Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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Viertes Buch.

Ruhm und Anerkennung.

1820–1841.

 

1. Restauration und romantische Schule.

Das sechsundvierzigste Lebensjahr hatte Tieck zurückgelegt, als er sich nach Dresden übersiedelte. Er stand auf der Höhe des Lebens, die Mittagssonne über seinem Haupte. Durch den mannichfaltigsten Wechsel der Menschen, ihrer Kämpfe, Leiden und Hoffnungen war er gegangen.

Deutschland hatte sich in dem letzten Vierteljahrhundert umgestaltet. Throne und Staaten waren gestürzt und wieder aufgerichtet worden, auf Schmach und Unterdrückung waren Sieg und Erhebung gefolgt, und neue Stimmungen und Bedürfnisse, Wünsche und Neigungen rasch emporgewachsen. Wer hätte in diesem Deutschland von 1829, jenes von 1807, oder gar das von 1792 wiedererkennen mögen? Selten hatte sich im Völkerleben ein größerer und gewaltigerer Umschwung in kürzerer Zeit vollzogen. Die deutsche Dichtung seit Goethe und die Wissenschaft durften einen Theil dieser Siege für sich in Anspruch nehmen; auch mit ihren Waffen waren Schlachten geschlagen worden.

In diesen Kämpfen hatte Tieck in erster Reihe gestanden. Wo aber war jenes Geschlecht geblieben, gegen das er in den letzten Jahren des verflossenen Jahrhunderts die schärfste Spitze des Witzes und humoristischer Dichtung wenden mußte? Die Aufklärung war vorübergegangen und 4 vergessen. Nur noch dunkel erinnerte man sich ihrer als eines alten Hausgeräthes, das man einst nicht entbehren zu können glaubte, und das nun längst bei Seite gestellt worden war. Man nannte die Namen der Kritiker, Moralphilosophen und Dichter, die früher das große Wort führten, nicht mehr; kaum daß man ihnen einen stillen Platz in der Literaturgeschichte gönnen wollte. Wer hätte sich jetzt nicht geschämt in dem einst gefürchteten Nicolai einen Kritiker zu erkennen? Wer hätte Ramler noch für einen Dichter gehalten? Wem galt Engel's Philosoph für die Welt noch für einen Philosophen, oder Moses Mendelssohn für den modernen Sokrates? Sie alle waren in den Hintergrund getreten. Hier war seit Fichte und Schelling alles neu geworden.

Aber auch das geniale Geschlecht der Stürmer und Dränger, dessen Einbruch die Aufklärer umsonst abzuwehren suchten, war nicht mehr, der Kreis der großen Dichter hatte sich aufgelöst. Schon war manches Jahr über Schiller's Grab hingegangen, der durch sein gewaltiges Wort die Nation zuletzt erschüttert hatte. In Weimar war es still geworden. Nur einer noch war übrig, der Erste, der Größeste, Goethe. Es war der alte Goethe, der unmittelbar einzuwirken aufgegeben hatte, der der stillen Poesie des Orients, seinen eigenen Lebenserinnerungen und den Naturstudien zugewendet, in einsamer Hoheit thronte und in mystischer Beschaulichkeit die wechselnden Gestalten der Zeit an sich vorüberziehen ließ. Er war der Erhabene, der in aller Welt Anerkannte. Daß es Zeiten gegeben hatte, wo auch er sich durchkämpfen mußte, und die jüngeren Kritiker jene Anerkennung zuerst aussprachen, war vergessen, wie fast alle literarischen Kämpfe, welche die deutsche Welt beschäftigten, als Tieck zuerst auftrat.

