Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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8. Wanderleben.

In stiller Zurückgezogenheit lebte Tieck im Winter des Jahres 1808 auf dem einsamen Landgute bei Frankfurt seinen Freunden und den Studien. Doch führte ihn der Sommer nach Dresden. Dieses Mal wollte er weiter gehen, nach Wien, welches er schon auf der Rückkehr aus Italien zu sehen gehofft hatte. Die literarischen Schätze, die künstlerische Bedeutung und politische Wichtigkeit gerade in diesem Zeitpunkte forderte zu einem längern Besuche auf.

Wenige Wochen in Dresden reichten hin, den Kreis bedeutender Männer, die er kennen gelernt hatte, um einen 338 merkwürdigen Charakter zu erweitern. Dieser war Heinrich von Kleist. Noch war der geniale Dichter dem größern Publicum kaum bekannt. Im Jahre 1803 war seine Tragödie, »Die Familie Schroffenstein«, erschienen, in der sich echt Tragisches und Großes mit Plattem, ja Rohem mischte, und soeben hatte für ihn sein Freund, Adam Müller, das Lustspiel »Amphitryon« herausgegeben. Aber man wußte, wie anerkennend sich die ersten Dichter über Kleist's großes dramatisches Talent ausgesprochen hatten. Auch hatte man allerlei von seinen Reisen und Sonderbarkeiten gehört. Kürzlich erst war er aus französischer Gefangenschaft zurückgekehrt.

Als ihn Tieck kennen lernte, stand er in vertrautem Umgange mit Adam Müller, einem seiner eigenen frühesten Schulgefährten. Diese Entdeckung hätte ihn von der neuen Bekanntschaft fast abgeschreckt. Adam Müller war F. Schlegel's mystisch-kritischer Richtung gefolgt und übertrug sie auf das Gebiet der Politik. Auf Tieck machte er stets einen abstoßenden Eindruck. Er war rechthaberisch, hochfahrend, und vornehm geheimnißvoll.

Trotz seines sonderbaren Wesens war Kleist liebenswürdig. Wenn auch scheu und schroff, war er doch bieder, wahr und aufrichtig, aber wechselnden und zweifelvollen Stimmungen unterworfen. In guten Stunden nahm er unbefangen und lebhaft an der Unterhaltung Theil. Dann fiel ein unbedeutendes Wort, auf welches Niemand Werth legte, aber ihn berührte es in unbegreiflicher Weise, und sogleich ward er stumm, finster, und zog sich mistrauisch Tage lang in sich selbst zurück. In solchen Augenblicken des Schweigens schien er geistig abwesend. In seiner Bildung hatte er die verschiedenartigsten Gegensätze durchgemacht, ohne sie zu überwinden. Kantische Philosophie und Militärdisciplinen, Poesie und Naturwissenschaften, Skepsis und gläubige 339 Mystik hatten ihn angezogen und erfüllt. Namentlich glaubte er Kant's Philosophie trefflich zu kennen. Von allen Seiten her suchte er die Räthsel des Lebens aufzufassen, und angstvoll arbeitete er sich an ihrer Lösung ab, ohne weiter zu kommen. Seine äußere Stellung war eine unsichere; die Hoffnungslosigkeit Deutschlands drückte ihn vollends nieder. Der Sturz Preußens erschütterte ihn heftig. Ein tiefer sittlicher Unwille, ein bitterer Ingrimm erfaßte ihn, der sich sarkastisch und schlagend äußerte. Und oft warf sich dieser Haß auf einzelne Personen.

Bisweilen war er fixen Ideen unterworfen. So glaubte er einmal Adam Müller's Frau leidenschaftlich zu lieben, und sagte offen, daß er diesem das Leben nehmen müsse. Wirklich machte er einmal den Versuch, seinen Freund von der Elbbrücke in den Fluß zu stürzen. In dieser Zeit war er bereits mit seinem Hauptwerke »Käthchen von Heilbronn« beschäftigt. Er gewann Zutrauen genug, es Tieck mitzutheilen. Auch dieser erkannte das bedeutende dramatische Talent, aber zugleich auch, wie der Dichter im Kampfe mit den Zweifeln und Versuchungen zu unterliegen drohe, deren Gewalt er an sich selbst erfahren hatte.Tieck hat über sein persönliches Verhältniß zu H. von Kleist einige allgemeine Andeutungen gegeben in der Einleitung zu den gesammelten Schriften desselben. Vgl. »Kritische Schriften«, II, 26, und einige Nachträge dazu in »H. von Kleist's Leben und Briefe«, von E. von Bülow, S. 54 fg.

