Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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2. Zweifel und Verlust.

Aber er hatte überhaupt das Behagen an seinen Schöpfungen verloren. Die lebensvollen Gestalten des Humors begannen ihm kalt und matt zu erscheinen, die Lust am dichterischen Schaffen sank, die heitere und unbefangene Freude der Jugend war von ihm gewichen. Zu Zeiten dünkte es ihm ein leeres unerquickliches Treiben, ein frevelhaftes Spiel mit dem Leben. Wenn die Schwermuth auf der Seele des Knaben und Jünglings lastete, dann war es die ihrer selbst bewußt werdende Kraft des Talentes, die Hoffnung auf die Erfolge der Zukunft, die Trost gewährten und ihn aufrecht hielten. Jetzt war die Zukunft zur Gegenwart geworden, er hatte ausgesprochen, was damals sein Herz dunkel bewegte, und nach dessen Gestaltung Sinn und Phantasie rangen; konnte er sagen, er sei darum glücklicher, mehr mit sich selbst eins und im Frieden? Bisweilen meinte er nur an bitteren Erfahrungen reicher, an schönen Hoffnungen ärmer geworden zu sein. Zu den Anfeindungen kamen Verluste, schmerzliche Todesfälle und unglückliche Verhältnisse in seiner Familie.

Gleichzeitig hatte sich die Mystik seiner Seele ganz bemächtigt. Nie hatte ihn Jakob Böhme mehr erfüllt. Das Studium der deutschen Philosophen führte ihn zurück auf die Mystiker des Mittelalters, auf Tauler, auf die Mystiker 287 anderer Völker, endlich auf die Kirchenväter. Mit Eifer las er die Schriften des Augustinus, seine Bekenntnisse, sein Buch vom Reiche Gottes. Unmerklich hatten sich diese Kreise erweitert, immer mehr wurde er hinabgezogen in ihre Tiefen.

Wie anders zeigten sich ihm Philosophie und Religion, Welt und Leben, seit er sich gewöhnt hatte sie in diesem Lichte zu sehen! Schien sich manches Räthsel zu lösen, so kamen dafür andere und vielleicht schwierigere hervor. Die Unbefangenheit, mit welcher er hineingetreten war in das grüne, jugendliche Leben, war vorüber. Was er von seinem Sternbald gesagt hatte, war auch ihm geschehen; er hatte das Paradies der Jugend verloren. Was war er, sein Leben in diesem großen Zusammenhange? War es nicht leichtsinnig sich an einem Talente zu erfreuen, das die Kluft nicht auszufüllen, nur mit seinen Blüten zu verdecken wußte? Ja oft erschien ihm dieses Talent selbst als das Böse, als die Sünde. Er glaubte sich von einer finstern Magie umgarnt, die ihn ins Verderben reißen müsse. Vor dieser Macht sank alle Poesie unter, das Leben und Alles, was sonst als Schönheit, Glück und Liebe erschienen war. Dann aber erhob sich wieder die Frage, warum war ihm dieses Talent geworden? War es nicht das seine? Gehörte es nicht zu seinem Wesen? So drehte er sich im Kreise von Zweifeln und Fragen umher, die ihn wie Gespenster verfolgten. Er las, er studirte, er suchte Gesellschaft auf, um der innern Angst zu entfliehen, dieser fieberischen Erregung, die mit trüber Gleichgültigkeit wechselte. Es war umsonst. Wie in der Jugend wünschte er in einem stillen Kloster sich verbergen zu können. Er sehnte sich, der Welt, sich selbst zu entfliehen, nach dem Frieden der Versenkung in den ewigen Gedanken Gottes.

