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Mit dem Ablauf des dritten Jahrzehends ging dieses gleichmäßige künstlerische Stilleben zu Ende. Neue Ereignisse traten ein, denen Verstimmung und Unruhe, Schmerz und Erschütterung in den engen Grenzen nächster Verhältnisse wie im öffentlichen Leben folgten. Für Tieck wurde dieser Lebensabschnitt durch zwei Todesfälle bezeichnet, die ihn tief ergriffen. Zu Anfang des Jahres 1829 starb Friedrich Schlegel, dann folgte der Tod Goethe's.
Von dem Wunsche getrieben, den wohlbekannten Boden des nördlichen Deutschland auf längere Zeit wiederzusehen, kam Schlegel im Spätherbste 1828 nach Dresden. Er beabsichtigte in den Wintermonaten eine Reihe von öffentlichen Vorlesungen in alter Weise zu halten. Er wollte darin die Ergebnisse seiner philosophischen und historischen Studien, seine Lebensphilosophie, wie er es nannte, vortragen. Mehr als je erschien er von dunkler Mystik und Prophetik erfüllt. Er sprach mitunter glänzend, es war ein Aufblitzen des alten Talents, öfter sophistisch, unklar und verworren; Paradoxie und Anmaßung waren vorherrschend. Seine neuen Vorlesungen waren bei weitem mehr Gegenstand der Neugier und des Staunens, als der wahren Theilnahme. Für Tieck waren sie ungenießbar. Es gab Augenblicke, in denen er nicht ohne Schrecken die apokalyptischen Verkündigungen seines Freundes anhörte. Fast gespenstisch erschien er ihm. Wie hatte sich dieser reiche Geist aus den weitesten Räumen in die engste Dürftigkeit zusammengezogen! Im Willkürlichen, Abenteuerlichen, Verkehrten fand er Genügen, und gerade jetzt meinte er auf der Höhe der Weisheit angelangt zu sein.
74 Dem reinsten Aberglauben war er verfallen; jedes Gespräch zeigte nur die immer größer werdende Kluft. Er behauptete wirklich prophetisch in die Zukunft zu blicken, die er aus einzelnen Bibelsprüchen deuten wollte. Diese nahm er aber nur aus der Vulgata. Wenn Tieck sich erlaubte, bescheidene Zweifel zu äußern, wies er ihn pathetisch mit den Worten ab: »Mein Sohn, auf deinem Standpunkte verstehst du das nicht.« Als ihm Tieck einmal einen phantastischen Traum erzählte, erkannte Schlegel darin einen Wink der heiligen Jungfrau, die es gut mit Tieck meine, und ihn in den Schoos der Kirche zurückführen wolle. Ein anderes Mal kündete er die Nähe des jüngsten Tages an, dann würden die Gestirne des Himmels sich gegeneinander bewegen, und die Gestalt eines Crucifixes bilden. Unwillkürlich brach Tieck bei diesem Orakel in den Ruf aus: »Mensch, sage einmal, glaubst du denn wirklich das Alles?« Nach solchen Zweifeln sprach dann Schlegel sein tiefes Bedauern aus, daß der Freund, der doch alle Elemente des Glaubens in sich trage, sich zum Glauben selbst nicht erheben könne.
Schlegel sollte seine Vorlesungen nicht beenden. Es war am 10. Januar, als er noch einmal in heiterer Geselligkeit mit den Freunden vereint war; in der Nacht darauf wurde er vom Schlagfluß getroffen.
Am 22. März 1832 starb Goethe. Die letzte Berührung hatte Tieck mit ihm, als 1829 zur Feier von Goethe's Geburtstage auf der dresdener Bühne der »Faust« zur Aufführung gebracht wurde. Er war mit diesem Plane nicht einverstanden, weil er darin eine Beeinträchtigung des Gedichts fand, dennoch schrieb er für die Darstellung einen Prolog. Wenige Tage später erhielt er ein danksagendes Schreiben von Goethe's Hand.
