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Tieck's Leben in Dresden hatte sich jetzt fester gestaltet. Sein dauernder Aufenthalt daselbst blieb nicht ohne Einfluß. Als mittlere Residenzstadt, im Besitze großer künstlerischer und wissenschaftlicher Hülfsmittel, gewährte es bedeutende Anregungen, aber es war nicht groß genug, um eine solche geistige Macht zu neutralisiren oder in den Hintergrund zu drängen. Viele Verhältnisse waren angeknüpft, Anerkennung und Widerspruch hatten sich eingestellt, dichterisch schaffend und studirend führte Tieck ein Leben, welches ihm ganz zusagte. Sich selbst, seiner Kraft verdankte er Alles. Durch keine Schranke beengt, wollte er sich diese Freiheit 29 bewahren. Auch war Niemand weniger geeignet, sich äußern Dienstverhältnissen zu fügen; er kannte keine andere Ordre als die seines Genies, und keine andere Arbeit als die dichterische Muße.
Anders dachten seine Freunde. Manche wünschten ihm eine sorgenfreie Existenz, welche der Staat sicherstellte; andere wollten ihn in eine geregelte Thätigkeit des bürgerlichen, oder wenigstens des wissenschaftlichen Lebens hineinziehen. Sie dachten sein kritisches Talent, seine künstlerische Erfahrung, seine Kenntniß der neuern Literatur und ausgedehnte Buchgelehrsamkeit dem praktischen Nutzen dienstbar zu machen. Sie meinten ihm eine Wohlthat zu erweisen, selbst gegen seinen Willen. Man wollte ihn bei der Leitung des Theaters beschäftigen, oder als Lehrer auf das Katheder stellen. Schon 1804 wünschten ihm Einige an der reorganisirten Universität Heidelberg eine Stellung zu schaffen. Auch Creuzer war dafür gewonnen worden; vorbereitende Schritte geschahen, aber sie führten zu keinem Ergebniß. Im Jahre 1812 trug ihm der Minister von Wietersheim die Stelle eines Oberbibliothekars in Dresden an, und 1816 ward ihm die unvermuthete Anerkennung einer wissenschaftlichen Corperation zu Theil, indem die Universität Breslau ihm das Ehrendiplom eines Doctors der Philosophie übersandte.
Später wurde eine mögliche Anstellung Tieck's im Dienste des Staats und der Wissenschaft von Solger eifrig betrieben. Mit der Wärme des Freundes und dem Nachdrucke des Geschäftsmannes nahm er sich der Sache an. Schon in der Zeit des Aufenthalts in Ziebingen war Tieck dem Fürsten Hardenberg bekannt geworden. Er hatte auf diesen einen günstigen Eindruck gemacht. Der Mann war für ihn, welcher Alles durchsetzen konnte. Wiederholt hatte Hardenberg ihn zu Tische eingeladen. Es war eine ebenso gewinnende 30 als imponirende Erscheinung. Er mußte früher schön gewesen sein; in der vollendeten Bildung des vornehmen Aristokraten und mächtigen Staatsmannes trat er ihm entgegen. Die würdigste Haltung verband sich mit einnehmender Freundlichkeit, fern von beleidigender Herablassung. Auch waren in Hardenberg's Nähe Personen, welche diese wohlwollende Stimmung für den Dichter zu nutzen suchten. Zu diesen gehörte Koreff, der selbst ein Romantiker sein wollte; auch Stägemann. Mit Solger vereinigte sich F. v. Raumer, der 1819 von Breslau als Professor nach Berlin berufen worden war. Auch wollte man wissen, daß der Kronprinz, ein Gönner und Liebhaber der Poesie, Tieck's Dichtungen besonders günstig sei.
Der Staatskanzler forderte darauf den Cultusminister v. Altenstein auf, für Tieck's Anstellung geeignete Vorschläge zu machen. Dieser hielt es gerathen, den Dichter selbst zu hören. Er fragte bei ihm an, ob er eine Stellung bei der Universität, der Akademie der Wissenschaften oder der Künste wünsche, wobei zugleich die Aussicht auf eine dramaturgische Thätigkeit beim Theater eröffnet wurde. Aber auch hier lagen manche Schwierigkeiten in der Sache selbst; noch schlimmer war es, daß durch Solger's plötzlichen Tod dieser Plan im entscheidenden Augenblicke seinen eifrigsten Beförderer verlor. Nun faßte man den Gedanken, Tieck an Solger's Stelle zum Professor der Aesthetik zu berufen. Aber dagegen sträubte sich seine Pietät; er fühlte sich durch den Antrag erschüttert und verletzt. Wie hätte er daran denken können, den Lehrstuhl eines Mannes einzunehmen, als dessen Schüler er sich bekannte, und jetzt, wo er den Verlust mit dem tiefsten Schmerze empfand? Er war Dichter und nicht Philosoph; das Katheder erforderte ein System, und er hatte keines. Niemand sprach trefflicher als er, aber 31 die Stimmung mußte ihn leiten, und diese ließ sich durch keinen Lectionsplan gebieten. Ein solcher Lebenswechsel, eine so fremdartige, bisher nie geübte Thätigkeit noch im reifern Mannesalter zu übernehmen, war bedenklich. Erwog er dann seine Kränklichkeit, die Schmerzen, die ihn oft plötzlich und heftig überfielen, seine Schwerfälligkeit und Abhängigkeit von äußern Dingen, so ward er vollends unsicher und zaghaft. Er gestand sich, auf dem fremden Gebiete, als Professor, der dociren solle, werde er immer nur ein Stümper und halber Mensch bleiben. Nur widerstrebend hatte er sich durch seine Freunde in diese Sache verwickeln lassen. Er hatte gezögert und ihre Geduld auf die Probe gestellt; endlich ward Solger's Tod die Veranlassung, den Plan ganz fallen zu lassen.
