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Während Tieck in ländlicher Stille sich mit seinen Jugenddichtungen beschäftigte, rückte der große Kampf der Entscheidung näher. Die Zeit der Befreiung war gekommen. Geräuschlos hatte sich ein großer Umschwung vorbereitet.
Als die mittlern Provinzen im Sommer 1813 zu Schlachtfeldern wurden, hielt er es bei seinem unbehülflichen Zustande gerathen, sich und die Seinen den Wechselfällen des Kriegs, die nothwendig auch den nicht kriegerischen Theil treffen müssen, nicht zum zweiten Male auszusetzen. Wie viele Andere beschloß er nach Prag zu gehen. Durch Wilhelm von Humboldt, der preußischer Gesandter in Wien war, hatte er einen Paß und Empfehlungen an den Oberst-Burggrafen Kolowrat erhalten. Dort verlebte er den größten Theil des Sommers.
Die alte Stadt hatte ihren Charakter geändert. Der Friedenscongreß war eröffnet worden. Sie war der Sammelplatz der verschiedensten Personen, ihrer Hoffnungen und Befürchtungen. Wer dem unmittelbaren Drange des Krieges sich entziehen, wer den Ausgang in der Nähe beobachten, oder auf die weitere Entwickelung der Dinge einwirken wollte, Alles floß hier zusammen. Hohe Staatsmänner, Diplomaten, 352 Agenten aller Art, Schriftsteller, Künstler und Auswanderer bewegten sich durcheinander, alle von gleicher Spannung beherrscht.
Einzelne bedeutende Erscheinungen erregten allgemeine Aufmerksamkeit und Theilnahme. Auch Tieck kam der staatsmännischen Welt näher. Er sah Stein, Humboldt kam von Wien, Niebuhr's Bekanntschaft, mit dem er schon früher zusammengekommen war, erneuerte er. Doch die weiten Kreise dieser Männer waren nicht die seinen; es blieb bei gelegentlichen und vorübergehenden Berührungen.
Niebuhr's stark ausgeprägter Charakter, seine Sicherheit, Gelehrsamkeit und umfassendes Gedächtniß, welches ihm in jedem Augenblicke Massen des verschiedensten Wissens darbot, erregten Tieck's Bewunderung. So theilnehmend und freundlich sich auch Niebuhr zeigte, trat doch die Verschiedenheit der Naturen und Anschauungsweisen bald hervor. Es war der Gegensatz des strengen, realistischen Geschichtsforschers, des Staatsmanns und des Dichters. Wo dieser Phantasie und Kunst voranstellte, setzte jener die Anforderungen der praktischen Moral entgegen. In den Gesprächen und Kritiken über Dichter ward dies deutlich. Tieck schloß einmal eine Vorlesung des »Macbeth« mit einer Darlegung seiner Ansicht der beiden Hauptpersonen, wie sie ursprünglich edle und großartig angelegte Charaktere seien. Eine Verkettung eigenthümlicher Umstände wandelt ihre Naturen um, und sie verfallen in eine Bösartigkeit, die sich zum Wahnwitze steigert. Diese Darstellung, welche den Entwickelungsgang Macbeth's erklären wollte, schien seine Frevel zu entschuldigen. Niebuhr dagegen legte den historisch moralischen Maßstab an, und sah in Macbeth nur den verwerflichen Usurpator und Tyrannen. Er brach in die Worte aus: »Ich bitte Sie, liebster Freund, sprechen Sie doch nur so 353 nicht! Es sind die abscheulichsten Charaktere, die es geben kann!«
Unter den ältern Freunden, welche Tieck wiedersah, war auch Brentano, mit dem er nach langer Unterbrechung hier in vertrauterem Umgange lebte. Brentano hatte sich in seiner Weise ausgebildet. Einige phantastische Dichtungen hatte er herausgegeben, im Geschmacke der romantischen Poesie, für deren bedeutendsten jüngern Vertreter er bereits galt. Ebenso geistvoll als sonderbar, war er doch eine ursprüngliche Natur. In Tieck sah er seinen Meister, mit ihm fühlte er sich in mehr als einem Punkte in Uebereinstimmung. Durch wiederholte Versuche, für ihn eine Stellung ausfindig zu machen, hatte er seine Freundschaft thatsächlich bewährt.
Brentano's erster Eindruck war ein liebenswürdiger und gewinnender. Er war frisch, heiter, voll des besten Humors; schlagende Einfälle, unerwartete Wendungen standen ihm in Fülle zu Gebote. Es war schwer seinen Scherzen auf die Dauer Unmuth entgegenzusetzen. Er wußte trefflich zu erzählen, und hatte die anmuthig überredende Beredtsamkeit in seiner Gewalt; alles trug den Charakter der natürlichen Aufrichtigkeit, der man unmöglich zürnen konnte. Sah er sich des Irrthums überwiesen, so war Niemand bereitwilliger zu bereuen als er. Laut und heftig klagte er sich der Verkehrtheit an, und versprach mit sichtlicher Bewegung sich zu bessern. Bei längerem Umgange fielen indeß wiederholte Erfahrungen dieser Art auf. Er war weder so einfach, noch so unbefangen. als viele meinten. Er pflegte sonderbare Geschichten zu erzählen, die er erlebt haben wollte. Im Anfange glaubte man ihm, dann stiegen Bedenken auf, endlich kam man dahinter, er habe seinen Zuhörern Märchen aufgebunden. Ward er zur Rede gestellt, so erfolgten jene 354 bewegten Versicherungen der Besserung, die nicht länger vorhielten als bis zur nächsten Geschichte derselben Art.
