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C. Weitzmann (1767-1828)

Der Doppelkümmel.

Ein Schwabenmütterchen – wills Anne heißen –
Kam einst auf ihren frommen Pilgerreisen
Auch nach dem Wallfahrtsort Loretto hin,
Um dort der Gnadenmutter zarten Sinn
Zugunsten ihres Sohnes zu erflehen.
Der, wunderbar zum Helden ausersehen
Mit Höllenangst für Gott und Vaterland,
Als Vizekorporal im Felde stand,
Daß sie den Gnadenmantel ihm aufs neue
Zu Schutz und Schirm als Kugelfänger leihe.
Doch eh des Kirchleins Schwelle sie betrat,
Ging sie gar klüglich mit sich selbst zu Rat,
Wie ihr Entree sie regulieren sollte
Und ihre Avelaute stimmen wollte;
Und um zur Andacht ganz gestärkt zu sein,
Kehrt sie zuvor noch in der Schenke ein.
Verhüllt in fromme Meditationen
Und Qualgedanken an die Mordkanonen,
Die jetzt vielleicht dem armen Michel drohn,
Saß sie bei ihrem Labetränkchen schon
Verklärt, und war beim dritten Gläschen Kümmel,
So gut, wie Paulus, in dem dritten Himmel.
Nun watschelte, von Geistesdrang geführt,
Den Nimbus auf dem Näschen konzentriert
Und mit dem schwersten Rosenkranz beladen,
Die Büßerin hinein zum Born der Gnaden –
Und – Wunder über Wunder! – Hier geschah,
Was nimmer eines Pilgers Auge sah:
Es nickten Annen freundlich schon von ferne
Die Kerzen zu, wie zwizerende Sterne.
Auch schiens, als grüßten sie mit Mund und Hand
Die Heilgenbilderchen von jeder Wand
Und wankend, unter Seufzern und Gebeten
Versucht sies, näher dem Altar zu treten,
Den sie mit ihrem Opfer andachtsvoll
Nach Pilgerbrauch dreimal umkreisen soll;
Doch, wie vom Blitz gerührt, bebt sie zurück
Und staunt, denn in demselben Augenblick
Dreht sich, samt ihrem ganzen Heiligtum
Die Gnadenmutter selbst um sie herum.
Ganz überwältigt von dem Doppelkümmel,
Ruft Anne jetzt, entzückt im neunten Himmel:
»O Mammeli! 's ist z'viel! Du gohst um mi
Und i soll doch dreimal rundum um di!«


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