5 Selbst von jenen Gefährten, mit denen Tieck im engen Bunde gestanden hatte, nannte er kaum Einen mehr den Seinen. Sie waren gestorben oder das Leben hatte sie von seiner Seite gerissen. Rambach, der ihn in die Literatur eingeführt hatte, war im fremden Lande verschollen; Reichardt, dem er die erste Kunsterziehung verdankte, war todt, und in seiner Kunst überflügelt. Bernhardi hatte sich der praktischen und gelehrten Thätigkeit hingegeben; jetzt war auch er gestorben. Wackenroder und Novalis waren ihm längst vorangegangen. Nur zwei Männer aus jenem Kreise lebten noch, eben die, welche im Vereine mit Tieck jene Bewegung geleitet hatten, die beiden Schlegel. Aber das alte Einverständniß hatte aufgehört. Alle drei hatten verschiedene und weit auseinander führende Wege eingeschlagen.

A. W. Schlegel war zum weltmännischen Gelehrten und Kunstkritiker geworden; statt des deutschen hatte er einen universellen Charakter angenommen. Mit der Staël hatte er in Genf und Coppet gelebt und den Dolmetscher deutscher Dichtung und Wissenschaft gemacht. Dann verkehrte er an den Höfen der Fürsten und in den Heerlagern der kämpfenden Parteien, wo er sich in der Theilnahme an politischen Verhandlungen zum Diplomaten zu machen versuchte. Er war in Wien und Stockholm zu finden gewesen, er schrieb vortrefflich französisch wie er vortrefflich deutsch geschrieben hatte, und politische Pamphlets wie früher Kritiken. Er bespiegelte sich in der Eleganz dieser Formen. Er ward Ritter mehrerer Orden und in den Adelstand erhoben. Dann begleitete er die Staël nach Italien, und lebte in Pisa und Florenz künstlerischen und antiquarischen Studien. Er hielt sich in Paris auf, und nach dem Tode der Staël nahm er einen Ruf als Professor an die neu begründete rheinische Universität an. Der deutsche Gelehrte kam wieder zum Vorschein. 6 Mit kalter und diplomatischer Haltung, doch nicht ohne eine gewisse Bitterkeit sah er auf die meisten Genossen seines ersten jugendlichen Strebens in Dichtung und Wissenschaft zurück. Er war innerlich überzeugt, ihr Bestes hätten sie mehr oder minder ihm und seinen Anregungen zu verdanken.

Immer tiefer hatte sich F. Schlegel in seine mystische Weisheit hineingearbeitet, er war zur katholischen Kirche übergetreten und dann wie Gentz und Adam Müller, östreichischer Diplomat geworden. Sein früheres kritisch dichterisches Wirken lag in dunkler Vergangenheit hinter ihm. Nach tausendfachen Kreuzfahrten in Poesie und Philosophie war er endlich in einen Hafen eingelaufen, wo er Ruhe zu finden glaubte. Niemand machte es anschaulicher als er, welche vollständige, vorher nicht zu ahnende Umwandlung die Welt in den letzten zwanzig Jahren erfahren hatte. Auf die Umstimmung der literarischen Ansichten in Deutschland hatte er selbst wesentlich eingewirkt, indem er den Gedanken des Romantischen als einer besondern geheimnißvollen Poesie und Wissenschaft entwickelte.Die Hauptstellen, welche die Meinungswandlungen F. Schlegel's darlegen, finden sich im »Athenäum«, I, 2, S. 28, 62, in den »Fragmenten«, in der »Rede über die Mythologie« (»Gespräch über die Poesie«), ebend. III, 94 fg.; »Brief über den Roman«, ebend. S. 122; in der »Reise nach Frankreich« in der »Europa«, Zeitschrift für 1803, I, 33, 40; »Literatur«, ebend. S. 55.

