgesetzte wahrheitsgetreue Berichte machte sich der Botschafter unbeliebt und gefährdete seine Stellung. Das bis heute nachgesprochene Gerede von der unfähigen Deutschen Vertretung im Auslande ist dumm, steht in schroffem Widerspruch zu dem, was jeder weiß, der etwas wissen will. Eine gute, d. h. eine auf die fremden Regierungen wirkende, die Deutsche Regierung wahrhaftig unterrichtende Deutsche Diplomatie war unter Wilhelm 2. unmöglich, – wo sie dennoch versucht wurde, nutzlos und kurzlebig.

Wie ich Wilhelm Schoen gekannt und erkannt hatte, war er keiner von Denen, die um der Laufbahn willen, aus Klebsucht, wider besseres Wissen rosenfarbig berichtet haben. Er hat, wie die meisten Deutschen Botschafter, wahrhaftig berichtet, aber seine Berichte wurden nicht beachtet. Unter Wilhelm 2. war unser ganzer Botschafterdienst überflüssig.

Worüber man sich in früheren Zeiten allgemein und mit Recht beklagte, war die hochmütige Abgeschlossenheit unsrer Auslandsvertreter gegen die ansässigen und die zureisenden Deutschen – im Gegensatze zu den Vertretern der andern Länder. Schoen war der liebenswürdigste, zugänglichste Beschützer, ja Freund und Wirt der Deutschen in Paris. Als er das erste Mal von seinem dortigen Posten abgerufen wurde, herrschte unter den Deutschen in Paris allgemeine aufrichtige Betrübnis. Ich weiß aus Mitteilungen Max Nordaus, wie hoch die Deutschen in Paris grade Schoen geschätzt haben.

Als Deutscher Staatsmann hat er nichts Sichtbares geleistet, nichts leisten können, denn er stand ja nicht an der höchsten Stelle, hätte übrigens auch an dieser nichts leisten können. Aber Schoen war der einzige Staatsmann, der den Drehpunkt der gesamten europäischen Politik richtig erkannt, in seiner Schicksalsbedeutung richtig gewürdigt hatte und bestrebt war, auf einen alten unheilvollen Fehler wenigstens nachdrücklich hinzuweisen. Unter der Fülle der Lebenserinnerungen unsrer führenden Männer, die nach 1918 erschienen sind, hat man Schoens Buch ›Erlebtes‹ (1921) zu wenig beachtet. Der wichtigste Abschnitt darin, der die elsässische Frage betrifft, schreit nach der Heraushebung:

Auf dem Gebiete der inneren Reichspolitik lag die im Jahre 1910 erörterte Frage der neuen Verfassung für Elsaß-Lothringen. Aber sie war eine jener Fragen, deren Lösung von Wirkung auf die äußere Politik sein kann. Ich wurde daher zu der Sitzung des preußischen Staatsministeriums, in welcher dieses im Hinblick auf die im Bundesrat einzunehmende Stellung sich mit der Sache zu befassen hatte, zugezogen. Auf die Befragung, welche Lösung sich vom Standpunkt der äußeren Politik empfehle, ob beschränkte oder ob weitgehende Berücksichtigung der Wünsche der Bevölkerung, habe ich dargelegt, daß mir die Gewährung der erstrebten Autonomie das ratsamste scheine. Sie würde nicht nur die Elsaß-Lothringer befriedigen, sondern auch die Franzosen einigermaßen beruhigen und damit einer Entspannung zwischen uns und Frankreich förderlich sein. Würde Elsaß-Lothringen auf die gleiche Stufe gestellt wie die andern das Reich bildenden Glieder, so werde eine solche Kundgebung kraftbewußten Vertrauens in die Festigkeit der erweiterten Grundmauern des Reichsgebäudes nicht ohne starken ernüchternden Eindruck auf die Franzosen bleiben, die den bestehenden Zustand nur als einen provisorischen zu bezeichnen liebten. Nicht wenige Franzosen, die alle im Ehrenpunkt empfindlich seien, würden in der Einräumung einer achtungsvollen Stellung an die ehemals französischen Lande eine gewisse Genugtuung und einen ersten Schritt in der Richtung zu besserem Nebeneinanderleben erblicken. Geschehe es, so dürften sich auf französischer Seite Regungen auslösen, denen bis jetzt die Kraft fehlte, sich zur Oberfläche zu erheben. Die Befürchtung, daß dann französischer Einfluß in Elsaß-Lothringen sich in nach höherem Maße geltend machen werde, erscheine mir nicht begründet. Der gesunde Sinn der überwiegend kerndeutschen Bevölkerung werde unzulässigem Eindringen des Franzosentums einen stärkerm Wall entgegensetzen, als dies bureaukratische Bevormundung zu tun vermöge. Leider bin ich mit dieser Auffassung allein geblieben, auch der Herr Reichskanzler schloß sich ihr nicht an, und da ich weder Sitz noch Stimme im Staatsministerium hatte, so ging meine Meinungsäußerung spurlos vorüber. Die späteren Ereignisse haben gezeigt, daß meine Auffassung ein besseres Los als das der Nichtbeachtung verdient hätte. Herr von Bethmann-Hollweg hat in seinen ›Betrachtungen zum Weltkrieg‹ freimütig eingeräumt, daß das Versagen der Autonomie ein Fehlgriff gewesen. Man hat den Fehler gegen Ende des Krieges wieder gutzumachen gesucht, aber es war zu spät!

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