Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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Sechstes Buch.

Unterhaltungen mit Tieck.

1849–1853.

 

1. Tieck über sich und seine Dichtungen.

Alles Reflectiren und Raisonniren hat meiner Natur stets fern gelegen. Ich habe die Dinge immer aus dem Ganzen, aus dem Gefühl und der Begeisterung heraus, aufzufassen und anzuschauen gesucht. Diese Anforderungen haben bei mir mit dem Alter nicht abgenommen, sondern sich gesteigert. Es ist dies meine Individualität.


In meiner Jugend war ich ein einfacher und stiller Mensch, fern von Selbstüberschätzung und ungern im Widerspruch mit Andern. Aber sobald ich etwas wirklich in mir erlebt hatte, und es mir zur Ueberzeugung geworden war, mußte ich es aussprechen, wenn ich eine andere Ansicht in absprechender Weise geltend machen hörte. Dies zog mir mit Unrecht manchen Tadel meiner Lehrer zu, die mich für anmaßend und voll Widerspruch hielten. Später bin ich manchem weich erschienen. Vieles, worauf Andere einen hohen Werth legen, habe ich leichter genommen, weil es mir persönlich gleichgültig war, ob etwas der Art so oder anders eingerichtet wurde. Man konnte mich daher in vielen Punkten für gefällig, nachgiebig, ja lenksam halten. Doch ging das nur bis zu einer gewissen Grenze; denn von jeher hat 170 sich meine ganze Seele dagegen empört, wenn ich bemerkte, daß man darauf ausgehe mich innerlich zu bestimmen, und mein eigenstes Wesen zu beherrschen; das habe ich niemals gelitten.


Der Gegensatz des Scherzes und des Ernstes ist für mein Wesen durchaus nothwendig. Bei der tiefen Schwermuth, bei dem Trübsinn, der mich oft angefallen hat, ist er ein Glück für mich gewesen. Den Sinn für Scherz habe ich mir stets zu bewahren gewußt. Schon in meiner Jugend konnte man dieses doppelte Wesen nicht begreifen, und hielt mich darum bisweilen für närrisch.


Der Protestantismus war in meiner Jugend zur leeren Form geworden, und der religiöse Sinn zum großen Theil entwichen. Die jüngern Geistlichen glichen lange nicht mehr den ältern und würdigen, die sich auch zur Aufklärung bekannten, aber sittlichen Eifer besaßen und an sich selbst arbeiteten. Diese waren achtungswerth; es war ihnen mit der praktischen Moral Ernst, wie Sack, Spalding und Teller. Die jüngern waren Prediger, wie sie auch irgend etwas Anderes hätten sein können; daraus machten sie auch gar kein Hehl. Sie thaten ihre Amtsfunctionen als etwas Aeußerliches ab, und wünschten sich oft sehnlich eine andere Lebensstellung. Verhaßt war mir ihre beschränkte Selbstgenügsamkeit, ihr Abfertigen der Dinge und ihre Besserwisserei, mit der sie glaubten Alles erklären zu können. So konnten tiefere Gemüther wol zum Katholicismus hingezogen werden, der wenigstens dem Gefühle zu genügen schien.


171 Im religiösen Leben habe ich die sonderbarsten Erfahrungen gemacht. Es sind mir damals und auch später einseitige Eiferer vorgekommen, die, kann man wol sagen, voller protestantischen Aberglaubens und Fanatismus waren. Sie konnten von der katholischen Kirche nicht sprechen hören, ohne darauf zu schelten, und sie in ihren Reden zu verfolgen. Umsonst versuchte ich es sie zu einer billigern und gerechtern Denkweise zu führen, und konnte ihnen kaum begreiflich machen, daß es doch wenigstens Anerkennung verdiene, daß der Katholicismus sich mit den Künsten verbunden, und sie lange Zeit gepflegt und entwickelt habe. Dann plötzlich schlugen diese Leute um, wurden selbst katholisch, gingen weit über alles hinaus, was ich ihnen früher gesagt hatte, wollten mich bekehren, und verfolgten nun mit noch größerm Fanatismus alles was protestantisch hieß.


