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Die beiden älteren Damen hatten an dem Tische Platz genommen, Tante Adele in der Mitte der Längsseite unmittelbar vor dem Sammetkästchen, die Baronin zu ihrer Linken; Friederike war an den Theetisch getreten, sich zu überzeugen, daß die Flamme unter dem Kessel regelrecht brannte und sich auch sonst alles in der hergebrachten wünschenswerten Ordnung fand. Mathis hatte sich ihr zur Seite gestellt und nahm nun die beiden ersten Tassen entgegen, die er zu den Damen an den großen Tisch trug.
Ein entzückender alter Herr, der Justizrat, sagte die Baronin, der sich um uns bei der Regelung der 118 Angelegenheiten nach dem Tode meines Gatten ein großes Verdienst erworben hat. Und ein geistreicher Kopf! Wie schade, daß Sie ihn nicht für unsern intimeren Zirkel gewinnen konnten!
Ich habe nie auch nur den Versuch gemacht, meine Liebe, erwiderte Tante Adele. Wenn auf einen Sterblichen das Wort paßt: ›Und haben alle Götter sich vereinigt‹ – so ist er es. Wie die Frau in der Kirche, muß er verstummen, wo die Musen das Wort haben und die Grazien walten. Er ist durchaus aus dem Geschlecht der Werner, wie mein Gatte es war.
Und der meine, sagte die Baronin mit einem leisen Seufzer.
Ja, meine Liebe, ›der Frauen Schicksal‹ – darin hatte meine geliebte Schwester nichts vor mir voraus.
Und hat sie darunter gelitten, wie wir?
Ich möchte es nicht behaupten. Der fürstliche Rang entschädigte für vieles. Dann die beiden Kinder. Ob sie freilich an dem ältesten Freude gehabt hätte –
Aber, meine Liebe, ich höre den Fürsten nur rühmen.
Ich tadle ihn nicht. Nur: er ist in jeder Beziehung der Sohn seines Vaters, das strikte Gegenteil meines lieben Wilfried.
Der freilich Ihr Zögling ist.
Ich darf mich dessen rühmen.
Und er verdankt Ihnen nicht bloß die Bildung seines Geistes und Gemütes; Sie sind ja auch sonst seine Vorsehung gewesen.
Dessen rühme ich mich nicht, meine Liebe. Mein Herz wies mich auf ihn, seine Verlassenheit ihn auf mich an. Starben ihm die beiden Eltern doch so früh, ohne daß für seine Zukunft, sein Fortkommen in der Welt auch nur im mindesten gesorgt gewesen wäre. Das Falkenburgsche Majorat ist nichts weniger als ein wirklich reicher Besitz; und der Großvater, der nach allem, was ich von ihm in Erfahrung gebracht habe, an Leichtlebigkeit es mit dem 119 Grafen Egmont aufgenommen haben muß, hatte eine gewaltige Schuldensumme aufgehäuft. Es ist gewiß höchst ehrenwert von dem verstorbenen Fürsten, daß er, den keine rechtliche Verbindlichkeit dazu zwang, man darf wohl sagen, sein Letztes hergab, die Gläubiger zu befriedigen; und – unter uns – Fürst Dagobert, der eben ganz der Sohn seines Vaters ist, hat bis auf den heutigen Tag an der ererbten Last schwer zu tragen. Wie wenig da aber für die übrigen Mitglieder der Familie blieb – nun, Sie kennen ja den General, der das leidige Lied seiner Armut vom Morgen bis zum Abend singt. Und mein Wilfried wäre in derselben Lage gewesen. Würde es mir angestanden haben, ihn, der Licht und Wärme in mein vereinsamtes Leben gebracht hat, sein Brot mit Thränen essen, kummervolle Nächte weinend auf seinem Bette sitzend verbringen zu lassen?
Tante Adele tupfte mit dem Spitzentaschentuch auf ihre Augen; die Baronin drückte ihr gerührt die herabhängende Linke.
Ja, ja! murmelte sie: ›edel sei der Mensch, hilfreich und gut‹.
Kommt Graf Wilfried heute nicht, Tante Adele? fragte Friederike vom Theetisch her.
Zweifellos, erwiderte Tante Adele, das Tuch in den Schoß sinken lassend; ich begreife nicht, weshalb er nicht längst hier ist. Sie wissen, er pflegt sonst vor den andern Freunden zu kommen. Und gerade heute hatte ich eine Sache von großer Wichtigkeit mit ihm zu besprechen.
Eine poetische? gewiß! rief Friederike.
Doch nicht, liebes Kind. Ist es die einzige Klage, zu der mir der Gute Anlaß giebt: daß er den Musen nicht opfern will.
Und hat schon als Knabe so schöne Gedichte gemacht, die mich immer an Goethes Jugendlieder gemahnt haben!
Solltest Du da nicht zu weit gehen! erinnerte die Mutter.
120 Ja, sie geht zu weit, das enthusiastische Kind; sagte Tante Adele. Was aber könnte man auch mit den wunderherrlichen Liedern vergleichen, die der Genius der lyrischen Poesie selber diktiert zu haben scheint! Ach, liebes Kind, das war und kommt nie wieder. ›In demselben Flusse schwimmst Du nicht zum zweitenmal.‹
Und doch könnte man heute wohl von einem Shakespeare redivivus sprechen, klang hier eine sonore Männerstimme in das Gespräch der Damen.
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