Und um diese Zeit trafen ihn neue, schwere Verluste. 288 Zuerst entriß ihm der Tod Novalis, den kaum noch gefundenen Freund. Seit dem Sommer 1800 kränkelte Novalis. Neue Erschütterungen, der plötzliche Tod eines Bruders hatte seine wankende Gesundheit auf das tiefste angegriffen. Ein Blutsturz folgte; immer mehr neigte sich sein Leben abwärts. Am Neujahrstage 1801 schrieb er im Gefühle unheilbarer Krankheit zum letzten Male an Tieck. Darauf verfiel er in ein abzehrendes Fieber. Am 25. März entschlief er sanft und schmerzlos in den Armen Friedrich Schlegel's, der gekommen war, um ihn noch einmal zu sehen. Achtundzwanzig Jahre war er alt geworden.

Nicht ganz zwei Jahre waren verflossen, seit Tieck und Novalis sich zum ersten Male begegnet waren. Sogleich verband sie die innigste Freundschaft; sie hatten das Gefühl, sich vorausahnend ohne Worte zu verstehen. Ueberraschend sprach einer oft die Gedanken des andern aus. Es war eine gemeinschaftliche Wurzel, aus der sie emporwuchsen. Vieles war bei Tieck erst in diesem Elemente lebendig geworden, er fühlte, Novalis sei seinem Wesen nothwendig. Er klagte, es sei ihm, als habe durch diesen Tod die Liebe selbst in ihm einen Riß bekommen.

In der Ahnung eines frühen Todes hatte Novalis gewisse Papiere bezeichnet, die von Tieck oder F. Schlegel eröffnet werden sollten. Ihnen allein traute er das rechte Verständniß seiner Gedanken zu. Sie waren dadurch zu Vollziehern seines literarischen Testamentes bestimmt, das freilich nur zu zeigen vermochte, was der Dahingeschiedene bei längerm Leben der deutschen Dichtung hätte werden können. Von dem Roman »Heinrich von Ofterdingen« war der erste Theil vollendet. Aus seinen Erinnerungen und den Gesprächen mit dem Freunde versuchte Tieck ergänzend auszuführen, wie ungefähr der Dichter dieses Buch abzuschließen gedachte. Dazu 289 kamen seine nicht zahlreichen lyrischen Gedichte, und einige zerstreute Fragmente aus dem »Athenäum« und andern Zeitschriften. Im Jahre 1802 erschien dieser Nachlaß unter dem Namen, welchen sich der Dichter nach einem Landgute, das seiner Familie gehörte, beigelegt hatte.

Um Ostern desselben Jahres starben Tieck's Aeltern, Vater und Mutter in einer Woche, an einer Krankheit. Zwei ihrer Kinder konnten sie zu Grabe geleiten. Die Tochter Sophie, die seit zwei Jahren an Bernhardi verheirathet war, und Friedrich, der nach mehrjähriger Abwesenheit soeben zurückkehrte.

Friedrich Tieck hatte die künstlerischen Lehrjahre vollendet, und war auf dem Wege sich zu einem Meister der Kunst auszubilden. Das letzte Ziel jener Reise, welche er als Begleiter Wilhelm's von Humboldt und Burgsdorff's unternommen hatte, war Paris. Die großen Schätze alter und neuer Zeit, die sich hier angesammelt hatten, machten es zur Kunstschule. Zu Anfang 1798 trat er in die Akademie ein, um einen Lehrgang der Bildhauerei, dann der Malerei durchzumachen. Er arbeitete eine Zeit lang unter David's Leitung; doch fand er in diesem Institute Eifer, Kunstsinn, Methode, ja selbst die Einrichtungen weit hinter dem zurückstehend, was er von der berliner Akademie kannte. Im Verkehre mit Humboldt und seiner Familie fehlte es ihm an bedeutender Anregung nicht. Auch lernte er manche interessante Persönlichkeit kennen. Er lebte im Umgange mit Gustav von Brinckmann, der bei der schwedischen Gesandtschaft stand, dem Baron Bielfeld, und Baggesen, der bald darauf nach Paris kam. Auch die Bekanntschaft der Staël machte er.

