Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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2. Theater, Literatur, Politik.

Eine nicht unwichtige Frage war, ob es in Berlin, selbst bei den reichsten Mitteln und einem entgegenkommenden Willen, möglich sein würde auf das Theater einzuwirken. Zunächst fuhr man mit der Herstellung der antiken Tragödie fort. Am 7. August 1843 wurde Euripides' »Medea« mit der Musik von Taubert, am 1. November 1845 »Oedipus in Kolonos« mit der Musik von Mendelssohn im Schlosse zu Potsdam aufgeführt. An der Einstudirung beider hatte Tieck Antheil. Aber schon blieb der allgemeine Eindruck hinter dem der »Antigone« zurück. Manches lag in diesen Stücken der Gegenwart ferner, und konnte für das moderne größere Publicum nicht ansprechend sein. Glücklicher war der Erfolg des »Sommernachtstraums«, der zuerst am 14. October 1843 mit Mendelssohn's Composition aufgeführt wurde. Man hatte Shakspeare's Bühne zum Theil hergestellt; Alles griff wohl ineinander, und auch dieses Drama des großen Dichters wurde dadurch dem Theater dauernd gewonnen.

Anders fielen die Versuche aus, welche man mit einigen 112 von Tieck's ältesten Stücken zu machen wagte. Am 20. April 1844 kam »Der gestiefelte Kater«, am 1. Februar 1846 »Der Blaubart« zur Darstellung. Nicht auf Tieck's Wunsch, vielmehr gegen denselben fanden die Aufführungen statt. Er wußte, welche Schwierigkeiten diesen eigensinnigen Dichtungen entgegenstanden, darum hatte er in Dresden, wo es in seiner Macht gewesen wäre, nie daran gedacht sie auf die Bühne zu bringen. Es war eine höchst misliche Aufgabe, ein humoristisches Spiel wie »Der gestiefelte Kater« aus der Phantasie in die sinnliche Wirklichkeit zu übersetzen. Vollends die der Breter mit ihren Maschinerien war zu eng dafür. Die Phantasie wurde überall auf ein geringeres Maß herabgesetzt. Alles hatte man voller, frischer erwartet und war geneigt die Dichtung entgelten zu lassen, daß man sich getäuscht sah. Aber man bedachte nicht, daß man Ansprüche machte, die sie weder erfüllen wollte noch konnte, daß ihre Darstellung auf der Bühne eine Vergröberung war, bei der sie nothwendig verlieren mußte. Auch war Manches ohne Commentar kaum verständlich, obgleich die historischen Anspielungen für die allgemeine Auffassung nicht die Wichtigkeit besaßen, welche einige Kritiker ihnen beilegten. Doch in Einem behielt der Kater Recht, die Zuschauer von vor funfzig Jahren waren noch ein lebendiges und getreues Abbild des Publicums, welches im Augenblicke vor den Coulissen saß, und sich selber darstellen sah, ohne sich zu verstehen. Man hörte diesseits dieselben Kunsturtheile wie jenseits. Als die Katergeschichte zu Ende war, entfernte sich der größte Theil, ohne den Epilog der Zuschauer abzuwarten.

Auch mit der Darstellung des »Blaubart« konnte man nicht den Erfolg erreichen, der noch unter Immermann's Leitung in Düsseldorf möglich gewesen war. Die matte Haltung der meisten Schauspieler, die Gleichgültigkeit des 113 Publicums und die kritische Opposition gegen dergleichen Erneuerungen hemmten auch hier den Erfolg.

Tieck selbst hatte von diesen Versuchen nichts erwartet. Zwar fehlte es ihm nicht an Freunden in der Theaterverwaltung, doch auch Widerspruch und Misverständnisse erhoben sich. Die glänzenden Mittel der berliner Bühne waren nicht im Stande, ihm eine andere Meinung vom Theater überhaupt zu geben; vielmehr traten manche Uebelstände erst hier in ein grelles Licht. Vor der schweren Aufgabe einer durchgreifenden Reform würde selbst eine jüngere Kraft zurückgeschreckt sein, sein Zustand erlaubte ihm solche Anstrengungen nicht mehr, er beschränkte sich daher allmälig nur auf gelegentliche Rathschläge und Gutachten, wenn sie ausdrücklich verlangt wurden.

