Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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8. Anerkennung.

Zu allen Zeiten war Tieck von den Wortführern und Anhängern herrschender Richtungen in Philosophie, Religion und Politik angegriffen worden, weil er stets der überflutenden Strömung entgegentrat und jeder einseitigen Gleichmacherei sich widersetzte. Um so häufiger fand er Freunde unter den Naturen, welche, wie er selbst, ihr eigenes Wesen der im Augenblicke geltenden Stimmung nicht unterordnen wollten. Die scharf ausgeprägten Persönlichkeiten konnten sich in manchen Punkten um so eher verständigen und einander nähern, je weniger sie darauf rechneten sich 84 gegenseitig zu bestimmen. Das Eigene und Originale, das wodurch der einzelne Geist gerade das war, was er war, hatte ihn überall am meisten angezogen. Auch jetzt gewann er manchen neuen Freund. Schon früher war er mit einem Manne in Berührung gekommen, dessen Gegensatz gegen die Richtung der Zeit der schärfste war. Vereinzelt, und trotz zahlreicher Productionen wenig beachtet, war die Stellung S. Wiese's, der es sich zur Aufgabe machte, das christliche Dogma in Drama und Roman darzustellen. Es war eine bestimmte Auffassung des Christenthums, welche zugleich das höchste Kunstprincip sein sollte. Obgleich Tieck hier Talent und Ernst anerkannte, so war er, fortgesetzter Ausgleichungsversuche ungeachtet, nicht im Stande, die Ansichten zu theilen. Doch es bestand zwischen beiden ein freundschaftliches Verhältniß, welches auf gegenseitiger Anerkennung des Eigenthümlichen ruhte.

Ein männlich kräftiger und stark ausgeprägter Charakter war Immermann. Auch seine Stellung war eine abgesonderte und eigenthümliche. Obgleich angeregt durch die Nachwirkungen der romantischen Poesie, war er weit davon entfernt, sich ihren hergebrachten Glaubensartikeln zu beugen, oder Anhänger irgendeines Systems zu sein. Seine Dichtung, das ihm verliehene Talent wollte er ausbilden, und fern von dem allgemeinen Strome suchte er seinen eigenen Weg zu gehen. Darum fanden seine ersten Werke keinen Anklang, sie erschienen hart, dunkel und schwerfällig. Im Jahre 1820 besuchte er Tieck zum ersten Male, bald darauf übersandte er ihm eines seiner Trauerspiele. Sogleich erkannte Tieck in dem damals noch sehr jungen und bescheiden auftretenden Manne eine eigene Natur.

Indem Immermann unter manchen Angriffen sein Talent weiter ausbildete, ward er zu einem markirten Charakter, 85 der sich Anerkennung erzwang. Nach längerer Unterbrechung knüpfte er die Verbindung mit Tieck wieder an, und aus fortgesetztem Briefwechsel und wiederholten Besuchen erwuchs eine Freundschaft zweier verschiedener aber ebenbürtiger Geister. Er besaß ein männliches starkes Selbstvertrauen, in seinem Wesen lag etwas Kampfbereites, Zornglühendes. Er konnte schroff und bitter sein, Manche wollten ihn dämonisch unheimlich finden. In steigendem Maße gewannen seine Dichtungen Tieck's Theilnahme, besonders der zweite Theil des »Alexis«, an dessen Aufführung man in Dresden dachte, die indeß aus manchen Rücksichten unterbleiben mußte. Seinen »Merlin« las Immermann während eines Besuches 1831 vor. Später übersandte er die »Epigonen«, dann den »Münchhausen«, in dem Tieck den ausgezeichnetsten Roman der Gegenwart anerkannte. Einen andern Einigungspunkt bildete das Theater, an dessen Hebung und künstlerische Fortbildung Immermann glaubte, und für die er mit eifriger und aufopfernder Thätigkeit arbeitete. Als er die Leitung der düsseldorfer Bühne übernommen hatte, ließ er 1835 Tieck's »Blaubart« aufführen, was ihm Dichter und Schauspieler ebenso sehr wie die Zuschauer dankten.Immermann's Brief an Tieck, der den Bericht über die Darstellung des »Blaubart« in Düsseldorf gibt, findet sich in den »Theaterbriefen von K. Immermann, herausgegeben von G. zu Putlitz«, S. 90.

