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Seit einem Menschenalter war Weimar der Mittelpunkt des geistigen Lebens in Deutschland. Eine neue Zeit war von hier ausgegangen, seit Goethe es zu seinem Wohnsitze gewählt hatte. Wieland hatte er dort gefunden, Herder nach sich gezogen, und Schiller war im Begriffe, sich ebendahin 246 zu übersiedeln. Selten waren bedeutendere Kräfte auf einem engern Raume vereint gewesen; dem großen Talente schien sich in der That das größere nachzudrängen. Welch ein reiches Leben war nicht in diesem Zusammenwirken! Reich an tiefen Gedanken, an dichterischen Schöpfungen, an umgestaltenden volksthümlichen Einwirkungen! Das kleine Weimar war zu einem classischen Boden geworden; von hier empfing die deutsche Poesie ihre Gesetze.
Neben Weimar stand Jena. Die alte Universität hatte neue Jugendfrische gewonnen. Hatte Weimar die Poesie für sich, so gehörte Jena die Wissenschaft. Hier glänzten kaum weniger große Namen. Hier hatte die Kantische Philosophie ihren Sitz aufgeschlagen, dann war Fichte gefolgt, zuletzt hatte Schelling die neue Philosophie der Natur verkündigt. Neben ihnen stand manche andere bedeutende Autorität. Griesbach der Theolog, Eichstädt der Philolog, Woltmann der Historiker, A. W. Schlegel der Kritiker und Aesthetiker. Und welche Kraft konnte eine größere Anziehung ausüben als der Geist? Kaum gab es ein hervorragendes Talent, welches von dieser Welt nicht wäre angezogen worden, und wenigstens für eine kurze Zeit in ihr geweilt hätte, so Jean Paul, Friedrich Schlegel, Novalis.
Jetzt gesellte sich zu den großen deutschen Dichtern der jüngste in dieser Reihe, Tieck. Man könnte sagen, es lag eine Nothwendigkeit darin, wenn die Naturpoesie der Naturphilosophie begegnete. Was jene dichterisch gestaltend darstellte, wollte diese wissend erkennen, das geheimnißvolle Leben, die innere Kraft der Natur, ihren Geist.
Schon vor seiner Begegnung mit Voß hatte Tieck von Halle aus eine Fahrt nach Jena unternommen. Es war ein erster Blick in diese Welt; hier dachte er in dem kommenden Winter zu leben. Bereits erwartete ihn A. W. Schlegel, und führte 247 ihm einen neuen Freund zu, welcher auf diesen Augenblick lange gehofft hatte. Ein Jahr früher schrieb F. Schlegel an Tieck, zwei neue Freunde seien ihm durch seine »Volksmärchen« gewonnen, Novalis und Schelling. Jetzt traten ihm beide entgegen.
Die Begegnung zwischen Tieck und Novalis war für beide entscheidend. Zwei Geister trafen zusammen, die nur aufeinander gewartet zu haben schienen. In der Zeit, wo er Jakob Böhme ergriffen hatte, fand Tieck auch Novalis. Dieser sagte später einmal, mit Tieck's Bekanntschaft beginne ein neues Blatt in seinem Leben. Neigung, Studium, schmerzliche Erfahrungen hatten ihn von einer andern Seite her denselben Weg geführt. Auf die Erforschung der Natur leitete ihn äußerer Beruf, auf die Naturphilosophie innerer Trieb. Auch war er in Schlegel's »Athenäum« als Schriftsteller aufgetreten; er hatte seine Ebenbürtigkeit erwiesen, und die Ausführung des »Ofterdingen«, in dem er eine Verherrlichung der Poesie geben wollte, begonnen. Eifrig hatte er den »Wilhelm Meister« studirt, und Vieles daraus seinem Gedächtnisse vollständig eingeprägt; er bewunderte ihn zuerst ebenso sehr, als er sich später davon abwandte. Dann hatte er mit nicht geringerem Eifer den »Sternbald« gelesen. Nach dem Tode seiner Braut versenkte er sich in eine stille befriedigte Mystik, welche ihn aufrecht hielt, und zu dem religiösen Glauben zurückführte, in dem er erzogen worden war. Er war um ein Jahr älter als Tieck.
Novalis war ein Ersatz für Wackenroder, an den er in mancher Beziehung erinnern konnte. Beide waren fein organisirte Naturen, beide tief und eigenthümlich; glaubensvolles Hingeben war ihnen Bedürfniß. Doch war der spätere Freund dem früheren in vielen Punkten überlegen. Mit der mystischen Richtung vereinte Novalis verstandesmäßige 248 Schärfe und Klarheit, er war philosophisch geschult, er besaß Blick und Urtheil für die Welt, mit Gewandtheit bewegte er sich in ihren Verhältnissen. An seiner Stelle mußte er Jedes anerkennen, ohne dem Höchsten etwas zu vergeben. Er war freier, sicherer, durchgebildeter als Wackenroder.
Es war ein schöner Abend, als die Freunde während des Besuchs, den Tieck im Sommer 1799 in Jena machte, zum ersten Male vereint waren. Novalis war aus Weißenfels gekommen. A. W. Schlegel hatte den Vermittler gemacht. In bewegten Gesprächen hatten sie die Herzen gegeneinander aufgeschlossen, geprüft und erkannt; die Schranken des alltäglichen Lebens fielen, und beim Klange der Gläser tranken sie Brüderschaft. Mitternacht war herangekommen; die Freunde traten hinaus in die Sommernacht. Wieder ruhte der Vollmond, des Dichters alter Freund seit den Tagen der Kindheit, magisch und glanzvoll auf den Höhen um Jena. Sie erstiegen den Hausberg, und eilten weiter über die Hügel. Endlich begleiteten sie Novalis nach Hause; der Morgen war nicht mehr fern. Als man Abschied nahm, sagte Tieck: »Jetzt werde ich den ›Getreuen Eckart‹ vollenden.« »Wenn du das kannst nach diesem Abende, nach diesem Spaziergange«, erwiderte Schlegel, »dann will ich dich hoch in Ehren halten!« Tieck löste sein Wort. In den Morgenstunden vollendete er die Erzählung, und noch an demselben Tage theilte er sie den Freunden mit.
