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Mit reicher Ernte war Tieck nach Ziebingen zurückgekehrt. Es war eine Reise, wenn auch nur von kurzer Dauer, doch von höchstem Werthe. An Kenntniß der Literatur, des gegenwärtigen Kunstzustandes, an Ueberblick seines Stoffes hatte er gewonnen. Er fing an, diese neuen Eindrücke in sich zu verarbeiten. Er fühlte sich frisch und angeregt; die nächste Zukunft versprach reichhaltige und belehrende Arbeit. Doch anders gestalteten sich die Dinge.
Im Frühjahr 1818 starb der alte Graf Finkenstein, das Oberhaupt der Familie, mit welcher Tieck in naher Verbindung stand. Er war der Mittelpunkt des geselligen Zusammenlebens gewesen. Theilnehmend und vielseitig, war er für Tieck ein väterlicher Freund, und dieser Verlust berührte auch ihn schmerzlich. Es war eine nicht wieder zu füllende Lücke. Diese Verhältnisse, welche zu gewohnten geworden waren, neigten der Auflösung zu.
Seit funfzehn Jahren gehörte ihnen Tieck an, in der zweiten Hälfte dieses Zeitraums hatte er fast ausschließlich in ihnen gelebt, Ziebingen war seine Heimat geworden. Aber es war nur eine Seite des Lebens; auch fehlte es an Beschwerden nicht. Er war abgeschnitten von dem literarischen Verkehr. Hatte er auch eine nicht unbedeutende Bibliothek zur Hand, so konnte diese doch unmöglich überall ausreichen. Nicht ohne Schwierigkeiten wurden die Hülfsmittel durch Freunde von Frankfurt, später von Berlin gesendet. In dem bewegten Leben einer größern Stadt lag an sich schon eine bedeutende Anregung; selbst der Gegensatz, auf den man hier gefaßt sein mußte, ward zur treibenden 383 Kraft. Anderes boten die Künste dar. Endlich war bei einem dauernd leidenden Zustande die Stadt an Aushülfen reicher als das Land.
Im Sommer 1819 übersiedelte er sich nach Dresden, das sich vor andern Städten zu längerm Aufenthalte empfahl. Es kehrte ihm die Erinnerung früherer Jahre zurück, die er hier verlebt hatte, wo trübe Schwermuth ihn gefangen hielt, und die heitere, freundliche Natur ihre Kraft für ihn verloren hatte. Jetzt sah er die Welt mit andern Augen an. Er war ruhiger, er erwartete weniger, und fand mehr. Die bekannten und doch neuen Gegenstände bewegten ihn. Diese Gärten und Weingelände, dieser Strom mit seinen Bergen, Alles rollte sich wie ein altes, lange nicht gesehenes, und darum doppelt frisches Bild vor ihm aus. Dazu die Galerie mit ihren Meisterwerken, die sich auch jetzt noch, nach Italien und England, in altem Glanze behaupteten, die Bibliothek, das Theater, freundschaftlicher Umgang; Alles gestaltete sich günstig.
Kaum aber war Tieck heimisch geworden, als ihn ein neuer Verlust traf. Vor Ablauf des Jahres starb Solger. Noch im Frühlinge hatte er ihn gesehen, und unter den ersten heitern Eindrücken im September zum letzten Mal an ihn geschrieben. Nicht ohne Besorgniß sah er, wie der Freund, der im jugendlichen Mannesalter stand, seit einiger Zeit zu kränkeln anfing. Beim letzten Wiedersehen fand er ihn verändert und niedergeschlagen, der sonst so klar und sicher die Dinge überschaute. Oft hatte er sich an dieser festen Natur aufgerichtet, jetzt mußte er den Zuspruch übernehmen. Ein Besuch Karlsbads gewährte in diesem krankhaften Zustande nur eine vorübergehende Hülfe. Im November starb Solger nach kurzer Krankheit an einem entzündlichen Halsübel.
Für Tieck war es ein schwer zu verschmerzender Schlag. 384 Dieser Freund machte einen Theil seines eigenen Lebens aus. Sein Umgang, sein Wort, seine Schriften übten eine tiefe Einwirkung aus, und hatten die Zeit innern Ringens zum Abschluß gebracht. Er war ihm mehr als Freund gewesen; mit aufrichtigster Dankbarkeit nannte er ihn seinen Lehrer. Zu der freudigen Erhebung gesellte sich jetzt der Schmerz, und erst durch beide ward ihm der neue Wohnort zur Heimat.