Dennoch hatte er mitten in dieser reichen Welt Stunden und Tage des Kampfes, die an ähnliche Zustände seines 290 Bruders erinnerten. Ihn erfüllte wie eine höhere Macht die Begeisterung für seine Kunst. Aber sie war zu stiller, zu friedlicher Natur, als daß sie in dem Strome großer politischer Bewegungen, in der Welt eines rastlosen Ehrgeizes sich hätte entfalten können. Die Politik widerte ihn an; er fühlte sich als einen Gegner dessen, der sie beherrschte, Bonaparte's. Aber auch in sich selbst fand er keine Befriedigung. In das Studium der großen Meisterwerke wünschte er sich ganz zu versenken. Doch hier ergriffen ihn Muthlosigkeit, ja Verzweiflung. Er fühlte sich von ihrer Größe überwältigt, vernichtet. Seine Studien schienen ihm leerer Tand und Spielerei, ein nutzloses Ringen nach einem Ziele, das stets in weitere Ferne rückte. Er glaubte seinen Beruf verfehlt zu haben, und fühlte sich unverstanden und allein; das Heimweh ergriff ihn oft mit unwiderstehlicher Gewalt. Er sehnte sich nach dem geistigen Austausche, in dem er mit seinen Geschwistern gelebt hatte, doch nur selten erhielt er Nachricht von Hause; er glaubte sich vergessen. Seine Einsamkeit ward noch drückender, als Humboldt nach Spanien, Burgsdorff nach England reiste. Er dachte daran, die Anerbietungen Alexander's von Humboldt anzunehmen, ihn nach Amerika zu begleiten. Sein ganzes Leben würde eine andere Wendung erhalten haben. Aber der Wunsch Italien, die Antiken auf dem classischen Boden selbst zu sehen, der Gedanke an seine Familie hielt ihn zurück.

Endlich 1801 kehrte er heim. Er ging nach Weimar und Jena, machte die Bekanntschaft der Schlegel, und schloß mit dem ältern eine enge Freundschaft. Er lernte Goethe kennen, begann dessen Büste zu modelliren, und wurde durch diese und andere Arbeiten für einige Zeit an Weimar gefesselt.Ueber Friedrich Tieck's Aufenthalt in Weimar s. auch Goethe's »Tages- und Jahreshefte«, 1801, »Werke«, XXXI, 118. Nun kam er nach Berlin zurück, um der Mutter, deren Liebling er gewesen war, die Augen zuzudrücken. Sie 291 starb an einer entzündlichen Brustkrankheit, die zuletzt in ein Nervenfieber überging.

Der Tod der Mutter wirkte tödtlich auf den Vater. Er war in sich gebrochen. Laut klagend ging er Tage und Nächte lang im Zimmer auf und nieder. Still und lautlos folgte er dem Sarge, dann stellten sich ähnliche Krankheitszeichen bei ihm ein, bald war sein Zustand hoffnungslos. Acht Tage nach dem Tode seiner Frau that auch er den letzten Athemzug. In Folge dieses zwiefachen Todesfalls erkrankte die Tochter so heftig, daß man an ihrem Leben verzweifelte. Als Tieck in Dresden die erste Nachricht von der schweren Erkrankung der Mutter erhielt, war sie bereits gestorben. Gleich darauf folgte die Trauerkunde von dem Tode des Vaters.

Der Lebensabend des alten Tieck war nicht ohne Leiden und Sorgen gewesen. Doch eine Genugthuung war ihm geworden. Er sah das reiche Talent seiner Kinder, für deren Erziehung er gearbeitet hatte, in voller Entfaltung, und zu den berühmten Namen des Vaterlandes hörte er auch den seinen zählen. Aus den engen Schranken des Handwerks, wo man nur ängstlich für das Heute arbeitete, waren sie hinausgetreten in den weiten Kreis des geistigen Lebens, um die kleinen und stillen Freuden und Leiden mit größern zu vertauschen.

