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Gerhart Hauptmann (Geboren 1862)

In meiner Deutschen Literaturgeschichte und in ›Was bleibt!‹ hatte ich alles zu sagen geglaubt, was über ihn, weit mehr noch über die Art seines Ruhmes zu sagen war. Seitdem habe ich den Abstand eines weitern Jahres gewonnen: mein Urteil hat sich in keinem Punkt geändert; das aber, worauf es vornehmlich ankommt, hebt sich mir jetzt noch stärker heraus. Was mich immer fester in der Überzeugung bestärkt, daß er überhaupt kein beachtenswerter Dichter ist, daß er spurlos, ja wohl spurlos, aus dem lebendigen Gedenken der Deutschen Menschheit – das Ausland kennt ihn kaum – versinken wird, sehr bald, noch bevor dieses Jahrhundert seine Mitte erreicht hat, ist Eins, und dieses Eine genügt zum abschließenden Urteil. Hauptmann ist von Natur vollkommen unfähig, Menschengröße zu empfinden. Dies allein schon scheidet ihn aus der Menschheitdichtung. Es hat nie einen großen, nie einen mittleren, ja nie einen kleinen, aber noch beachtenswerten Dichter gegeben, vor dessen Seele nicht Menschengröße geschwebt, bevor er sich ans Schaffen wagte, und während er schuf. Hauptmann ist eine Ausnahme in der gesamten Weltliteratur, die grausigste, die es je gegeben: die eines Dichters, der berühmt geworden, sehr berühmt, der jedoch gar kein Dichter im Vollsinn des Wortes ist. Denn Dichter sein heißt Größe empfinden, in Größe leben, zur Größe streben, Größe gestalten, und dies alles hat die grausame Natur dem Manne versagt.

Oh er möchte! Er fühlt, daß Dichten sein sollte: Menschengröße in der Seele haben, selbst und in seinen Gestalten. Er hat sich abgequält, große Menschen zu sehen und zu schaffen. Einmal, in seinen Jungmannsjahren, hatte er dieses Ziel verschwommen gesehen, zwar nicht erreicht, aber doch nahe gefühlt: Helene in ›Vor Sonnenaufgang‹ ist wenigstens ein junges Menschenkind mit dem Hochschwung der ersten Liebe – für einen Schwätzer. Größe hat auch sie nicht, aber sie ist ein Geschöpf, an dessen Geschick man Anteil nimmt. Eine Dichtergestalt ist sie nicht, ihr fehlt alles Eigne; sie ist nur das noch reine junge Mädchen, das sich nach Liebe sehnt. Nach seinem Erstlingsstück hat Hauptmann nie wieder auch nur so viel Menschentum von so viel erträglichem Wert empfunden und hingestellt.

Wie gern hätte er große, sehr große Menschen mit großen Schicksalen geschaffen! Um sich herum hatte er junge Männer, seine Freunde vom ›Jüngsten Deutschland‹, von ungeheuren Plänen sprechen hören, vom Größten, das sie erreichen wollten. Jenes großmäulige Prahlen von Nichtskönnern hatte ihn aufgeregt, er sah darin Größe, die ihm allein vorstellbare Größe, und er schuf – seinen unaussprechlichen Johannes Vockerat, den einsamen Genius, der ein hanswurstiger Fatzke ist, aber von seinem Schöpfer für groß, von der Hauptmann-Gemeinde einst für herrlich gehalten wurde. Mehr als ein Jahrzehnt galt das Drama von den einsamen Vockeraten für den Gipfel der dramatischen Kunst, Hauptmanns und der Gegenwart. Und jenes überaus drollige Trauerspiel legte der Dichter ›in die Hände derer, die es gelebt haben‹, nämlich der Hanswürste vom Schlage Vockerats. Er hatte sich nicht getäuscht: alle Vockerate waren entzückt, sich von dem gefeierten Dichter der neusten Mode so tödlich ernst genommen zu sehen.

Unter Hauptmanns späteren Versuchen, große Menschen zu schaffen, – zahlreich sind nicht einmal die Versuche –, darf nur Florian Geyer genannt werden, denn der versunkene Glockengießer war nur ein aufgewärmter Vockerat in blumigen, meist lächerlichen Versen. Aber grade Florian Geyer beweist vernichtend die Unfähigkeit Hauptmanns zu menschlicher Größe: er fand diese Gestalt in seinen Quellen, den Geschichten des Bauernkrieges, fertig vor und hat garnichts aus ihr zu machen gewußt. In der Geschichte war Florian Geyer ein großer Mensch, bei Hauptmann wird er zu einem nichtigen Schwätzer. Da, wo er bei Hauptmann ein kraftvolles oder ein gescheites Wort sagt, stand es schon in den Quellen, aber echter. Als eine der Fundgruben ist neuerdings noch der ›Horribilicribrifax‹ des alten Gryphius von einer gelehrten Bewundrerin Hauptmanns aufgedeckt worden. Sie nennt die abgeschriebenen Stücke im ›Florian Geyer‹ ein Plagiat, aber ein – ›produktives‹. Was würde aus der Deutschen Gelehrsamkeit ohne die Fremdwörter?

 

Hauptmann ist ebenso unfähig zur Größe im Einzelnen wie im Ganzen: es gibt in seinen 30 und mehr Dramen, ach sagen wir doch: Theaterstücken, nicht einen Vers, nicht eine Prosazeile, worin Größe atmet. Es gibt von diesem berühmten Dichter nicht ein Wort, das aus seiner Seele in die des Volkes als ein leuchtender oder zündender Funke hinübergeschlagen wäre. Nicht eins. Seht da den Dichter!

 

Selbst da, wo ihm ein großes, ein ungeheures, ein ewig denkwürdiges Geschehnis, das eines sich aus siebenjähriger Knechtschaft befreienden Volkes, seines Deutschen Volkes, dargeboten wird, wo eine Stadt ihm den Auftrag gibt, jene größte Tat eines großen Volkes zu einem Festspiel zu gestalten, – was vermag dieser berühmte Dichter? Unfähig, Größe zu fühlen, zu denken, nachzuschaffen, ohnmächtig mit der Aufgabe ringend, plattgedrückt von ihr, schreibt er einen läppischen, kindischen, kunstlosen Bierulk hin, verfertigt er ein Kasperlstück mit Napoleon, Blücher usw. als Hampelmännern, die hampelmännische Verse sprechen; und da es doch ein Festspiel sein soll, so klebt er zum Schluß ›Weihe‹ dran: er läßt Athena schwulstige Verse sprechen, aufgedonnerten Bafel. Die Deutsche Bühne hat nie einen schmachvolleren Tag erlebt als jenen im Jahre 1913, im Festspielhause zu Breslau, wo eine Deutsche Zuschauermenge trotz ihrer Empörung das erbärmliche Machwerk Hauptmanns zuende spielen ließ.

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