Schon in den Zeiten, wo die neue Kritik mit den kühnen Lehrsätzen des »Athenäums« sich Bahn machte, zeigte F. Schlegel bei allen Paradoxien ein bei weitem mehr mystisches und positives Element als sein Bruder, der überwiegend scharf und verneinend auftrat. Es war seine Sturm- und Drangperiode, als er nur die Originalität für moralisch gelten ließ, die wahre Tugend in die Genialität setzte, und in der Sinnlichkeit die Unschuld, ja Kunst und Religion fand, und dennoch den heiligen Müßiggang quietistisch verherrlichte und ihn zur Religion machen wollte. Schon im »Athenäum« von 1798 suchte er die Bedeutung der romantischen Poesie systematisch darzulegen. Wenn er sagte, ihr erstes Gesetz sei, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide, 7 sie sei die Dichtkunst selbst, und alle Poesie sei romantisch, so konnten seine Freunde ihm darin noch beistimmen. Doch bedenklich ward es, wenn er behauptete, die romantische Dichtart werde Poesie und Prosa, Philosophie und Rhetorik, Genialität und Kritik, Kunst und Natur mischen und verschmelzen, sie solle die Poesie lebendig und gesellig, das Leben und die Gesellschaft poetisch machen. Nur sie allein könne ein Spiegel der Welt sein, ihr Wesen sei ewig zu werden, nie vollendet zu sein, sie sei unerschöpflich und unendlich. Dieser neuen Poesie, die Alles in Allem sein sollte, gab er bald darauf einen andern Namen; als ihren Kern bezeichnete er die Mythologie. In dem Mangel dieser sah er die Schwäche der gegenwärtigen Dichtung, und zugleich sprach er in prophetischem Tone aus, die Zeit sei nicht mehr fern, wo man eine neue Mythologie gewinnen werde. Aus der tiefsten Tiefe des Geistes sollte sie hervorgehen, ein neues Gefäß des alten ewigen Urquells der Poesie, und ein unendliches Gedicht sein, welches die Keime aller andern in sich trage, ein hieroglyphischer Ausdruck der Natur in der Verklärung von Phantasie und Liebe. Dazu sollte die Kenntniß Indiens beitragen, und das Höchste des Romantischen nur im Orient gefunden werden.

Damals war ihm der Katholicismus noch das naive, der Protestantismus das sentimentale Christenthum, er fand in diesem noch ein revolutionäres Verdienst, er war ihm eine universelle und progressive Religion. Anders dachte er wenige Jahre später. Seit 1802 studirte er in Paris mittelalterliche, mehr noch orientalische Poesie. Dorthin drängte ihn das dunkle, mystisch-mythische Element. Im Jahre 1804, als er die »Anthologie« aus Lessing herausgab, war ihm der Katholicismus schon die positive, der Protestantismus die negative Religion, eine Religion des Krieges, bis zur innern Feindschaft und zum Bürgerkriege. Der katholischen 8 Religion war es gelungen, den künstlerischen Glanz, Reiz und Schönheit der alten Mythologie sich zu eigen zu machen. Eine esoterische Poesie sollte entstehen, deren Aufgabe es war die unnatürliche Trennung von Dichtung und Wissenschaft aufzuheben, die Mythologie herzustellen, den alten Fabeln ihre Bedeutung wiederzugeben und das gemeine Leben zu poetisiren. Eine Wiedergeburt der Welt sollte vor sich gehen, in welcher die Eisenkraft des Nordens mit der Lichtglut des Orients verschmolz. In diesem Sinne versuchte er in der Restaurationsperiode nicht nur am Aufbau der alten Kirche, sondern auch an der Herstellung des alten Staates Theil zu nehmen; er gab diesem eine religiöse Weihe, und nannte das die legitime Ansicht der Geschichte. In einem Propheten- und Orakeltone, der an Dunkelheit zunahm, predigte er die neue Philosophie in verschiedenen Schriften und Vorlesungen. Er ward der Oberpriester aller philosophischen, politischen und poetischen Mystiker.