Unter diesen Eindrücken und Kämpfen ermattete bei Tieck die Kraft des dichterischen Schaffens. Auf die hochgehende Strömung der ersten zehn Jahre schien die Ebbe einzutreten. Zwar regten ihn Freunde und manche Ereignisse vorübergehend an. Aber meistens blieb es bei Entwürfen, es waren Ansätze und Versuche ohne Abschluß, ohne Lust, ohne Vertrauen.

Im Jahre 1801 sah er Steffens in Dresden wieder. In 292 lebhaftem Umgange bildete sich erst jetzt ein entschiedenes Verhältniß zwischen ihnen aus. Steffens wohnte in Tharand, häufig kam er nach der Stadt Tieck zu besuchen, in dessen Hause er bald heimisch ward.Steffens berichtet über seinen Umgang mit Tieck in Dresden im Jahre 1801 »Was ich erlebte«, IV, 129. Auch bei dem Hofsecretär Ernst, einem sächsischen Beamten, der die Schwester der Schlegel geheirathet hatte, sahen sie sich oft. Steffens' naturphilosophische Richtung kam ihm entgegen. Die Natur und ihre Geheimnisse, Poesie, Philosophie und Religion waren Gegenstände häufiger stundenlanger Unterhaltungen. Sie trafen zusammen in Jakob Böhme und den Mystikern. Aus diesen Gesprächen bildete sich jenes schauerliche Märchen »Der Runenberg«, in dem die Natur als dunkle und unwiderstehliche Macht erscheint, die den freien sittlichen Entschluß des Menschen vernichtet. Es war das Abbild der damaligen Stimmung Tieck's. Im Walde, in der Pflanzenwelt wehte ein verwandter Hauch, der ihn geheimnißvoll durchschauerte. Er glaubte hineinzublicken in ferne, untergegangene Riesenwelten, und sie in ihren Erinnerungen wiederzuerkennen. In sich erfuhr er die uralten Wandlungen der Natur, von der Sage und Mythos dunkel erzählten; sie waren ihm nichts Vergangenes, sondern ein Gegenwärtiges. Natur, Geschichte, Poesie floß in eins, und es blickte ihm entgegen mit einem Auge der Liebe und des Schreckens zugleich. Der »Runenberg« erschien in einem Taschenbuche für das Jahr 1802 im Druck.

Durch Steffens war er früher in Giebichenstein mit einem jungen Landsmann desselben, Namens Möller, bekannt geworden, der ebenfalls, für deutsche Wissenschaft und Literatur begeistert, nach dem Süden gekommen war. Erzogen und aufgewachsen in dem strengsten Lutherthum, erfüllte ihn eine leidenschaftliche Abneigung gegen die katholische Kirche, welche er nur aus Büchern und den im Vaterlande herrschenden 293 Ansichten kannte. In Gesprächen mit Tieck und Andern, ging er oft zur heftigsten Polemik über. Kaum ein christliches Element wollte er in ihr anerkennen, er meinte sie verhalte sich zum protestantischen Bewußtsein nicht viel anders als der Mythos der Griechen. Gegen so einseitige Angriffe vertheidigte Tieck die katholische Kirche von seinem Standpunkte aus. Auch sie sei eine Form des Christenthums, und zwar eine nicht minder berechtigte, außerdem sei sie die ältere. In den einzelnen Theilen des katholischen Cultus liege ein Sinn, der historisch wol anzuerkennen sei. Uebrigens werde das wahre Wesen der Frömmigkeit dadurch kaum berührt, denn zu allen Zeiten, wie auch jetzt noch, habe es unter den Katholiken fromme und wahrhafte Christen gegeben. Der junge Norweger wies diese Entgegnungen hartnäckig ab; er behauptete sogar, nur in seiner Heimat könne man das Abendmahl in voller Reinheit empfangen, und schickte sich bereits an deswegen dahin zurückzukehren.

