Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Bereits der zweitfolgende Tag brachte die Erklärung.

Geliebter!            

Wenn diese Zeilen Dich erreichen, sind wir bereits seit vierundzwanzig Stunden auf dem Schiff, das uns nach Amerika bringen soll. Ich werde nie wieder zurückkehren und bitte Dich, mir nicht zu folgen. So haben wir uns denn neulich abends zum letztenmale gesehen.

Es muß sein, Geliebter.

In jener Nacht, als Du uns den Fritz brachtest und dann, nachdem Du mich noch zur Apotheke begleitet, gegangen warst; auch Herr Doktor Brandt fort und ich allein war mit unserm Elend: Fritz in Fieberphantasien, unser liebes Gretchen sterbend, die Mutter in stummer, ratloser Verzweiflung, der Vater, aus seinem Rausch erwacht, sich und die Welt verfluchend – da habe ich einen heiligen Schwur gethan, diese unglücklichen Menschen nie zu verlassen und, wenn es sein müßte, lieber mit ihnen zu Grunde zu gehen, als für mich allein ein Glück zu gewinnen.

Den Schwur aber that ich, weil ich Dich liebte bei dem ersten Blick in Deine geliebten Augen, bei dem ersten Ton von Deiner sanften Stimme, dem ersten Deiner barmherzigen Worte und wußte, daß ich Dein sein mußte, wann immer Du mich haben wolltest –

460 Dann bist Du gekommen und hast gesagt: Du wolltest mich –

Großer Gott, das Glück war so grenzenlos! Da mußt Du mir verzeihen, daß ich ein paar Tage thöricht genug war, zu glauben, solche Seligkeit sei auf Erden möglich.

Dann kam die Besinnung, daß ich nur die Wahl hätte, ob ich meinen Schwur brechen und die Eltern verlassen wollte um Dich; oder ihn halten und Dich verlieren.

Geliebter: mit diesen meinen Eltern konnte ich, kann ich Dein Weib nicht sein.

So denn: laß mich mit ihnen ziehen, und kehre Du wieder zurück in das Leben, für das Du geboren bist, und aus dem Du Dich aus großer Liebe zu mir gerissen hast. Und aus Liebe zu mir hättest Du das Leben, wie es sich nun neu und häßlich für Dich gestaltet hatte, weiter getragen. Nicht lange mehr. Du standest am Ende Deiner Kraft. Das hat mir der Tag in Grünau gezeigt. Lieber sterben, als solchen Tag noch einmal erleben –

Geliebter, Du wirst sehr traurig sein und, was das Schrecklichste für mich ist: an meiner Liebe zweifeln –

Ich muß auch das tragen.

Leb wohl, Geliebter!

Ich werde Dich nie vergessen, nie wieder einen andern lieben. Vergessen wirst auch Du mich nicht. Kannst Du nach mir eine andre lieben – Gottes reichster Segen über sie und Dich!

Noch einmal – ach, zum letztenmal: leb wohl!

Lotte.

Bleich bis in die Lippen, mit einer Hand, die bebte, aber mit zornig funkelnden Augen hatte Wilfried Friederiken den Brief gereicht.

Während sie ihn las, war auch sie sehr bleich geworden; dann blickte sie angstvoll zu ihm auf.

Nun?

Wilfried – zürne ihr nicht! Sie konnte nicht anders!

461 Wirklich? Ach! Ihr Weiber seid Euch alle gleich!

Er hatte mit einer heftigen Bewegung ihr den Brief aus der Hand genommen, ihn zerrissen, die zusammengeballten Stücke in das Rosenbeet geworfen, an dem sie standen, und sich von ihr gewandt.

Friederike blickte ihm traurig nach.

Der Unglückliche! Daß selbst die Besten unter ihnen nicht fassen, wie sehr wir Frauen lieben können!

* * *


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