Unter diesen verschiedenartigen Einwirkungen hatte sich ein drittes Geschlecht herangebildet, dem die Gegenwart gehörte. Es waren diejenigen, welche die Poesie Goethe's und seiner Zeitgenossen, die Dichtungen Tieck's und die frühern kritischen Urtheile der Schlegel als ein anerkanntes und ausgesprochenes Erbe überkommen hatten. Für sie war zum ruhigen Besitz geworden, was jene erkämpft hatten. In einem ganz andern Luftkreise waren sie aufgewachsen. War man früher aufgeklärt gewesen, so war man jetzt gläubig, und an die Stelle des freigeistigen Rationalismus sollten Mystik und Tiefsinn treten. Früher glaubte man in der Moral die Religion entbehren zu können, jetzt war die Moral in Verruf gekommen; früher verlachte man das Wunder und den Glauben als eine geistige Schwäche und Trägheit, jetzt sah und fand man das Wunderbare überall. Hatte 9 sonst die breite Altklugheit das Wort geführt, so hörte man jetzt fast nur das Stammeln und Lallen der Natur, der Unschuld und sogenannten Kindlichkeit. Einst war Alles weltbürgerlich, human, von Freiheitsgedanken erfüllt gewesen; aus abstracten Grundsätzen construirte man einen allgemeinen Kosmopolitismus, nun war Alles historisch, volksthümlich, germanisch, mittelalterlich und kirchlich geworden. Die einst verspotteten Gedanken hatten ihre frühere Verachtung gerächt.

Das Streben, eine geschmälerte Nationalität herzustellen, und die Sehnsucht nach einer einst glänzenden Vergangenheit war auch Inhalt der Poesie geworden. Volksthümliche Lieder, die in der Zeit des Kampfes entstanden waren, sangen von ritterlichem Streiten und Siegen der Ahnherren, von ihrem treuen Glauben, von Kaiser und Reich, von der Kirche und ihren Wundern. Nun aber waren die Siege errungen, das Joch zerbrochen, und um die Lösung anderer Aufgaben handelte es sich jetzt. Aber das Singen und Sagen von ritterlichen Thaten wollte nicht enden. Die Zeit der Rittergedichte brach herein. Die tölpelhaften und ungeschlachten Kämpen der Spieß'schen und Cramer'schen Romane hatten sich in tugendhafte Fouqué'sche Nordlandsrecken, in blonde, tapfere, sittige und wohlgezogene Jünglinge umgewandelt. Da war alles ritterliche Ehre, Minne, Biederkeit und Frömmigkeit, selbst die lichtbraunen Rößlein und die Rüden und Bracken waren verständig. Schien es doch als wenn die Dichtung nur im Mittelalter, im deutschen Mittelalter, im ritterlich frommen deutschen Mittelalter ihre Heimat habe, und hier allein ebenbürtige Formen finden könne.

Aber nicht allein die deutsche Dichtung älterer Zeiten, auch die der südwestlichen Völker war wieder entdeckt worden. Früher war ausschließlich von der Mustergültigkeit antiker 10 Poesie die Rede gewesen, jetzt sollte die romantische mindestens ebenso viel, ja noch mehr gelten. Seit Schlegel's Uebersetzung war Shakspeare's Name in aller Munde, fast gewöhnte man sich ihn neben den eigenen großen Dichtern als einen Deutschen anzusehen. Die Voß'sche Uebersetzung folgte, und ihr manche andere. Rascher noch war man von der ersten dürftigen Kunde der spanischen Literatur, von schwachen Versuchen zu umfassenden Studien, Uebersetzungen, Nachbildungen und einer schwärmerischen Bewunderung fortgeschritten. In den spanischen Romanzen und im Drama lebte noch der echt ritterliche Geist, die alte Frömmigkeit und, eine alte Kunst. Calderon sollte wie Shakspeare, ja mehr noch Inbegriff und Muster aller wahren dramatischen Dichtung sein. An allen schwierigen romanischen Versmaßen, nicht an Sonetten allein, mühte man sich ab, und Sterne, Perlen, Jasmin und narkotische Blumendüfte durfte der Dichter nicht sparen.

Gerade die reichsten Talente wurden von diesem dunkeln Zuge am stärksten ergriffen. Arnim und Brentano, mit denen Tieck in mannichfacher persönlicher Verbindung gestanden hatte, verloren sich in phantastischer Willkür, bei Werner war alles Traum und Vision, und weiter noch gingen Andere. Es war die Frage, ob die ältern Meister, welche die neue Kunst eingeführt hatten, diese allerneuesten Künste gutheißen würden.

