Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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11. Visionen in Berlin.

Sommer und Herbst des Jahres 1813 waren verflossen; der Norden Deutschlands war frei. Tieck war wiederum in Ziebingen.

359 Hier erwartete ihn sein alter Feind. Im Winter erkrankte er am Scharlachfieber, und kaum war er hergestellt, als schwere Erkrankungen in seiner nächsten Umgebung ihn mit Sorgen erfüllten. Ein Fall, der tödtlich zu werden drohte, rief ihn im Sommer 1814 unerwartet nach Berlin. Der Eintritt in die Stadt war von dem sonderbarsten Abenteuer begleitet, das ihn fast in die träumerische Zeit seiner Jugend versetzte.

In angestrengter Eile legte er den Weg zurück. Tag und Nacht war er in drückender Hitze gefahren. Ermattet traf er in den Mittagsstunden bei seinem Schwager, dem Staatsrath Alberti, ein. Nach den ersten Begrüßungen und Erkundigungen zog er sich zurück. Ueberwacht, von Anstrengung, Hitze und Spannung abgemattet, bedurfte er der Ruhe. In einem obern Stockwerke des Hauses wies man ihm ein Zimmer an. Es lag mitten in einer Reihe weitläufiger zusammenhängender Gemächer, die vor kurzem nach dem Tode des letzten Bewohners geräumt worden waren. Die Dienerschaft erhielt Befehl, jeden unzeitigen Besuch abzuwehren, und jede Störung zu vermeiden. Zu größerer Sicherheit schloß er selbst die Thüren.

Noch einen Augenblick trat er an das Fenster. Er sah auf den Hof hinab. Eine schwüle Mittagshitze brütete auf dem engen Raume. Die Diener waren mit den Pferden beschäftigt; man putzte und ordnete, klapperte und schwatzte durcheinander. Ohne die Kleider abzulegen, warf er sich auf das Bett. Er blickte im Zimmer umher. Es war wüst und unheimlich; die Wände verstaubt, hin und wieder Nägel darin. Einst waren sie mit Gemälden und Kunstgegenständen geschmückt gewesen. Abgespannt und gleichgültig lag er, verworrenes Geräusch tönte vom Hofe herauf; noch schlief er nicht.

360 Da ward plötzlich die nach innen führende Thür mit Heftigkeit geöffnet. Aufgeschreckt fuhr er in die Höhe. Ein hagerer ältlicher Mann in blauem Frack und altmodischer Haltung tritt ein. Sein Gesicht ist blaß, die Züge fest und markirt, starke weiße Brauen überschatten die Augen. Eine Hand hatte er unter den Brusttheil des Rockes geschoben, er schien etwas verbergen zu wollen. Tieck glaubte einen kleinen Gipsabguß zu erkennen. Indem der Eintretende mit dem eiligen Schritte eines Beschäftigten durch das Zimmer ging, streifte ein gleichgültiger Seitenblick über Tieck hin. Bevor dieser fragen konnte was ihn herführe, hatte er die zweite Thür aufgerissen, und war in den Vorsaal hinausgetreten. Unwillig über diese Störung warf sich Tieck zurück, um jetzt zu schlafen. Doch bald wird die Thür abermals geöffnet, in derselben Haltung kehrt der Alte zurück und verschwindet. Nach einiger Zeit schreitet der Eindringling zum dritten Male durch das Zimmer. Jetzt sprang Tieck zornig auf. Er will ihn zur Rede stellen, aber der Alte wirft ihm einen festen und scharfen Blick zu, öffnet die Thür nach dem Vorzimmer, und verschwindet abermals. Endlich hatte er Frieden und schlief ein.

Nach einer Stunde festen Schlafes kehrte er zur Gesellschaft zurück. Die Unterhaltung begann, er hatte den störenden Vorfall vergessen. Erst später erinnerte er sich desselben, und erzählte scherzend, wie er trotz der Vorsichtsmaßregeln nicht weniger als drei mal gestört worden sei. Die Möglichkeit wurde in Abrede gestellt. Man verhörte die Dienerschaft. Kein Besuch war gekommen, man hatte Niemand gesehen, Niemand war nach dem obern Stockwerk hinaufgegangen. Man fing an zu zweifeln; die Störung sei ein Traum gewesen. Aber Tieck glaubte beschwören zu können, den Alten mit wachenden Augen gesehen zu haben, er war 361 vollkommen klar und seiner bewußt gewesen. Er beschrieb ihn, den Anzug, die Haltung, das markirte Gesicht; die Gesellschaft ward stumm, eine Pause trat ein. Endlich hieß es, diese Beschreibung passe allein auf den alten Beeren, den neulich verstorbenen Bewohner des obern Stockwerks.

