Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Wilfried kannte Herrn Levy schon seit ein paar Jahren. Sie waren sich auf den Auktionen von Bildern und Kunstgegenständen, die er von jeher eifrig besucht hatte, oft begegnet; wiederholt hatte er die Vermittelung des rührigen, intelligenten Mannes bei schwierigeren Käufen in Anspruch genommen. Auch wußte er, daß Herr Levy sein Geschäft gelegentlich im Großen trieb und ganze Einrichtungen erstand, wenn in der Masse sich eine hinreichende Anzahl von Objekten fand, die auf dem Kunstmarkt Kurs hatten.

Es wäre mir lieb, sagte er, wenn sich herausstellen sollte, daß das letztere hier der Fall ist.

Der Herr Graf wollen auf lange Zeit, auf Jahre verreisen? fragte Herr Levy.

Wilfried konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Der Erklärungsgrund mußte wohl sehr nahe liegen, wenn der biedere Stallmeister und der welterfahrene Händler gleicherweise zuerst darauf verfielen.

Ich dürfte auch andere Gründe haben, erwiderte er.

Ich bitte um Verzeihung; ich wollte nicht indiskret sein, sagte Herr Levy. Warum der Herr Graf verkaufen will, ist seine Sache. Und ob ich kaufen kann –

Er ließ seine kleinen, klugen Augen über die Bilder an den Wänden des Empfangszimmers schweifen, in welchem sie sich befanden.

363 Es sind zum Teil alte Bekannte von Ihnen; sagte Wilfried.

Zu einem guten Teil, erwiderte Herr Levy. Mit der Abschätzung dessen, was dieser Raum enthält, wäre ich so ziemlich im reinen.

Desto besser, sagte Wilfried; die Thür zu seinem Arbeitszimmer öffnend.

Sie wollen auch die Bibliothek veräußern, Herr Graf?

Mit Ausnahme einiger wenigen und nicht eben wertvollen, juristischen Bücher.

Da dürfte es mit der Taxation nicht so schnell gehen. Wollen Sie mir vorher einen Blick in die anderen Räume erlauben?

Wilfried führte seinen Besucher in das Speisezimmer.

Das ist allerdings sehr viel mehr, als ich erwartet habe, sagte Herr Levy, nachdem er eine Zeitlang aufmerksam umhergeblickt, auch einzelne, ihm besonders auffallende Gegenstände in die Hand genommen und genau betrachtet hatte. Da wird mir der Herr Graf wohl eine längere Zeit gestatten müssen.

Was nennen Sie eine längere Zeit?

Ein bis zwei Stunden etwa.

Wilfried besann sich einen Moment. Er hätte das Geschäft, das sich gut anzulassen schien, so gern auf der Stelle zu stande gebracht.

Ich will Ihnen einen Vorschlag machen, sagte er; ich lasse Sie solange hier allein, und bitte Sie, zu thun, als ob Sie zu Hause seien. Mein Diener wird Ihnen, wann und wie Sie es wünschen, behilflich sein; auch für eine Erfrischung die nötige Sorge tragen.

Verbindlichsten Dank, Herr Graf; der letzteren bedarf es nicht: ich nehme, während ich in Geschäften bin, niemals etwas zu mir.

Wie Sie wollen. Sonst ist Ihnen mein Vorschlag genehm?

Ich glaube, wir kommen so am schnellsten zum Ziel.

364 Ich verschwinde also auf zwei Stunden.

Wilfried rief Zunz, der sich inzwischen mit Hülfe seiner Kündigung von gestern die mysteriöse Erscheinung des sehr jüdisch aussehenden Herrn, der keine Karte abgegeben und keinen Namen genannt, zu deuten versucht und dabei zu einem sehr betrübenden Resultat gekommen war. Den Auftrag, der ihm jetzt wurde: dem Herrn auf seinen Wunsch zur Hand zu sein, nahm er mit der Miene eines Mannes entgegen, der die Schiffe, die ihn hätten retten können, hinter sich verbrennen sieht. Das freundliche Gesicht, das der Herr Graf dabei machte, kam ihm frevelhaft vor. Wie konnte er lächeln, wenn er gestern seinen alten Diener entlassen hatte und heute seine kostbare Einrichtung an den Juden verkaufen wollte?

* * *


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