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Das Kabinett

Früher, bis 1918, war es das Wort für alles Abscheulichste, besonders in Zusammensetzungen. Kabinettsjustiz hieß die Beeinflussung der Rechtspflege durch Willkürherrscher, also die Rechtsbeugung. Kabinett und Kamarilla – beide ›Kämmerchen‹ bedeutend – waren Ausdrücke tiefster Verachtung fortgeschrittener Kannegießer für die Regierungsschandtaten verflossener Zeiten. Da plötzlich kam das Kabinett zu höchsten Ehren, und das ging so zu.

Im November 1918 waren alle Regierungen gestürzt, alles Alte mußte verrungeniert, alles neu geschaffen werden. So verschwanden die ehrlichen alten Fremdwörter ›Regierung‹ und ›Ministerium‹, die Regierer und die Minister hatten sich, so sagte man, als gar zu unfähig erwiesen, und für die neuen Regierer mußte ein neues Wort geschaffen oder gesucht werden. So schuf oder suchte und fand man ›das Kabinett‹. Die Wort- und die Geschichtsforschung werden schwerlich je ergründen, wer zuerst Kabinett gesagt, wer es zuerst hat drucken lassen. Ich weiß aber bestimmt: Kabinett tauchte schon vor dem Ende des Novembers auf, raste wie ein Trockensommerwiesenbrand im Nu durch ganz Deutschland, überallhin wo es etwas zu regieren gab, und vor dem Ende des Dezembers 1918 gab es nirgend mehr eine Regierung, kein Ministerium mehr, sondern über jedes Deutschen Geschicke waltete ein Kabinett. Das Kabinett trat zusammen, hielt Kabinettssitzungen, faßte Kabinettsbeschlüsse, und wenn die drei Minister von Mecklenburg-Strelitz oder die zwei von Anhalt zu einer Besprechung im Sitzen, nach den täglichen im Stehen, zusammenkamen, so stand in der Zeitung zu lesen: Das Kabinett ist heute zusammengetreten. Es war – und ist – eine Lust zu leben.

Als diese vornehme Bezeichnung flott der gemeinen ›Regierung‹ und des verbrecherischen ›Ministeriums‹ zuerst aufkam, frug mich ein Bornimer Landwirt, der mich als zugezogenen Schriftgelehrten hatte rühmen hören und von Kabinett nicht einmal wußte, daß es allenfalls früher für ›Kämmerchen‹ gebraucht wurde: Sagen Sie, Herr Professor, ist das nicht ein Druckfehler in der Zeitung, muß es nicht Kabarett heißen? – Ich belehrte ihn ernsthaft und liebreich: Nein, zwischen Kabinett und Kabarett ist ein Unterschied: Kabinett ist mehr ernsthaft, Kabarett mehr spaßhaft; es ist derselbe Unterschied wie zwischen impotent und impertinent. – Ach so, meinte er, und hatte begriffen. Seitdem weiß das ganze Volk, daß in Deutschland Kabinette regieren und wie sie regieren.

Sprachlich und seelisch, oder vielmehr linguistisch und psychisch, ist der plötzliche Übergang von der Regierung und dem Ministerium zum Kabinett überaus seltsam. Nach welchem ausländischen Vorgang mag das geschehen sein? Daß wir uns in solchen Dingen nach dem Ausland richten, ausländische Bezeichnungen sklavisch nachäffen, war ja Brauch von altersher: man denke an den englischen Staatssekretär, den englischen Unterstaatssekretär, obwohl der ›Sekretär‹ für hohe Beamte sonst in Deutschland nicht vorkommt. Zu der Zeit, als das Kabinett das Ministerium bei uns plötzlich verdrängte, gab es in der ganzen Welt, auch in Frankreich und Belgien, kein Kabinett, sondern ein ministère oder einen conseil des ministres. Noch zur Stunde ist Deutschland das einzige europäische Land mit einem Reichskabinett. In den ›Ländern‹ gibt es, glaube ich, schon wieder Regierungen oder Ministerien.

Im heutigen Französisch bedeutet le cabinet überwiegend – es tut mir leid, aber ich kann nichts dafür – Abtritt. Dies ist die älteste Bedeutung: in Molières Misanthrope (Akt 2, 1 heißt es von einem schlechten Gedicht, das jemand vorgetragen, und von dem Wisch, auf dem es geschrieben steht: ›Il est bon à mettre au cabinet‹. Ja es ist so, und auch dafür kann ich nichts. Aber dieses Wort erschien den Umwälzern des Novembers 1918 als das vornehmste, das sie für sich als neue Regierung zu wählen wußten. Daß ein Deutsches Wort für etwas so Neues und Feines garnicht in Frage käme, verstand sich von selbst.

Ich habe beobachtet, daß in weiten Volkskreisen wirklich der Glaube entstand, Kabinett sei etwas andres, bessres, vornehmeres als Ministerium, etwas mehr republikanisches, wohingegen Ministerium mehr monarchisch sei. Seit Jahren jedoch hat der gesunde Sinn des Volkes sich wieder Geltung verschafft: ich bemerke, daß das Kabinett mehr und mehr aus dem Sprachgebrauch der Presse verschwindet, daß die Regierung und das Ministerium wieder an dessen Stelle getreten sind, und daß nur noch bei einigen Leitaufsatzschmöcken in Berlin zuweilen das ihnen vornehmer scheinende Kabinett auftaucht. Es wird wohl bald ganz verschwunden sein. Es gehörte der politischen Emporkömmlingssprache an, war ein lächerliches Modewort, viel lächerlicher als ›verankert‹. Über ›verankert‹ hatte man sich schon früh lustiggemacht, denn es war Deutsch, und über Deutsche Wörter macht man sich sehr oft in Deutschland lustig, über ein Fremdwort nie. Ich habe das Vorrecht, mich auch über Fremdwörter lustig zu machen; dafür werde ich nach Verdienst beschimpft: ›Purist!‹ Deutschland ist das merkwürdigste Land der Erde –: wo immer ich kann, mache ich auf diese unbekannte Tatsache aufmerksam.

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