Wenn Tieck diese Bewegung überschaute, welche in dem letzten Jahrzehnd eine allgemeine geworden war, so mußte er sich gestehen, er und seine Freunde hatten dazu einen ersten Anstoß gegeben.

Unendlich oft hörte er die Worte wiederholen, die er als Jüngling ausgesprochen hatte, aber hatte man sie damals nicht verstanden, so schien man sie heute zu misverstehen. Es 11 war dasselbe, was er gewollt hatte, und doch etwas ganz Anderes; es waren die Farben, welche er gebraucht hatte, und doch ein fremdartiges Bild. Oft wollte es ihm als eine Caricatur seiner Jugend erscheinen; und er war über die Jugend hinaus. Diesen neuen Genies gegenüber kam er sich nicht selten wie ein Philister aus der Vergangenheit vor, und fast lächerlicher noch als die Aufklärung waren ihm jetzt diejenigen, welche auf sie schalten, nachdem sie dieselbe von ihm verachten gelernt hatten.Wie Tieck schon früher über die neuen Genies urtheilte, sieht man aus seinen wiederholten Bekenntnissen an Solger, in den Jahren 1815, 1818. »Solger's nachgelassene Schriften und Briefwechsel« I, 333, 373, 685. Die allgemeine Ansicht des Publicums war jetzt ungefähr auf dem Punkte angekommen, wo er vor zwanzig Jahren gestanden hatte. Wenn man ihm von vielen Seiten zurief, nun stimme man mit ihm überein, man wolle nur was er gewollt habe, so war ihm diese Anerkennung mitunter bedenklicher, als alle frühern Angriffe. Jetzt konnte er mit größerm Rechte seinen Nachahmern entgegenrufen, was er schon 1800 im »Neuen Hercules« den Autor zum Bewunderer sagen ließ: »So streut man nur Worte in den Wind, die nachher zum Misbrauch gut genug sind.« Die Standpunkte hatten sich geändert, die Entfernung, welche sie voneinander trennte, war dieselbe geblieben.

Nachdem er Jahre lang die mystische Philosophie studirt, und mit ihr gerungen hatte, waren seine Kräfte in ein mehr harmonisches Gleichgewicht getreten. Die Idee der Ironie als der höchsten und klarsten Beherrschung des Stoffes war ihm aufgegangen. Ein freier und leidenschaftsloser Ueberblick des Lebens und ein reineres künstlerisches Gestalten war damit verbunden. Es lag darin der Gedanke, sich sittlich über den Erscheinungen zu halten, sich nicht von ihnen unterwerfen oder fortreißen zu lassen.

Eben das aber war bei den meisten der Fall. Man hörte nur von Geheimniß, Dunkel und Mystik, und Freund und Feind schienen darin einig zu sein, daß ein consequentes 12 Fortschreiten auf diesem Wege zur katholischen Kirche führen müsse. Brentano war katholisch, F. Schlegel war es geworden, andere folgten dem Beispiele, und Werner hatte seine Feder der Mutter Gottes geopfert. Die Eifrigsten forderten laut die Unterwerfung aller Poesie unter das katholische System. Konnte aber Tieck geneigt sein, als Mann gutzuheißen, was er unter ganz anderen Einflüssen und Stimmungen schon als Jüngling von sich abgewiesen hatte? Er hatte die historische katholische Kirche als eine alt begründete, als frühere Bewahrerin der Legende, der Poesie und aller Künste, gegen unverständige Angriffe vertheidigt; aus dichterischem Gefühlsdrange, aus innerer Gerechtigkeit, aus freier Ueberzeugung hatte er es gethan, folgte daraus die Nothwendigkeit sich dem gegenwärtigen Katholicismus unterzuordnen? In der Poesie lag an sich schon das Wunderbare, Religiöse, aber das hatte man ihm nicht glauben wollen, darum hatte er den spießbürgerlichen Utilismus der ältern Zeit bekämpft, aber den modern überspannten, den katholisirenden konnte er ebenso wenig gutheißen.