Jetzt war auch er dahingegangen, der in dem Reiche 75 deutscher Dichtung sechzig Jahre lang als König geherrscht, an dem sich die spätern Geister alle gemessen oder emporgerankt hatten. Es war eine tiefe Lücke im deutschen Leben selbst. An Goethe's Dichtungen hatte Tieck in kindischem Spiele gelernt, von ihm als Knabe geträumt, für ihn als Jüngling voll Begeisterung gekämpft. Unaufhörlich hatte er seine frühern Werke studirt, in ihnen lebte er. Wie viel hatte er nicht seit dreißig Jahren über Goethe's dichterischen Genius gedacht, gesprochen und geschrieben! Doch nie war es zu einer dauernden persönlichen Verbindung zwischen ihnen gekommen. Sie standen einander zu nah und doch auch fern. Aber nur um so klarer ward Tieck's reine und uneigennützige Pietät. Es war ein innerstes Verständniß, welches das Zufällige von dem Unvergänglichen trennte, und deshalb in den hergebrachten Ton der Bewunderung nicht überall einstimmen konnte. Goethe's Tod wirkte auf ihn mit schmerzlicher Gewalt. Wochen lang war er in schwermüthiger Trauer, und vermochte seiner Rührung nicht Herr zu werden. Familie und Freunde fingen an für seine Gesundheit zu fürchten. Ergreifend sprach er das Gefühl seiner tiefen Wehmuth aus, als er einmal sagte, Goethe sei der Stern gewesen, der seiner Jugend vorgeleuchtet habe; wie Ferdinand für Egmont, habe er für Goethe gefühlt. In dem Epilog zum Andenken Goethe's, der nach der Darstellung der »Iphigenia« gesprochen wurde, legte er ein letztes Zeugniß für ihn als Vorbild, Lehrer, Freund und hohen Meister ab, indem er ihn mit Dante und Shakspeare zusammenstellte, und sie als das leuchtende Dreigestirn der Poesie bezeichnete.
Es war, als wenn mit dem Scheiden Goethe's, des Schöpfers der nationalen Poesie, und Schlegel's, des Vorkämpfers der Mystik, eine große Zeit hätte abschließen sollen. 76 Denn jetzt drängte gewaltsam ein jüngstes Geschlecht nach, in dessen Augen die alten Lorbern längst vertrocknet waren, welches Talent, geistige Kraft und Bedeutung allein für die Gegenwart und für sich selbst in Anspruch nahm. Die Julirevolution war ausgebrochen, und der Widerhall der heftigen Explosion erschütterte zunächst Deutschland. Eine fieberhafte Bewegung durchzuckte das Leben. Alle Unzufriedenheit, alles gesellschaftliche Misbehagen, dessen Aeußerungen die Restaurationspolizei bisher niedergedrückt hatte, brach hervor, und suchte sich einen politischen Ausweg zu bahnen. Aber seit lange lag es im Charakter des deutschen Geistes, die Schlachten, die er sich selbst liefert, vorzugsweise auf dem Gebiete der Literatur zu schlagen. So geschah es auch jetzt.
Die Jahre der Ruhe gehörten überwiegend den jüngern Romantikern, deren Letzte die Nachzügler Walter Scott's waren. Sie priesen unaufhörlich die gute alte Zeit, und suchten sie auf allen Wegen. Man war sicher und stolz geworden im Besitze der wiedergewonnenen Güter. Aber die anschließende Einseitigkeit bereitete sich selbst den Fall. Nicht Alle dachten so, wie die Tonangeber. In der Stille erhoben sich andere Kräfte, deren Erbitterung mit ihrer Unterdrückung wuchs, und die um so begieriger waren, sich hören zu lassen, je weniger man sie zu Worte kommen ließ.
Lord Byron war das Urbild der literarischen Oppositionsmänner neuester Zeit, der Dichter des Schmerzes, der sittlichen Zerfallenheit, der Verzweiflung und auch der Koketterie mit der Verzweiflung. Er war das Ideal der modernen Fauste und himmelstürmenden Titanen, der volle Ausdruck der durchbrechenden Zeitverstimmung, welche die Selbstgenügsamkeit der herrschenden Restauration verspottete, nichts mehr glaubte, an Allem zweifelte, Alles bestritt, und dem Misbehagen der Welt durch eine radicale Umwandlung abhelfen 77 wollte. Vorher war Alles positiv und althistorisch gewesen, jetzt sollte Alles negativ und jung sein. Raum sollte gemacht werden für das Neue. Aber was war das Neue?