Beschränkt waren die Kritiker, welche in der Poesie und Literatur in meiner Jugend das große Wort führten; Alles beurtheilten sie nach ihrer Aufklärung, und auch Goethe wollten sie nicht anerkennen. Von dem neuen Geiste, der durch die deutsche Poesie ging, hatten sie keine Ahnung, und in ihrer Beschränktheit meinten sie ganz unbefangen, wenn sie nur wollten, würden sie Dasselbe und Besseres als Goethe geben können. Sie standen ihrer natürlichen Anlage nach im vollsten Gegensatze zur Poesie überhaupt, und darum konnte man ihre Anmaßung nicht entschieden genug bekämpfen.


Man glaubt nicht wie isolirt ich stand mit den Gedanken und Empfindungen, die ich im »Sternbald« ausgesprochen habe; nicht etwa blos den berliner Aufklärern gegenüber, 172 sondern auch manche meiner Freunde, z. B. die Schlegel waren gar nicht mit mir einverstanden. Auch sie waren ganz erfüllt von dem damals geltenden Kosmopolitismus. Ich habe mich von der Richtigkeit dieser Ansicht nie überzeugen können, mir galt das Vaterland als Erstes und Höchstes. Sein Leben und seine Kunst, seine alte, einfache und treuherzige Weise, die man verlachte, weil man sie nicht kannte, wollte ich wieder zu Ehren bringen und im »Sternbald« darstellen. Ich habe es immer sehr bedauert, daß ich nicht dazu gekommen bin, den »Sternbald« fortzusetzen; im zweiten Theile sollte sich das innere Wesen des deutschen Lebens noch bedeutender entfalten.


Die »Genoveva« habe ich mit vollster Begeisterung gedichtet. Das alte Volksbuch war mir zufällig in die Hände gekommen, und hatte mich durch seine Einfalt und Treuherzigkeit besonders angezogen. Auch in diesen verspotteten und verachteten Büchern war ein echt deutscher und natürlicher Ton, der mich unendlich rührte. Dazu kam noch, daß ich das Studium des Jakob Böhme damals mit Eifer betrieb. Das hat auf die Haltung dieser Dichtung keinen geringen Einfluß gehabt. Doch aber machten sich bei mir auch andere Stimmungen als Gegengewicht geltend, denn der »Zerbino« ist fast gleichzeitig entstanden. Als ich beides unter dem Titel »Romantische Dichtungen« herausgab, kam es mir nicht in den Sinn, diesem Worte eine besondere Bedeutung geben zu wollen; ich nahm es so, wie es damals allgemein genommen wurde. Höchstens wollte ich damit andeuten, daß hier das Wunderbare in der Poesie mehr hervorgehoben werden solle. Nachher freilich ist das Wort mir selbst bis zum Ueberdrusse gebraucht worden; es wurde dann im 173 katholisirenden Sinne angewendet. Schon bald nachdem ich die »Genoveva« geschrieben hatte, fing der romantische Wunderglaube an bei manchen Leuten in Berlin guter Ton zu werden, namentlich bei den jungen geistreichen Juden. Ich konnte sicher darauf rechnen, wenn Einer kam, und mir selbst meine »Genoveva« in dieser Weise anpries, so war es ein junger Jude, der mir dadurch seine Tiefe und Glaubensfähigkeit beweisen wollte.


Nachher hat man mich zum Haupte einer sogenannten Romantischen Schule machen wollen. Nichts hat mir ferner gelegen als das, wie überhaupt in meinem ganzen Leben alles Parteiwesen. Dennoch hat man nicht aufgehört gegen mich in diesem Sinne zu schreiben und zu sprechen, aber nur, weil man mich nicht kannte. Wenn man mich aufforderte eine Definition des Romantischen zu geben, so würde ich das nicht vermögen. Ich weiß zwischen poetisch und romantisch überhaupt keinen Unterschied zu machen. Im »Octavian« wollte ich keine neue Poesie geben, sondern nur darstellen, wie die Poesie in einer bestimmten Zeit erschienen sei.


Der Gedanke der Ironie hat sich bei mir erst später vollständig entwickelt, besonders seit ich mit Solger in nähern Verkehr getreten war. Vorher ahnte ich mehr die Nothwendigkeit eines solchen Gedankens für den Dichter, als daß er mir zur klaren Ueberzeugung geworden wäre. Diese dunkeln Ahnungen hatte ich namentlich bei dem Studium Shakspeare's; ich fühlte heraus, das sei es, was ihn zum größten Dichter mache, und von so vielen bedeutenden, höchst 174 trefflichen Talenten unterscheide. In meinen eigenen Dichtungen ist daher die Ironie zuerst mehr unbewußt, aber doch entschieden ausgedrückt; vor allen ist dies im »Lovell« der Fall. Die directe Ironie herrscht im »Gestiefelten Kater«, von der höhern findet sich etwas im »Blaubart« und entschieden ist sie im »Fortunat«. Die »Genoveva«, welche als Heilige dargestellt werden sollte, hat freilich nichts davon, aber die Art, wie Golo in seiner Leidenschaft immer tiefer sinkt, streift doch an das Ironische.