Schon vor 1830 hatte Tieck's geselliger und freundschaftlicher Kreis ein neues Mitglied in der Verfasserin der Novellen gewonnen, welche später unter dem Namen Franz Berthold erschienen. Unter den zahlreichen deutschen Schriftstellerinnen ist Adelheid Reinbold eine der begabtesten, und doch ist kaum eine weniger anerkannt worden. Was sie besaß und vermochte, selbst ihre Dichtungen, hatte sie dem Leben in hartem Kampfe abgerungen. Schon als junges Mädchen war sie auf sich selbst, auf ihre eigene Kraft angewiesen. Sie stammte aus einer hannoverischen Beamtenfamilie, in der, wie nicht selten in den mittlern Ständen, 86 Bildung, Anlage und Lebensansprüche nicht durch genügende Mittel unterstützt werden konnten. Früh machte sie manches verborgene Leiden durch. Dennoch erwarb sie reiche Kenntnisse in Sprachen und Wissenschaft, und suchte sich dadurch eine selbständige Stellung zu schaffen, Zuerst hatte sie in Rehberg's Familie eine freundschaftliche, und für ihre Ausbildung folgenreiche Aufnahme gefunden, dann ging sie nach Wien, wo sie im Hause des Bankiers Pereira sieben Jahre als Erzieherin lebte, und zugleich in die Welt der großen Gesellschaft eingeführt wurde. Als sie ihre Aufgabe gelöst hatte, schied sie mit einer Pension aus, und ging nach Dresden, wo sie Tieck kennen lernte.Einige Andeutungen über das Leben der Adelheid Reinbold hat Tieck in der Vorrede zu ihrem Roman »König Sebastian« gegeben. »Kritische Schriften«, II, 393.

Sie war eine glänzende Erscheinung, schön, lebhaft, geistreich, von seltener Schnellkraft und Thätigkeit, und im vollsten Besitze der modernen geselligen Bildung. Berufen für das Leben in der großen Welt, war sie an die engsten und beschränktesten Verhältnisse gebunden. Sie war fern von jeder Weichheit und Sentimentalität, und besaß eine männliche Kraft des Talentes. Zu weiterer Fortbildung, zu eigenen Schöpfungen fühlte sie sich hingedrängt, sie wollte aussprechen, was sie in sich und unter schweren Verhältnissen erlebt hatte. Zuerst theilte sie Tieck ein Trauerspiel »Saul« mit, welches sie auf seinen Rath mehrfach umarbeitete, dann ein zweites »Semiramis«. Auch in der Novelle versuchte sie sich mit dem besten Erfolg. Sie verstand es Gestalten zu schaffen, die Bewegung anschaulich zu machen, was sie darstellte, lebte; manches war von ergreifender Wirkung. Auch Malerin war sie, indeß eine eintretende Schwäche der Augen machte ihr eine weitere Ausbildung unmöglich. Mit den künstlerischen und literarischen Studien wußte sie auch praktische und häusliche Gewandtheit zu verbinden.