In den nächsten Sommermonaten lebte Tieck in Wien. Bekanntschaften, Geselligkeit, Kunst und Literatur wirkten anregend. Freundschaftlich kamen ihm die beiden Brüder Collin entgegen, die als literarische Vertreter Oestreichs einen Namen zu gewinnen anfingen. Mit Ernst und Eifer, welche tief in seinem Charakter lagen, hatte sich der Aeltere, Heinrich, auf das Drama geworfen. Sein »Regulus« war erschienen, andere Stoffe suchte er zu gestalten, darunter auch »Coriolan«. In wiederholten Gesprächen bemerkte Tieck mit Staunen, daß Collin nicht wußte, auch Shakspeare habe eine Tragödie dieses Namens gedichtet. So stand 340 es hier noch mit der Kenntniß seines Lieblings! Collin's eigene Trauerspiele waren bei weitem mehr Producte des reflectirenden Verstandes, als der Phantasie, kalt, steif und frostig.

Um so anspruchsloser zeigte sich der Dichter im persönlichen Umgange, ebenso sein jüngerer Bruder Matthäus. Ihren Wünschen nachgebend, nahm Tieck den Entwurf zu dem phantastisch-dramatischen Spiele, »Das Donauweib«, wieder auf, und fügte den in Dresden verfaßten Scenen einige neue hinzu, da der ältere Collin eine Art nationaler Vorliebe dafür hatte.

In Hormayr, dem vielseitigen Staatsmanne und Geschichtsforscher, gewann er einen eifrigen Freund, und Karoline Pichler, die Schriftstellerin, fand er angenehmer als ihre Romane.

Auch das Theater machte sein Anrecht an den Liebhaber wieder geltend. Merkwürdig war der Schauspieler Lange, ein Veteran der alten Schule, der eine lebhafte Erinnerung an die beste Zeit der deutschen Bühne erweckte, welche für Tieck bereits damals eine vergangene war. Da man jenen oft gerühmt hatte, suchte er ihn auf. Ein einfacher, älterer Mann trat ihm in gewöhnlicher Hauskleidung entgegen. Im Gespräche kamen sie auf die frühere Zeit der Bühnenwelt. Lange erzählte von seinen Rollen, und machte das Anerbieten, eine Probe seiner Darstellungsweise zu geben. Ohne Vorbereitung, im Schlafrocke, begann er die leidenschaftliche Rede des Herzog Albrecht vor den Turnierschranken aus Törring's »Agnes Bernauerin« zu recitiren. Er sprach nicht, sondern er spielte mit so unmittelbarer Wahrheit, daß er zum Jünglinge zu werden schien. Gleich darauf wiederholte er dieselbe Rede, aber nun in ganz anderer Weise. Jetzt war es mehr der Ton der Mäßigung, der sich zügelnden Kraft. Tieck 341 war zweifelhaft, welcher Auffassung er den Vorzug geben solle, als Lange ihn mit der Ankündigung überraschte, er werde nun eine dritte, mittlere folgen lassen, die er für die angemessenste halte. Und auch dieses Mal löste er seine Aufgabe vortrefflich.Auch Lange erzählt von dieser Talentprobe, die er Tieck bei seinem Besuche 1808 gegeben, in der in demselben Jahre erschienenen »Biographie des Joseph Lange, k. k. Hofschauspielers« S. 249.

Fast wäre Tieck hier an das Theater gefesselt worden. Collin wünschte für ihn eine Anstellung am Burgtheater zu gewinnen, und that dafür einige vermittelnde Schritte. Auch der Graf Palfy, der eine entscheidende Stimme hatte, war ihm günstig. Dennoch war dieser Plan nicht sogleich durchzuführen. Man hatte kurze Zeit zuvor Iffland die Leitung der kaiserlichen Bühne unter vortheilhaften Bedingungen angetragen. Seine Antwort mußte abgewartet werden, und die Entscheidung verzögerte sich.Ueber Iffland's beabsichtigte Berufung nach Wien und die dortigen künstlerischen und öffentlichen Zustände im Allgemeinen s. Reichardt's »Vertraute Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien in den Jahren 1808 und 1809« I, 178; II, 83. Schon vorher war Tieck nach München gegangen, wo man ihm einen ähnlichen Antrag machte. Gleich darauf erkrankte er von neuem, und so scheiterten auch diese Verhandlungen.

Im Herbst 1808 sah er in München Baader und Rumohr, seinen treuen Pfleger, wieder; auch Bruder und Schwester trafen ein. Zu diesen gesellten sich noch Friedrich Jacobs, Wiebeking und Jacobi, in deren Familien er die gastfreundlichste Aufnahme fand.