Sogleich wurde die Verabredung getroffen, Tieck solle nach seiner Rückkehr, von Halle aus den neuen Freund in Weißenfels besuchen. Er verlebte hier einige Tage. Der Eintritt in diese Familie machte einen tiefen Eindruck. Ein ernstes, stilles Leben, eine prunklose, aber wahre Frömmigkeit herrschte hier. Die Familie war der Lehre der Herrnhuter zugethan, und lebte und wirkte in diesem Sinne. 249 Der alte Hardenberg, früher ein rüstiger Soldat, eine hohe, ehrwürdige Natur, stand wie ein Patriarch in der Mitte talentvoller Söhne und lieblicher Töchter, denen sich Julie von Charpentier, Novalis zweite Braut, zugesellte. Der neue Freund wurde von dem Vater herzlich willkommen geheißen, und bald fanden sie mehr als einen Einigungspunkt. Neuerung und Aufklärung waren ihm in jeder Form verhaßt; die alte verkannte Zeit liebte und lobte er, und wenn die Gelegenheit es bot, konnte er derb und rückhaltlos seine Ansichten aussprechen, oder in plötzlichem Jähzorn auflodern. Die komischen Gegensätze, welche dabei bisweilen zum Vorschein kamen, thaten seiner ursprünglichen Würde keinen Eintrag.
Einst hörte Tieck den alten Herrn im Nebenzimmer in nicht eben glimpflicher Weise schelten und zürnen. »Was ist vorgefallen?« fragte er besorgt einen eintretenden Bedienten. »Nichts«, erwiderte dieser trocken. »Der Herr hält Religionsstunde.« Der alte Hardenberg pflegte Andachtsübungen zu leiten, und auch die jüngern Kinder in Dingen des Glaubens zu prüfen, wobei es mitunter stürmisch herging.
Im October übersiedelte sich Tieck mit seiner Frau und der eben geborenen Tochter Dorothea nach Jena. Er wohnte in dem Hause A. W. Schlegel's, welches für ihn und andere Freunde der Mittelpunkt des gemeinsamen Lebens ward. Er lernte Schlegel's Frau, Karoline, und deren Stieftochter, Auguste Böhmer, kennen. Diese war siebzehn Jahre alt; unleugbar eine der anziehendsten Erscheinungen in diesem Kreise. Sie war rasch, lebhaft, geistvoll, durchaus originell. Man konnte sie nicht schön nennen, denn sie hatte einen etwas schielenden Blick; doch weit entfernt, störend oder abstoßend zu wirken, gab es ihren tiefen Augen einen eigenthümlichen Ausdruck. Es lag darin eine Gewalt, der man sich kaum zu entziehen vermochte. Als Tieck in das Zimmer 250 trat, rief sie ihm entgegen: »Sie kommen durch die Thür? Ich meinte, Sie müßten, wie Ihr Kater, über die Dächer einherspazieren.«
Andere Freunde traten diesem Kreise bei, Friedrich Schlegel und Dorothea Veit, dann Fichte, Schelling. Oft kam auch Novalis aus Weißenfels. Brentano, der in Jena studirte, Gries, die Künstler Bury und Genelli, und noch mancher Andere gesellte sich vorübergehend zu ihnen. In heiterer Weise vereinte man sich in dem Hause des ältern Schlegel zum gemeinsamen Mittagstisch; Tieck wenigstens und die Seinen regelmäßig. Hier fanden sich jene geistig angeregten Gesellschaften in Wirklichkeit, welche er in den spätern Novellen so meisterhaft zu schildern verstand. Daß sie so reich waren, konnte zum großen Theil für sein Werk gelten. Abends kam man wieder zusammen, war es bei Schlegel, oder bei Frommann dem Buchhändler, der an Allem den lebhaftesten Antheil nahm. Tieck las etwas Dramatisches, jeder theilte mit, was er eben vollendet hatte, oder worüber er den Rath, das Urtheil der Freunde zu vernehmen wünschte. Poesien, Studien und Entwürfe, Meinungen und Ansichten kamen zur Besprechung. Hier las Tieck sein damals niedergeschriebenes Gedicht »Die Zeichen im Walde«. Er hatte es zuerst in verschlungenen Reimen, dann in durchgehender Assonanz bearbeitet, die als Probe gewandten Versbaus aufgegeben war. Treffend bemerkte einmal Schlegel, wem die größern Dichtungen Tieck's zu lang seien, dem müsse man die Verse von der Waldeinsamkeit im »Blonden Ekbert« zu lesen geben; diese seien die Quintessenz seiner Poesie und der wahre Inhalt seines Wesens.Andeutungen über das Leben in Jena in den Jahren 1799 und 1800 finden sich in Friedrich Schlegel's Briefen an Fichte in »Fichte's Leben und literarischer Briefwechsel«, II, 342, 343. Die Skizze in Brentano's Roman »Godwi, oder das steinerne Bild der Mutter«, den er unter dem Namen »Maria« 1801 herausgab, II, 436, ist nach »Brentano gesammelte Schriften« VIII, 18 von dessen Freunde A. Winkelmann. Nach VIII, 51 ebend. schrieb Brentano die Philistergeschichte 1811; was er damals in Jena vorlas, war also wol ein frühester Entwurf. Vgl. ferner »Heinrich Eberhard Gottlob Paulus und seine Zeit, von v. Reichlin Meldegg«, II, 313 fg., und die kürzlich erschienene Schrift »Aus dem Leben von Johann Diederich Gries, nach seinen eigenen und den Briefen seiner Zeitgenossen«, S. 37, 39 fg.
Schlegel selbst las sein Gedicht auf die Schauspielerin Bethmann. Ein anderes Mal hielt Novalis einen Vortrag, der einen eifrigen Streit hervorrief, weil man fand, daß er 251 sich darin zum Katholicismus bekannt habe. Brentano trug seine »Naturgeschichte des Philisters« vor, als auch Fichte zugegen war. Nach beendigter Vorlesung erhob sich dieser mit den Worten: »Nun werde ich euch aus dieser Geschichte beweisen, daß eben der Brentano hier der erste und ärgste unter allen Philistern ist!« Worauf dann eine schlagende Kritik folgte. Der Erinnerung an dieses Leben widmete Brentano einige bewegte Zeilen am Schlusse seines verwilderten Romans »Godwi«, den er unter diesen Einwirkungen schrieb.
