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Schenk Ulrich von Winterstetten (um 1247)

Die verführerischen Schenkenlieder.

»Gibts denn schönres nimmer«,
Sprach ein altes Weib,
»Als der Schenke singet?
Wundern muß es mich!
Weh mir, welch Gewimmer,
Das mir in den Leib
Durch die Ohren dringet –
Es ist ärgerlich!
Denn sie gelfern Tag und Nacht
Seine Lieder in den Gassen;
Gutes hat er nie erdacht,
Darum ist sein Sang zu hassen!« –
Dieses hört ich sprechen
Und ich dacht im Sinn:
Führst du, alter Drache,
Irgendsonstwohin!

Höre, sprach die Junge,
Warum hegst du Haß?
Das sollst du mir sagen,
Liebes Mütterlein!
Singt er holder Zunge,
Wen beleidigt das?
Niemand führt drob Klagen,
Will er fröhlich sein. –
»Wollt er nicht entführen dich
Unlängst erst vor meinem Bette?
Kommt er wieder, hüt ich mich,
Daß ich dich vorm Teufel rette!«
Dieses hört ich sprechen
Und ich dacht im Sinn:
Führst du, alter Drache,
Irgendsonstwohin!

Liebe Mutter, schweige,
Sprach das Mägdelein;
Du sollst wohl bedenken,
Daß er schuldlos dran.
Solchen Zorn nicht zeige,
Mutter, laß es sein;
Zürne nicht dem Schenken,
Der gut singen kann.
Meiner Treu, es war ihm leid,
Denn es tats ja doch sein Bruder! –
»Ach was! keiner ist gescheit,«
Sprach sie, »wärs auch gleich ein Fuder!«
Dieses hört ich sprechen
Und ich dacht im Sinn:
Führst du, alter Drache,
Irgendsonstwohin!

»Steh du noch den Leuten
In der Torheit bei,«
Sprach zum Schluß die Alte.
»Ungeratenes Blut,
Was soll das bedeuten?
Du bist allzufrei,
Daß um dich anhalte
Je ein Mann, der gut!
Glaubst du, daß des Schenken Reim
Dir nur gilt, den er gesungen?
Bist die Schönste nicht daheim,
Die er zwingt und schon gezwungen.«
Dieses hört ich sprechen
Und ich dacht im Sinn:
Führst du, alter Drache,
Irgendsonstwohin!

Doch mit lautem Munde
Gleich ein muntres Lied
Fing da an zu singen
Frank und frei die Magd;
Dachte nur der Stunde,
Wo sie Ulrich sieht,
Und mit frohem Klingen
Sang sie unverzagt.
Und die Mutter sprach: »Weh mir,
Liegt der Schenk dir in den Sinnen?
Nur den Kopf verdreht er dir –
Und nun willst du mir entrinnen?«
Liebe Mutter, sprach sie,
Recht erräts dein Sinn:
Ich will in die Ernte –
Oder sonstwohin!

(Z.)


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