In Jacobi begegnete er einem Meinungsgenossen. Aehnlich, wie er selbst, stand dieser zur systematischen Philosophie. Auch Jacobi war bei den Thatsachen des Bewußtseins stehen geblieben. Die Schilderungen, welche man Tieck von dem Philosophen gemacht hatte, waren ungünstig. Ein empfindlicher und krankhaft reizbarer Mann war ihm angekündigt. Er war erfreut, weder das Eine noch das Andere zu finden. Einfach und natürlich kam ihm Jacobi entgegen. In ihren Gesprächen herrschte der Ton der ruhigen und offenen Erörterung, die der Sache gilt, und jedes zeigte den 342 Denker, den wahrhaft gebildeten Mann. Nie war Tieck bisjetzt einem Philosophen näher gekommen als diesem. Mit vollster Unbefangenheit sprach Jacobi von seinen Schriften; ruhig hörte er Einwürfe und Bedenken an.

In spätern Unterhaltungen war die Rede von Baader und F. Schlegel. Mit jenem stand Jacobi in keinem guten Vernehmen, obgleich es an Berührungspunkten nicht fehlte. Baader konnte in Jacobi den Fremden und Protestanten nicht vergessen, und dieser glaubte Veranlassung zu haben, seine Aufrichtigkeit zu bezweifeln. Einst erzählte Tieck, mit welcher Verehrung Baader zu ihm über Schlegel gesprochen habe, wie er ihn eine prophetische Natur, einen zweiten Apostel Paulus genannt habe. Ruhig erwiderte Jacobi: »Halten Sie mich für einen ehrlichen Mann? Nun wohl, treten Sie hierher«, sagte er, indem er auf einen Punkt hindeutete. »Sehen Sie, auf dieser Stelle hat Baader zu mir gesagt, Schlegel sei ein wahrer Judas Ischarioth!«

Bald war Tieck in Jacobi's Hause heimisch. Er las dramatische Dichtungen vor, machte Mittheilungen aus seinen Papieren, und verlebte hier manche angenehme Stunde. Zugleich hatte er auch Gelegenheit zu sehen, wie Jacobi Gegenstand feindseliger Angriffe und Verdächtigungen ward.

Von einer andern Bewegung war indessen Rumohr ergriffen worden. Die Gährung, welche Deutschlands Befreiung herbeiführen sollte, hatte begonnen. Es glühte unter der Asche. Die Bewunderung, welche man früher Napoleon's dämonischer Größe zollte, wich der steigenden nationalen Erbitterung. Tieck hatte nie in jenen Ton eingestimmt. Er konnte das Genie nicht für eine Berechtigung zur Tyrannei halten. Der eiserne Druck, der alles Eigenthümliche zermalmte, empörte ihn. Das deutsche Volksleben schien geknickt und zerbrochen.

Leidenschaftlicher hatte Rumohr ähnliche Gesinnungen 343 kundgegeben. Da war München, wo französische Politik herrschte, nicht der Ort. Uebereilte Aeußerungen, welche an Revolution erinnerten, brachten ihn in den Ruf eines Demokraten; er galt für verdächtig und gefährlich. Als unruhiger Kopf sollte er verwiesen werden. In dieser Bedrängniß riefen seine Freunde die Vermittelung des östreichischen Gesandten, Grafen Stadion, an, mit dem auch Tieck bekannt war. Erst auf dieses mächtige Fürwort ward es Rumohr verstattet, in München zu bleiben.

Bald zeigte sich, daß Tieck das wechselnde Klima nicht ertragen könne. Im Winter 1809 erkrankte er zum zweiten Male schwer. Doch standen ihm dieses Mal seine Geschwister zur Seite. Es traten Augenblicke vollständiger Lähmung ein, in denen er kein Glied zu regen vermochte, ja selbst die Sprache verlor. Es war ein Starrkrampf, auf den nervöse Abspannung und Schwäche folgte.

Als er so weit hergestellt war, um an der Unterhaltung Theil zu nehmen, dachte man auf Zerstreuungen. Erfinderisch benutzte Friedrich Tieck das Nibelungenlied. Er fertigte ein Spiel Karten an, in dem jedes der zweiundfunfzig Blätter einen Charakter aus dem Heldenliede darstellte, während der Spielwerth der Karte am Rande angedeutet war. Zu den Freunden, welche in dieser Krankheit um Tieck Sorge trugen, gehörte auch Brentano's Schwester, Bettina. Oft besuchte und unterhielt sie ihn in ihrer humoristischen Weise.Der Geschichte, welche in Goethe's »Briefwechsel mit einem Kinde«, II, 10, erzählt wird, gedachte auch Tieck, aber mit nicht unwesentlich andern Umständen.

