Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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5. Schmerz und Krankheit.

Die Sommerreise im Jahre 1803 war eine geistige Erfrischung gewesen, deren Tieck in seinem Trübsinn gar sehr bedurfte. Er litt nicht allein; schon seit längerer Zeit sah er auch seine Schwester leiden. Ihre Ehe mit Bernhardi war keine glückliche; man wünschte auf beiden Seiten eine Trennung. Auch Tieck zerfiel jetzt mit dem alten Freunde. Die Gesundheit seiner Schwester war tief erschüttert; sie mußte sich aus der Lage, in der sie sich befand, herausreißen. Ein südliches Klima sollte sie aufsuchen, am liebsten zu ihrer Herstellung nach Italien gehen. Sie wünschte dringend, der Bruder möge sie begleiten, der wie sie der Stärkung bedurfte.

Zunächst beschloß Tieck, mit der Schwester nach München zu reisen, wo man dem ersehnten Lande des Südens soviel näher war. Hier verschlimmerte sich ihr Zustand seit dem Herbste 1804. Ihr Leben war in Gefahr, eine weitere Reise unmöglich; man mußte sich, so gut es gehen wollte, heimisch zu machen suchen.

Manche Bekanntschaft ward indeß angeknüpft, mit Radlof, dem wunderlichen Sprachforscher, mit Sailer, dem frommen Bischofe, endlich mit Franz Baader, der für Tieck durch seine theosophische Weisheit der Merkwürdigste war.

Als er den Philosophen zum ersten Male aufsuchen wollte, führte ihn der Zufall irre; statt zu Baader kam er zu Babo, der als Verfasser des »Otto von Wittelsbach« damals der Bekanntere war. Früher würde ihm der Mann anziehender gewesen sein als jetzt. Er fand den Schriftsteller mitten unter den Apparaten für seine ritterlichen Dramen sitzend. An den Wänden des Zimmers hingen Waffen des Mittelalters. 312 Nach einem gleichgültigen Gespräche verließ er ihn, um den rechten Baader zu suchen.

Selten mag Jemand ein größeres Talent für die augenblickliche Rede besessen haben als Baader, und niemals trat es glänzender hervor, als wenn es Gegenstände tiefsinniger Wissenschaft, der Religion, der Philosophie betraf. Unaufhaltsam flossen dann seine Worte, jeden Einwurf brachte er zum Schweigen, die Gewalt seiner Ueberredung riß mit sich fort. Das nächste Thema, was beiden am Herzen lag,. war Jakob Böhme. In einem dreistündigen Monologe ergoß sich Baader; die Unterhaltung hörte auf. Alles Verwandte aus andern Mystikern, was er sonst über sie gelesen hatte, war ihm gegenwärtig. Er zeigte eine umfassende Gelehrsamkeit in dieser Literatur, und Fülle der Gedanken, mystischen Tiefsinn. Doch war es selbst für Tieck's damalige Ansichten des Geheimnisses, der orakelmäßigen Dunkelheit zu viel. Er vermochte ihm in die verschlungenen Gänge seiner Speculation nicht zu folgen. Später zeigten sich auch Schwächen, Widersprüche und Sonderbarkeiten. Er war ein erregbarer, schwer zu fassender Charakter, der oft unerklärlichen Einflüssen unterlag. Philosophischer Tiefsinn und Aberglaube, Haß und Liebe verbanden und durchkreuzten sich.

Größere persönliche Wichtigkeit erhielt die Freundschaft mit Rumohr. Im Frühjahr 1805 kam dieser nach München. Enthusiastisch, rasch wechselnd in Gefühlen und Ansichten, schwankte er, weniger unentschlossen als zu lebhaft erregt, stets zwischen entgegengesetzten Richtungen. Doch für das Studium der Kunst und ihrer Geschichte hatte sich sein Talent bereits entschieden. Tieck's Dichtungen kannte er, und als er dessen Anwesenheit in München erfuhr, eilte er ihn zu sehen. In der Begeisterung für die deutsche Kunst begegneten sie sich. Beim Abschiede schenkte ihm Rumohr als 313 erstes Zeichen der neuen Freundschaft ein Bild Albrecht Dürer's in altem Holzdruck.