Später hat Solger einen tiefen Abschnitt in meinem Leben gemacht. Sein »Erwin« ist ein vortreffliches Buch, in dem er auf die Ironie, als auf ein Höchstes hindeutet; ihm habe ich viel zu verdanken. Unter allen frühern Philosophen hatte mich nur Jakob Böhme gefesselt, und eine Zeit lang vollkommen beherrscht. Indeß bin ich auch davon abgekommen, seit ich erkannte, daß auch er willkürlich abschneide, ohne seinen Lucifer mit Gott ausgleichen zu können, und in einer Art von Verzweiflung ende. Solger's Gedankengang vermochte ich wirklich zu folgen, und auf diesem Wege kam ich wieder in die Philosophie hinein. Vor seinem großen Talente hatte ich die höchste Achtung; es war ein seltener und ausgezeichneter Mann. Ich habe im innigsten Einverständnisse mit ihm gelebt, und ihm meine Arbeiten im Manuscripte oft mitgetheilt. Die Ueberzeugung einer innern mystischen Verbindung zwischen Philosophie und Religion stand bei ihm fest; er hatte diese Gedanken in sich durchgearbeitet, wollte sie aber noch mehr reifen lassen, und sparte ihre Darstellung für sein Alter auf. Im Leben war er durchaus religiös; er hatte das Bedürfniß der Gemeinde, er mußte sich mit ihr versammeln, singen und Predigt hören. Er war der 175 Meinung, daß man sich auch an dem Vortrage schlechter Prediger erbauen könne. Mit Schelling habe ich mich dagegen über die Wahlverwandtschaft unserer Richtungen eigentlich nicht zu verständigen vermocht.


In dem »Jungen Tischlermeister« habe ich das frühere Leben des deutschen Handwerkerstandes dargestellt, zugleich aber wollte ich eine gewisse Casuistik durchführen. Der Handwerker wie der Edelmann sind sich darin vollkommen gleich, daß sie eine Reihe von Verirrungen durchmachen müssen, um dadurch auf den wahren moralischen Standpunkt zu kommen. Erst durch ihre Verirrungen lernen sie den rechten Weg kennen, und nun erst sehen sie ein, was sie an ihren sittlichen Verhältnissen besitzen. Dies kommt im Leben ja unendlich oft vor, und mit Unrecht haben darum Manche in dieser Novelle Unmoralisches finden wollen.


In der »Vittoria Accorombona« hat man gar eine sittliche Verirrung sehen wollen, und mir deshalb harte Vorwürfe gemacht. So erzählte mir einst eine sonst verständige Frau, daß sie in ihren Kreisen nicht gestehen dürfe, dieses Buch gelesen zu haben, sie müsse es vielmehr in ihrem Bücherschranke vor fremden Augen sorglich verschlossen halten. Ich kann wol sagen, daß ich diese Prüderie nicht begreife. Es ist mir nicht eingefallen durch lüsterne Schilderungen einen sinnlichen Kitzel hervorrufen zu wollen; das hat zu allen Zeiten meinem Wesen ganz fern gelegen. Ich habe das immer für gemein und durchaus unerlaubt gehalten. Auch ist es nicht meine Absicht gewesen, wie Manche gemeint haben, nach allen jenen Kämpfen den Sieg der Schwäche darstellen 176 zu wollen. Der Papst Sixtus ist vielmehr eine gewaltige Persönlichkeit, die endlich das Werk der Vergeltung für alle frühern Verbrechen übernimmt. Auch Vittoria hat im Gefühle ihrer Kraft die gesetzten Grenzen überschritten, namentlich im Verhältniß zu ihrem ersten Manne. Dieser ist freilich ein schlechter Charakter, aber sie behandelt ihn mit wegwerfendem Uebermuthe. Seine Kläglichkeit macht es ihr möglich, über die Schattenseiten in Bracciano's Charakter hinwegzusehen. Dieser ist auch nicht rein von schwerem Frevel, aber er ist eine bedeutende Kraft. Manche haben gefragt, warum ich die eingeschalteten Gedichte in Prosa aufgelöst habe. Es war schwer für diese Gedichte die rechte Form zu finden; die nächste würde die Canzone gewesen sein, aber diese ist nicht leicht zu handhaben. Auch wollte ich den gleichmäßigen Fluß der Darstellung durch den Vers nicht unterbrechen.