Langsam erholte er sich. Aber welche Veränderung war in dieser schweren Zeit mit ihm vorgegangen! Kaum kannte er sich selbst wieder. Der jugendfrische Dichter hatte sich zum entsagenden Leidensträger umgewandelt. Die Hand des Schmerzes hatte seinen Körper vor der Zeit gebeugt und niedergedrückt. Erst jetzt fühlte er sich krank, schwach und elend. Ein Leiden hatte begonnen, das fortan mit seinem Leben Eins sein sollte.

344 Endlich war der Kranke in erträglicher Weise hergestellt. In Begleitung seines Bruders erprobte er die wiederkehrenden Kräfte in weitern Spaziergängen. Auch die alten Liebhabereien erwachten, und er hatte Muth genug gewonnen, ihnen selbst mit Gefahr für seine Genesung nachzugehen.

Auf einem Volkstheater in der Vorstadt spielte ein Hanswurst, oder wie man ihn kurzweg nannte, der Lipperle, mit großem Beifall. Tieck konnte der Versuchung nicht widerstehen, diese gerühmten Späße kennen zu lernen. An einem heißen Sommertage wallfahrtete er daher mit seinem Bruder zum Lipperletheater hinaus. Während er sich in der Bude an dem Witze des Lipperle mit Behagen ergötzte, kam ein drohendes Gewitter herauf. Es war in vollem Anzuge, als die Vorstellung endete. Eilig machte man sich auf den Weg. Aber schon brach es los. Nach einigen Stößen heftigen Wirbelwindes ergoß sich unter steigender Finsterniß ein rauschender Regen. Tieck vermochte sich im Sturme nicht aufrecht zu halten, er mußte sich an den stärkern Bruder anklammern, der ihn mehr trug als führte. Nirgends gab es ein Obdach. Endlich erreichte man das Haus. Der Kranke wurde in ein erwärmtes Bett gebracht; man wandte alle Mittel an, um der vielleicht tödtlichen Erkältung zu begegnen. Während der Bruder diesen Dienstleistungen sich mit ängstlichem Eifer unterzog, machte er zugleich seinem Zorne in einer Flut von Vorwürfen Luft. Er schalt auf die thörichte Vorliebe für abgeschmackte Theaterpossen, denen Tieck am Ende noch sein Leben opfern werde. Diese Scheltworte standen zu der sorglichen Hülfe in einem so komischen Contraste, daß der Kranke trotz der eigenen Besorgniß, sich des Lachens und der Lust an seinem unbesonnenen Streiche nicht erwehren konnte. Zum Glücke ging die Erkältung ohne schlimmere Folgen vorüber.

345 Während er zwischen Genesung und Rückfällen schwankte, kam der Winter in München zum zweiten Male heran; auch der Frühling des folgenden Jahres fand ihn leidend. Schon zwei Jahre war er von den Seinen getrennt, und noch war an die Heimreise nicht zu denken. Für den Sommer 1810 sollte der Gebrauch eines nicht allzu fernen Bades eintreten. Er ging daher nach Baden-Baden. Auch der Kronprinz von Baiern hielt sich hier auf. Schon in München war er von diesem ausgezeichnet worden, jetzt sah und sprach er ihn fast täglich, und freute sich seiner Begeisterung für deutsche Kunst und Dichtung. Auch mit Sulpice Boisserée trat er hier in nähere Verbindung. Endlich im Herbste kehrte er nach Ziebingen zurück, wo indessen die Seinen gelebt hatten.

Der Zustand seiner Gesundheit war kein besserer. Er war empfindlicher und schwerfälliger geworden, er bedurfte der Hülfe und des Beistandes. Bald ward es klar, es werde auf die Cur in der Fremde eine zweite daheim folgen müssen. Ein frankfurter Arzt rieth ihm im Sommer 1811 den Gebrauch von Warmbrunn. Aber dies vermehrte seine Leiden. Die gichtischen Schmerzen behaupteten sich hartnäckig, und das Bad führte neue Gebrechen herbei, von denen er früher nichts gewußt hatte.

Kraft und Gesundheit waren für das Leben dahin, sein Körper schwach und gebrechlich, von jedem Luftzuge abhängig. Von der Natur, mit der er von Jugend auf im innigsten Verkehr gelebt hatte, mußte er Abschied nehmen. Die Tage des dauernden Leidens und der Entsagung waren gekommen. 346



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