Für den Kundigen, der Brentano's Verfahren kannte, war dieses Spiel eine Probe glänzenden Talents, aber auch eine merkwürdige psychologische Erscheinung. Tieck glaubte nie einen bessern Improvisator gesehen zu haben, aber auch Niemand, der graziöser und anmuthiger zu lügen verstanden hätte. Diese Verbindung von Witz und Schelmerei erinnerte ihn an die Charaktermasken des italienischen Lustspiels. Dies schien Truffaldin in seiner Urgestalt zu sein.
Schon in Jena als Student hatte Brentano dergleichen Geschichten aufgetischt. Er erzählte von einer kostbaren Ausgabe des Shakspeare, die er besessen und durch einen sonderbaren Zufall verloren habe. Eines Abends habe er eifrig in einem Bande gelesen, die übrigen standen vor ihm aufgereiht. Vom Lesen ermattet fallen ihm die Augen zu, er schläft ein. Plötzlich weckt ihn ein heller Lichtschein, er ist in Gefahr zu verbrennen. Das Licht hat die Bücher ergriffen, und sein kostbarer Shakspeare geht in Flammen auf. Ruhig ließ sich Tieck die Geschichte erzählen, dann fragte er: »Heißen Sie etwa davon Brentano?«
Bedenklicher ward es, wenn diese Abenteuerlichkeiten mit dem Anspruche sittlichen Ernstes, oder als moralische Beichte auftraten. Nirgends brachte er dergleichen lieber an als bei Frauen. Gern und viel unterhielt er sich mit gebildeten und empfindungsvollen Frauen, dann entfaltete er mit Behagen alle glänzenden Seiten seines Talents, man hing an seinem Munde, und bald war er der erklärte Liebling der Damengesellschaften. Er wußte nicht nur zu unterhalten, sondern auch das Herz leicht zu rühren, und die Thränen in Fluß zu bringen. Nichts that er lieber als das. Das nächste und bequemste Thema für solche Gespräche war er selbst. Er 355 begann mit Selbstanklagen, er schilderte seine Seelenzustände. Viele Vorwürfe habe er sich zu machen, und vieles zu bereuen, er sei ein schlechter Mensch. Aber es habe ihm an der nöthigen Leitung gefehlt; wie ganz anders würde sein Leben geworden sein, wenn er immer in so trefflicher Gesellschaft hätte sein können. Doch noch sei es nicht zu spät; er werde sich bessern, wenn es edle Frauen übernähmen ihn auf den rechten Weg zu leiten. Ein solcher Aufruf an den Tugendeifer verfehlte selten die Wirkung. War es endlich zur Rührung gekommen, so brach er ab und ging seines Erfolges froh von dannen. Er lachte seiner weichherzigen Zuhörerinnen und rief im nächsten Augenblicke aus: »Nun glauben die Gänse dort wirklich alles, was ich ihnen erzählt habe!«
Tieck hielt es für gerathen, sein Haus durch ein bestimmtes Abkommen vor diesen magischen Einwirkungen zu schützen. »Lügen Sie den Frauen vor, soviel Sie wollen, nur eine Bedingung mache ich, lassen Sie es heiter sein!« Brentano versprach die Rührung nicht in Anwendung zu bringen. Dennoch konnte er der Versuchung nicht widerstehen. Eines Tages benutzte er Tieck's Abwesenheit, um seine gewöhnlichen Künste spielen zu lassen. Als dieser nach Hause kam, fand er die Frauen in Thränen, und Brentano in ihrer Mitte. »Plagt Sie denn der Teufel?« rief er dem Improvisator zornig zu. »Sie haben ja unsere Verabredung vergessen!«
Dieses Talent bewährte sich auch in anderer Weise. Später als gewöhnlich kehrten beide eines Tages vom Spaziergange zurück. Brentano hatte die Entschuldigung übernommen, und sich anheischig gemacht, die absonderlichsten Dinge vorzubringen und Glauben zu finden. Er erzählte mit dem Anscheine reinster Wahrheit eine abenteuerliche Geschichte, die ihnen widerfahren sein sollte. Als er die Zuhörerinnen 356 überzeugt sah, wendete er um. Er wolle es eingestehen, er habe sich einen Scherz erlaubt, doch jetzt werde er ihnen sagen, wie sich die Sache in der That verhalten habe. Nun begann ein zweites Märchen, dem endlich noch ein drittes folgte, und alle drei fanden Glauben, obgleich eines das andere Lügen strafte. Jedes Mal war seine Erfindung neu und eigenthümlich, und endete mit einem vollständigen Siege, bis er selbst dieses Spiels müde ward.