Plötzlich erkrankte er. Eine Umwandlung ging mit ihm vor. Alles was er über die Anerkennung der katholischen Kirche gehört und gelesen hatte, kam zu einem unerwarteten Durchbruch. Mit demselben ausschließlichen Eifer, mit welchem er vorher an dem Lutherthum gehangen hatte, umfaßte er nun den Katholicismus. Nur hier war die Wahrheit, nur im Schoose dieser Kirche Friede und Seligkeit. Bald darauf trat er über, und verbannte sich dadurch aus seinem Vaterlande für immer. Er heirathete eine ältere Schwägerin Tieck's, und zog auch diese zu sich herüber. Sein Bekehrungseifer war erwacht. Alles was er je aus Tieck's Munde gehört hatte, wandte er nun gegen ihn. Er sah in ihm einen schwachen und unentschiedenen Anhänger des Glaubens. Mündlich und schriftlich forderte er ihn auf wiederzukehren in den Schoos der wahren Kirche, 294 als berühmter Mann ein großes Beispiel der Bekehrung zu geben, das von den glänzendsten Folgen begleitet sein werde. Nur mit Mühe erwehrte sich Tieck dieser Zumuthungen. Auf die Anerkennung des tiefen Sinnes, der in jeder echten Frömmigkeit ruht, welche Formen sie haben möge, war es ihm angekommen. Seine Neigung zum Mystischen, ein lebhaftes Gefühl der Gerechtigkeit hatten ihn getrieben, den alten Glauben der von den Aufgeklärten geschmähten katholischen Kirche anzuerkennen. Aber weil er dies that, sollte er darum seine Freiheit dem System, das jene Schätze bewahrte, aber in drückender Weise verwaltete, unterwerfen?

Aus diesen Erfahrungen ging im Jahre 1802 der Entwurf einer Dichtung hervor, welche einen ähnlichen Bildungsgang darstellen sollte. Ein Jüngling begegnet den Verkündigungen des Wunders und der Heiligkeit der Religion, die er aus dem Munde eines Greises vernimmt, mit Spott und Zweifel. Niemals sind ihm ähnliche Gedanken gekommen. Aber seine Augen öffnen sich, die neue Offenbarung erfüllt bald sein Herz. Als ein Umgewandelter kehrt er zu dem Greise zurück, und verlangt die Aufnahme in die Kirche, welche er jetzt erst hat schätzen lernen. Aber nun eröffnet ihm der Greis zum zweiten Male ein neues Verständniß. Er klärt ihn darüber auf, wie er im Begriffe sei statt des Ewigen eine andere endliche, dem Mangel und Irrthum unterworfene Form zu ergreifen; er heißt ihn heimgehen und den gefundenen Schatz in seinem Innern bewahren.Die Skizze dieser nicht ausgeführten Dichtung hat Tieck in der Novelle »Die Sommerreise« aufbewahrt, »Schriften«, XXIII, 3. Ueber seinen Verkehr mit Runge und seine Briefe an diesen s. Ph. O. Runge »Hinterlassene Schriften«.

Um diese Zeit machte Tieck auch die Bekanntschaft einiger Maler, die eine ähnliche Richtung hatten; es waren Hartmann, Fridrich, und Philipp Otto Runge. Die beiden letzten, aus Schwedisch-Pommern gebürtig, in der Malerei vornehmlich der Landschaft zugewendet, machten diese zum Träger einer mystischen Symbolik. Besonders Runge hatte einen 295 eigenthümlichen Mysticismus der Farben ausgebildet, in dem Kunst, Religions- und Naturphilosophie ineinander verschwammen. Er war tiefsinnig, streng gläubig, doch fern von aller Kopfhängerei, jugendlich kräftig, witzig und heiter. Schon früher hatte der »Sternbald« einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht; er schätzte sich glücklich, jetzt mit dem Dichter selbst befreundet zu sein, denn so gestaltete sich bald das Verhältniß beider. Tieck bewunderte ebenso sehr seinen Tiefsinn wie sein Talent, und nahm lebhaften Antheil an den berühmten symbolischen Kupferstichen, die vier Tageszeiten, die damals eben im Entstehen waren. Später sagte er von ihm, er habe die spielende Arabeske zu einem philosophisch-religiösen Kunstausdruck erziehen wollen.

