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Das Begräbnis hatte auf dem Matthäikirchhof stattgefunden unter einer Begleitung, für die sich die Leichenhalle viel zu klein erwies. Auf dem Platze vor der Halle, bis weit hinein hatten die Leidtragenden gestanden. Falko, der die Honneurs machte, hatte seine ganze Gewandtheit aufbieten müssen, den angesehensten Personen Platz in der Halle und den Damen womöglich Sitze zu verschaffen, in erster Reihe seiner Mutter, Ebba, seiner Else und Chlotilden, die von Dortmund sofort gekommen war und in ihrer Trauerrobe mit dem bethränten Gesicht madonnenhaft schön aussah. Neben der prachtvollen Erscheinung nahm sich Frau Römer, die der Zufall an ihre Seite gebracht, in ihrem dürftigen schwarzen Kleidchen fast kümmerlich aus. Sie entschuldigte ihren Gatten, der wieder einmal auf der Reise sei; sie werde für ihn mit beten und 489 für ihre Kinder und für eine arme Kranke, an der der Verstorbene bewiesen, wie treu er trotzdem den Herrn Jesu im Herzen getragen.
Falko wußte nicht, was die gute Frau damit sagen wollte. Er hatte auch nur mit halbem Ohr hingehört; er mußte Tante Adele, die, als die Hauptleidtragende, zuletzt gekommen war, zu ihrem Platz unmittelbar an dem mit Kränzen und Blumen verdeckten Sarge begleiten.
Wer, wie die Freunde, Tante Adele seit undenklichen Zeiten nur in ihren weißen, griechischen Gewanden gesehen, hätte sie heute in den schwarzen kaum wiedererkannt. Dazu die ganz andere Haltung, der gewandelte Ausdruck des Gesichtes. Trotzdem sie sich sichtlich mühte, die angewohnte Würde zu wahren, brach sie, während Falko sie zu ihrem Sitz geleitete, ein paarmal fast zusammen, so daß der junge Mann sie beinahe tragen mußte; die klassischen Züge hatte der Gram seltsam entstellt: die Muse und Heroine war in den wenigen Tagen eine alte, gebrechliche, krampfhaft schluchzende Frau geworden.
Der Sarg war in die Gruft gesenkt; Tante Adele von Falko zu ihrer Equipage begleitet; neben ihr hatte Frau Brandt Platz nehmen müssen. Tante Adele wollte sie, die Wilfried so treu gepflegt, nicht von ihrer Seite lassen. Hinter ihrem Wagen her löste sich nur mühsam das Gewirr der andern, die auf dem kleinen Platze vor dem Kirchhof aufgefahren waren.
Man hatte bereits eine lange Strecke bis zur Viktoriastraße zurückgelegt und noch hatte Frau Brandt kein Wort gesprochen. Ihre Seele war voll Bitterkeit. Man hatte ihr ihren Toten rauben wollen. Dieser prahlerische Begräbnispomp; all diese Menschen mit ihrer Trauerheuchelei, während sie an Gott weiß was anderes dachten; dieser Prediger, der, offenbar ohne Ahnung von Wilfrieds wahrem Wesen, eine lange Rede gehalten, die auf tausend, in der Blüte ihrer Jahre vom Tode dahingeraffte, 490 vornehme Männer mehr oder weniger paßte – alles und alle hatten es gewollt.
Und diese Frau Geheimrat, diese Tante Adele, die sich seine Mutter nannte, jammernd, daß die Sonne ihres Lebens nun für immer gesunken, der Rest ihres Lebens nur noch Trauer um den Verlorenen sei. Und jetzt, wo ihn kaum die Erde deckte, von der Pracht des Monuments schwärmte, das sie auf dem Grabe ihres Lieblings errichten wollte, mit sich noch nicht ganz einig, ob sie auf den Sockel – in goldenen Lettern – nur den Anfang des Chors der Engel: »Gerettet ist das edle Glied« setzen lassen werde, oder die ganze Strophe, damit »die Liebe, die von oben teilgenommen« auch zu Wort komme – Frau Brandt konnte es kaum noch anhören.
Und als die Frau Geheimrat mit einem jener genialen plötzlichen Übergänge, in denen sich ihre Rede mit Vorliebe zu bewegen schien, plötzlich zu wissen verlangte, was sie denn nun nach ihres Wilfrieds Heimgang mit ihrem Vermögen beginnen solle, richtete sie sich aus ihrer Ecke auf und sagte in ihrer nüchternsten Weise:
Machen Sie damit, was er damit gemacht hätte! Es ist das schönste Denkmal, das Sie ihm errichten können: geben Sie es den Armen!
Ende.