Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Aber Wilfried war nicht weniger heiter gestimmt, als er jetzt, auf die Straße gelangt, mit raschen Schritten dahinging, als gelte es eine eiligste Besorgung. Das schien ein so guter Tag werden zu wollen, wie der gestrige ein schlimmer gewesen war! Kam ihm doch alles entgegen, als wollte es ihm sagen: Siehst Du, wo ein Wille ist, da ist ein Weg!

Auf dem Lützowplatz stand er still. Wie sollte er weiter die beiden Stunden zubringen? Bis jetzt war kaum eine halbe vergangen.

Es fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, dem Stallmeister zu sagen, er möchte auch die beiden, noch ganz neuen wertvollen englischen Sättel und das übrige Zaumzeug verkaufen. Warum das Versäumte nicht sofort nachholen!

Er setzte seinen Weg nach der Nürnbergerstraße fort.

In dem sehr langen, durch das Vordergebäude geführten Gang, der zur Reitschule auf dem Hof leitete, sah er, Arm in Arm, ein Paar auf sich zukommen, von dem er, der eben aus dem grellen Sonnenlicht in den Dämmer getreten war, nur sah, daß der Herr ein Offizier war, und das er erst erkannte, als man sich auf wenige Schritte einander genähert hatte: Ebba und Graf Leßberg. Sie ihrerseits hatten in eifrigem Gespräch den Entgegenden nicht beachtet; so war das Erkennen gleichzeitig. An ein Ausweichen war 367 schlechterdings nicht zu denken. Wilfried bemerkte, daß Leßberg zusammenzuckte und Ebbas Arm loslassen wollte, was sie aber durch eine schnelle energische Bewegung verhinderte. Es war das völlig in ihrer kecken Art und gab ihm im Nu die Fassung wieder, die ihm die unliebsame Begegnung doch für den Moment geraubt hatte. Da der Gang zu schmal war, um zu Drei bequem aneinander vorüberzukommen, trat er, gesellschaftlich höflich den Hut ziehend, ein wenig beiseite. Der Graf grüßte verbindlich zurück, augenscheinlich der Meinung, es sei auch Ebbas Wunsch, durch rasches Weiterschreiten möglichst schnell aus der mißlichen Lage zu kommen; hatte sich indessen abermals verrechnet. Ebba machte, jetzt ihren Arm zurückziehend, mit ausgestreckter Hand einen Schritt auf Wilfried zu, mit heiterer Stimme rufend:

Sieh da, Wilfried! Famos, daß wir uns hier treffen! Da kann ich Dir ja gleich meinen Verlobten vorstellen.

Ihre braunen Augen blitzten; die anmutigen Wangen waren leicht gerötet; unter dem kleinen Hut quoll das prachtvolle Haar in übermütigen Locken rings hervor; das knapp anliegende schwarze Reitkleid brachte ihren zierlich üppigen Wuchs zur vollsten Geltung – Wilfried hatte das schöne Mädchen kaum je so schön gesehen; aber von dem Zauber, mit dem sie ihn einst umsponnen, verspürte er nichts. Er blickte auf sie, die vor ihm stand, wie auf ein reizvolles Porträt, bei dem der Künstler die Absicht, den Beschauer zu kaptivieren, nur zu deutlich hatte hervorscheinen lassen; und die verblüffte Miene Leßbergs, der offenbar gern hundert Meilen von dieser Stelle gewesen wäre, hätte ihn beinahe laut auflachen machen.

Meinen verbindlichsten Glückwunsch, sagte er, Ebbas kleine Hand loslassend, und die zögernd ausgestreckte Leßbergs mit ein paar Fingern streifend.

Wir werden nämlich keine Karten herumschicken, fuhr Ebba fort, als handelte es sich um die unverfänglichste Sache von der Welt. Ich finde es viel hübscher, seine 368 Bekannten privatim von der Chose zu unterrichten. Man kriegt dabei so allerliebst verdutzte Gesichter zu sehen. Findest Du nicht auch?

Aber selbstverständlich! bestätigte Wilfried in dem angenehmen Bewußtsein, kein verdutztes Gesicht gemacht zu haben.

Nicht wahr? plauderte Ebba weiter. Diese Karten sind entsetzlich vulgar. Falko ist ganz derselben Ansicht. Freilich in seinem Fall! Mit den Wölfen muß man heulen! Du weißt doch, daß Falko sich verlobt hat?