Auch Lafontaine, den er zur Zielscheibe seiner literarischen Satire gemacht hatte, lernte er während eines kurzen Aufenthaltes in Leipzig kennen. Eines Abends war er bei Mahlmann, dem Buchhändler und Schriftsteller, der auch zu den Gegnern Kotzebue's gehörte. Hier traf er, außer F. Schlegel und einigen andern Bekannten, einen Mann, den nur der Zufall in diese Gesellschaft geführt haben konnte, da er mit den Wortführern unter den Anwesenden offenbar unbekannt, sich mit großer Unbefangenheit über seine eigenen schriftstellerischen Leistungen aussprach. In diesem fetten, rothen Manne hätte Niemand Lafontaine, den Verfasser so vieler thränenreicher Romane vermuthet. Endlich mußte ihm klar geworden sein, in welche bedenkliche Gesellschaft er gerathen sei, denn er entfernte sich stillschweigend. Kaum war er gegangen, als eine Flut des Gelächters und der Spottreden hinter ihm losbrach, über seine Romane, seine Persönlichkeit und Autoreitelkeit. Plötzlich aber wurde dieser Muthwille durch eine wohlbekannte Stimme mit den Worten unterbrochen: »Lieber Mahlmann, ich kann aus Ihrem Hause 296 nicht hinausfinden!« Es war Lafontaine, der unerwartet wie der steinerne Gast in der lustigen Gesellschaft wieder erschien. Da er die Hausthür verschlossen gefunden hatte, war er zurückgekehrt, und hatte, unbemerkt hinter den Kritikern stehend, ihre schonungslosen Reden eine Zeit lang schweigend angehört. Schnell unterbrach Schlegel die augenblickliche Bestürzung mit den Worten. »Da geht es Ihnen hier gerade so wie in Ihren Romanen, da können Sie sich auch nicht hinausfinden.« Und nun fand Lafontaine den Weg aus dem Hause um so rascher.

Es war stets eine Erholung für Tieck, wenn er dem steifen Ernste der großen Bühne, die er in Dresden nicht besser fand als in Berlin, entfliehen und sich an den harmlos volksthümlichen, oft auch wahrhaft albernen Spielen der Bretertheater in den Vorstädten erheitern konnte. In Dresden erwies ihm das Sommertheater auf dem Linke'schen Bade, wo eine wandernde Truppe spielte, diesen Dienst. Hier sah er das in seiner hohen Abgeschmacktheit kindisch unbefangene Liederspiel »Das Donauweibchen«, welches zu den beliebtesten Stücken des Tages gehörte. Einige von diesen Gestalten faßte er auf, und suchte sie zu Trägern eines phantastischen Märchens umzubilden. Auch entwarf er den Plan zu einer dramatischen Bearbeitung der »Magelone«, die zwischen »Octavian« und »Genoveva« in die Mitte treten sollte, und eine Tragödie »Niobe« wollte er im Wettkampfe mit den Schlegel, die diesen Stoff ebenfalls zu behandeln dachten, schreiben. Zugleich trug er sich seit 1797 mit dem Gedanken eines Romans »Alma«, in dem er die Liebe, wie im »Sternbald« die Kunst, verherrlichen wollte. Rasch, wie wechselnde Bilder, gingen diese Pläne durch seine Seele.