Was den deutschen Nachahmern Byron's an Kraft und Tiefe fehlte, ersetzten sie durch Systematik. In der lyrischen Poesie hatte sich mit Heine's Liedern ein verneinender Geist in glänzender und populärer Hülle erhoben, deren bestes Theil von Goethe entlehnt war. Der scharfe, fressende Hohn, der Alles, was über dem einzelnen Menschen steht, angriff, das Gefühl verspottete und endlich sich selbst vernichtete, war in diesen leichten Versen durch Deutschland getragen worden. Börne's Kritiken, die sich mit Zerstörungslust auf alles Deutsche warfen, wurden das Signal zu heftigen und maßlosen Angriffen. Die Literatur schien übersättigt, von Ekel vor sich selbst ergriffen. Solange hatte man gedichtet und Bücher geschrieben, jetzt wollte man Thaten; man hatte Dichter bewundert und gepriesen, jetzt sollte die Zeit gekommen sein, wo man sie hassen und sich selbst verhaßt machen müsse, um zu wirken. Hatte man bisher an Autoritäten geglaubt, so sollte jetzt die Axt an die Götzenbilder gelegt werden. Goethe's Name war der erste, der fallen mußte. Was man hier verlor, behaupteten die Neuerer durch die Einwirkung auf Volk, Staat und Gesellschaft tausendfach zu ersetzen. Dem Leben sollte im Leben selbst zu seinem Rechte verholfen werden. Das junge Deutschland wollte diese Thaten ausführen. Unter seinen Händen nahm die bisher so harmlose Tagespresse einen andern Charakter an, und bald erscholl in Zeitungen und Journalen in allen Tonarten der Ruf nach Emancipation.
Aber es war keine dichterische Schule, es war eine halb politische, halb literarische Partei, dieses junge Deutschland. Die Freiheit sah sie auch in der Zerstörung dessen, was seit 78 fast einem Jahrhunderte das Eigenthümlichste des deutschen Lebens gewesen war, und die Anerkennung ihrer Gedanken forderte sie mit einem Terrorismus, der alles Frühere überbot. Es hatte eine Zeit gegeben, wo Lessing und Goethe gegen Gottsched, wo Tieck und die Schlegel gegen Nicolai das junge Deutschland gewesen waren. Sie hatten die Poesie, das Genie für sich, aber niemals war es ihnen eingefallen, sich das junge Deutschland zu nennen. Man war sehr wenig, wenn man nichts weiter war, als jung; es war bedenklich, von dem allgemeinsten und vergänglichsten aller Vorzüge, von der Jugend, das Parteizeichen herzunehmen. Auch Goethe's und Tieck's Polemik war eine scharfe gewesen; aber ihre Werke zeigten, daß sie nicht im Zerstören ihre Aufgabe fanden. Goethe's dichterisches Schaffen war ein urkräftiges Behagen, Tieck erklärte, nur in der Poesie sein höchstes Gesetz zu finden; die neue Partei wollte nicht diese, sondern in ihr Politik und sociale Reform. Dem System der neuen Freiheit, des Staats, der Gesellschaft sollte die Poesie unterthan sein. Diese Politik war keine deutsche, keine volksthümliche, vielmehr bekämpfte sie, was bisher dafür gegolten hatte. Französische Schriftsteller hatten ein allgemeines, patentirtes Schema einer kosmopolitischen, socialen Politik aufgestellt. Die Nationalität war auch nur eine Schranke; der Mensch sollte sich erweitern.
An das eigenthümliche Leben des deutschen Volks hatte Tieck in Kunst und Poesie sich angeschlossen. Niemand studirte auch die Literaturen fremder Völker eifriger als er; er that es um ihres besondern Charakters willen, und diesen achtete er. Aber der Gedanke einer allgemeinen Weltliteratur lag ihm fern. Von einer solchen hatte Goethe in der Zeit seiner letzten allegorisirenden Dichtung öfter gesprochen, und diesen Gedanken griff die neue Partei auf, und beutete ihn aus. Doch das 79 Allgemeinste im Menschen, was jedem verständlich sein mußte, war die sinnliche Kraft, der Naturtrieb; dieser sollte in sein Recht eingesetzt werden. Es war die Emancipation des Fleisches.
Tieck hatte den Freiheitstaumel der französischen Revolution, an seinen eigenen Freunden den älteren Kosmopolitismus erlebt, und wußte welche Emancipationsideen schon damals zu Tage gekommen waren. Die neuen Schriften dieser Art besaßen nicht die Originalität von Schlegel's »Lucinde«. Nur wer diese vergessen hatte, konnte jene für neu halten. Man wiederholte in tumultuarischer Weise, was in der Sturm- und Drangperiode und später gesagt worden war.