Diese Theaterversuche waren zugleich für sein Verhältniß zum Publicum wichtig. Freilich war es nur ein einseitiges, soweit die öffentliche Meinung und die, welche in ihrem Namen sprachen, Gelegenheit fanden, über seine Berufung und Wirksamkeit zu urtheilen. Ihm selbst war es durch die Umstände geboten, diesen Aeußerungen gegenüber zu schweigen, die zum Theil ein deutliches Echo jener Ansichten waren, die sich seit 1830 kundgegeben hatten. Sahen Viele in seiner Berufung einen Act königlicher Liberalität, so fragte doch auch manche laute Stimme, was Gegenwart und Zukunft von einem Dichter zu erwarten habe, der an der Grenze des Lebens stehe; seine Dichtungen seien zum größten Theile veraltet und unverständlich, die Zeit sei über ihn und sie hinweggegangen, sie verlange anderes als dichterische Spielerei, romantisches Geflimmer und mittelalterliches Halbdunkel. Ihn und seinen Einfluß machte man für vieles verantwortlich, was ganz außerhalb desselben lag. In der Aufführung seiner Stücke wollte man das Gelüsten romantischer Reaction 114 erkennen; seine Auffassung der englischen Bühne und Shakspeare's galt für willkürlich, sonderbar und grillenhaft, und erfuhr wie seine dramaturgische Kritik harte Angriffe, in welchen der Meister meistens mit den eigenen Waffen bekämpft wurde.

Andere hatten von Tieck's Einwirkung auf Theater und Publicum bedeutenderes erwartet, und bestätigten nun jene feindlichen Ansichten. Sie hatten geglaubt, er werde einen Kreis um sich bilden und die geistige Herrschaft, die er in Dresden geübt, fortsetzen. Aber weder das Eine noch das Andere war möglich; sie übersahen, daß in Berlin Alles anders stand als in Dresden.

Ihm selbst war es ein fremder Ort geworden. Nur auf kurze Zeit und als Fremder hatte er es in den verflossenen Jahrzehnden besucht, er mußte auf dem alten und doch neuen Boden erst wieder heimisch werden. Ihm schwebte das Berlin aus dem Anfange des Jahrhunderts vor, welches kaum zur großen Stadt zu werden anfing. Wie sehr war es seitdem räumlich und geistig gewachsen! Zu den Erinnerungen an Friedrich waren die Wirkungen der Freiheitskriege hinzugekommen, die Universität war begründet, auf die Romantiker und Fichte war Hegel, auf Teller und Zöllner Schleiermacher gefolgt, und viele bedeutende Persönlichkeiten herbeigezogen worden. Ueberall war System und Organisation, eine Masse gelehrter Kenntnisse und scharfer Kritik hatte sich angesammelt. Dazu kamen die tausendfach gespaltenen Interessen der großen Haupt- und Residenzstadt, welche die verschiedenartigsten und oft feindlichsten Elemente in sich vereinigt. Trotz aller Centralisation und der augenblicklichen Anstöße, welche die öffentliche Meinung bald nach der einen oder der andern Seite hin trieben, war es doch unmöglich die bedeutendsten Kräfte um einen Mittelpunkt zu 115 sammeln. Es gab hier eine Art von Republikanismus der Geister, der keine Herrschaft eines Geistes anerkannte. In jedem Augenblick war man mit einer schlagfertigen Kritik, mit einem Witzworte bei der Hand, und stets geneigter Fehlendes zu vermissen als Vorhandenes anzuerkennen. Die kritisirenden Gebildeten hatten Alles längst besser gewußt, die Frommen kreuzigten sich vor dem weltlichen Treiben, welches auf Wissenschaft und Kunst einen hohen Werth legte, und die politischen Reformer riefen immer lauter auf, das Spielzeug bei Seite zu werfen, weil man der Männer und Thaten bedürfe. Und in diese Bewegungen hätte ein greiser Dichter mit harmlosen dramatischen Vorlesungen und Kritiken eingreifen sollen?

Auch er war nicht mehr derselbe wie in Dresden; er war alt, von Leiden gebeugt, die letzten Jahre des Lebens setzte er ein. Schon darum konnte er nicht mehr, wie er früher gethan, ein offenes Haus halten. Um so gehässiger war der Vorwurf, daß er sich absichtlich mit kleinen Geistern umgäbe, welche ihm nichts Fremdes und Unbequemes nahe zu bringen vermöchten, und ihm die Mühe jedes Streites und der Vertheidigung seiner Autorität ersparten. Es verrieth sich darin die kleinliche Eitelkeit, die sich zurückgesetzt glaubte und seine einfache Weise nicht kannte. Der Zutritt stand auch jetzt noch einem Jeden offen, und wer sich ihm in unbefangener Weise nahte, konnte der freundlichsten Aufnahme gewiß sein.