Endlich kam ein anderer Gedanke zur Ausführung, den er schon 1800 mit A. W. Schlegel gemeinschaftlich gefaßt 297 hatte, die Herausgabe eines Musenalmanachs. Daß dieser für das Jahr 1802 wirklich zu Stande gebracht wurde, war die Folge von Schlegel's Thätigkeit und gewandter Geschäftsführung. Schiller's »Musenalmanach«, der dem Werthe nach bei weitem die erste Stelle eingenommen hatte, war 1800 zum letzten Male erschienen. Hier hatten auch die Freunde Manches beigetragen. An den andern zahlreichen Almanachen fand sich Vieles auszusetzen. Bei der Art, wie man sie beurtheilt hatte, bei den hohen Anforderungen, die man machte, war es unmöglich, sich irgendeinem anzuschließen. Es entstand daher der Wunsch, einen eigenen Musenalmanach herauszugeben, zu dem nur die besten Freunde das Beste beisteuern sollten. Es lieferten außer den Herausgebern Friedrich Schlegel, Schelling unter dem Namen Bonaventura, Tieck's Schwester und Bernhardi die hervorragendsten Beiträge. Was außer einigen Gedichten von Novalis von Andern herrühren mochte, war von geringerer Bedeutung. Zugleich ward diese Sammlung zu einem zwiefachen dichterischen Todtenopfer. Es galt nicht allein der Erinnerung an Novalis, den geschiedenen Dichter und Freund, sondern auch an Auguste Böhmer, jenes geistvolle junge Mädchen, das in hoffnungsvollster Jugend im Jahre 1800 dem Tode verfallen war. Zur Herstellung ihrer Gesundheit hatte Schlegel seine Stieftochter nach Boclet ins Bad begleitet, wo sie statt der Gesundheit den Tod fand. Ihrem Andenken widmete er unter dem Namen »Todtenopfer« eine Reihe von Sonetten, die den Haupttheil des Musenalmanachs bildeten.

Durch das Studium der Mystiker war Tieck mit den allgemeinen Gedanken des Mittelalters vertrauter geworden, es lag daher der Uebergang zur altdeutschen Poesie in ihrer ursprünglichen Gestalt nahe. Er hatte sie von seinem Freunde 298 Wackenroder gewissermaßen geerbt; jetzt nahm er sie, etwa 1801, selbständig auf. Es war ein Seitenweg des dichterischen Lebens, den er einschlug. In diesen Werken fand seine Richtung auf das Tiefsinnige und Eigenthümliche, die Vorliebe für das Althistorische und für literarische Gelehrsamkeit ihre Befriedigung. Bald kam es zu Versuchen der Uebersetzung, Nachbildung und Umdichtung. Die fremde Dichterkraft beschäftigte ihn, während die eigene ruhte.

Zunächst zog ihn das schwäbische Zeitalter an. In der Vergessenheit alter Drucke und Handschriften, von deren Dasein nur wenige Gelehrte Kunde hatten, und deren noch wenigere sie werthachteten, erkannte er die Schöpfungen einer volksthümlichen Dichtung, die aus dem Staube hervorgezogen, dem Verständnisse der Gegenwart wieder zugänglich gemacht werden müsse. Es kam darauf an, dem Volke die Denkmale seines Geistes, seine eigene Sprache zu deuten. Ein solches Unternehmen war damals, wo die Herbeischaffung der unentbehrlichsten Hülfsmittel mit großen Schwierigkeiten verbunden war, wo man nicht ahnte, daß sich auch hier eine Wissenschaft aufbauen könne, doppelt kühn und anerkennenswerth. Seine Begeisterung gehörte dazu, dieses Leben aus langem Schlafe wiederzuerwecken. An ihr haben sich dann jüngere Kräfte entzündet. Wie auch eine spätere, klüger gewordene Kritik über diese Versuche urtheilen möge, Tieck's großes Verdienst ist es, den ersten einladenden Pfad durch die romantische Wildniß, durch den grünen, rauschenden Wald der ältern deutschen Poesie gebahnt zu haben, durch welchen jetzt manche befahrene Heerstraße führt. Die erste Frucht dieser Thätigkeit war die Uebersetzung der Minnelieder, die er 1803 dem Publicum übergab. 299



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