Bei wiederholten Besuchen glaubte Tieck zu erkennen, daß auch Rumohr sich in gedrückter Stimmung befinde. Endlich erfuhr er, sein neugewonnener Freund sei im Augenblicke in nicht geringer Verlegenheit. Er habe die Heimat verlassen, um katholisch zu werden und in ein Kloster zu gehen, da er der Welt überdrüssig sei; in einem zurückgelassenen Briefe habe er dies den Seinigen angezeigt. Diese schienen sich in Folge dessen von ihm losgesagt zu haben, und er sei für jetzt mittellos. Den raschgefaßten Entschluß mochte er schon bereuen, denn er ließ sich von Tieck, der zu helfen versprach, soweit er es vermöge, bereden, durch einen versöhnenden Brief an seine Familie den Frieden herzustellen. Auch er war ein unberechenbarer Charakter. Ein Gedanke, ein Gefühl beherrschte ihn stets ausschließlich. Dann gab es für ihn kein zweites. Er schien nie anders gewesen zu sein, nie anders sein zu können. Doch eine unscheinbare Veranlassung reichte hin, ihn in die entgegengesetzte Stimmung hineinzuwerfen, und es wiederholte sich auf der andern Seite dieselbe Erscheinung. Er war gutmüthig, liebenswürdig, aufopfernd; dann plötzlich kalt, fremd, abstoßend. Es war nicht mehr derselbe Mensch. Er war bescheiden und anmaßend, nachgiebig und hochfahrend, wankelmüthig und eigensinnig, Cyniker und Elegant, Demokrat und Aristokrat zugleich. Gegen Tieck zeigte er die freundschaftlichste Ergebenheit, und bald fand er Gelegenheit, sie durch die That zu bewähren.

Noch war Tieck's Schwester nicht hergestellt, als er selbst lebensgefährlich erkrankte. Die Gicht, die ihn seit Jena heimsuchte, trat mit nicht gekannter Heftigkeit auf. Wahrscheinlich hatte schon früher eine äußere Veranlassung die 314 Krankheit vollständig entwickelt. Ohne ein Jagdliebhaber zu sein, hatte er einmal an einer Entenjagd Theil genommen. Mit durchnäßten Kleidern mußte er sich dem Zugwinde aussetzen; auf dem Leibe waren sie ihm getrocknet. In den verschiedensten Gestalten erschien jetzt die Krankheit, bald als reißender Gliederschmerz, bald warf sie sich auf die innern Theile.

Auch der Gesundheitszustand der Schwester verschlimmerte sich. Es hieß, nur in Italien werde sie Rettung finden, sobald irgend thunlich, sollte sie abreisen. Er selbst stimmte diesem Rathe bei. Man hatte den jüngern Bruder gebeten, ebenfalls nach München zu kommen. In dieser Hoffnung trat die Schwester die Reise an.

Jetzt nahm sich Rumohr, der mit Tieck zusammenwohnte, des Kranken mit unermüdlicher Sorgfalt an. Nicht Tag, nicht Nacht wich er von seinem Lager, er schaffte herbei, was ihm Erleichterung gewähren konnte, er bewachte und pflegte ihn mit der Treue eines Bruders. Tieck litt wie noch nie. Des Gebrauchs der Glieder war er beraubt, Schmerzen, Fieberhitze, die furchtbarsten Träume quälten ihn unablässig. Die ganze Gewalt seiner Phantasie war entfesselt. Mit zerschlagenen Gliedern, als Leiche sah er sich auf weitem Schlachtfelde, in tausendfacher, grausiger Wiederholung.

Sein Arzt war ein Brownianer, und behandelte ihn mit den stärksten Mitteln. Während den Kranken ein unauslöschlicher Durst quälte, war ihm jedes Getränk auf das strengste untersagt. Seinen lauten Klagen setzte der Arzt die Forderung der Geduld und die Vertröstung auf einen baldigen bessern Erfolg entgegen. Aber er lechzte nach einem Tropfen Wasser, er sah und träumte sich's als kühlende Getränke, Citronen und Orangen. Endlich beschloß er, der Sache auf eigene Hand ein Ende zu machen. Eines Morgens ließ er sich ein großes Glas frischen Wassers bringen, 315 eine Limonade mußte bereitet werden. Mit unersättlicher Gier trank er in wenigen Zügen die ganze Masse aus. Ein solcher Trank konnte nicht ohne Wirkung bleiben; er fing an sich leichter, ruhiger zu fühlen. Als der Arzt erschien und seinen Zustand sah, verkündete er mit triumphirender Miene, das sei der verheißene Erfolg seines Systems. Das war dem Kranken zu viel. Nicht ohne Ingrimm erzählte er, nicht seinem Systeme, sondern der Limonade verdanke er die Erleichterung. Voll Verwunderung meinte der Arzt jetzt, in Folge der Menge genossenen Wassers hätte er eigentlich den Tod haben müssen, worauf ihm Tieck andeutete, daß er nach solchen Erfahrungen auf seinen fernern Rath mit Vergnügen verzichte.

