Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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7. Religion.

Das Abstracte in der Philosophie hat mir immer fern gelegen, dennoch bin ich mit vielen ihrer Gedanken einverstanden, solange sie den Charakter des Unmittelbaren an sich tragen. Aber mit der Systematik scheint mir in der 250 Geschichte der Philosophie das Böse hervorzutreten. Einer der widerstrebendsten Gedanken ist für mich der des Zusammenhanges. Sind wir denn wirklich im Stande ihn überall zu erkennen? Ist es nicht frömmer, menschlich edler und aufrichtiger, einfach zu bekennen, daß wir ihn nicht wahrzunehmen vermögen, daß unsere Erkenntniß sich nur auf Einzelnes bezieht, und daß man sich resignire? Gewiß ist es löblich, daß jeder verständige Mann seine Grundsätze habe, und danach sein Denken und Handeln einzurichten suche, aber die Philosophen wollen den Zusammenhang um des Zusammenhangs willen, sie machen ihn und verknüpfen das Einzelne, um ein System zu haben, und haben sie es, so schütten sie in dieses Fachwerk alles Mögliche hinein was paßt und nicht paßt. Alles soll fertig sein. Aber der Mensch kann und soll nicht Alles wissen. Er vermag die Dinge stets nur von einer Seite zu sehen, und darin liegt die Einseitigkeit aller Systeme. Man kann sich wie in gewisse Gefühle, so in eine bestimmte Auffassungsweise hineinstudiren. In der Beziehung hat Wackenroder ein großes und kühnes Wort ausgesprochen: »Systemglaube ist schlimmer als Aberglaube.«


Die Welt des Glaubens, der einfachen Andacht und der systematischen Forschung sind so verschieden, sie gehen von so verschiedenen Anschauungen und Bedingungen aus, daß ihre Vereinigung fast unmöglich erscheint. Ich glaube man wird wieder auf Kant zurückkommen, der beide streng voneinander schied. Fichte behauptete, er erkläre die Religion erst durch seine Philosophie, und Hegel ist derselben Meinung gewesen.


251 Das Wunder war nicht vor unserer Zeit, es ist zu allen Zeiten. Es ist kein außerordentlicher Zustand, es umgibt uns an allen Orten; es ist in uns, außer uns, unser ganzes Dasein ist ein Wunder. Aber der Mensch ist stumpf dagegen geworden. Die Schwere des Lebens ergibt sich daraus, daß tiefere Naturen das Wunder ahnen, aber nicht erklären können.


Jeder Mensch trägt das Ebenbild Gottes in sich. Wo aber bleibt es bei den Dummen und Boshaften, und wie ist es bei ihnen wiederzuerwecken?


In allen Religionen ist für das menschliche Gefühl ein Mittler nothwendig geworden, um den ungeheuern Gedanken Gottes zu mildern, um ihn tragen zu können.


Welche erhabene, tiefsinnige Allegorie ist nicht die vom Baume der Erkenntniß! Hinter den einfachsten Ausdrücken verbergen sich die tiefsten Fragen. Das Gute lernt der Mensch nur im Unterschiede vom Bösen kennen. Wie war aber sein Zustand vor dieser Erkenntniß? War dieser an sich schon gut? Sollte sich der Mensch nur wie eine Pflanze gleichmäßig entwickeln?


Ahnungen des Christenthumes in der vorchristlichen Welt sind häufig; sie finden sich nicht allein in der Bibel, sondern auch im asiatischen Alterthume und in der hellenischen Welt, z. B. bei Sophokles. Alle große Gedanken 252 früherer Zeiten deuten auf das Christenthum hin, und so zieht sich eine tiefe geistige Einheit durch dieselben. Es sind Ahnungen, welche das Christenthum erfüllt hat. Die einzelnen Menschen wie die Völker stehen durch ihr Thun und geistiges Leben in verborgenem Zusammenhange mit andern Kräften, die ihnen selbst unendlich fern zu liegen scheinen. Ueber allen aber schwebt ein tiefer Zusammenhang, den wir nur zu ahnen vermögen. Auf dieser Ueberzeugung ruhen meine Ansichten von Toleranz und Resignation.