Auch die literarischen Productionen der jüngsten Schule bewegten sich nur auf engem Raume. Es waren lyrische Lieder oder Kritiken, immer wieder Charakteristiken von Personen und Zuständen der Gegenwart, ein unaufhörliches Sprechen über die Literatur. Oder man benutzte die Novelle, weil man hier den ganzen Inhalt politischer und socialer Polemik ausschütten konnte. Die Novelle lernte man von Tieck behandeln und gebrauchen, wie man das literarische Raisonnement von den Schlegel gelernt hatte.
Während die Neuerer Goethe als einen höfischen Dichter anklagten, der des Sinnes für Freiheit und volksthümliche Entwickelung entbehre, machten sie vorzugsweise Schiller, als den Dichter der Sittlichkeit und des Fortschrittes der Menschheit, zu ihrem Helden. Noch heftiger waren die Angriffe auf die romantischen Dichter, die jetzt den vollen Rückschlag ihrer eigenen Einseitigkeit erfuhren. Sie hatten Ritterthum und Mittelalter besungen und oft carikirt, dafür wurden sie als Träger des Servilismus, als Feinde des Volks bezeichnet. Sie galten für Kryptokatholiken, Vertheidiger der geistigen Unfreiheit und Obscuranten. Romantisch 80 hieß alles, was der freien Entwickelung zuwider war, und Romantik war planmäßige Verfinsterung. Diese Anklagen nahmen einen systematischen Charakter an, je mehr sich ihrer die letzten Jünger der Philosophie bemächtigten. Hier sollte der neueste Fortschritt logisch erwiesen und die Nothwendigkeit dargethan werden, daß vorerst unter den alten Größen aufgeräumt werden müsse. Der philosophische und politische Radicalismus trat auf. In voller Stärke erschien er in dem Kriegsmanifest, welches die »Hallischen Jahrbücher« gegen die Romantik, und Alles was damit zusammenhing, erließen.Vgl. »Der Protestantismus und die Romantik« von Echtermeyer und Ruge in den »Hallischen Jahrbüchern«, 1839, Nr. 245 fg., und über Tieck besonders Nr. 308 fg.
Diese Feindseligkeit der jüngern Schriftsteller sammelte sich immer entschiedener auf Tieck. Manche mochten bei ihm Sympathien erwartet haben, eine Voraussetzung, die sich als irrthümlich erweisen mußte. Er hatte das Wort gegen die falsche Frömmigkeit ergriffen, andere Thorheiten der Gegenwart gelegentlich berührt, und von seinen eigenen überfrommen Anhängern sich abgewendet. Noch viel kecker war der Ton seiner Jugenddichtungen. Aber niemals hatte er dem politisch literarischen Radicalismus gehuldigt. Die Ueberzeugung, daß Misbräuche vorhanden seien, welche Abhülfe erforderten, gab noch kein Recht, die Grundlagen des Staats selbst anzutasten. Eben weil der Mensch nur in der geordneten Gesellschaft zum echten Menschen werden kann, ist es nothwendig, ihre Formen mit heiliger Scheu zu behandeln. Wer immer nur das Einzelne tadelte und angriff, bewies, daß er für das Ganze keinen Sinn hatte, und löste auf, ohne etwas besseres dafür geben zu können. Diese Ansichten sprach er wiederholt mündlich und schriftlich aus.Eine Art von politischem Glaubensbekenntniß in dem angedeuteten Sinne gibt Tieck in der Novelle »Des Lebens Ueberfluß«.
Die jüngern Kritiker behandelten den Glauben an Tieck's dichterischen Genius als Aberglauben, seinen Einfluß auf die Literatur als ein Unglück, ihn selbst als einen Abtrünnigen, als gewandten aber gesinnungslosen Taschenspieler, der 81 mit seiner Ironie ein kindisches, oder boshaft perfides Spiel treibe. Alle möglichen Schmähungen, aus allen Winkeln hergeholt, wurden auf ihn gehäuft. Er selbst ließ sich durch dieses wüste Geschrei nicht beirren. Er kannte diese Anklagen und Vorwürfe aus alter Zeit, sie erschienen nur mit neuen Stichwörtern ausgerüstet. Die vergessene Aufklärung war diesmal im Bunde mit dem neuen Liberalismus und darum doppelt intolerant. Jede Gelegenheit ward von den Parteiblättern zu Verunglimpfungen oft der niedrigsten Art benutzt. Selbst seine körperliche Gebrechlichkeit wurde nicht geschont.
