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Alois Wohlmuth (geb. 1852)

1. Die Eintagsfliege.

Im Jahr des Heils, am achten Mai,
Ward sie geboren früh um drei,
Die Kinder-, Schul- und Jugendzeit,
Bis zur vollkomm'nen Mündigkeit,
Beanspruchten zwei volle Stunden.
Kaum war sie reif zum Flug befunden,
Begann nach allgemeiner Mode
Bei ihr die Sturm- und Drangperiode:
Die währte, bis es zehn Uhr war.
Die Sonne schien so warm und klar
Und weckte ihre Liebesglut:
Sie wirbelte in toller Wut
Durch Wiesen, Felder, Wald und Flur
Bis gegen eindreiviertel Uhr
Und hat dabei den Keim gegeben
Zu manchem neuen Eintagsleben.
Um zwei Uhr trat schon Ruhe ein; –
Den Schwestern, welche erst um neun,
Geboren, gab sie gute Lehren
Und kam zu Würden und zu Ehren.
Das währte bis um fünf – darnach
Ward sie allmählich altersschwach.
Voll war die siebente Stunde kaum,
Da fiel sie tot herab vom Baum –
Und hat in diesem Tag erfahren,
Was unsereins mit siebzig Jahren.

2. Selbstgefühl.

In einem großen Warenkram,
Wo auf die Wage alles kam,
Hat eine Fliege lange Zeit
Gelebt in Wintereinsamkeit;
Aus purer Langeweil nun fing
Zu denken an das winzige Ding:
Sie sah die Reichen faul und dick,
Und sah der Armen Mißgeschick.

»Ich will,« so sprach das kleine Wesen,
»die soziale Frage lösen!«
Erschien ein Armer im Lokale,
So flog sie flugs auf jene Schale,
Wo die Gewichte drinnen liegen,
Um sie noch mehr hinabzubiegen;
Erschienen aber reiche Leute,
So flog sie auf die andere Seite.


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