Vornehmlich war es die spanische Poesie, mit deren Studium sich Tieck und A. W. Schlegel eifrig beschäftigten. Sie gedachten für deren Einführung in die deutsche Literatur miteinander zu wirken. Während Tieck den »Don Quixote« übersetzte, erwuchs daraus der Plan, mit Schlegel gemeinschaftlich den Cervantes vollständig zu übertragen. Soeben hatte er auch den Band des Calderon erhalten, in welchem »Die Andacht zum Kreuze« stand, eine Tragödie, die ihm mehr als irgendeine zusagte. Er erzählte von dem Eindrucke, welchen sie auf ihn gemacht habe, und forderte Schlegel auf, sie ebenfalls zu lesen. Dies geschah; am andern Tage tauschte man die Meinungen aus. Schlegel konnte diese Bewunderung nicht theilen. Manches fand er nicht hinreichend motivirt, die langen Reden unnatürlich, es war ihm zu katholisch; erst durch Abkürzungen und Umarbeitungen könne dergleichen für den deutschen Geschmack genießbar gemacht werden. Dagegen nahm Tieck das Gedicht in Schutz. Vor allem müsse man sich die Fähigkeit aneignen, an die Legende zu glauben; darum sei es noch nicht nöthig, die Legende selbst zu glauben, aber es sei die Bedingung, unter der allein ein Verständniß solcher Dichtungen möglich sei. Diese Anregung war für Schlegel bedeutend genug, ihn zur Uebersetzung des Calderon zu veranlassen. Später ging er so vollständig 252 auf den eigenthümlichen Geist des Dichters ein, daß er Tieck's Ansichten zu den seinen machte, während dieser sie gegen eine kühlere Betrachtung des spanischen Dramas aufgab. Einige Jahre darauf war der Bewunderer zum Tadler geworden, und der strenge Kritiker zum Lobredner. »Schreibe erst solche Dramen«, bemerkte Schlegel gegen Tieck, »dann will ich deinen Tadel gelten lassen.«
So arbeiteten in dichterischem Wetteifer die Freunde mit- und nebeneinander. Damals entstand ein großer Theil jener Sonette, in denen Schlegel ältere Dichter und Meister der Kunst feierte. In eigenthümlicher Laune wünschte er seinen Gedichten auch eines von Tieck hinzuzufügen, und dieser schrieb darauf das Sonett auf die »Galathea« des Cervantes, welches Schlegel mit den seinen herausgegeben hat. Auch Tieck's »Arion« war kurz vorher entstanden. Mit gewohnter Schärfe hatte sich Herder über Schlegel's »Arion« geäußert. Es schien ihm eine undankbare Arbeit, einen so oft behandelten Stoff nochmals zu bearbeiten, er bezweifelte die Möglichkeit, ihm eine neue Seite abzugewinnen. Durch diese Behauptungen wurde Tieck gereizt, sich ebenfalls an der Dichtersage zu versuchen. Schlegel's Gedicht war ihm ohnehin zu glatt, zu elegant. Er suchte seinem »Arion« eine mehr dramatische Farbe zu geben.
Auch als begeisterter Verkündiger Jakob Böhme's trat er auf. Vollen Anklang fand er bei Novalis, welcher den deutschen Philosophen zuerst durch ihn kennen lernte und mit gleicher Begeisterung erfaßte. In ihm sah er den wahren Mikrokosmus, den gewaltigen Frühling mit allen seinen quellenden, bildenden Kräften, der eine neue Welt aus sich zu gebären ringt; Ansichten, die er bald darauf in einem an Tieck gerichteten Gedichte aussprach.
Andere verhielten sich zweifelhafter oder abweisend; Niemand aber war weniger geeignet, sich mit Böhme zu befreunden, 253 als Fichte. Diesen hatte Tieck schon in Berlin zu Anfang des Jahres 1799 kennen gelernt. Dorthin hatte sich Fichte begeben, als die Anklage auf Atheismus gegen ihn erhoben wurde, und war mit Friedrich Schlegel und Bernhardi in nähern Verkehr getreten.Ueber Tieck's und Fichte's erste Berührungen vgl. »Fichte's Leben und Briefwechsel«, I, 373. Als bald darauf Tieck Berlin verließ mit der Absicht, über Halle nach Jena zu gehen, gab ihm Fichte einen Brief mit an seine zurückgebliebene Frau. Er selbst war noch einmal nach Jena gekommen, um seine Verhältnisse aufzulösen, und verweilte dort in den Wintermonaten von 1799 auf 1800.
Kaum konnten zwei Naturen entgegengesetzter sein als die Fichte's und Tieck's. Es war der Gegensatz der verstandesmäßigen Consequenz und der Phantasie, der Philosophie und der Poesie. Fichte's scharf ausgeprägtes Wesen, die Strenge, die Rücksichtlosigkeit, mit der er zu urtheilen pflegte, wollte Tieck nicht überall zusagen. Wenn auch Manches solchen Aeußerungen zu widersprechen schien, namentlich Fichte's Kindererziehung, so konnte er dennoch diesem festen, männlichen Charakter seine Achtung nicht versagen. Er nannte ihn später öfter den eisernen Fichte.
Die Gespräche über Jakob Böhme wollten zu keinem Frieden führen. Tieck blieb dabei stehen, daß er ein Prophet, Fichte, daß er ein verworrener Träumer sei. Als jener wiederum auszuführen suchte, wie in Böhme philosophisches Denken mit dichterischer Anschauung sich unmittelbar verbinde, fiel Fichte mit den Worten ein: »Lieber Freund, Sie sind ein Dichter, und wenn Sie mir die Versicherung geben, Jakob Böhme sei ein großer Dichter, so will ich Ihnen das aufs Wort glauben; dagegen aber müssen Sie mir auch glauben, wenn ich Ihnen sage, er ist kein Philosoph, sondern ein großer Narr!« »Dann machen Sie mir erst deutlich« erwiderte Tieck, »wie man ein großer Narr, und 254 zugleich ein großer Dichter sein kann!« Fichte meinte, das würde zu vieler Demonstrationen bedürfen, und brach das Gespräch ab.
Nicht immer war es möglich in schöpferischer Thätigkeit im dichterischen Genusse, im Austausche der Gedanken ohne Widerspruch zu leben. Es mußten Augenblicke der Abspannung eintreten; der Duft der Poesie konnte die Gegensätze menschlicher Schwäche wol verschleiern, aber nicht aufheben.