Eine tiefe Mythe ist die Versuchungsgeschichte Christi. Unmöglich kann es ein müßiges Märchen oder eine leere Erzählung sein. Ist es das aber nicht, was soll man von ihrem Inhalte denken? Entweder das Böse tritt Christus dem reinen als innere Versuchung nahe, wie soll man das mit seiner Sündlosigkeit und göttlichen Natur vereinen? Oder es kommt ihm von außen, wer ist dann der, welcher es wagt, dieser reinen Persönlichkeit nahezutreten und ihn in Versuchung zu führen? Welche ungeheure Macht müßte das sein!


Es gibt nichts Heiligeres, Reineres als die Reden Christi in den Evangelien; sie athmen die höchste Liebe und Milde. Es liegt in ihnen eine unendliche Tiefe. Die größten, erhabensten Gedanken spricht Christus mit erschütternder Einfachheit aus, besonders bei Johannes. Aber kommt man selbst hier ohne Zweifel fort? Steht Paulus, der doch ein großer und tiefsinniger Lehrer war, in der That noch auf derselben Stufe wie die Lehre Christi bei Johannes? Bei ihm ist schon nicht mehr diese Unmittelbarkeit und Unbefangenheit. Er hat 253 schon von dem Seinen hinzugethan; er ist ein scharfer Denker, hat aber etwas Abschließendes und Systematisches.

Wie herrlich ist Christi Rede: »Lasset die Kindlein zu mir kommen!« Auch uns gilt das. Für uns, die wir so viele Stadien der Civilisation durchgemacht haben, wird bei aller Bildung die Einfachheit, die rührende Demuth, der hingebende Glaube eines Kindes als das Letzte bezeichnet, wonach wir streben sollen. Zu diesem Ausgangspunkte also sollen wir zurückkehren; es gibt nichts Höheres.


Das Christenthum ist auch darum eine so schöne Religion, weil es volle Freiheit läßt. Es kann und soll ein Jeder sein eigenes Christenthum haben, es sich zu eigen machen nach seiner Individualität. Freilich paßt nicht jede Auffassung für Jeden, und darum soll sie nicht als etwas Allgemeines hingestellt werden. Man thut am besten, seine Ueberzeugung zu wahren, und sie nicht unöthig preiszugeben, da tritt gleich das Misverständniß ein. Wenn man fragt, was das Bindende und Allgemeine sein solle, so gibt es kein schöneres Band als die christliche Milde und Duldung, die mit Liebe und Hingebung die Schwächen und Einseitigkeiten des Nächsten trägt.


In Lehrformeln und theologischen Zänkereien kann ich keine Frömmigkeit finden. Die äußerlich herangebrachten Dogmen helfen zu nichts; die originale Natur läßt sich nichts andemonstriren. Der Mensch muß es in sich erleben. Aber freilich geschieht das bei den Wenigsten; die Meisten sprechen nur nach.


254 Vor wahrer Frömmigkeit habe ich immer eine tiefe Ehrfurcht gehabt. Es gehört dazu eine gewisse Einfalt, die höchst ehrwürdig ist. Die fromme alte Frau ist für mich in ihrem Glauben rührend. Es liegt darin das höchste, rückhaltslose Hingeben an Gott.


Neben den Verkündigungen der göttlichen Liebe haben sich zu allen Zeiten Stimmen erhoben, welche die Frage aufwarfen, wie verträgt sich mit ihr das menschliche Elend? Nicht das allgemeine, das wir von vornherein zugeben, sondern das materielle, das uns überall umgibt, an das wir uns aber so gewöhnt haben, daß wir es kaum mehr sehen. Warum müssen Millionen Menschen auf Erden hungern, dursten und frieren, bettelnd auf den Straßen liegen, und in Noth und Elend verkommen, damit Tausende ein erträgliches Dasein führen können? Was haben diese vor jenen voraus? Sollte es verwerflich sein, Gottes Dasein auch einmal von dieser Seite zu betrachten, und auf alles Elend hinzuweisen, das in der Welt vorhanden ist? Zu leugnen ist das Elend nicht. Was wollen z. B. ansteckende Krankheiten, wenn sie die Länder verheerend durchziehen? Auch die Literatur hat diese Fragen behandelt und in neuester Zeit Consequenzen der Verzweiflung daraus gezogen. Sie will die Welt anders einrichten.