Mit Fräulein Bielefelder. Er war gestern morgen bei mir, es mir mitzuteilen.

Ja, und was hast Du denn dazu gesagt?

Ich habe ihm von Herzen gratuliert. Fräulein Else ist ein sehr hübsches, sehr pikantes und – sehr reiches Mädchen.

Der gute Junge! Er schwimmt ja auch in Glück! Aber was habe ich für Mühe gehabt, die Alten herumzukriegen! Sie wollten erst gar nicht heran.

Ich kann es mir denken; sagte Wilfried, der sich eines ironischen Lächelns nicht enthalten konnte, das Ebba nicht zu bemerken schien.

Besonders die Mama war ganz aus dem Häuschen. Na: Falkenburg und Bielefelder – das ist auch reichlich komisch. Das findest Du doch gewiß auch.

Es kommt eben auf die Auffassung an.

Ganz was ich zu Mama gesagt habe: wie man es nimmt. Und man muß alles von der besten Seite nehmen.

Aber Ebba – sagte Leßberg, ihr seine Uhr hinhaltend, bevor er sie wieder in die Beinkleidertasche gleiten ließ.

Herr Gott, ja! Wir wollten noch einen Besuch bei Excellenz Treuenfels machen! Die alte Klatschbase würde es uns nie vergeben. Also, adieu, Wilfried! Und wenn Du mal einen dieser Abende nichts Besseres zu thun hast – wir werden uns riesig freuen. Nicht wahr, Botho?

Aber selbstverständlich! beeilte sich Leßberg zu rufen.

369 Man reichte einander nochmals die Hände; Ebba nahm wieder Leßbergs Arm, und das Paar schritt weiter den Gang hinab der Straße zu, während Wilfried seinen Weg nach dem Hof und dem Reitstall fortsetzte.

Der Stallmeister, der zu seinem Schrecken vom Hofe aus der Ferne die Begegnung der Herrschaften in dem Gange beobachtet hatte, war verwundert, als er in Wilfrieds Mienen keine Spur von Mißvergnügen entdecken konnte. Er hatte die »lange Reise« und den Verkauf des Braunen in engsten Zusammenhang mit der Entlobung gebracht und, da er ganz auf Wilfrieds Seite stand, die Kundschaft des Grafen Leßberg gern darangegeben.

Aber ihn abweisen konnte ich doch auch nicht, sagte er, als er vorhin mit der Komtesse kam und sagte, daß er eines seiner Pferde bei uns einstellen wolle. Dazu waren zu viele Stände gerade jetzt frei – er brauchte sich ja nur im Stall umzusehen. Er ist darauf eine halbe Stunde mit der Komtesse in der Bahn geritten – ich hatte ihm die Emma gegeben – der Herr Graf wissen, was für ein obstinater Racker das ist, obgleich sie gute Figur macht. Bin auch nicht von der Estrade in der Bahn während der ganzen Zeit weggegangen, obgleich ich da nichts zu suchen hatte – bloß um ihn zu ärgern.

Aber warum das, Herr Barlow? sagte Wilfried, als ob er den Sinn von des braven Mannes Rede durchaus nicht verstanden habe; Graf Leßberg ist zweifellos ein guter Kunde, der womöglich das halbe Regiment hinter sich herzieht.

Na ja! sagte der Stallmeister, innerlich tief gekränkt.

Aber so waren diese vornehmen Herrschaften. Wenn ihnen das Herz brach, lächelten sie dazu. Wenn ein ehrlicher Kerl ihnen seine Teilnahme beweisen wollte, ließen sie ihn abfallen. Und dieser hier war noch einer der allerbesten von ihnen! Da sollte man nun nicht Socialdemokrat sein!

370 Wilfried hatte seinen Auftrag wegen der Sättel erteilt und darauf bestanden, daß der Stallmeister fünfzehn Prozent von dem Erlös für seine Mühe nehmen müsse, während dieser höchstens von zehn wissen wollte.

Doch ein nobler Herr, meinte er, der schlanken, elastischen Gestalt, wie sie sich raschen Schrittes über den Hof entfernte, mit Kennerblicken nachschauend. Geborener Reiter. Wie dem die Komtesse das lange Gereff mit dem Fuchsbart hat vorziehen können! Wenn der man mit ihr fertig wird! Die hat wohl noch mehr Mucken als die Emma.

* * *


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