Auch dieser Welt des Geistes fehlte es weder in Jena noch in Weimar an Gegnern. Es war die Mittelmäßigkeit, welche sich schon durch das Dasein derselben unangenehm berührt, in ihrer Behaglichkeit gestört fand, und darin einen Vorwurf für sich selbst sah. Der Anerkennung setzte sich der Neid und die Misgunst entgegen; sie scheute sich nicht zu Klätscherei und Ränken ihre Zuflucht zu nehmen. Feinde dieser Art konnte man verachten, oder mit den Waffen des Geistes und Witzes bekämpfen, oder stillschweigend dulden. Der Führer jener platten und niedrigen Opposition war Kotzebue, der Bühnenherrscher, für den neben Goethe und Schiller auf dem classischen Boden Weimars noch Raum war. Mit ihm verbündet war der Publicist Garlieb Merkel. Dazu kam die Feindschaft zwischen A. W. Schlegel und Schütz, dem Führer der »Jenaischen Literaturzeitung«, seit sich ihr das »Athenäum« als Ausdruck einer neuen Kritik entgegengestellt hatte. Schon im Herbst 1799 hatte Schlegel von der fernern Mitwirkung an jener Zeitung sich öffentlich losgesagt. An solchen Gegnern übte er die schärfsten Waffen. Tieck nahm an diesen Kämpfen keinen persönlichen Antheil; er war der Meinung, Schlegel beachte diese Gegner und ihre Angriffe mehr als nöthig, und gebe ihnen dadurch einen Werth, den sie nicht hätten.
Bedenklicher war es, daß in dem Freundeskreise selbst 255 Misklänge und Irrungen nicht fehlten. Dies ging zunächst von den Frauen der beiden Schlegel aus, die sich miteinander nicht verständigen konnten. Dorothea überließ sich dem rücksichtlosen Zuge Friedrich Schlegel's, und rief dadurch manche Kritik ihrer gemessenern Schwägerin hervor. Tieck konnte sich nicht verhehlen, daß sie ihm in ihrer männlichen, oft unschönen Weise widerlich sei. An dem Romane »Florentin«, mit dem sie sich beschäftigte, fand er ebenso wenig Gutes, als er die »Lucinde« seines Freundes, welche soeben erschienen war, anzuerkennen vermochte. Er konnte sich weder mit diesen Ansichten, noch mit der Art ihrer Ausführung befreunden. Das Buch wollte ihm fast abgeschmackt scheinen. Noch weniger begriff er Schleiermacher's Kritik in den vertrauten Briefen über diesen Roman.Die »Vertrauten Briefe über Friedrich Schlegel's Lucinde« waren Verlag von Frommann's Schwager Bohn in Lübeck, gedruckt wurden sie in Jena bei Frommann und Weffelhöft. Geheim waren sie nach Jena geschickt worden, um gedruckt zu werden. Durch einen Zufall hatte er bald erfahren, wer der Verfasser sei.
Aber F. Schlegel selbst zeigte sich zu Zeiten abstoßend und unbillig. Seine Art sich zu äußern, wenn er einmal zu sprechen begann, war stets ein überfließender Erguß, seine Beredtsamkeit wandelte jedes Gespräch in einen Monolog um, der tiefsinnig sein konnte, aber doch schließlich ermüdete. Und Tieck liebte nichts mehr als den freien Austausch des Gebens und Nehmens im Gespräch. Ward Schlegel in einem solchen Monologe durch irgendeinen Einwand, einen leichten Zweifel unterbrochen, so konnte er ungerecht, ja leidenschaftlich werden. Wenn er nicht unbedingten, fast blinden Glauben fand, so sah er darin eine Verletzung der Freundschaft, zog sich beleidigt zurück, und war dann wochenlang kalt und mistrauisch.
Doch auch mit A. W. Schlegel war Tieck nicht überall eines Sinnes. Dies trat auch in ihren Ansichten über Schiller hervor. Bereits war das Verhältniß zwischen diesem und 256 den Schlegel ein gespanntes, und gereizt wie er war, beurtheilte Schlegel die Dichtungen Schiller's schonungslos, ja ungerecht. In diesen Ton konnte Tieck nicht einstimmen, wenn freilich auch seine Ansichten und Beziehungen zu Schiller seit seiner Jugend andere geworden waren. Während man allgemein von der größern und reichern Entwickelung des Dichters in der spätern Zeit sprach, erkannte er nur eine Beschränkung, eine Verengerung, eine Furcht vor der Anwendung der vollen Kraft. Das Streben nach dem Idealen war ihm eine Verwischung des Individuellen, ein Hineinziehen des Eigenthümlichen in das Allgemeine, Unbestimmte. Er wollte in seiner Poesie das Besondere, das Nationale zum Ausdruck bringen, Schiller entwickelte dagegen ein grandioses, aber allgemeines, tragisches Pathos. Auch von der Fruchtbarkeit der philosophischen Studien konnte er sich nicht überzeugen. Weder mit ihren Ergebnissen stimmte er überein, noch mit dem Eindringen der philosophirenden Reflexion in die Poesie. Dagegen erfüllte ihn immer noch die unbedingteste Bewunderung vor Schiller's ältester Dichtung, den »Räubern«. Hier herrschte ein gewaltiger, kolossaler Geist, der mit einer Kühnheit, einem Trotze auftrat, wie er kaum seines Gleichen hatte. Er nahm den Dichter nicht nur gegen seine Gegner, sondern auch gegen ihn selbst und seine Kritik in Schutz. Die spätern Bearbeitungen galten ihm für Abschwächungen, ja für eine Verleugnung der eigenen geistigen Gewalt.
Tieck hatte den Freunden viel von den »Räubern«, und der schon damals seltenen ersten Ausgabe gesprochen; auf diese müsse man zurückgehen, wenn man die wunderbare Dichtung ganz würdigen wolle. Zum guten Glücke fand man diese Ausgabe in einem unbedeutenden Bücherladen, und sogleich begann Tieck sie den Freunden vorzulesen. Günstig 257 schien es, daß der ältere Schlegel verhindert war zugegen zu sein. Unerwartet indeß trat er während des Lesens ein, und fing an Tieck durch hingeworfene Bemerkungen, dann durch Angriffe auf das Stück zu unterbrechen. Er könne nicht begreifen, wie man an einem so rohen Producte Gefallen finden, wie man es nur lesen könne. Wie man es denn überhaupt nennen solle? Es sei weder ein Drama noch ein Epos, noch gehöre es irgendeiner Kunstgattung an. Voll Verdruß über diesen Tadel schlug Tieck endlich das Buch nicht ohne Heftigkeit zu. »Das ist das Beste, was du thun kannst«, sagte Schlegel ironisch.