Trotz der Schmerzen erwachte doch die Sehnsucht nach literarischer Beschäftigung. Zuerst nahm er die altdeutschen Studien wieder auf. Schon früher war er von den Minnesängern zu den Nibelungen übergegangen, er hatte sie eifrig gelesen und sich an den nationalen Heldengestalten gestärkt.Den ersten Gesang von Tieck's Bearbeitung der Nibelungen nebst einer Charakteristik der zu verschiedenen Zeiten für diesen Zweck angelegten Mannscripte hat von der Hagen gegeben in dem »Neuen Jahrbuch der berlinischen Gesellschaft für deutsche Sprache«, X, 1 fg. Mit A. W. Schlegel war mancher Brief darüber gewechselt worden. Bei vorschreitendem Studium zog er die nordischen Poesien, die Edda, die Wilkinasage in seinen Kreis. Zuletzt war ihm der Gedanke entstanden, auch dieses Heldenlied nachzudichten. Da er Lücken zu entdecken glaubte, beschloß er nach Anleitung der verwandten Sagen zu ergänzen und abzurunden. In erneuter Gestalt sollte das alte Volksgedicht erscheinen. Schon im Winter 1804 las er in Ziebingen die ersten Proben dieser Umarbeitung dem Grafen Finkenstein vor. In München hatte er die Schätze der Bibliothek benutzt. Von dem schlechten Abdrucke bei Müller war er auf die dortige Handschrift zurückgegangen, und erkannte nun die strophische Form, auf welche A. W. Schlegel schon früher aufmerksam gemacht hatte. In der Genesung 316 begann er die Arbeit von neuem. Noch war er zu schwach, die Feder selbst zu führen, seine Hand war gelähmt. Daher übernahm es Rumohr, nach seinem Dictate die Verse niederzuschreiben.

Aus den Unterhaltungen mit diesem ergab sich für ihn ein neuer Stoff. Viel und eifrig beschäftigte sich Rumohr mit italienischer Literatur, besonders mit der ältern Novelle. In Bandello's Sammlung fand er eine Erzählung, die ihn anzog; sie behandelte die Geschichte Balduin's, des ersten lateinischen Kaisers von Konstantinopel. Unter dem Titel »Der griechische Kaiser oder die hochgehängte Hoffart« wollte er sie in Versen bearbeiten. Aber abspringend, wie er war, ward er bald des Dinges überdrüssig; dagegen fing Tieck an, diesen Stoff zu gestalten. Zuerst wollte er ihn in der Weise der spanischen Dramen darstellen. Indeß auch er kam in seinem krankhaften Zustande zu keinem bestimmten Ergebnisse, und dieser Plan blieb liegen, bis er dreißig Jahre später in ganz anderer Gestalt in der bekannten Novelle zur Ausführung kam.

Endlich traf Friedrich Tieck in München ein, und übernahm die Sorge für den Kranken, der allmälig zu genesen begann.

Jetzt trat auch der Gedanke, der Schwester nach Italien zu folgen, in den Vordergrund. Die Aerzte verordneten den Gebrauch der Bäder von Pisa, und verhießen Herstellung unter dem lauen italienischen Himmel. Längst waren Friedrich Tieck's sehnlichste Wünsche dahin gegangen. Auch Rumohr, der den Plan mit Eifer ergriff, hoffte seine Kunststudien dort fortzusetzen. Auf seinen Betrieb gesellten sich die Gebrüder Riepenhausen, als Zeichner und Maler bekannt, zu ihnen. Eine vollständige Reisegesellschaft hatte sich zusammengefunden.

317 Aber unvermuthet schlug es bei Rumohr um. Er, der die Sache am eifrigsten betrieben hatte, erhob allerlei Einwendungen. Die neugeworbenen Reisegefährten misfielen ihm, er zeigte sich verletzt und empfindlich, und erklärte endlich, zur Reise jetzt keine Zeit zu haben. Längst habe er gewünscht, gründlich Hebräisch zu lernen, es biete sich nun eine treffliche Gelegenheit dar, die er nicht dürfe vorübergehen lassen; er habe einen gelehrten alten Juden kennen gelernt, der bereit sei, ihn zu unterrichten. Nun beschloß Friedrich Tieck, den Reiseplan um jeden Preis zu retten. Er besaß die Gabe eines nachdrücklichen Freimuths, der, wo es erforderlich war, in die offenste Grobheit übergehen konnte. Mit der ganzen Kraft dieser Beredtsamkeit setzte er Rumohr auseinander, wie es seine Pflicht sei, bei der getroffenen Verabredung zu bleiben, wie er sich überhaupt ändern müsse, wenn er sich durch sein unstetes, abspringendes Wesen nicht zu Grunde richten wolle. Auf diese Ermahnungen ging Rumohr wirklich in sich. Endlich waren alle Vorbereitungen glücklich beendet, und im Sommer 1805 brachen sie nach dem gelobten Lande auf, in dem sie Kunst, Heilung und Frieden zu finden hofften.



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