Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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5. Aesthetisches.

Es ist nicht leicht zu sagen, was eigentlich die Novelle sei, und wie sie sich von den verwandten Gattungen, Roman und Erzählung, unterscheide. Die Engländer nennen Alles, was der in Prosa erzählenden Dichtung angehört, novel, und ähnlich machen es die Italiener. Man gibt mit dem Namen bald zu viel, bald zu wenig. Es ist zu viel, wenn man geradezu sagt, die Novelle müsse eine ausgesprochene Tendenz haben, aber doch erwartet man in ihr etwas Hervorspringendes, eine Spitze, in der man sich wiederfindet. Wenn ich meine Novellen übersehe, so muß ich sagen, ein großer Theil davon hat eine solche Spitze; aber andere wieder nicht, z. B. »Des Lebens Ueberfluß« oder »die Klausenburg«. Man wird die scharfe, epigrammatische Pointe auch nicht zu sehr herausheben dürfen; dann würde etwa auch »Wilhelm Meister« eine Novelle sein, und die »Wahlverwandtschaften« gewiß, in denen eine so entschiedene Tendenz liegt. Und wie steht es mit Cervantes? Sind dessen Novellen in diesem Sinne so zu nennen? Auf manche paßt es, wie auf den »Curioso impertinente«, auf andere nicht, die nur einfache Erzählungen sind. Wenn er sie alle zusammen exemplares nannte, so liegt darin in gewissem Sinne schon eine Tendenz. Wir würden dafür etwa mustergültig sagen. Er bezeichnete sie so im Gegensatze zu den obscönen Novellen der Italiener. Es ist sehr schwer, hier einen allgemeinen Begriff zu finden, auf den sich alle Erscheinungen dieser Art zurückbringen ließen.


235 Wir sprechen so viel über das Tragische, ohne daß wir darum viel weiter als Aristoteles gekommen wären, der es in der Reinigung der Leidenschaft durch die Leidenschaft sah, d. h. durch Mitleid und Furcht. Lessing's Auseinandersetzung der tragischen Theorie genügt im Vergleiche mit seiner sonstigen Schärfe eigentlich nicht. Er wird fast weitläufig und kommt zu keinem festen Resultate. Das Wort Leidenschaft reicht hier überhaupt nicht aus; es ist zu plump, zu roh. Ja man möchte auch hier wie öfter sagen, es müßte erst ein neues Wort erfunden werden, was die Sache richtig bezeichnete. Man muß die Leidenschaften unterscheiden. Die ganz gemeinen, wie Haß, Neid, Geiz, können natürlich nicht gemeint sein; wie sollte eine Reinigung durch diese möglich sein? Wol aber die bessern, und zu diesen gehören Mitleid und Furcht. Auch sie haben eine Seite, von der sie gemein erscheinen können, aber es liegt in ihnen etwas Höheres. Das Gemeine fällt durch die Reinigung von ihnen ab, und das Göttliche kommt in uns zur Ahnung. Dies ist das Ergebniß des tragischen Reinigungsprocesses. Wenn wir von Leidenschaften sprechen, so denken wir zuerst immer an den Natureffect, dem der Mensch unterliegt. Aber verhält er sich denn dem Göttlichen gegenüber nicht auch leidend? Er erleidet das Göttliche, ist in Leidenschaft, und bis auf diesen Punkt soll die gemeine Leidenschaft gereinigt werden. Der tragische Reinigungsproceß erscheint als tragischer Kampf. Antigone und Kreon folgen beide ihren Leidenschaften, in beiden liegt etwas Göttliches, und beide haben in ihrer Weise Recht. Man sieht jetzt das Tragische besonders in solchen Gegensätzen. Aber das paßt doch nicht überall; auch nicht, wenn man den Gedanken der Schuld besonders hervorhebt. Wo ist sie z. B. im König Oedipus? Worin liegt seine Schuld, wenn man sie nicht in seiner menschlichen Sicherheit 236 finden will? Er erscheint als ein edler Mann, und an den Freveln, die er begangen hat, ist er moralisch fast unschuldig zu nennen. Denn Herrschaft und Gemahlin hat er nicht mit Gewalt gewonnen, sie sind ihm, der ahnungslos nach Theben kommt, zuerkannt worden.