Auch an Tieck's Vorlesen fand er viel zu tadeln, obgleich dieser mit entwickelter Virtuosität und dem entschiedensten Erfolge las. Er sprach ihm sogar die Fähigkeit ab Tragisches zu lesen, sein natürlich einfacher Ton sei für das Pathos der Tragödie viel zu schwach, nur für das Komische wollte er ihn gelten lassen. Er selbst pflegte Tragisches in einem unangenehmen Gurgelton zu lesen, der von der Bescheidenheit der Natur weit entfernt war, und eine Wirkung hervorbrachte, welche der beabsichtigten ganz entgegengesetzt war.
In äußere Beziehung zu Schiller war Tieck bereits durch den »Musenalmanach« von 1799 getreten, für welchen er durch Schlegel's Vermittelung einige Gedichte geliefert hatte. Bei dem ersten Aufenthalte in Jena im Juli hatte er ihn in seinem Gartenhause besucht. Schiller kannte Tieck's nahe Verbindung mit den Schlegel, und mochte ihn vielleicht schon deshalb nicht ohne Zurückhaltung empfangen. Er war hager und groß, der Oberleib langgestreckt, die Gesichtsfarbe bleich; die graublauen Augen hatten für gewöhnlich einen kalten Ausdruck, der jedoch schwand, wenn er in der Unterhaltung warm wurde. Er sprach nicht ohne Pathos. Von Shakspeare und der spanischen Literatur war die Rede. 258 »Meinen Sie denn auch, daß Lope de Vega eine so große Aehnlichkeit mit Shakspeare hat?« war eine Frage, auf welche Schiller besonders Antwort zu haben wünschte, die aber Tieck nicht so kurzweg zu ertheilen wußte. Auch bei wiederholten Besuchen blieben ihre Gespräche auf der Oberfläche. Es schien etwas Fremdes zwischen ihnen zu stehen. Tieck fühlte sich erkältet gegen Schiller, ihre Wege gingen zu sehr auseinander.Die Wandlungen, welche Schiller's ursprünglich günstiges Urtheil über Tieck seit dessen erstem Besuche erfuhr, bis es zu einer herben Verurtheilung ward, lassen sich stufenweise verfolgen durch Schiller's Briefe an Goethe und Körner vom 24. Juli 1799, 26. Sept. 1799, 5. Jan. und 27. April 1801. Die drei letzten Briefe sind an Körner. Am 5. Jan. 1801 schreibt Schiller von Tieck: »Leider hat die Schlegel'sche Schule viel an ihm verdorben: er wird es nie ganz verwinden.« Vgl. dazu sein Urtheil über Tieck's »Minnelieder« aus Falk's »Elysium und der Tartarus« in »Findlinge« von Hoffmann v. F. »Weimarisches Jahrbuch«, II, 224. Ueber Tieck's Einführung bei Goethe berichtet dieser mit einigen Worten an Schiller am 24. Juli 1799, und über die Vorlesung der »Genoveva« in Jena am 6. Dec. 1799. Vgl. darüber auch Goethe's Tages- und Jahreshefte, »Werke«, XXXI, 86.
Eine letzte Begegnung hatten sie in Dresden 1801. Auch diesmal kamen sie nicht weiter. Tieck machte aus der Gemäldegalerie ein Studium; auch Schiller hatte sie besucht. Sie kamen im Gespräche auf Malerei. In seinen Kunsturtheilen war Schiller durch den Einfluß Goethe's und Meyer's bestimmt. Von diesen hatte er Manches angenommen, so die unbedingte Bewunderung der alten Kunst und Plastik, welche seiner eigenen Natur fern stand. Er sprach sich daher gegen die Malerei aus. Er fand den Eindruck der Farbe unangenehm; er habe keine Dauer, es sei unmöglich ihn festzuhalten und zu bestimmen. »Sie sehen z. B. dieses Tuch«, sagte er, indem er auf ein rothes Umschlagetuch seiner Frau hinwies, das in der Nähe des Fensters lag. »In diesem Augenblicke erscheint es roth, lassen Sie das Licht wechseln, und dasselbe Roth wird sich dann lila oder grau zeigen, und damit wird auch der Eindruck ein anderer werden müssen. Dagegen wie viel sicherer und entschiedener ist er nicht in der plastischen Kunst. Am höchsten möchte das Basrelief stehen, das die Festigkeit der Plastik mit der Bewegung der Malerei verbindet.« Tieck machte die Gegenfrage, ob sich diese Beobachtungen über den Eindruck der Farbe auch vor Correggio's Bildern behaupteten. »Gerade hier finde ich sie am meisten bestätigt!« antwortete Schiller. Dagegen führte Tieck aus, wie in der Vertheilung von Licht und Schatten, in dem 259 unendlichen Wechsel und Spiel der Farbe, in den Mitteln der Zeichnung, der nicht zu erschöpfende Zauber der Malerei liege. Endlich schieden sie voneinander, ohne sich überzeugt zu haben.