Aber er war darum nicht vereinzelt. Immer sammelten sich genug der Geister um ihn, und es waren die bedeutendsten darunter, und die zahlreichen Sendungen, Briefe und Anfragen, die er empfing, bewiesen, daß er noch im Mittelpunkte der literarischen Welt stehe. Sein Verhältniß zum Theater brachte ihn in nähere Berührung mit Felix 116 Mendelssohn, Meyerbeer; er verkehrte mit Rauch und Kaulbach. Mit Wärme hatte A. v. Humboldt das alte freundschaftliche Verhältniß aufgenommen. Auch andere berliner Gelehrte, namentlich v. d. Hagen, standen ihm nahe. Fremde, besonders Engländer, darunter Carlysle und der Negerschauspieler Aldridge, versäumten es nicht ihn aufzusuchen; ebenso viele Schriftsteller und Dichter der jüngern Literatur.

Seine literarische Thätigkeit hatte in dieser Zeit einen sichtenden und sammelnden Charakter. Zunehmende Kränklichkeit, dann wieder nach außen ablenkende Zerstreuungen ließen es zu nichts Anderm kommen. Zwar war er immer noch reich an Plänen und literarischen Stoffen, die er bearbeiten wollte, oft mahnte ihn auch die Fortsetzung der »Cevennen« als eine Schuld, die abzutragen sei, doch dies Alles trat vor einem andern Gedanken zurück. Er dachte ernstlich daran, die Denkwürdigkeiten seines Lebens zu schreiben. Mehr als funfzig Jahre, voll der gewaltigsten Umwälzungen, überblickte er; so vieles hatte er in sich und mit Andern erlebt und mit bedeutenden Männern in naher Verbindung gestanden. Es war ein Leben, wohl würdig, daß davon ausführlicher gesprochen werde. Schon im Jahre 1838 hatte er diesen Plan. Er hatte es, wie er damals an seinen Bruder schrieb, als eine Pflicht erkannt, in unserer verwirrten Zeit, Umstände und Personen, soweit sie ihn angingen, in das gehörige Licht zu setzen. Zu demselben Zwecke ordnete er mit Hülfe eines jungen Beamten, den der König ihm als Secretär zugegeben hatte, seine umfassende Briefsammlung, die von 1792 bis auf die Gegenwart herabging. Seine literarhistorischen Schriften, die gelegentlich als Vorreden und Einleitungen erschienen waren, gab er gesammelt unter dem Titel »Kritische Schriften« in zwei Bänden heraus. Eduard Devrient, der sich ihm schon früher in 117 freundschaftlicher Verehrung angeschlossen hatte, fügte ihnen später die »Dramaturgischen Blätter«, durch eine Nachlese vermehrt, als dritten und vierten Band hinzu. Außerdem fand sich öfter Gelegenheit, hier und da ein empfehlendes oder einleitendes Wort öffentlich zu sagen. Er führte ein ehrenvolles und gleichmäßiges literarisches Stillleben. Da kam das Jahr 1848.

Fünfundsiebzig Jahre war er alt geworden, als er diesen jähen politischen Umsturz erlebte. Er erinnerte sich der Aufregungen beim Ausbruch der Französischen Revolution, der Napoleonischen Herrschaft und ihres Falles, der Kämpfe von 1830, aber keine Revolution war unerwarteter und unter drohendern Zeichen hereingebrochen als diese. Am 18. März erbaute man Barrikaden und schoß und schlug sich unter seinen Fenstern. Mit seinen Büchern beschäftigt blieb er die Nacht über aus dem Bette. Für das Dasein irgendeiner staatlichen Ordnung wurde in den nächsten Monaten gestritten, und alles was die Gemüther vorher harmlos beschäftigt hatte, war von einer vernichtenden Flut fortgerissen. Wen kümmerten jetzt noch die Streitfragen der Romantik!

