Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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In dem großen Salon der Frau Geheimrat Dürieu zündete der Kammerdiener Mathis die Wachskerzen auf den Wandkandelabern an und den zwei hohen Bronzeständern rechts und links von der Thür, welche in eine Flucht anderer Zimmer führte, die vorläufig unerleuchtet blieben; dann die zwei mit Rosaschleiern verhängten Lampen 107 auf dem Kaminsims; endlich eine besonders stattliche auf dem teppichbedeckten oblongen Tisch in der Mitte des Salons. Nun trat er an die Fenster, deren schwere seidene Vorhänge er zuzog. Bevor er das letzte der drei schloß, hatte er einen fast unwilligen Blick nach draußen geworfen. Es war noch vollkommen hell auf der Straße; an den obersten Kanten der gegenüberliegenden Häuserdächer verglühte sogar erst der letzte Abendschein. Mathis fand das ungehörig. Wenn bei Frau Geheimrat einer ihrer montäglichen Abende war, hatte es draußen dunkel zu sein. Den kleinen Leuten mochte es zu gute kommen, daß so ein Junitag kein Ende nahm; aber »Eines schickt sich nicht für alle«, wie Professor Jarnowitz zu sagen pflegte.

Natürlich von Goethe; Doktor Cramer war das letzte Mal für Schiller. Wie einer nur für Schiller sein kann! Aber gegen Professor Jarnowitz kam er auch nicht auf.

Mathis hielt das Selbstgespräch, während er noch einiges auf dem Theetisch ordnete, an den er dann hinter den mächtigen silbernen Kessel einen der kleineren Fauteuils rückte: für Fräulein Friederike von Ülbach, die ein für allemal »an der Quelle saß«.

Muß doch mal fragen, ob das von Goethe oder Schiller ist, murmelte Mathis, der Schüssel mit belegten Brötchen eine schicklichere Stelle auf dem Tisch anweisend.

Die Rokokouhr auf dem Kaminsims schlug viertel auf acht. Er war also, wie es sich gehörte, auf die Minute fertig geworden. Und da kam auch schon das leise Rauschen von dem Kleide der Gnädigen durch die kleine Tapetenthür, die in ihre Schlafgemächer führte. Mathis brauchte sich nicht umzuwenden – er wußte ohnedies, daß das Kleid weiß sein würde. Die Gnädige trug sich meistens so; an den Theeabenden unbedingt. Es war da auch ein Wort von Goethe im Spiel; Mathis hatte noch nicht herausgebracht, welches. Die Gnädige, die sein »heißes Bemüh'n«, in bescheidener Weise möglichst goethefest zu 108 werden, gern sah und gelegentlich freundlich unterstützte, mochte er nicht fragen: es war etwas von »Ausziehen« dabei.

Frau Geheimrat war nach einigen Schritten stehen geblieben, einen prüfenden Blick über den weiten Raum schickend, wobei sie andächtig leise: »Es glänzt der Saal« flüsterte. Dann schritt sie langsam auf einen der Trumeaus zu, welche an den Fensterpfeilern bis zur Decke aufragten, und blieb da, ihre Erscheinung musternd, stehen. Das lange, faltenreiche Kleid aus feinstem schmiegsamen Wollstoff, ohne der Mode allzusehr Gewalt anzuthun, dem Schnitt eines griechischen Gewandes sich annähernd; das blasse Gesicht mit der fast antiken Reinheit seiner feinen Züge; das kaum hier und da in Grau schattierende, aschblonde, ungewöhnlich volle, von einer Doppelbinde, die über der Stirn eine Agraffe zusammenhielt, umschlungene Haar – so mochte Goethe eine und die andere der vornehmen Damen am Hofe von Weimar mit leiblichen Augen, so die edlen Frauen in Wilhelm Meister: eine Gräfin, eine Makarie in seines Geistes Aug' gesehen haben.

Sie wandte sich vom Spiegel zu dem Alten, der, jetzt ein paar Schritte vom Theetisch, den Kopf ein wenig auf die rechte Schulter geneigt, der etwaigen Befehle der Herrin harrte.

Alles schicklich und anständig; ich danke Ihnen, mein Bester.

Nur meine Schuldigkeit, Gnädige.

Und doch haben Sie eines vergessen, ich möchte sagen: das Hauptstück.

Mathis, erschreckend, folgte mit den Augen dem Blick der Herrin, der auf den großen mit Fauteuils umstellten Tisch geheftet war. Was konnte sie meinen? Die beiden, stets mit Blumen, heute mit Rosen gefüllten silbernen Schalen standen doch auf ihren richtigen Plätzen rechts und links von der Lampe; die Lampe in der Mitte, 109 genau unter dem großen Krystall-Kronleuchter – plötzlich schlug sich der Getreue mit der flachen Hand vor die Stirn.

Habe ich nun recht? sagte die Dame lächelnd, wenn ich von dem Hauptstück sprach? Gehen Sie, mein Bester!

