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Martin Opitz (von Boberfeld: 1597-1639)

1. Lebenslust.

Ich empfinde fast ein Grauen,
Daß ich, Plato, für und für
Bin gesessen über dir.
Es ist Zeit, hinauszuschauen,
Und sich bei den frischen Quellen
In dem Grünen zu ergehn,
Wo die schönen Blumen stehn,
Und die Fischer Netze stellen.

Wozu dienet das Studieren,
Als zu lauter Ungemach?
Unterdessen läuft der Bach
Unsers Lebens, das wir führen,
Ehe wir es inne werden,
Auf sein letztes Ende hin;
Dann kömmt ohne Geist und Sinn
Dieses alles in die Erden.

Holla, Junge, geh und frage,
Wo der beste Trunk mag sein,
Nimm den Krug und fülle Wein!
Alles Trauern, Leid und Klage,
Wie wir Menschen täglich haben,
Eh uns Clotho fortgerafft,
Will ich in den süßen Saft,
Den die Traube gibt, vergraben.

Kaufe gleichfalls auch Melonen,
Und vergiß des Zuckers nicht;
Schaue nur, daß nichts gebricht.
Jener mag der Heller schonen,
Der bei seinem Gold und Schätzen
Tolle sich zu kränken pflegt,
Und nicht satt zu Bette legt:
Ich will, weil ich kann, mich letzen!

Bitte, meine guten Brüder,
Auf die Musik und ein Glas.
Kein Ding schickt sich, dünkt mich, baß,
Als ein Trunk und gute Lieder.
Laß ich schon nicht viel zu erben,
Ei, so hab ich edlen Wein,
Will mit andern lustig sein,
Wenn ich gleich allein muß sterben.

2. Grabschrift eines Eigennützigen.

Hier lieget Sylvius, der nichts umsonst getan:
Es schmerzt ihn, daß man dies umsonst hier lesen kann.

3. Grabschrift eines Bettlers.

Ohn Haus hab ich gelebt, tot hab ich eines hier,
Im Leben hatt ich nichts, tot bin ich reich dafür.
Mein Leben war nur Flucht, das Grab ist meine Ruh,
Im Leben ging ich bloß, jetzt decket man mich zu.

4. Die Göttin der Gelegenheit.

O wohl dem, der die rechte Zeit
In allen Dingen siehet,
Und nicht nach dem, was allbereit
Hinweg ist, sich bemühet;
Der kennet, was er lieben soll,
Und was er soll verlassen;
Er lebet frei und allzeit wohl,
Und darf sich selbst nicht hassen.

Die Göttin der Gelegenheit
Ist vorne nur mit Haaren,
Im Nacken bleibt sie kahl allzeit;
Drum laß sie ja nicht fahren,
Wenn du sie bei der Stirne hast.
Der Tag geht eilends nieder,
Die Stunden laufen ohne Rast
Und kommen nimmer wieder.

5. Nach Catull.

Wir wollen, Lesbia, gleich lieben und gleich leben,
Und wenn das Alter murrt, nicht soviel darauf geben,
Ja, gar kein Haar darnach auch fragen, was man hört.
Die Sonne, wann die Nacht sich aus der See empört
Fährt schamrot unterhin, und kommt doch morgen wieder,
Geht unser kurzes Licht, o Elend! einmal nieder,
Da schläft man eine Nacht, die immer währen muß.
Drum gib mir tausendmal, dann hundert, einen Kuß,
Noch tausend wollest du, drauf hundert, mir noch reichen,
Dann tausend abermals, einhundert dann ingleichen.
Wann so viel tausend sind, dann mischen wir sie ein,
Daß niemand weiß, wie hoch die Menge möge sein,
Und daß kein böses Maul uns nicht beschreien müsse,
Im Fall es überschlägt die große Zahl der Küsse.


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