Schwerer ist es noch sich über das Komische zu verständigen. Was ist nicht allein das Lachen für ein merkwürdiges, schwer zu erklärendes Ding! Woher diese sonderbare Aeußerung der Natur? Und woher die Anregung dazu? Es gibt nur wenige Menschen, die es verstehen wahrhaft und von Herzen zu lachen, und wie wenige wissen was Scherz ist! Selbst gebildete und wohlwollende Menschen ertragen beides als eine Sache, die nun einmal nicht zu ändern ist. Aber das Lachen selbst ist ein Prüfstein der Bildung. Wie roh und abschreckend lachen nicht manche und offenbaren dadurch die ganze Gemeinheit ihrer Natur. Der Spaß selbst ist etwas sehr Tiefsinniges, es ist der verhüllte Ernst, der sich nur nach einer andern Seite hinwendet. Ohne diesen tiefern innern Gehalt ist er gar nicht denkbar, und das verkennen wiederum die meisten Menschen; sie nehmen ihn immer nur als leere Trivialität.


Das vieldeutige Wort Humor können wir nicht entbehren, da wir es nicht zu übersetzen wissen. Seit der Zeit wo es aufkam, hat es seine Bedeutung ganz geändert. Ben Jonson gebrauchte es zuerst, um damit die besondere und eigenthümliche Art und Weise Jemandes, sein eigenstes Wesen, zu bezeichnen. Mitunter ist es auch was wir wol Laune nennen. Im Humor paaren sich Spaß und Ernst 237 miteinander, wie z. B. bei Sterne. Aber man kann fragen, ob Jean Paul in der That ein Humorist sei, da sich sein Spaß mit der Sentimentalität verbindet.


Das Wort Romantisch, das man so häufig gebrauchen hört, und oft in so verkehrter Weise, hat viel Unheil angerichtet. Es hat mich immer verdrossen, wenn ich von der romantischen Poesie als einer besondern Gattung habe reden hören. Man will sie der classischen entgegenstellen, und damit einen Gegensatz bezeichnen. Aber Poesie ist und bleibt zuerst Poesie, sie wird immer und überall dieselbe sein müssen, man mag sie nun classisch oder romantisch nennen. Sie ist an sich schon romantisch, es gibt in diesem Sinne gar keine andere als romantische Poesie; ich weiß hier gar keinen Unterschied zu machen. Warum sollte man ein dichterisches Wunderwerk wie die »Odyssee«, mit seinem unerschöpflichen Reichthum des Lebens, nicht romantisch nennen dürfen? Wenn ein Dichter heutiges Tages die »Odyssee« schriebe, ich bin überzeugt, man würde sie ein romantisches Gedicht nennen. Oder wenn Euripides in manchen seiner Tragödien die Gewalt der Leidenschaft so ergreifend schildert, und immer nach neuen Formen derselben sucht, so sollte das nicht romantisch sein? Dasselbe kann man auch von Aeschylus sagen. Und woher stammen denn unsere Ansichten von Classicität, die wir als etwas so Feststehendes ansehen? Wir haben sie von den wenigen griechischen Dramen hergenommen, die wir noch besitzen. Ist denn das die ganze tragische Poesie der Griechen? Hätten wir noch alle Tragödien des Aeschylus und Sophokles, wir würden gewiß ganz anders urtheilen!

Manche neuere Poeten haben sich selbst romantisch genannt, andere haben sich bemüht, dagegen eine antiromantische 238 Poesie aufzustellen. Die einen wie die andern würden romantisch sein, wenn sie zuerst nur Dichter wären. Die sogenannte Poesie der modernen Gegner des Romantischen ist nichts als Unpoesie. Alle legen in ihre Dichtungen eine bestimmte Tendenz, die außerhalb der Poesie liegt. Dabei muß diese natürlich zu kurz kommen. Sie alle wollen also eigentlich irgend etwas anderes, nur nicht die Poesie. Aber des Dichters höchstes Gesetz kann nur die Dichtung sein, sie schließt alles andere in sich, aber sie steht auch einer jeden Tendenz entgegen, die von außen in sie hineingelegt werden soll, sie mag einen Namen haben welchen sie wolle. Nur seiner Begeisterung kann der Dichter folgen. Wenn man dieses Reden über das Romantische hört, so erkennt man auch hier, die meisten sprechen nur nach, und gebrauchen Worte, die sie nicht verstehen.