Zugleich war eine andere Hoffnung im Sommer 1799 in Erfüllung gegangen. Tieck war dem Altmeister der Poesie genaht, er hatte Goethe gesehen. Schlegel, der bei Goethe als metrischer Rathgeber in Ansehen stand, und Novalis hatten es übernommen ihn einzuführen. Sicherer und unbefangener, als er selbst geglaubt hatte, trat er nun endlich jenem Dichter entgegen, dessen Gestalten ihn seit den Tagen frühester Kindheit begleitet hatten, der zu einer großen geistigen Macht in seinem Leben geworden war. Diesen Augenblick hatte er als Knabe geahnt, und ihn mit heißer Sehnsucht als Jüngling herbeigewünscht, darauf schien eine Seite seines Lebens angelegt. Jetzt endlich war er da! Goethe stand wirklich vor ihm. Das war er selbst, Götz, Faust, Tasso! Aber auch der Herrscher im Reiche der Poesie, in abgeschlossener Hoheit stand vor ihm. Ein gewaltiges, erschütterndes Gefühl erfüllte ihn beim ersten Anblicke. »Das ist ein großer, ein vollendeter Mensch, du könntest bewundernd vor ihm niederfallen!« Zugleich erhob sich aus dem Grunde seiner Seele wie ein Wolkenschatten der leise aufsteigende Zweifel: »Könntest du ihn zu deinem Freunde, deinem Vertrauten machen?« Und er mußte sich antworten: »Nein, das könntest du nicht!«
Auf diese erste Begegnung folgten mehrere Besuche, bei denen man sich etwas näher kam. Tieck erzählte von seinen Studien des Shakspeare und dessen Zeitgenossen. Dies führte auf Ben Jonson. Er schilderte dessen durchgehenden Gegensatz gegen Shakspeare, und endete mit der Frage, ob Goethe nicht einen Versuch mit dem sonderbaren Schriftsteller machen wolle. Da Goethe bereitwillig darauf einging, schlug 260 er ihm den »Volpone« vor, und überbrachte ihm die Folioausgabe. Als er ihn nach einiger Zeit wieder besuchte, hatte Goethe das empfohlene Drama soeben durchgelesen. Das Buch lag noch vor ihm. »Hören Sie, verehrter Freund«, rief er ihm besten Humors entgegen, indem er mit der Hand auf den Deckel des Buches schlug, »das ist ja ein ganz verfluchter Kerl! ein wahrer Teufelskerl!« Tieck sprach seine Freude aus, daß seine Empfehlung sich bewährt habe. »Ja, das ist ein Schwerenothskerl!« fuhr Goethe mit derselben Handbewegung fort, »was hat der für Kniffe im Kopfe!« Auf die Frage, ob er nicht noch einiges Andere lesen wolle, um ihn ganz kennen zu lernen, antwortete er abwehrend: »Nein, verehrter Freund, nun ist es genug, nichts weiter. Ich kenne ihn jetzt, und das reicht hin!«
Im November kam darauf Goethe nach Jena. Tieck hatte die »Genoveva« vollendet, und sie den Freunden mitgetheilt, jetzt kam die Gelegenheit, das Gedicht auch ihm vorzulesen. Goethe wohnte auf dem Schlosse. Da der erste Abend nicht ausreichte, so konnte die Vorlesung erst am folgenden beendet werden. Aufmerksam und theilnehmend war Goethe ihr gefolgt. Er sprach sich wohlwollend und anerkennend aus. Dann wandte er sich zu seinem neunjährigen Sohne, der am zweiten Abend zugegen war. Indem er ihm mit der Hand über das Haar hinstrich, sagte er: »Nun, mein Söhnchen, was meinst du denn zu allen den Farben, Blumen, Spiegeln und Zauberkünsten, von denen unser Freund uns vorgelesen hat? Ist das nicht recht wunderbar?« Einige Einwendungen, welche Goethe machte, wurden später berücksichtigt.
Auch den »Zerbino« lernte er kennen. Er schenkte den ernsten Charakteren und den lyrischen Partien vollen Beifall, und forderte Tieck auf, diese zusammenzuziehen, und zu einem 261 Ganzen abzurunden, welches alsdann auf der weimarischen Bühne dargestellt werden sollte. Obgleich es Goethe war, von dem dieser Vorschlag ausging, konnte sich Tieck doch nicht entschließen darein zu willigen. Beide Theile, der satirische wie der dichterische, gehörten unmittelbar zusammen, sie gewannen erst durcheinander ihre Bedeutung. Ein Streichen des einen Theils würde einem Zerstören des Ganzen gleichgekommen sein.
Vor allem wünschte Tieck den Meister auch im Reiche der Bühne kennen zu lernen, auf einem Gebiete, welches er selbst so allseitig studirt hatte, und dem noch immer seine Neigung angehörte. Konnte ihm doch selbst damals noch der Gedanke kommen, Goethe um die Erlaubniß zu ersuchen die Bühne zu betreten. Wäre es auch nur einmal gewesen, er wünschte wenigstens den Versuch eines öffentlichen Spiels gemacht zu haben. Indeß gab er diesem Einfalle keine weitere Folge.
Die weimarische Gesellschaft hatte er früher in Lauchstädt spielen sehen, und in ihre unbedingte Anerkennung nicht einstimmen können. Seiner Meinung nach verdienten manche Schauspieler nicht den Ruf, in welchem sie standen. Graff's Pathos unterschied sich wenig von dem verrufenen tragischen Gurgelton. Jetzt wohnte er an Goethe's Seite einer Vorstellung der »Maria Stuart« bei, die soeben auf die Bühne gebracht worden war. Auch diesmal konnte er nicht anderer Meinung sein. Den künstlerischen Instinct, welchen er an Fleck bewunderte, fand er hier nicht wieder. Alles war auf ein gewisses durchschnittliches Mittelmaß zurückgeführt. Ein ihm aus Berlin bekannter Schauspieler gab den Leicester in so ungeschickter Weise, daß er die Bemerkung nicht unterdrücken konnte, wie dieser das Ganze entschieden störe. »Ich kann es nicht finden«, antwortete Goethe trocken, »er thut seine Schuldigkeit gleich allen Andern.«
262 Bei den wiederholten Besuchen in Weimar lernte Tieck auch Herder kennen. Dieser empfing ihn in freundlicher Weise, doch nicht ohne abgemessene Würde. Nach den ersten Wechselreden trat der Kritiker aus dem »Gestiefelten Kater« ein, Böttiger, den Tieck hier zum ersten Male sah, und dem er später noch öfter begegnen sollte. Böttiger stand mit Herder in gelehrter Verbindung, und pflegte ihn häufig zu besuchen. Eingedenk der Rolle, welche Tieck ihn spielen ließ, hatte er Herder erzählt, wie man in Berlin jeden abgeschmackten Einfall schlechtweg mit den Worten bezeichne: »Das ist gerade so thöricht wie der ›Gestiefelte Kater‹.« Nicht ohne Ironie stellte Herder dem Eintretenden den jungen Dichter des »Gestiefelten Katers« vor. Böttiger, welcher das Bedürfniß hatte Complimente zu machen, und stets einige in Bereitschaft zu haben pflegte, gerieth in sichtbare Verlegenheit. Mit einem komischen Auf- und Niederzucken der Augenbrauen, das ihm eigenthümlich war, beschränkte er sich darauf, mit sauersüßem Lächeln zu wiederholen: »Ei! Ei! das ist ja recht schön!«
Weniger erfreulich war ein späterer Besuch. Herder litt seit längerer Zeit an tiefer Misstimmung. Er stand nicht mehr mit Goethe in gutem Einvernehmen. Der scharfe kritische Ton der jüngern Schule hatte ihn verletzt, und die Kantische Philosophie, die in seiner Nähe namhafte Verehrer hatte, regte ihn zu heftigem Widerspruche auf. Seine »Metakritik« war bereits erschienen, ein Buch, das selbst seine Anhänger nicht gutheißen wollten. In muthwilligem Scherze hatte Tieck die Allegorie von Hugo und Hägesa, welche die Metakritik einleitet, in den »Zerbino« hineingezogen, und sie durch den Epilog als ein deutsches Nationallustspiel ankündigen lassen, das nächstens zur Aufführung kommen solle. Herder war nicht der Mann, einen solchen Spaß durchschlüpfen zu lassen, oder ihn mit Humor aufzunehmen. 263 Tieck hatte genug von seiner Empfindlichkeit gehört, um zu wissen, wie er jetzt gegen ihn gesonnen sein werde. Ungern folgte er daher einer Aufforderung von Novalis, ihn zu Herder zu begleiten, der unmöglich einen leichten Scherz schwerer nehmen könne, als er gemeint sei.