Als das sogenannte Junge Deutschland aufkam, bildeten sich einige von diesen Leuten ein, daß ich mich an ihre Spitze stellen müsse. Zu Zeiten hatte ich mich über Manches misbilligend, ja kühn und paradox geäußert; ich hatte das mündlich und schriftlich gethan, ich war mit den Schlegel befreundet gewesen, die in der Kritik zuerst den kecken Ton angegeben hatten, und da glaubten diese modernen Schriftsteller, ich müsse auch mit ihnen übereinstimmen. Aber sie kannten mich nicht. Nichts ist mir mein Leben lang verhaßter gewesen als der absprechende Ton des Systems, das mit allem fertig ist; dagegen habe ich mich immer erhoben, es mochte kommen woher es wollte. Und nun gar erst diese Eitelkeit, dieses rohe Zerstören, diese Opposition, die nur sich will! Als es nun herauskam, daß ich mit diesen Leuten 177 niemals gemeinschaftliche Sache machen könne, haben sie mich angegriffen und verfolgt, wie sie nur konnten. Ich habe mich aber nie darum gekümmert.


Die Menschen vergessen, daß ein Wohlthätigkeitsverhältniß eigene Pflichten auferlegt; habe ich einem Fürsten etwas zu danken, so ist es Pflicht der Pietät, nicht in das Geschrei seiner Gegner einzustimmen. Welche Verschiedenheiten auch vorkommen mögen, die Dankbarkeit bedingt meine Stellung, das ist für mich das Erste; bin ich in irgendeinem Punkte anderer Meinung, so behalte ich sie für mich, und schweige. Kommt man dennoch in die Lage sie aussprechen zu müssen, so geschehe das nicht plump und roh, sondern mit Schonung und mit der Rücksicht, welche durch die Pietät geboten ist. Wie viele haben nicht Wohlthaten empfangen und vergessen sie? Ja sie thun groß damit, daß sie die erste menschliche Pflicht einer angeblichen Wahrheit aufopfern!


Das Theater hat einen großen Einfluß auf mein Leben gehabt. Ich verdanke ihm die genußreichsten Stunden, und bin früher namentlich durch dasselbe sehr gefördert worden, aber später hat es mir auch vielen Verdruß gemacht. In meiner Jugend hatte es für mich einen unüberwindlichen Reiz. Das Drama, ja schon die dialogische Form hat von jeher für mich etwas Anziehendes gehabt. Nachdem ich in meinem Leben so vieles gelesen habe, kommt es wol vor, daß ich manches schlechte Buch, was ich zu lesen angefangen habe, nicht beende. Wo ich aber etwas Dramatisches sehe, da greife ich noch heute zuerst danach, und so schlecht es auch sein mag, ich habe eher keine Ruhe als bis ich es 178 durchgelesen habe. Dem Spiele von Fleck verdanke ich viel. Es war eine Offenbarung des dichterischen Genius, und über manchen Charakter Shakspeare's habe ich durch ihn neue Aufschlüsse bekommen. Später freilich ist das Theater immer mehr gesunken. Lange Zeit hindurch habe ich selbst mir große Mühe damit gegeben, aber es hat mir viel Verdruß gemacht, und ich habe mich davon überzeugt, daß die Leitung eines Theaters eine schwierige und höchst undankbare Aufgabe ist. Am Ende kann man es beim besten Willen Keinem recht machen. Jeder will mitreden, und die Schauspieler sind sehr schwer zu leiten; in der Regel sind sie eitel, dünkelhaft und eigensinnig. Heute kann ich mich über das Theater eigentlich nur ärgern! Sehe ich eines der vielen schlechten Stücke erträglich spielen, so verdrießt es mich, sehe ich aber ein gutes Stück schlecht darstellen, so ärgere ich mich ganz gewiß. Dennoch kann ich das Interesse dafür nicht loswerden, und es nicht unterlassen, wenn ich gefragt werde, Rath geben zu wollen, oder selbst Rollen einstudiren zu helfen.