Es ist unendlich schwer den Begriff der Ironie in einer bestimmten Formel auszusprechen. Auch Solger gibt am Schlusse des »Erwin« nach den Untersuchungen über das Schöne nur Andeutungen darüber als über das Höchste. Es ist das Göttlich-Menschliche in der Poesie. Wer dieses als tiefste Ueberzeugung in sich trägt und erlebt hat, bedarf der noch einer Definition? Am Ende setzt diese doch nur an die Stelle des einen Wortes ein anderes, das vielleicht ebenso wenig verstanden wird. In den meisten Definitionen wird die Ironie zu einseitig genommen, ich möchte sagen zu prosaisch, zu materiell. Hegel hat Solger in diesem Punkte misverstanden. Er faßt es so auf, als habe Solger an die gemeine Ironie gedacht, an jene grobe Ironie Swift's. Aber schon aus Plato kann man wissen, daß es noch eine ganz andere, höhere gibt. Die Ironie, von der ich spreche, ist ja 239 nicht Spott, Hohn, Persiflage, oder was man sonst der Art gewöhnlich darunter zu verstehen pflegt, es ist vielmehr der tiefste Ernst, der zugleich mit Scherz und wahrer Heiterkeit verbunden ist. Sie ist nicht blos negativ, sondern etwas durchaus Positives. Sie ist die Kraft, die dem Dichter die Herrschaft über den Stoff erhält; er soll sich nicht an denselben verlieren, sondern über ihm stehen. So bewahrt ihn die Ironie vor Einseitigkeiten und leerem Idealisiren.

Wie Shakspeare ist auch Cervantes Meister in der Ironie. Wie tief ist sie nicht im »Don Quixote«! In dem was er sagt, erscheint er in der Regel als ein edler, tiefsinniger Mensch, wir stimmen ihm meistens bei. Er will das Höchste und setzt sein Leben daran, und dennoch wie komisch erscheint er in eben diesem Edelmuthe, weil die Mittel, zu denen er greift, ganz verkehrt sind. Wir fühlen uns durch seine Liebenswürdigkeit zu ihm hingezogen, und doch müssen wir über ihn lachen. Don Quixote selbst hat übrigens das Bedürfniß eines solchen Gegengewichts, denn in seiner Ueberschwänglichkeit kann er den rohen Naturwitz des phantasielosen Sancho Pansa nicht entbehren. Goethe hat etwas der Ironie Analoges, aber es ist bei ihm mit Sentimentalem verbunden, z. B. im »Egmont«. Der gefeierte Liebling und Held des Volkes geht in seiner Sicherheit blindlings und rettungslos ins Verderben; der Tod dieses ritterlichen Grafen dient dazu, das Bürgerthum zu verherrlichen, das in Klärchen und dem allegorischen Bilde sich zur Freiheit erhebt. Schiller hatte von der Ironie nichts, er geht in seinem Stoffe und seinen Helden auf, und in seinen Tragödien wird fast Alles zur Situation. Aber er hat Erhabenheit und wahrhaft großartige Gesichtspunkte; ihm bleibt immer noch genug, um ein großer Dichter zu sein. Fouqué verliebte sich in seine Helden, und verwechselte sich am Ende mit ihnen. Ihm 240 fehlte es an aller Ironie und jedem Ersatze dafür, und darum endete er als Caricatur.


Mit dem was man gewöhnlich Ideal nennt, bin ich niemals einverstanden gewesen, und noch weniger mit dem sogenannten Idealisiren. Gewiß ist die Idee in dem Sinne Plato's etwas Göttliches, wo sie einen schöpferischen Grundgedanken bezeichnet, aus dem sich viele andere Gedanken ergeben; aber in wie wenigen Fällen wird das so verstanden? Das gewöhnliche Ideal ist etwas ganz Allgemeines, eine angebliche Schönheitsidee, die am Ende nur eine Negation ist; und das Idealisiren ist nichts als ein Verwischen des Individuellen, ein Verallgemeinern, sodaß zuletzt etwas ganz Leeres übrig bleibt, was dann das Wahre sein soll. Aber hierin liegt die Poesie nicht, sondern gerade in dem Lebendigen und Individuellen. Von einer solchen Richtung auf das Ideal sind auch Goethe und Schiller nicht frei. Wenn man den Werth der »Iphigenia« besonders im Idealen in diesem Sinne sucht, so habe ich das nie begreifen können; die hohe Schönheit des Gedichts und des Charakters liegt vielmehr in dem rein Menschlichen und Wahren. Und wenn andere vom Idealen in der »Braut von Messina« sprechen, so ist mir das vollends unverständlich gewesen. 241



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