Der regelmäßige Besuch des Hofes ward unmöglich, obgleich Tieck, um den fortwährenden Unruhen zu entgehen, die Sommerwohnung in Potsdam frühzeitig bezogen hatte. Mit tiefer Empörung betrachtete er diese Ereignisse. Verhaßter, widerwärtiger war ihm nichts als ein anarchisches Straßenregiment, in dessen wilden Strudeln Staat und politische Vernunft, Sitte und Ordnung, Dichtung und Wissenschaft gleichmäßig unterzugehen drohten. Herangewachsen im Zeitalter Friedrich's des Großen hatte er, wenn sonst auch nichts, doch Eines aus demselben mit herübergenommen, die Ueberzeugung eines strengen Monarchismus. Dennoch hatte er bei Gelegenheit des »Gestiefelten Katers« von übereifrigen 118 Royalisten den Vorwurf gehört, durch jenen marionettenhaften König das Königthum erniedrigt zu haben. Was er dagegen in dem kurzen Bericht über die Aufführung des Lustspiels sagte, war seine vollste Ueberzeugung: »Ich behaupte, daß die Macht des Königs die natürlichste, begründetste und wohlthätigste von allen politischen Einrichtungen ist. Dem Poeten ist nun vollends die Erscheinung eines Königs groß und bedeutend; er wird seinen poetischen Standpunkt völlig einbüßen, wenn ihm diese natürlichste Würde und Hoheit nicht mehr mit Glanz entgegentreten sollte. Die Republik ist der Prosaismus, und wenn sie auch große Erscheinungen bietet, wie es im Alterthum der Fall war, so kann sie sich poetisch nicht mit dem Königthum messen.«Die herausgehobene Stelle aus der Anzeige der Aufführung des »Gestiefelten Kater« s. »Kritische Schriften«, IV, 378.

So war ihm Alles zuwider, was in jenen Tagen geschah. Vom Liberalismus erwartete er nichts, den Kosmopolitismus in seiner nebelhaften Allgemeinheit verachtete er, die rohen Ausbrüche der Tagesdemokratie haßte er. Es war ihm höchst zweifelhaft, ob die Kammern mit ihren Debatten und oft schwierigen Beschlüssen das Wohl des Landes zu fördern vermöchten. Er sah in ihnen kein Gegengewicht monarchischer Allgewalt. Ueberall wollte er strenge, feste Ordnung. Für das bürgerliche Kleinleben, und auch das war eine jugendliche Erinnerung, liebte er die Zünfte. Ein fester, vernünftiger Wille sollte die Dinge entscheiden. Nächst den wohlbegründeten Ordnungen der Verwaltung fand er nur in dem offenen, wohlmeinenden und unerschütterlichen Freimuth der Räthe und guten Patrioten eine politische Schranke. Auch hier war ihm die tüchtige, durchgebildete Persönlichkeit Alles.

Obgleich er nichts mehr floh als politischen Streit, so war es doch bei der herrschenden Aufregung unmöglich, ihm selbst in engern Kreisen zu entgehen. Ward er durch heftigen Widerspruch, oder unverständige und übertriebene 119 Aeußerungen allzu sehr gereizt, so schlug sein gewöhnlicher Gleichmuth in heftigen Zorn um. Alter und Lage würden ihn völlig entschuldigt haben, wenn er sich von allen öffentlichen Handlungen ferngehalten hätte. Dennoch konnte er sich nicht versagen für die gute Sache seine Stimme als Urwähler abzugeben. Das war für ihn kein kleines Opfer. Große Versammlungen, lautes und leidenschaftliches Durcheinanderreden, der Aufenthalt in stickiger Luft waren ihm physisch unerträglich. Aber er überwand Alles und hielt mehrere Stunden, eingehüllt von dichten Tabackswolken, in einem Wahllocale aus, bis er seine Stimme abgegeben hatte. Als er an der Treppe seiner Wohnung anlangte, ward er fast ohnmächtig, und erreichte das Zimmer nur mit Mühe.

Auch andere Opfer brachte er bereitwillig. Als nach dem Eintritt des ersten Rückschlags fast alle Häuser mit militärischer Einquartierung belegt wurden, wies man ihm einen jungen Lieutenant zu, der höchlich erfreut war, auf diesem Wege die Bekanntschaft des Dichters zu machen. Mittags aß Tieck mit ihm und lud ihn, so oft es der Dienst erlaubte, auch Abends zu den Vorlesungen ein.

Obgleich entschieden monarchisch gesinnt, sah er doch die rückwärts drängende Bewegung, welche auf den demokratischen Sturm folgte, nicht ohne Besorgniß. In den Uebertreibungen eines einseitigen Parteipatriotismus konnte er das Heil ebenso wenig finden, als in der formalen Strenge der Kirchlichkeit. Indeß nur selten sprach er seine abweichenden Ansichten aus, aber stets ebenso entschieden und freimüthig als maßvoll und würdig, nie im Tone der politischen Partei, die für ihn überhaupt keine Bedeutung hatte. 120



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