Zu ihrer Familie nach Mariensee zurückgekehrt, empfand 87 sie das Drückende ihrer Lage tief. Sie wollte vorwärts und wurde bei jedem Schritte gehemmt. An der Seite einer hinsterbenden Mutter, eines kränkelnden und aus dem Dienste geschiedenen Vaters, unter zahlreichen jüngern Geschwistern, für die gesorgt werden sollte, führte sie ein Leben des Leidens und Kummers. Von jedem anregenden geistigen Verkehr, von den gewöhnlichsten literarischen Hülfsmitteln war sie abgeschnitten. Dennoch ergriff sie das Anerbieten, welches ihr gemacht wurde, für einige öffentliche Blätter, namentlich für das »Morgenblatt«, Artikel zu schreiben. In diesem erschienen unter angenommenem Namen ihre ersten Novellen. 1831 ging sie nach München, wo sie eine Zeit lang in der Familie Schelling's lebte. Doch nahm sie bald nachher abermals eine Stelle an als Erzieherin in einem fürstlichen Hause in Sachsen. Aber diese Verhältnisse erforderten ein volles Aufgeben ihrer Selbständigkeit und ihres Talents, und beide wollte sie sich bewahren. Sie wagte es, sich eine unabhängige literarische Stellung zu begründen. Da sie an allgemeinen und wissenschaftlichen Fragen den lebhaftesten Antheil nahm, so begann sie auch Kritiken zu verfassen, die sich durch reifes Urtheil, Schärfe und schlagenden Witz auszeichneten. Sie erschienen in den »Blättern für literarische Unterhaltung«.

Der politische Umschwung des Jahres 1830 machte auch auf sie tiefen Eindruck. Mit gespannter Erwartung folgte sie den auswärtigen Verhältnissen und den Verfassungskämpfen im südlichen Deutschland. Unter diesem Einflusse stellte sie in der erst später erschienenen dramatisirten Novelle »Der Prinz von Massa« einen Volkshelden dar, den die Popularität zum Führeramte erhebt, ihn aber vernichtet, als er sich ihm nicht gewachsen zeigt. Daran schloß sich ein zweites Drama »Masaniello«, welches sie anonym an Rotteck schickte, mit der Bitte den Druck zu vermitteln, weil sie in ihrer 88 Heimat nicht hoffen könne, die Strenge der Censur zu überwinden. Rotteck's Antwort bewies, daß er in dem Verfasser einen liberalen Parteigenossen vermuthete. Seit 1834 lebte sie in Dresden, wo sie einen ihrer jüngern Brüder auf die Militäranstalt gebracht hatte. Mit voller Selbstverleugnung und Aufopferung verwandte sie ihr Talent, um die Ihren zu unterstützen; sie selbst beschränkte sich auf das Nothwendigste. In der Familie eines einfachen Handwerkers hatte sie sich eingemiethet, deren kleines häusliches Leben sie theilte. Auf ihrem Zimmer schrieb sie Dramen, Novellen und Kritiken, und in der Gesellschaft erschien sie als Weltdame. Jetzt ward sie in Tieck's Familie heimisch. Ihm selbst fast leidenschaftlich ergeben, war sie ein belebendes Element der Kreise, welche sich bei ihm versammelten. Sie beherrschte die Unterhaltung vollkommen, mochte ihr der Diplomat oder Philosoph, der Engländer, Franzose oder der deutsche Dichter gegenüberstehen. Stets erschien sie heiter, witzig, sprühend. Sie war ein Gegenbild zu Tieck's Tochter Dorothea, die nicht minder talentvoll, ja gelehrt, einfach und tiefsinnig neben dieser glänzenden Erscheinung stand.

Als treuer Hausfreund schloß sich um diese Zeit auch Eduard von Bülow an, der auf manche Seiten von Tieck's literarischen Studien eifrig einging und sie auszuführen suchte.

Im Spätherbst 1834 gewann Tieck einen andern Freund in dem Bildhauer David, der selbst Gegenstand der Theilnahme und Bewunderung ward. Es konnte überraschen, daß ein ausgezeichneter französischer Künstler allein durch seine Neigung für deutsche Literatur und die entschiedene Vorliebe für einen Dichter nach Dresden geführt worden war. Tieck's ältere phantasievolle Dichtungen hatte er sich mit künstlerischer Wärme angeeignet. Es lebte in ihm deutsches Gefühl. Mau konnte den Franzosen leicht vergessen; auch seine äußere 89 Erscheinung verrieth ihn kaum. Er war untersetzt, blond und hatte blaue Augen. Sein Gesicht hatte durch Blatternarben gelitten, aber es war weder entstellt noch abstoßend, eine tiefe Glut zuckte darüber hin, wenn er lebhaft ward. In Dresden selbst ließ er ein Denkmal seiner Kunst zurück. Er modellirte Tieck's Kopf in kolossalem Maßstabe, die in Marmor ausgeführte Büste übersandte er ihm zwei Jahr später als Geschenk zu seinem Geburtstage. Es war ein Kunstwerk, welches durch Großartigkeit der Auffassung und Ausführung allgemeine Bewunderung gewann. Zugleich war es ein Denkmal der edelsten Gesinnung und der Versöhnung, welche selbst in Zeiten feindlicher Aufregung die nationalen Gegensätze auf dem höhern Gebiete der Kunst finden. Tieck schenkte später die Büste der königlichen Bibliothek in Dresden, in deren großem Saale sie aufgestellt ist. Ein zweites Exemplar übergab der Künstler seiner Vaterstadt Angers, wo schwerlich je ein deutscher Dichter in dieser Weise gefeiert worden ist. Auch fertigte er eine kleine Statuette an, Tieck in ganzer Figur auf dem Sessel sitzend.