Dieser Mann gehörte zu den Sonderlingen Berlins. Schon sein Name war eigenthümlich; er hieß Geist genannt von Beeren. Tausend wunderliche Geschichten wurden von ihm erzählt. Er war reich, hatte eine geräumige Wohnung in der Stadt, und in der Nähe derselben einen Landsitz, der heute seinen Namen trägt. Im bürgerlichen Leben galt er für einen Rechthaber und Querulanten, mit allen Behörden stritt er, mit aller Welt processirte er. Seine Erwiderungen waren nach Umständen grob, sarkastisch, oder abenteuerlich sonderbar. Er war Sammler und Kunstkenner, und hatte in seinen Zimmern Gemälde und Gypsabgüsse aufgehäuft, auf die er einen hohen Werth legte. Niemals hatte Tieck diesen Mann gesehen, doch früher Manches von seinen Wunderlichkeiten gehört. Beim Eintritt in das Zimmer hatte er nicht an ihn gedacht, aber er erinnerte sich jetzt, im Vorsaal einige Gypsabgüsse gesehen zu haben. Es waren Reste der Sammlung, welche man einstweilen zurückgelassen hatte.

Diese Erörterungen hinterließen einen unangenehmen Eindruck. Es wurde beschlossen, Tieck sollte ein anderes Zimmer beziehen. Doch er widersprach, er fing an auf den weitern Verlauf der Geschichte begierig zu werden. Nicht ohne Schauer betrat er am Abend das spukhafte Zimmer, doch die Nacht verging ohne Störung, er schlief nach allen Anstrengungen trefflich, und hat den alten Beeren nie wieder gesehen.

Es schien damals in Berlin eine geisterhafte Atmosphäre zu herrschen. Die Erscheinungen des thierischen Magnetismus 362 fingen an Aufsehen zu erregen. Sie setzten Aerzte, Naturforscher und Philosophen in Bewegung. Man hatte Beobachtungen und Erscheinungen, zu denen man kein Gesetz auffinden konnte. Man stritt und haderte, und Gläubige und Zweifler theilten sich in feindliche Heerlager. Es hatte sich ein früher nicht geahntes Geheimniß aufgethan. Die berufene berlinische Aufklärung war alterschwach geworden, sie wußte mit diesen Dingen nichts anzufangen.

Auch für Tieck waren diese Wunder anziehend; immer hatte er die geheimnißvolle Seite der Natur im Auge gehabt. Dennoch stand er diesen Dingen kühler gegenüber. Ohne über die Erscheinungen an sich aburtheilen zu wollen, waren die Ergebnisse derselben häufig sehr geringfügig. In der Mitte der Gläubigen stand ein als Magnetiseur bewunderter und gesuchter Arzt, der Medicinalrath Wolfardt. Als Tieck ihn einst besuchte, sah er ein junges Mädchen im magnetischen Schlafe auf dem Sopha liegen, mehrere beobachtende Personen standen umher. In einem entfernten Nebenzimmer war Wolfardt; er suchte nach einem Recepte, dessen er im Augenblicke bedurfte. Da erschien die Hellseherin unerwartet an der Schwelle des Zimmers. »Sie suchen rechts!« sagte sie, »das Recept liegt in dem Schubfache links, oben.« Und wirklich fand es sich hier.

Bisweilen konnte Tieck sich kaum des Gedankens erwehren, dieser Mann übe auf ihn selbst einen magnetischen Einfluß aus. Von heftigen Kopfschmerzen geplagt, mußte er eine Gesellschaft besuchen. Als er eintrat, stand der Magnetiseur in der Mitte aufmerksamer Zuhörer, er sprach eifrig und unter lebhaften Bewegungen der Hände. Tieck trat hinzu und blieb längere Zeit in seinem Bereiche. Die Schmerzen verschwanden allmälig, und er fühlte sich frei und leicht.

Ueberhaupt gehörte sein Aufenthalt in Berlin diesmal 363 zum großen Theil den Aerzten. Er sah Hufeland, Behrens und Reil. Als er Behrens wegen seines Leidens befragte, gab ihm dieser den praktischen Rath, viel Burgunder und Champagner zu trinken, dann werde er ohne Zweifel das Podagra bekommen, und von allen andern Uebeln befreit werden.

Anders fiel seine Unterredung mit Reil aus, dessen Scharfblick und Originalität bekannt war. Beobachtend und ohne ihn zu unterbrechen, hörte dieser die Geschichte seiner Krankheit an. Dann sagte er: »Gehen Sie im Zimmer auf und nieder, aber fest und schnell!« Tieck folgte dem Befehle. »Nun sprechen Sie so laut Sie können!« Es geschah. »Holen Sie tief Athem, und hauchen Sie mich an!« »Jetzt lesen Sie eine halbe Seite aus diesem Buche!« So folgte eine Weisung der andern. Endlich schwieg er und sah Tieck durchdringend an. »Ich habe in meinem Leben viel unverschämte Kranke gesehen«, begann er, »aber keinen der unverschämter gewesen wäre als Sie. Alle diese Bewegungen können Sie sicher ausführen und sind noch nicht zufrieden? Was verlangen Sie denn noch mehr bei Ihrem Zustande? Danken Sie Gott, daß Sie soviel Kraft und Gesundheit haben!« Es war der Trost der Trostlosigkeit, den ihm der große Arzt gab, doch er erschien im Gewande des Humors und verfehlte seine Wirkung nicht.



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