Dennoch hatte Tieck Recht. Herder war gekränkt, und verfehlte nicht es merken zu lassen. Er erschien kalt und fremd, fast umgewandelt. Seine Frau, die eine unangenehme Schärfe besaß, zeigte sich noch abstoßender. Nur der Gegenwart des Freundes mochte es Tieck zu danken haben, daß eine Einladung, den Thee mit ihnen zu trinken, erfolgte. Eine peinlich verlegene Scene entstand, welche durch das trübselige Helldunkel des Zimmers für Tieck einen noch grausigern Charakter annahm. Kein freies offenes Gespräch wollte in Gang kommen, alle fühlten sich gedrückt. Eine Art Befreiung war es, als endlich ein neuer Gast, der Kunst-Meyer, eintrat. Dieser mußte nun die Kosten der Unterhaltung übernehmen. Er wußte Mancherlei zu erzählen. Dem jüngern Stolberg sei durch seine Freunde eine ganz absonderliche Weihnachtsbescherung bereitet worden. Man habe ihm eine Krippe mit einer Puppe darin aufgebaut, und diese habe er dann angebetet. Solchen und andern spöttischen Reden machte Herder durch ein entschiedenes Wort ein Ende, das auch in dieser peinlichen Stimmung auf Tieck Eindruck machte. »Lassen wir das, mein Freund«, sagte er, »man muß einem Jeden seine Hausreligion lassen!« Da indeß der Einklang nicht wieder herzustellen war, so verabschiedeten sich Tieck und Novalis bald darauf.
Auch später zeigte sich Herder nicht versöhnlicher. Als er im Jahre 1803 auf der Bibliothek in Dresden seine Studien für den »Eid« machte, traf er wiederum mit Tieck zusammen, aber er blieb fremd wie zuvor. Ein schadenfroher Zufall 264 war es, daß sie sich noch einmal bei der Frau von Berg begegnen mußten, die in der Hoffnung einiger genußreicher Stunden die beiden Dichter allein zu Mittag eingeladen hatte. Herder ließ auch hier nichts von jener Liebenswürdigkeit ahnen, die ihm, wenn er wollte, zu Gebote stand. Er war einsylbig, verschlossen und mürrisch.
Eng verbunden mit ihm war Jean Paul, der sich ebenfalls in Weimar aufhielt. Die Schriften des humoristischen und sonderbaren Dichters hatte Tieck bereits vor Jahren kennen gelernt, als er mit Wackenroder einige Tage in Braunschweig war. Zufällig fand er damals bei einem Bücherhändler die »Unsichtbare Loge«. Der von allem Bekannten abweichende Ton bestimmte ihn, das Buch mit sich zu nehmen. Er begann Wackenroder daraus vorzulesen, bei dem es aber nur eine kühle Aufnahme fand. Noch übler erging es Jean Paul's ersten Schriften bei den berliner Kunstrichtern, denen solche humoristische Sprünge gar nicht behagen wollten. Auch für ihn hatte Tieck manche Lanze zu brechen, und die aufgeklärten Gegner unterließen nicht ihm auch die Anerkennung Jean Paul's zum Verbrechen zu machen. Indeß war diese Verehrung nicht so unbedingt, daß er die Schwächen, ja Unbegreiflichkeiten mancher Dichtungen hätte übersehen sollen. Vieles erklärte sich ihm jetzt erst aus der Persönlichkeit des Dichters. Mit tiefem Humor und Gefühl verbanden sich Laune und grillenhaftes Wesen, das an eine Kindernatur erinnerte, und oft in den bizarrsten und sonderbarsten Aeußerungen zum Vorschein kam.
Merkwürdig wiederholte sich mit Jean Paul eine Scene, wie sie Tieck früher mit Nicolai gehabt hatte. Unter den Volksmärchen stellte er den »Blonden Ekbert« allen andern voran. Er sprach seine volle Bewunderung aus, und schloß endlich mit der Frage: »Gestehen Sie es nur, wo haben Sie die 265 Geschichte her?« Auf Tieck's Versicherung, er habe sie erfunden, antwortete er: »Nein, nein! Sagen Sie was Sie wollen! Dergleichen erfindet sich nicht! Das muß schon vorher dagewesen sein!«
Unter so verschiedenartigen Anregungen steigerte sich Tieck's eigene Dichterlust, und nach allen Seiten hin erwies er sich thätig. »Zerbino« und »Genoveva« waren zum Abschluß gekommen, der »Treue Eckart« und der »Tannhäuser« wie »Melusine« reihten sich im Tone der Volksmärchen an. Diese Dichtungen erschienen bei Frommann als »Romantische Dichtungen«, ein Titel, der mit vollster Unbefangenheit gewählt, bald allgemeine Bedeutung als literarischer Parteiname erhalten sollte. Eine neue oder gar höhere Art der Poesie damit bezeichnen zu wollen, war seine Absicht nicht im mindesten. Höchstens wollte er andeuten, daß der Leser in die entgegengesetztesten Regionen des Gefühls, der Leidenschaft, der Phantasiewelt in raschem Wechsel eingeführt werden solle. Daneben gab er ein poetisches Journal heraus, dessen Aufgabe sein sollte, in die ältere englische und spanische Literatur einzuführen. Dafür übersetzte er Ben Jonson's »Epicöne«, nahm in den Briefen über Shakspeare die Kritik über den Dichter wieder auf, und gab eine Anzahl von kleinern Beiträgen.