Bald darauf, es war 1822, hatten andere Freunde in Breslau eine ähnliche Absicht. Nun wollte man ihn zum Professor der neuern Literatur und Dramaturgen des Theaters machen, aber auch dies zerschlug sich.
Tieck kannte seine Natur besser als die Freunde, die ihn versorgen wollten. Er wußte, daß ein festes amtliches Verhältniß für ihn nicht geeignet sei; es konnte fraglich sein, ob es irgendein Amt gebe, welches er zu führen im Stande sei. Das Talent, die Kunst dienstbar und nützlich zu machen, war ihm platterdings versagt; er hatte es so oft verspottet und verlacht. Er zog es daher vor, frei zu bleiben und aus eigener Kraft die Bedrängnisse zu überwinden, die von der Stellung eines modernen und eines deutschen Dichters nicht zu trennen sind.
Doch es gab noch einen Lehrstuhl, der für ihn der entsprechende war, eben der, welchen er längst schon inne hatte, der kritische beim Theater. Endlich trat auch hier eine glückliche Wendung ein. Schon früher hatte die 32 berliner Bühne, welche unter der Leitung des Grafen Brühl stand, Tieck's Rath für Einzelnes zu nutzen gesucht. Als Ludwig Devrient 1816 »Richard III.« einstudirte, wollte man ihn darüber hören, und als darauf Wolff den »Blaubart« zur Darstellung zu bringen dachte, gab dies Veranlassung zu neuen Besprechungen. Später, als der Fürst Radziwill in seinem engern Kreise die Aufführung einiger Scenen aus dem »Faust« mit seiner Composition veranstaltete, lud er Tieck ein, derselben beizuwohnen. Er wünschte sein Urtheil zu hören, und obgleich Tieck sonst ein Gegner der Versuche der Faustdarstellungen war, fand er dennoch Vieles anzuerkennen. Nächst der Musik machte der Herzog Karl von Mecklenburg-Strelitz als Mephistopheles einen bedeutenden Eindruck. Nie hatte er einen Schauspieler diese Rolle besser auffassen und darstellen sehen.
Endlich eröffnete sich die Aussicht, von Dresden einen größern Einfluß auf die berliner Bühne auszuüben. In Berlin war das königliche Theater das allein herrschende. Es gab kein vorstädtisches, volksthümliches, wie in den südlichen Städten. Zum Charakter dieser ruhigen, genießenden Friedensjahre gehörte eine gesteigerte Theaterlust. Man sah in der Bühne zwar keine Erziehungsanstalt für das Volk, aber das wichtigste Kunstinstitut. Es waren die einzigen öffentlichen Interessen, die öffentlich besprochen werden konnten; alles drehte sich um diesen Mittelpunkt. Man entwarf den Plan zu einer zweiten unabhängigen, nur von Privatleuten unterstützten Bühne. Endlich war die Concession gewonnen. Es war für Berlin ein großes Unternehmen, welches Schauspieler, Kunstkenner und Liebhaber, Beamte, Journalisten und officielle Kritiker gleich sehr in Aufregung setzte. Die durch das Privilegium geschützte Kunst sollte aufhören, und eine Volksbühne gegründet werden. Das war 33 die Meinung der Enthusiasten, und die Freunde Tieck's wünschten, in ihm eine Autorität dafür zu gewinnen. Die erste Nachricht gab ihm Ludwig Robert. Einer der Hauptleiter des Unternehmens erschien selbst in Dresden, und 1823 erfolgte die amtliche Einladung der Direction des neuen Königstädtischen Theaters, an dessen Einrichtung Theil zu nehmen, ein Repertoire aufzustellen, und für die Eröffnung ein Vorspiel zu schreiben.
Einen Augenblick glaubte auch Tieck an diese Entwürfe. Er dachte sich eine wirkliche Volksbühne, ein mittleres bürgerliches Theater, wie er es in seiner Jugend gesehen hatte; er hielt es für möglich, ein solches herzustellen. Bei mäßigen Mitteln konnten übertriebene Ansprüche nicht gemacht werden, der blendende, für den Geschmack verderbliche Pomp sollte fern bleiben, damit das einfache, bürgerliche Schauspiel, welches mit Unrecht jetzt ganz verachtet wurde, das harmlose Singspiel und der Volkswitz wieder Raum gewinne. Nicht ein kritisch nasenrümpfendes und überbildetes Publicum dachte er sich, sondern ein bürgerliches, wie es in den entlegenern Theilen der Stadt inzwischen entstanden war. In die Zeiten ihrer Jugend und Unbefangenheit sollte die Bühne zurückkehren, um von neuem heranzuwachsen. Er stellte ein Verzeichniß älterer Lustspiele zusammen, auf dem Schröder, Jünger, Holberg, Gozzi standen, auch Kotzebue und Iffland waren nicht ausgeschlossen.