Es war ein gefährliches Talent, denn oft spann er sich so in seine Erfindungen ein, daß er selbst daran glaubte. Dämonisches Wesen, Phantasie, Reizbarkeit des Gefühls, Selbsttäuschung und Lust an der Täuschung gingen ineinander über; es war schwer, seinen Seelenzustand klar zu erkennen. Später wurden die wiederkehrenden Vorwürfe und Anklagen bei ihm stehend. Diese Gemüthsanlage bekam eine andere Richtung, er war in einem Zustande dauernder Selbstpeinigung, und suchte endlich Ruhe in streng kirchlicher Frömmigkeit und katholischer Ascetik.
Auch Ludwig Robert aus Berlin näherte sich Tieck freundschaftlich. Flüchtig hatte er diesen jungen Mann früher in den Gesellschaften seiner Schwester Rahel gesehen. Jetzt führten die Kriegswirren auch ihn nach Prag. Es war eine kleine, feine Gestalt, das Gesicht häßlich, aber charakteristisch. Er besaß Geist und Talent, doch seine dichterischen Versuche hatten etwas Hartes, Sprödes. Er war mehr reflectirt und absichtsvoll als einfach und unmittelbar. Früh war er mit den Wortführern der neuern Schule bekannt geworden. Doch diese phantastische Richtung, in der er sich anfänglich bewegte, entsprach seinem Wesen nicht. Dann ward er ein entschiedener Anhänger Fichte's. Eine gewisse Herbigkeit blieb ein Grundelement seines Charakters; Sarkasmen und schneidende epigrammatische Schlagworte waren 357 in Rede und Schrift seine Lieblingsform. Diese Bitterkeit wuchs durch seine persönliche Stellung. Obwol zum Christenthum übergetreten, war doch ein Stachel in ihm zurückgeblieben. Vergebens suchte er einen Punkt, wo er die Kräfte angemessen entfalten konnte. Die Formen des öffentlichen Lebens genügten ihm nicht. Er sagte wol von sich, er mache Opposition gegen Vergangenheit und Gegenwart für die Zukunft. Seine Stimmung war unbefriedigt und ruhelos; er ward mistrauisch und empfindlich, gereizt und bitter.
Als Dichter hatte er sich dem Drama mit Vorliebe zugewendet, und suchte nach einer realistischen Poesie; zugleich ward sie der Ausdruck seiner Verstimmung. So entstand das bürgerliche Trauerspiel »Die Macht der Verhältnisse«, welches er in Prag Tieck vorlas, auf den es den peinlichen Eindruck eines Tendenzstücks machte.
Zu den merkwürdigsten Bekanntschaften gehörte die Beethoven's. Mozart hatte einen Nachfolger gefunden, um den sich zahlreiche Bewunderer reihten. Nicht unbedingt vermochte Tieck einzustimmen, er gehörte der ältern Richtung an. Wenngleich er die Genialität, die gewaltige und erschütternde Kraft des jüngern Meisters in der Instrumentalmusik erkannte, so sprachen ihn doch weder seine Liedercompositionen noch selbst seine Oper an. Er vermißte in beiden das eigentlich Gesangmäßige, die einfachsten Töne der Musik, jene hohe und klare Heiterkeit, die den Tonwerken Mozart's den Charakter der abgeschlossenen und vollendeten Kunst verlieh. Auf Beethoven's Musik lastete der Druck der Schwermuth, der Schmerz einer gewaltigen Natur.
Er selbst machte einen unheimlichen Eindruck. Er war finster, auffahrend, jähzornig und unberechenbar in den Ausbrüchen seines Gefühls. Dennoch gestaltete sich 358 das Verhältniß zwischen ihm und Tieck freundlich; dieser besuchte ihn nicht selten. Dann setzte er sich an das Instrument, phantasirte Stunden lang, und entfaltete eine staunenswerthe Gewalt. Doch plötzlich ergriff es ihn wie eine fremde, dämonische Macht, mitten im Takte sprang er auf, und stürmte zur Thür hinaus. Heftiger noch brach ein anderes Mal die Leidenschaft hervor. Tieck hatte auf dem Schreibtische einen zierlichen Gypsabguß bemerkt. Es war der Porträtkopf eines vornehmen östreichischen Magnaten, mit dem Beethoven in Verbindung stand. Er machte einige gleichgültige Bemerkungen über die Arbeit; da springt Beethoven zornig auf, ergreift die Statuette, stürzt in den Vorsaal, und schleudert sie unter lauten Verwünschungen über das Geländer der Treppe, daß sie zerschellend auf dem gepflasterten Boden der Hausflur niederfällt. An eine Fortsetzung der Unterhaltung war für heute nicht zu denken.
Gemüthlicher war der Umgang mit Liebich, dem Director des ständischen Theaters. Er gehörte zu den maßvollen und verständigen ältern Schauspielern. Künstlerische Einsicht verband sich bei ihm mit Anspruchslosigkeit und Einfachheit. Im bürgerlichen Schauspiele und feinern Lustspiel war er ausgezeichnet. Er besaß Iffland's sicheres und wirksames Spiel, ohne in dessen Manier zu verfallen, und auch als Mensch war er achtungswerth.