Tieck stand in der Mitte geistvoller, strebender und theilnehmender Freunde, der Schöpfer einer glänzenden Welt der Poesie und Phantasie, reich an Gedanken und Gefühlen, an Hoffnungen und Entwürfen. Siebenundzwanzig Jahre alt, war er bereits ein anerkannter Dichter. In die Reihe der edelsten Geister des Volkes war er eingetreten, und von ihnen als ebenbürtig anerkannt. Die kühnsten Träume seiner Jugend waren zur Wirklichkeit geworden, der Genius hatte den Jüngling bereits auf die Höhen des Lebens geführt. Er stand auf jenem Gipfel, zu dem er früher sehnsüchtig 266 hinaufgeschaut hatte. Es war die Fülle geistiger und sinnlicher Kraft, in der er lebte, noch wirkte Alles zusammen, um ein Dasein zu schaffen, wie es dem Menschen nur in erhöhten Augenblicken verstattet ist. Mit diesem Gefühl blickte er später auf die schöne Zeit in Jena zurück. Aber schon gingen diese sonnenhellen Tage vorüber; in den Frühling wehte ein rauher Herbstwind hinein, und künftige lange und schwere Leiden kündeten sich an.
Tieck war gewohnt auf seine Gesundheit und die volle Stärke seines Körpers sich zu verlassen. Noch in Jena hatte er die alten ritterlichen Künste geübt, und durch Gewandtheit und Unerschrockenheit die Freunde zu Zeiten überrascht. Als er einst mit Schlegel und Schelling in der Nähe von Jena einen Spazierritt machte, führte er sein Pferd über einen Balken, der als Steg über einen zwar trockenen, aber doch mehrere Fuß tiefen Graben gelegt war. Mitten auf dem schmalen Pfade scheute das Thier, und er stürzte mit demselben bügellos in den Graben hinab. Seine Begleiter glaubten ihn verunglückt, aber lachend erhob er sich, klopfte den Staub von den Kleidern, und saß im nächsten Augenblicke wieder im Sattel.
Rastlose geistige Arbeit und Nachtwachen wechselten bei ihm mit starken Körperanstrengungen. Als Knabe und Jüngling hatte er sich Stunden lang dem Sturm und Regen preisgegeben, und die Nächte unter freiem Himmel zugebracht; schon damals mochte seine Gesundheit gelitten haben. In der letzten Zeit begannen rheumatische Schmerzen ihn zu quälen. Da fühlte er sich eines Tages heiterer und freier als je. So leicht, so aufgelegt zu Humor und Dichtung war er lange nicht gewesen. Es war als wenn Jugendkraft und Gesundheit mit diesem letzten erfrischenden Hauche hätten auf immer von ihm Abschied nehmen wollen. Tages darauf erkrankte 267 er ernstlich. Die rheumatischen Schmerzen zeigten sich als ausgebildete Gicht am Knie. Eine langwierige Cur begann; er blieb auf sein Zimmer beschränkt, nur mit Mühe und Schmerzen vermochte er zu gehen. Schwäche und Abspannung machten das Arbeiten auf längere Zeit unmöglich.
Als der Frühling kam, erholte er sich allmälig. Er brachte ihm mit den warmen Lüften Schmerzensfreiheit und Arbeitslust wieder. Ein Ausdruck der wiederkehrenden Heiterkeit war die Tragödie »Rothkäppchen« und das Märchen »Melusine«. Neu belebt durch den ersten vollen Sonnenschein schrieb er sie, in einer blühenden Laube sitzend, im Frühling des Jahres 1800.
Endlich schied er von den Freunden; es war zu Ende des Monats Juli. Er ging nach Hamburg, dann nach Berlin, die Angehörigen seiner Frau wie seine eigenen wiederzusehen.Wenn es in Tieck's Vorbericht zu »Schriften«, I, S. XXXII, heißt, er sei im Juli 1801 nach überstandener schmerzhafter Krankheit nach Hamburg gegangen, so beruht diese irrige Angabe wol nur auf einem Druckfehler. Es ist das Jahr 1800 gemeint. Aus Tieck's Correspondenzen ergibt sich, daß er um jene Zeit in Dresden war.
In Hamburg fand er Veranlassung zu einem letzten großen Gedichte, welches die Reihe mystischer Poesien abschloß. Auf dem Wege nach einem Vergnügungsorte an der Elbe, wo sich eine Gesellschaft versammeln sollte, fand er in einem Bücherkram an der Straße das Volksbuch vom Kaiser Octavianus. Er kannte es noch nicht, und die Freunde erwartend, las er es sogleich durch im Angesichte des heitern Flusses, in der herrlichsten Sommerluft. Es war ein reiner und voller Zug, den er that. Schon während des Lesens erhob sich ihm der Gedanke, diesen bunten Stoff dramatisch zu bearbeiten; klar und deutlich traten ihm die einzelnen Gestalten entgegen. Mit Vorliebe und planvoller Ueberlegung ging er an das Werk. Im Jahre 1801 hatte er den ersten Theil, gegen Ende des Jahres 1802 das Ganze beendet. Noch wirkten die Vorbilder der spanischen Poesie. Sie zeigten sich in dem Inhalte, wie in der freien Behandlung der 268 Form, die neben dem Dramatischen auch Lyrisches und Episches in reichem Maße enthielt. Wieder trat die christliche Welt der heidnischen entgegen. Das siegreich fromme Dulden und die Leidenschaft, der Glaube und die Naturgewalt, das Wunder der Legende und der Zauber des Märchens standen einander gegenüber. In dem allegorischen Vorspiele erschienen die Mächte, welche diese Welt bewegten. Der Glaube und die Liebe, der Scherz und die Tapferkeit, und in ihrer Mitte die Romanze.
Noch einmal erfüllte sie das Herz ihres Dichters mit trunkener Begeisterung, und eine versunkene Welt beschwor er herauf mit dem geheimnißvollen und mächtigen Rufe:
Mondbeglänzte Zaubernacht,
Die den Sinn gefangen hält,
Wunderbare Märchenwelt,
Steig' auf in der alten Pracht!