Als Vorleser, besonders dramatischer Sachen, hatte ich mir schon in meiner Jugend auf dem Gymnasium einen nicht unbedeutenden Ruf erworben. Später habe ich durch fortgesetzte Uebung dieses Talent weiter ausgebildet, und mir auch manche Regel darüber entwickelt. Auf das Athemholen kommt viel an, und vor allem darauf, daß man es an der rechten Stelle thue. Nothwendig ist es durch die Nase Athem zu holen, das bewahrt die Kehle vor zu starker Luftzuströmung, die bei der Erhitzung des Lesens leicht erkältend wirken kann. Die Stimme wird dann rauh und verliert an Kraft und Ausdauer. Dagegen kann richtige Uebung für die Stärkung und Erweiterung des Organs sehr viel thun. 179 In meiner besten Zeit konnte ich zwei fünfactige Stücke ohne Ermüdung hintereinander lesen. Beim Lesen selbst habe ich stets gesucht über dem Ganzen zu stehen. Obgleich ich im Affecte mit dem jedesmaligen Charakter gewissermaßen Eins werde, so habe ich mir doch selbst dann so viel Ueberblick zu bewahren gesucht, daß ich mich im Augenblicke tadeln konnte ein Wort unrichtig betont zu haben. Das ist die richtige Stimmung für den Vorleser wie für den Schauspieler und Künstler überhaupt; es ist das hier die Ironie. Der Ton des Vorlesers darf nie die Grenzen dessen überschreiten, was ich immer den edlern Conversationston genannt habe. Auch im Tragischen darf das nicht geschehen, sonst wird es falsches Pathos und Manier, Einzelnes wird herausgerissen, und der Eindruck des Ganzen geht verloren. Aber auf dieses kommt Alles an. Das Spiel mit stark wechselnder Stimme zu lesen, oder gar bekannte Schauspieler, wenn auch täuschend, nachzuahmen, ist ein Kunstgriff, der für den Augenblick Effect machen kann, aber doch untergeordnet bleibt. Es ist ganz unkünstlerisch, und hebt die Gesammtwirkung auf. Darum ist mir auch das jetzt so beliebte Lesen mit sogenannter Rollenvertheilung stets zuwider gewesen. Hier wird das Ganze vollständig zerrissen. Einer liest erträglich, ein anderer ganz schlecht, einer fistulirt, ein anderer hat einen knarrenden Baß, fast alle verstehen ihre Rollen nicht. Einmal wurde ich zu einem solchen Lesethee eingeladen. Es war eine Aufmerksamkeit, die man mir erweisen wollte, ich habe aber dabei eine wahre Pein zu überstehen gehabt. In Berlin hat Feßler diese Art des Lesens zuerst in Gang gebracht. Heutiges Tages glaubt Jedermann lesen zu können, aber die Wenigsten verstehen es, und auch ausgezeichnete Leute täuschen sich oft darin. Der ältere Schlegel las lyrische Sachen und seine eigenen Gedichte in sehr angenehmer Weise, Dramatisches 180 dagegen in einem unerträglichen Kanzelton, er glaubte aber sehr gut zu lesen. Mein einfaches Lesen tadelte er, weil es mir am tragischen Pathos fehle.


Ich habe eine Zeit gehabt, wo ich strebte, forschte und grübelte; sie hat mich nicht befriedigt; eine andere, wo ich als Dichter darstellend und gestaltend glaubte dem Räthsel des Lebens näher zu kommen. Ich habe Augenblicke gehabt, wo mir alles im Zweifel unterzugehen schien. Später bin ich immer mehr zu dem rückhaltslosen Anheimstellen an Gottes Macht gekommen. Momente des höchsten Glaubens sind freilich selten; es kommen dann doch wieder Zeiten, in denen alles zu wanken scheint. Jetzt, in meinem Alter, bin ich zu der Resignation gekommen, die sich in ihren reinsten Augenblicken Gottes Willen vollkommen unterwirft und sich in ihn versenkt. Dies ist wahre Religion; wenigstens für mich. Seit ich mich ihr ergeben habe, hat sich mir eine neue Welt eröffnet; sie macht mich frei, ruhig und leidenschaftslos.



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