Die wahre Skepsis wird diesen Zustand zugeben und dennoch zur religiösen Resignation führen. Sie sagt: Eben weil dies so ist, eben weil der enge menschliche Verstand hier auf keine Frage Antwort zu geben vermag, darum stelle ich der höchsten waltenden Allmacht Alles anheim, und ergebe mich ihrem Willen vollständig. In dieser Betrachtung der Dinge 255 hebt sich der Gegensatz von Gut und Böse wieder auf. Hier herrscht nur gläubiges Versenken, Speculation. Wie wollen Menschen das große Gebiet der Weltordnung übersehen? Das Höchste leistet der Mensch durch Concentrirung seiner Kräfte auf einen Punkt, durch Wirksamkeit in einer Richtung. Der Künstler arbeitet mit Talent und Begeisterung, er setzt sein Leben an die Ausbildung desselben, er beschränkt sich absichtlich, tausend andere Gedanken hält er von sich fern, um einen durchführen zu können. Wie viel Mühe und Arbeit kostet ihm das nicht bei aller Begeisterung! Und wie weit kommt er damit? Dennoch will sich der Mensch vermessen, die Räthsel der Weltordnung zu lösen? Freilich liegt in dem, was wir Vernunft nennen, ein Analogon des göttlichen Geistes, aber es ist doch immer nur eine Seite. Man ist nur zu leicht damit fertig, aus solchen Analogien die Welt zu construiren. Alles andere will man ihnen unterordnen, aber eben darum muß diese Betrachtung einseitig werden.


Eine andere Frage ist, ob diese Ansichten auf das Handeln Einfluß haben. Der Kreis des Handelns ist ein sehr beschränkter und individueller. Hier verfahre ich nach Ueberzeugung, oder nach einem innern Instincte, der sich aus meiner Eigenthümlichkeit ergibt. Der praktische Trieb des Menschen ist eine sehr weise Einrichtung. Von fruchtlosem Grübeln befreit am Ende nur Arbeit und Thätigkeit.


Es gab Zeiten, wo ich die Vermessenheit hatte zu sagen: Ich will unsterblich sein! Aber wie soll man sich die Unsterblichkeit denken? Unmöglich doch als ewige Ruhe! Auf einer höhern Stufe beginnt eine neue Entwickelung. Wird es möglich sein, daß hier Einer den Andern jemals einhole?


256 Immer wieder komme ich auf das Eine zurück, auf die Resignation, als das Höchste, was der Mensch erreichen kann. Sie ist das Hingeben an den unerforschlichen Willen eines höchsten, unsichtbaren Wesens. Wer forschend und grübelnd an den Gedanken Gottes hinantritt, muß vor dieser Erhabenheit nothwendig von einem Schwindel ergriffen werden, er kann diese furchtbare Allmacht nicht ausdenken! Hier tritt der Glaube rettend ein, der die tiefe Kluft dennoch füllt; es ist die Hingebung an den unendlichen Willen Gottes. Alles ist Gnade und Wohlthat. Voll Dank erkennt die Resignation an, was uns im Leben Gutes widerfahren ist, und auch die Zukunft überläßt sie Gott, welche Gestalt diese auch annehmen möge, auch die Zukunft nach dem Tode, denn in seiner Hand stehen wir.

Dies sind die höchsten Stimmungen, welche der Mensch überhaupt haben kann; sie sind selbst die höchste Gnade. Eben darum aber, weil sie so überschwänglich sind, können wir sie nicht immer haben. Auch dann kann es an Zweifeln und trüben Augenblicken nicht fehlen. Die menschliche Natur ist so unendlich beschränkt, daß der Gläubigste Zeiten haben kann, wo er dem Zweifel verfällt. Auch der schöpferischste Dichter vermag nicht immer zu schaffen; verläßt uns doch selbst das Gedächtniß. Aber der wahrhaft tiefe und religiöse Zweifel führt wieder zum Glauben zurück, während der oberflächliche davon ableitet. Die letzte, höchste Skepsis führt zur Resignation, und diese ist Glaube. 257

 


 


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