Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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479 Noch bevor Falko kam, hatte Wilfried Zunz zu Frau Rehbein geschickt und sie ersuchen lassen, da er augenblicklich nicht abkommen könne, ihn mit ihrem Besuche zu beehren.

Falko war eben gegangen, als Frau Rehbein gemeldet wurde. Zunz, der keine Ahnung davon hatte, was seinem Herrn am nächsten Morgen bevorstand, hatte, ohne seiner Dienerwürde etwas zu vergeben, der früheren Wirtin seines Herrn die gegenwärtige Lage der Dinge doch klar machen zu müssen geglaubt: der Herr Graf sei jetzt wieder ganz der Herr Graf; auf Falkenburg an Stelle des hochseligen Fürsten kommandierend; ausgesöhnt mit der Frau Geheimrat in der Viktoriastraße, die ihm – er wisse selber nicht, wie viele Millionen hinterlassen werde, und die zu besuchen, nebenbei die alte Excellenz von Frötstedt zu begraben, er auf ein paar Tage nach Berlin gekommen sei.

Frau Rehbein dankte in der Stille Gott, daß sie – ein paar unselige Zweifelstage im Anfang ausgenommen – immer in ihm den vornehmen Herrn gesehen und respektvoll, seinem Range gemäß, behandelt habe. Zu dem Besuche hatte sie ihr schwarzseidenes Sonntagsausgehekleid angelegt, und war herzklopfend dem Kellner über die dicken Läufer auf Treppe und Korridoren bis zum Salon des Herrn Grafen gefolgt.

Um zu finden, daß er, nun »wieder ganz der Herr Graf« in dem prachtvollen Hotel-Salon, womöglich noch höflicher und freundlicher sich gab, als bei ihr in der Hinterstube nach dem Garten.

Da glaubte denn auch Frau Rehbein, »aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen« und dem Herrn Grafen einmal offen sagen zu sollen, was sie sich bei der ganzen Sache gedacht habe. Die Lotte sei ja gewiß so weit ein vortreffliches Mädchen gewesen, wie es ihrer nicht viele bei so kleinen Leuten gebe; auch ganz hübsch, wenngleich schwarze Augen, die sie immer an die Rattifalli-Mausifalli-Jungen erinnerten, nicht eigentlich ihr Geschmack. Daß sie den Herrn Grafen sehr geliebt gehabt, könne sie ihr beim besten 480 Willen so hoch nicht anrechnen. Das hätte jede andere an ihrer Stelle auch gethan. Wohl aber ihre Abreise nach Amerika, die immerhin für ihren Verstand spreche, obgleich der Onkel, der sie hinübergerufen, nur in mäßigen Vermögensverhältnissen zu sein scheine; und der Herr Graf gewiß für sie gesorgt hätte, wenn auch von Heirat natürlich nie die Rede sein konnte. Schwer genug sei ihr der Abschied darum doch geworden, dem armen Ding. Noch am letzten Tage sei sie herübergekommen: sie möchte wenigstens einmal das Zimmer des Herrn Grafen gesehen haben. Aber lange sei sie nicht geblieben, nur eben durchgegangen, im Vorübergehen das Sofa und den Lehnstuhl vor dem Cylinderbureau streichelnd.

Ordentlich, als ob es Menschen wären, Herr Graf. Weiß Gott, Herr Graf, mir sind dabei die Thränen gekommen. Und als der Junge, der Fritz, so schrecklich weinte, weil er seinen lieben Herrn Grafen nicht wiedersehen sollte. Gott! man ist doch auch mal jung gewesen, und weiß, wie so was ans Herz greift.

Frau Rehbein begleitete diese Worte mit der entsprechenden Geste und rief: Jesses, hätt' ich das doch beinahe vergessen!

Aus einem Pompadour, den sie fortwährend auf dem Schoß gehalten, nahm sie einen Brief. Der sei heute mit der Post gekommen; erst in die alte Wohnung des Herrn Grafen; dann zu ihr. Sie würde ihn dem Herrn Grafen nach Falkenburg geschickt haben; bloß daß der Herr Graf ja nun selber da sei. Und was denn nun aus den Möbeln der Schulzschen Leute werden solle? Fräulein Lotte habe gesagt: es gehöre ihnen kein Stück, alles dem Herrn Grafen.

Nehmen Sie davon, was Sie für sich glauben brauchen zu können; das andre geben Sie an arme Leute.

Frau Rehbein war über diese Großmut sehr gerührt.

Nicht, als ob sie es nötig habe! Gott sei Dank nein! Aber das gute Herz von dem Herrn Grafen! Sie habe 481 aber auch immer zu ihrer Agnes gesagt: Agnes, so ein gutes Herz, wie das von dem Herrn Grafen! Der ist viel zu gut für diese Welt.

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