Dennoch geschah es, daß er die Gegner in seinem Hause sah, um Erfahrungen mit ihnen zu machen, die noch weniger erbaulich waren. Offen und unbefangen, häufig auch unbekannt mit dem augenblicklichen Einflusse der gefürchteten Tagesschriftsteller, nahm er manchen auf, der sich dem berühmten Manne demüthig nahte. Nicht selten las er bald darauf in irgendeinem öffentlichen Blatte das Gespräch, welches er geführt hatte. Man conterfeite ihn und seine Umgebung, man schalt ihn absprechend, hochmüthig, unfähig andere Meinungen zu ertragen, man verdrehte seine Worte, kritisirte sie, oder hatte sie misverstanden. Da alles öffentlich sein sollte, mußte auch das unbefangene Wort, das ein bekannter Mann gesprochen hatte, sogleich in die Oeffentlichkeit kommen. Einst übersandte ihm ein Tagesschriftsteller ein Drama mit der Bitte um ein anerkennendes Urtheil und Darstellung auf der dresdener Bühne. Wirklich äußerte er sich beifällig darüber. Doch bald änderte der Verfasser seine Politik und ließ nun drucken, er selbst sei an seinem Stücke irre geworden, als er gehört habe, es sei von Tieck gelobt worden.
Ein anderes Mal lehnte er den Besuch eines Publicisten den er früher in seinem Hause gesehen, ab, weil er sich, wie 82 oft, in einem leidenden Zustande befand, der die Unterhaltung mit Fremden nicht erlaubte. Sogleich schrieb dieser einen drohenden Brief, mit der Anzeige, er werde die Beleidigung zu seiner Zeit eingedenk sein. Ein anderer wollte gar eine Art von Conspiration gegen ihn zu Stande bringen. Er besuchte einen namhaften Mann im südlichen Deutschland, dessen Verbindung mit Tieck er nicht kannte, und trug ihm vor, wie alle literarischen Kräfte sich einigen müßten, um Tieck in der Meinung des Publicums zu stürzen.
Mit nichtachtender Großartigkeit ließ er diese Flut von Verunglimpfungen über sich ergehen. Nur den heitern Gleichmuth und die scherzende Laune der Poesie setzte er ihr entgegen, und auch hier führte er nicht allein seine, sondern auch Goethe's Vertheidigung. Die nüchternen Philister alten Schlages waren ausgestorben, nun war es nöthig ihn gegen die modernen Philister in Schutz zu nehmen, welche seinen Standpunkt längst überwunden zu haben glaubten. Den Vandalismus der kritischen Bilderstürmer, das Literatenthum, die Einseitigkeit dieser politischen Glaubenssätze, die Intoleranz und dichterische Unfruchtbarkeit, dies Alles stellte er in Andeutungen oder Ausführungen in einigen spätern Novellen dar. Zu diesen gehörten »Der Mondsüchtige«, »Die Reise ins Blaue«, »Die Vogelscheuche«, »Der Wassermensch«, »Liebeswerben«.
So oft behaupteten die neuen Kritiker, daß es mit ihm und seinen Dichtungen vorüber sei. Neben den polemischen bewiesen andere Novellen, daß die Dichterquelle immer noch frisch und reich sprudele. Einen wahrhaft volksthümlichen Dichter verherrlichte er in Camoens, der getragen von einem glänzenden, ritterlichen und ruhmreichen Volksleben, in dessen Mitte verkannt, still und einfach, ja als Bettler lebt, der zufrieden, den Ruhm seines Vaterlandes, das sich nicht 83 dankbar erwies, besungen zu haben, mit dessen Unabhängigkeit stirbt. Die Sehnsucht des Phantasus erkennt man wieder in der »Reise ins Blaue«. Wie die Cevennen, eröffnet »Der Hexensabbath« die Abgründe religiöser Schwärmerei, und tiefsinnig und versöhnend ist »Der Schutzgeist«.
Daneben vollendete er andere literarische Arbeiten. Er übersetzte die vier altenglischen Schauspiele, welche er gegen die hergebrachte Kritik Shakspeare zuschrieb. Auch war er immer noch bereit, jüngeren Freunden den Eintritt in die Literatur durch ein empfehlendes Wort oder ausgeführtere Einleitungen zu erleichtern. In dieser Zeit gab er Eduard von Bülow's literarische Sammlungen und Uebersetzungen heraus. Er erneuerte das Andenken seiner im Jahre 1833 gestorbenen Schwester, deren letzten Roman »St.-Evremont« er veröffentlichte. Endlich empfahl er die ersten novellistischen Versuche eines vielversprechenden jugendlichen Talentes, welches unter dem Namen Franz Berthold auftrat.