Ganz anders sahen viele der jüngern Dichter die Sache an. Sie wollten aus der dichterischen Wahrheit eine praktische machen, und waren Dichter und Helden ihrer Romane und Epen zugleich. Die Einen wollten Mönche, die Andern kreuzfahrende Ritter sein. Dichtung und Leben verschwammen hier in Eines, die Dichter verloren sich an ihre Stoffe, dies konnte schließlich nur Zerrbilder geben. Oft genug ward Tieck an Don Quixote erinnert; diesem war es mit seinen Thaten nicht mehr Ernst als den neuen ritterlichen Dichtern, die nicht daran dachten, daß diese Minne, diese Rittertugend, dieses Vasallenthum, welches sie verherrlichten, weder jetzt noch jemals existirt habe. Er stand hier auf Goethe's Standpunkte, das heißt auf dem aller wahren Dichter. Aus dem Leben selbst mußte die Poesie quellen; aber eine angebliche Poesie, was der Einzelne dafür hielt, in das Leben hineintragen zu wollen, konnte nur mit Verkehrtheit und Abgeschmacktheit enden. Ueberall vermißte er die unverfälschte Wahrheit der Natur, ohne welche keine Kunst bestehen kann; überall blickte das Gemachte, das Willkürliche durch.

Dieses neue System nannten Anhänger und Gegner die romantische Schule, und Tieck galt ihnen für das Haupt derselben. Aber dies war ein großes Misverständniß. Stets hatte er die Schule bekriegt, nun sollte er selbst der Stifter einer solchen sein. Niemals hatte er daran gedacht; zu einem Partei- und Sektenhaupte, zu einem literarischen Agitator fehlte ihm nicht mehr als Alles. In seiner Weise kämpfte er, aber in die Tagesliteratur hatte er sich nie gemischt. Er hatte zu viel mit sich selbst zu thun, um an eine bewegliche und sich zersplitternde Thätigkeit zu denken; er war zu tief, wenn man will zu schwerfällig, zu bequem. Alles Parteiwesen haßte er; er haßte es auch darum, weil es Unterordnung und Aufgeben des Individuellen verlangte.

Als er mit den Schlegel und Novalis verbunden war, hatte man auch von einer neuen Partei, von einer kritischen oder einer Schlegel'schen Schule gesprochen. Allerdings waren sie durch ein freundschaftliches Verhältniß miteinander verknüpft, wie überall diejenigen, welche in gewissen Grundansichten übereinstimmen. Schon damals wurden sie von den Gegnern als unterschiedslose Masse behandelt und Einer für den Andern verantwortlich gemacht. An ein planmäßiges Machen und Organisiren dachten sie selbst nicht, auch wenn man sich im »Athenäum« vereinte und auf einander Sonette dichtete. Und was bewiesen am Ende diese Sonette? Hatten nicht Klopstock, seine Freunde und die ältern Dichter des achtzehnten 14 Jahrhunderts genug Oden und Lieder auf einander gemacht? Niemand hatte Anstoß daran genommen. Auch ging Tieck von Anfang an so selbständig seinen Weg, daß dies mehr als ein Mal Veranlassung ernstlicher Entzweiung mit dem ältern Schlegel zu werden drohte.

Jetzt aber noch viel weniger als früher wollte er eine romantische Schule anerkennen. Er konnte nicht einstimmen, wenn man ihm von der Romantik, als einer besondern Gattung der Poesie, reden wollte. Unter wechselnden historischen Bedingungen konnte diese erscheinen, an sich aber mußte sie immer dieselbe sein und bleiben. Damit war seine Stellung in jener Zeit, als er seinen Wohnsitz in Dresden aufschlug, entschieden. In dem Augenblicke, wo man ihn als zweites dichterisches Haupt Deutschlands begrüßte, war er dennoch innerlich isolirt. Es konnte nicht anders sein. Wie alle bedeutenden Naturen war er zu eigen gebildet, zu allseitig, als daß er jemals in den allgemeinen Ruf des Tages hätte einstimmen können, auch wenn seine Worte zum Feldgeschrei gemacht wurden. Im Munde Anderer wurden es andere Worte.



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