Mathis ging, ganz geknickt. Ein solch grausames Versehen war ihm in zehn Jahren nicht passiert. In der Thür stieß er fast auf einen kleinen alten Herrn, der sehr eilfertig herankam.

Verzeihen Herr Justizrat!

Les beaux esprites se rencontrent, rief der alte Herr in munterem Ton. Ah! da ist sie ja: Iphigenie oder Leonore d'Este, oder als was soll ich Sie heute verehren?

Er war mit kurzen, trippelnden Schritten auf die Dame zugelaufen und hatte ihr die Hand geküßt. Sie lächelte auf den Freund herab.

Sie Lieber, Guter, wie schnell Sie meiner Bitte gefolgt sind!

Ich hatte gerade eine halbe Stunde Zeit. Und da Sie es so eilig machten –

Es ist nur – aber setzen wir uns doch!

An den sakrosankten Tisch? Um keinen Preis! Der Stuhl selbst würde den Unwürdigen von sich stoßen.

Die Geheimrätin lächelte:

»Von allen Geistern, die verneinen« – Sie wissen ja, mein würdiger Freund. Also hier!

Sie hatte auf einem der Divans, die durch den Raum verteilt waren, Platz genommen und den Justizrat an ihre Seite gewinkt.

Also, weshalb ich Sie habe bitten lassen. Unsere Angelegenheit ist plötzlich in ein neues Stadium getreten. Heute morgen ein reizendes Billet von meiner anmutigen Ebba: die jungen Leute haben sich gestern abend entschlossen, noch in diesem Herbst, anstatt nächstes Frühjahr zu heiraten. Sie bittet mich dringend, Wilfried zu bestimmen, mit dem Ankauf des Gutes nicht länger zu 110 zögern. Nun, an uns soll es nicht fehlen. Von Ihnen aber, mein Freund, wünsche ich zu wissen, ob diese neueste Wendung irgend welche Veränderung in dem Testament nötig macht; sodann ob diesem Gutskauf, der mir so am Herzen liegt, irgend welche finanzielle Bedenken unsererseits im Wege stehen.

Auf das Testament, verehrte Freundin, erwiderte der Justizrat, hat der frühere Hochzeitstermin nicht den mindesten Einfluß. Und was den Gutskauf betrifft, so kann ich nur wiederholen, daß, sein Geld in Landbesitz anzulegen, heutzutage alles Mögliche, nur kein rentables Geschäft ist. Aber von einem Geschäft, was man unter nüchternen Leuten so nennt, ist ja in diesem Falle nicht die Rede. Man könnte eher von einem Wolkenkuckucksheimprojekt sprechen. Sie sagen: es liegt Ihnen am Herzen. In der angenehmen Situation, es sich leisten zu können, sind Sie! Eh bien! leisten wir es uns!

Wer Sie so reden hörte, mein Lieber, sagte die Dame, er müßte mich wahrlich für einen jener Leute halten, die Goethe, wenn sie die dreißig erreicht haben, ans Kreuz zu schlagen rät.

Woher da alles Holz nehmen, Verehrteste! Die Welt wimmelt heutzutage von Schwärmern. Übrigens, der Schwärmerei möchte ich Sie nicht anklagen. Nur ein Stück Phantasterei steckt in dem Projekt, und dabei bleib' ich.

Sagen Sie jetzt noch statt Phantasterei Phantasie, und ich bin befriedigt.

Um die Phantasie mag es eine ganz schöne Sache sein, vermute ich, wenn es sich um Kunstdinge handelt, in denen ich ein für allemal ein Barbar bin. Im praktischen Leben, wo ich ein bißchen besser zu Hause zu sein glaube, spielt sie eine recht bedenkliche Rolle.

Darüber werden wir uns schwerlich jemals einigen.

Ich fürchte auch.

Und doch liegt mir so viel daran, daß mein älteste Freund mich auch in diesem Falle wenigstens versteht.

111 Ich verlange nichts besseres.

So will ich versuchen, was für mich in dieser Angelegenheit das treibende Motiv ist, Ihnen verständlich zu machen. Sie werden sehen, wie lange man befreundet gewesen sein kann, ohne doch von gewissen Partieen seines Herzenslebens den Schleier gelüftet zu haben.

Eine feine Röte hatte die bleichen Wangen der Dame gefärbt; mit halbgeschlossenen Augen blickte sie auf die im Schoß gefalteten schlanken, weißen Hände. Der Justizrat unterdrückte mit Mühe eine Bewegung der Ungeduld. Seine Zeit war wirklich knapp gemessen, und er wußte aus langer Erfahrung, wie gut die verehrte Freundin zu reden verstand und – wie gern sie sich reden hörte. Überdies, was konnte sie ihm Neues zu erzählen haben – ihm! Aber davon half ihm nichts.

Ich bin ganz Ohr, sagte er, den kahlen Kopf ein wenig auf die Seite neigend und nach dem Kronenleuchter hinaufblinzelnd, dessen Krystalle in allen Regenbogenfarben spielten.

* * *


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