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Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769)

1. Hans Nord.

Ein Mann, der sich auf vielerlei verstand,
Tat durch den Druck in London kund,
Daß er ein seltnes Kunststück wüßte,
Und lud auf sein erbaut Gerüste
Den künft'gen Tag die Bürger ein,
Ließ einen engen Krug und sich in Kupfer stechen.
»In diesen Krug,« war sein Versprechen,
»Kriech ich, Hans Nord, mit Kopf und Bein
Um zehn Uhr in den Hals hinein;
Der Preis für einen Platz soll nur acht Groschen sein.«

Nun ging das Blatt durch alle Gassen,
»In einen Krug? Was? rast der Mann?
Das soll er mir wohl bleiben lassen.
Mit einem Wort, es geht nicht an,
Der dümmste Kopf muß das verstehen;
Allein, acht Groschen wag ich dran.
Komm, Bruder, komm, den Narren muß ich sehen!«
Kurz, einer riß den andern fort.
Dem Pöbel folgten schon Karossen um die Wette,
Worin der Kaufmann und der Lord
Aus Gründen der Physik bewiesen, daß Hans Nord
Unmöglich Raum in einem Kruge hätte.
»Gesetzt auch,« wandte Lady ein,
»Gesetzt, dies könnte möglich sein,
So wird doch stets der Kluge fragen:
Wie kommt der Narr denn durch den Hals hinein? –
Doch unser Kutscher schläft ganz ein;
Fahrt zu, Johann! jetzt wird es Neune schlagen.«

Halb London saß nunmehr an dem bestimmten Ort
Und sah den Krug erstaunt auf dem Theater stehen.
»Wird nicht das Werk bald vor sich gehen?«
Man wartet, pocht und lärmt. Indessen schlich Hans Nord
Sich heimlich mit dem Gelde fort.

Wer war nunmehr der größte Tor zu nennen?
Nord, oder eine halbe Stadt,
Die sich, von Neugier blind, auf sein phantastisch Blatt
Vor seine Bühne drängen können?

Du lachst; doch weißt du auch, daß du durch gröbre List
So leicht, wohl leichter noch, zu hintergehen bist?
Was braucht wohl ein Hans Nord, versehn zum Bücherschmieren,
Was braucht er, um dich zu verführen?
Ein wunderbares Titelblatt,
Das den Betrug schon bei sich hat:
Er will die ganze Welt durch Goldtinktur kurieren,
Durch einen Schluß dich klug und glücklich demonstrieren,
Sein gründlich Wörterbuch erspart dir das Studieren,
Er lehrt ohn Umgang dich die Kunst zu konversieren,
Er lehrt dich ohne Müh sinnreich poetisieren,
Dich ohne Kosten Wirtschaft führen;
Und glücklich läßt du dich das Wunderbare rühren,
Erstaunt und eilst und kaufst und liest,
Was denn? – Daß du betrogen bist.

2. Die Geschichte von dem Hute.

Das erste Buch.

Der erste, der mit kluger Hand
Der Männer Schmuck, den Hut, erfand,
Trug seinen Hut unaufgeschlagen;
Die Krempen hingen flach herab,
Und dennoch wußt er ihn zu tragen,
Daß ihm der Hut ein Ansehn gab.

Er starb und ließ bei seinem Sterben
Den runden Hut dem nächsten Erben.

Der Erbe weiß den runden Hut
Nicht recht gemächlich anzugreifen;
Er sinnt und wagt es kurz und gut,
Er wagts, zwo Krempen aufzusteifen.
Drauf läßt er sich dem Volke sehn;
Das Volk bleibt vor Verwundrung stehn
Und schreit: Nun läßt der Hut erst schön!

Er starb und ließ bei seinem Sterben
Den aufgesteiften Hut dem Erben.

Der Erbe nimmt den Hut und schmält:
Ich, spricht er, sehe wohl, was fehlt.
Er setzt darauf mit weisem Mute
Die dritte Krempe zu dem Hute.
Oh, rief das Volk, der hat Verstand!
Seht was ein Sterblicher erfand!
Er, er erhöht sein Vaterland!

Er starb und ließ bei seinem Sterben
Den dreifach-spitzen Hut dem Erben.

Der Hut war freilich nicht mehr rein;
Doch sagt, wie könnt es anders sein?
Er ging schon durch die vierten Hände.
Der Erbe färbt ihn schwarz, damit er was erfände.
Beglückter Einfall! rief die Stadt,
So weit sah keiner noch, als der gesehen hat.
Ein weißer Hut ließ lächerlich.
Schwarz, Bruder, schwarz! so schickt es sich.

Er starb und ließ bei seinem Sterben
Den schwarzen Hut dem nächsten Erben.

Der Erbe trägt ihn in sein Haus
Und sieht, er ist sehr abgetragen;
Er sinnt und sinnt das Kunststück aus,
Ihn über einen Stock zu schlagen.
Durch heiße Bürsten wird er rein;
Er faßt ihn gar mit Schnüren ein.
Nun geht er aus, und alle schreien:
Was sehn wir? Sind es Zaubereien?
Ein neuer Hut! O glücklich Land,
Wo Wahn und Finsternis verschwinden!
Mehr kann kein Sterblicher erfinden,
Als dieser große Geist erfand!

Er starb und ließ bei seinem Sterben
Den umgewandten Hut dem Erben.

Erfindung macht den Künstler groß
Und bei der Nachwelt unvergessen;
Der Erbe reißt die Schnüre los,
Umzieht den Hut mit goldnen Tressen,
Verherrlicht ihn durch einen Knopf
Und drückt ihn seitwärts auf den Kopf.
Ihn sieht das Volk und taumelt vor Vergnügen.
Nun ist die Kunst erst hoch gestiegen!
Ihm, schrie es, ihm allein ist Witz und Geist verliehn!
Nichts sind die andern gegen ihn!

Er starb und ließ bei seinem Sterben
Den eingefaßten Hut dem Erben.
Und jedesmal ward die erfundne Tracht
Im ganzen Lande nachgemacht.

Ende des ersten Buches.

Was mit dem Hute sich noch ferner zugetragen,
Will ich im zweiten Buche sagen.
Der Erbe ließ ihm nie die vorige Gestalt.
Das Außenwerk ward neu, er selbst, der Hut, blieb alt.

Und, daß ichs kurz zusammenzieh,
Es ging dem Hute fast wie der Philosophie.

3. Der Greis.

Von einem Greise will ich singen,
Der neunzig Jahr die Welt gesehn.
Und wird mir itzt kein Lied gelingen,
So wird es ewig nicht geschehn.

Von einem Greise will ich dichten
Und melden, was durch ihn geschah,
Und singen, was ich von Geschichten
Von ihm, von diesem Greise, sah.

Singt, Dichter, mit entbranntem Triebe,
Singt euch berühmt an Lieb und Wein!
Ich laß euch allen Wein und Liebe,
Der Greis nur soll mein Loblied sein.

Singt von Beschützern ganzer Staaten,
Verewigt euch und eure Müh!
Ich singe nicht von Heldentaten,
Der Greis sei meine Poesie.

O Ruhm, dring in der Nachwelt Ohren,
Du Ruhm, den sich mein Greis erwarb!
Hört, Zeiten, hörts: Er ward geboren,
Er lebte, nahm ein Weib und starb.


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