Diese Kunstwerke veranlaßten zugleich die Entstehung eines andern. Der Maler Vogel, in dessen Atelier David gearbeitet hatte, entlehnte daraus das Motiv zu einem Genrebilde. Er stellte Tieck und David nebeneinander dar. Jener sitzt auf einem erhöhten Stuhle, hinter dem seine Tochter Dorothea steht, vor ihm David an dem fast vollendeten kolossalen Kopfe formend. Beide sind umgeben von einem Kreise zahlreicher Freunde, welche die Arbeit des Künstlers aufmerksam verfolgen. In einer Ecke steht der Maler, er ist im Begriff, die ganze Gruppe aufzunehmen. Bald darauf vollendete Vogel ein zweites Bild Tieck's in Lebensgröße. Auch Friedrich Tieck modellirte um diese Zeit eine Büste seines Bruders, und auch ein zweites Porträt von Stüler folgte.

90 Zu diesen Anerkennungen gesellten sich andere. Die königliche Familie zeichnete ihn durch Aufmerksamkeiten in mancher Weise aus. Auch am Hofe schätzte man die Kunst des Vorlesers, und es geschah wol, daß er vor dem Könige Friedrich August oder auch bei der Anwesenheit fremder Fürsten las. Auch in weitern Kreisen besaß er immer noch Freunde, welche trotz aller Angriffe jüngerer Kritiker in ihm das Haupt der deutschen Dichtung ehrten. Ein Jahr nach dem Tode Goethe's, am 31. Mai 1833, wurde in Berlin eine öffentliche Feier seines Geburtstages veranstaltet. Er war jetzt sechzig Jahre alt. Mehrere Hundert seiner Freunde und Verehrer hatten sich zu diesem Acte der Huldigung versammelt. An ihrer Spitze standen Raumer, Rauch, Häring und Holtei; den Haupttoast brachte Steffens aus und begleitete ihn mit einer längern Rede, in welcher er Tieck's Einfluß auf die deutsche Dichtung entwickelte. Der Mittelpunkt der Feier war die Recitation des Vorspieles zum »Octavian«, zu der sich die bedeutendsten Schauspieler der beiden berliner Bühnen vereint hatten. Der Dichter, der so oft die Romanze besungen hatte, wurde jetzt von ihr gefeiert.

Ein Jahr später, abermals an seinem Geburtstage, ließ ihm der König von Baiern durch seinen Geschäftsträger den Civil-Verdienstorden mit einem eigenhändigen Schreiben, König Ludwig dem Meister Ludwig, überreichen. Später folgten andere Orden, Patente und Ehrendiplome. Es waren reiche äußerliche Ehren, die ihm bewiesen, daß er nicht vergessen sei. Diese Auszeichnungen deuteten auf ein Leben voll reicher Wirksamkeit, aber sie wiesen auch darauf zurück als auf ein vergangenes, hinter ihm liegendes. Wenn er alle diese zusammentreffenden Anerkennungen überblickte, so schien es ihm, als wenn sie ihn an den Abschluß mahnen sollten, und der Kreislauf sich erfüllt habe. 91



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