Doch bald ward es klar, auf so schlichtem Wege waren die Dinge nicht mehr zu führen. Die Leiter des Unternehmens waren mit der anspruchslosen Hausmannskost der Väter, welche ihnen zugemuthet wurde, nicht zufrieden. Auch verlangten sie, Tieck solle auf Bestellung Verse machen und Stücke schreiben. Damit durfte man ihm am wenigsten kommen. Er eilte sich zurückzuziehen und bereute das 34 umsoweniger, als auch hier Alles die verkehrte Bahn einschlug, gegen die er unaufhörlich eiferte. Keine Volksbühne, sondern eine glänzende Oper entstand, und jener unerhörte Sturm der Theaterwuth brach los, den der Kritiker als das Zeichen einer abgespannten und an großen Interessen armen Zeit nicht ohne Bitterkeit belächelte.
Am nächsten stand Tieck die dresdener Bühne; sie war auf ihn angewiesen. Schon sein vollendetes Vorlesen dramatischer Werke mußte unwillkürlich einen bildenden Einfluß ausüben. Für den Schauspieler konnte es keine bessere Schule geben. Und er las nur, was vollendet war, oder mindestens nach einer Seite hin bedeutenden Werth hatte. Auch für die Darstellung größerer dramatischer Dichtungen erholte man seinen Rath. Schon 1821 war der »Kaufmann von Venedig« nach seinen Angaben in drei Acten zur Aufführung gekommen. Bald darauf setzte er es durch, daß Kleist's »Prinz von Homburg« gegeben wurde. Zugleich hatte er Veranlassung, als Dramaturg öffentlich aufzutreten. Seine Kritiken fanden Eingang in die »Abendzeitung«, und bildeten in den Jahren 1823 und 1824 einen stehenden Artikel derselben. Ueber dem Standpunkte des gewöhnlichen Tageskritikers stehend, hatte er stets das Ganze der Kunst und Literatur, und ihre Entwickelung im Auge. Das Niedere und Mittelmäßige fertigte er kurz ab, oder übersah es, zum Verdrusse der Verfasser, um das wirklich Classische um so allseitiger zu besprechen. Wie Lessing, kam er von den Künstlern auf die Kunst, und seine Kritiken erwuchsen allmälig zu einer dresdener Dramaturgie.
Ungesucht, aus den Verhältnissen hatte sich diese Stellung gebildet. Zu seinem und des Theaters Vortheil wünschten die Freunde sie in eine ausgesprochene und dauernde zu verwandeln. Auf diesen Punkt wiesen ihn Talent, 35 Gelehrsamkeit und Vorliebe gleichmäßig hin. Bei Hofe war man ihm günstig gesonnen; die Königin, die Prinzen und andere einflußreiche Personen wollten ihm wohl, so kam es zur Entscheidung. Mit Beginn des Jahres 1825 wurde er bei der Hofbühne als Dramaturg mit einem jährlichen Gehalt von 700 Thalern und dem Titel eines Hofraths angestellt. Den Kreis seiner Pflichten hatte man weit und allgemein gezogen, sie sollten keine Last für ihn sein. Als literarischer Rathgeber trat er dem neuen Chef des Theaters, Herrn von Lüttichau, an die Seite. Bei Besetzung, Anordnung und Einstudirung der Stücke sollte er gehört werden, an der Aufstellung des Repertoires Theil nehmen. Vor allem hofften seine Freunde, er werde durch das Vorbild, welches er gab, durch Kritik, Einsicht und edle Humanität auf die allgemeinere Durchbildung und künstlerische Erziehung der Schauspieler wirken.
So war denn endlich in Erfüllung gegangen, was er schon früher als seinen Beruf erkannt hatte. Von Amtswegen wurde ihm eine Stelle in jenem Kunsttempel angewiesen, in den er sich als Knabe heimlich zu schleichen suchte; Alles, was er studirt und erfahren hatte, kam zur Anwendung. Dazu erhielt er noch den Titel eines Hofraths, und die Hofräthe waren gerade die Personen, deren er in seinen jugendlichen Dichtungen oft genug gespottet hatte. Diese Ironie hob er nicht ohne Selbstbefriedigung hervor. Er hatte Recht gehabt, eine solche Wendung abzuwarten, und voll des besten Humors schrieb er bald darauf: »Nun werde ich doch endlich einmal dafür bezahlt, daß ich reise und Komödie sehe! Es ist meine verdammte Schuldigkeit, daß ich mich amüsire, und Dienst. Prügel dafür in der Jugend bekommen, im Alter Hofrath geworden; so gebührt es sich!« 36