Jean Paul
Der Komet
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

I. Enklave

Einige Reiseleiden des Hof- und Zuchthauspredigers Frohauf Süptitz; aus dessen Tagebuch entnommen von einem aufrichtigen Verehrer und Stubenkameraden desselben

Der rechtschaffene Süptitz äußerte einmal gegen mich und einen andern sich so. »Trieb' ich, Freunde, das Spitzbubenhandwerk: so könnt' ich bei jedem Gaunerstreich, den ich leise zu verüben hätte, mich darauf verlassen, daß mich ein heftiges Husten oder langes Niesen ergreifen und überliefern würde. Und was könnte mir anderes zustoßen, wenn ich als Jagdbedienter mich auf dem Anstand so still und tot wie ein angerührter Speckkäfer anzustellen hätte, als daß gerade, wenn der Auerhahn nicht balzte, mich alles mögliche Insektenvolk überall stäche, damit ich rauschte, und er entflöge! Denn so ist einmal der Teufel gegen mich gestimmt.«

– Es ist bekannt genug, daß der Hof- und Zuchthausprediger ein ordentliches Lehrgebäude hatte, worin er den Satz festgestellt, daß der Arihman oder der Teufel, d. h. nämlich Teufelchen oder boshafte Geschöpfe den Menschen mit mikroskopischen Wunden, mit elenden Kleinigkeiten hetzen, deren ein guter Engel von Verstand sich in die Seele hinein schämen würde. »Traue man mir aber nie zu,« – fuhr er fort – »als lieh' ich dem Beelzebub körperliche Kräfte, etwa zum Bewegen von Körpern, Maschinen, Büchern und dergleichen – wahrlich, wo bliebe dann noch Verlaß auf einen Uhrzeiger, auf eine Windfahne, auf ein eingesperrtes Stück Geld? – Sondern ich lasse nur zu, daß dieser Fliegengott, ob er gleich nicht einmal so viel Körperkraft wie eine Fliege hat um gleich dieser nur einen Spinnenfaden oder gar eine Fliege selber damit fortzutragen, doch durch seine organische Hülle (jeder Geist muß eine umhaben) sich mit jeder Menschenseele in einen magnetischen Bezug setzen und diese dann, wie ein Magnetiseur die Hellseherin, seine Gedanken kann denken lassen und dadurch alles durchsetzen; denn durch eine Reihe von Menschen, die ihm und einander nachwirken, kann er mit feinster Berechnung (Verstand hat der Teufel genug) tausend Ringe von körperlichen Vorgängen zu einer so künstlichen Kette schmieden und einhäkeln, daß er gerade, zum Beispiel wenn ich mich rasiere und noch den halben Seifenbart zu scheren habe, an der Kette einen alten heißgeliebten, seit Jahren unerblickten Freund in meine Stube zieht, der an meine Brust und an das eingeseifte Gesicht mit Küssen stürzt, und ich halte das zurückgebogene Schermesser hoch in der Hand empor aus Angst. – Aber wahrscheinlich ergötzt sich eben daran, an solchen komischen Ansichten, der Fliegengott, an dem weißen Kurzbarte und dem Verlegensein darüber. Ein solcher gefallner Engel will doch lieber spaßen als rasten und greift, da man ihm von oben große Einschreitungen versperrt, wenigstens nach kleinen und führt lustige Streiche aus. Luther nennt ihn Gottes-Affe. In den ältern christlichen Possenspielen erscheinen gewöhnlich vier Teufel und machen bloß die Hanswürste. Übrigens führ' ich dieses auf tausend Erfahrungen erbaute und auf sie zurückleuchtende Lehrgebäude ganz frei vor allen Augen auf; denn der Ruf, worin ich seit Jahren bei allen Klassen in Rom als ein Philosoph von nur gar zu häufigem Reflektieren stehe, wehrt, denk' ich wohl, den Verdacht eines Schwärmers von mir ab.«

Wir haben nun das Tagebuch des trefflichen Philosophen und Hiobs oder Werthers voll Leiden vor uns hergelegt, um daraus treu mehre Blätter wörtlich mitzuteilen – sogar einen ganzen Brief an seine Frau, den er der Malereien-Gleichartigkeit wegen mit hineinkopierte –, da wir auf drei Tage lang das Glück genießen, dessen Stubenkamerad im Gasthof zum römischen Hofe zu sein und in diesem schönen Verhältnisse ihn bequemer kennen zu lernen aus seinen Worten und Schriften. Die Blätter des Tagebuchs sind ganz ungebunden und bloß numeriert; auf jedem steht gewöhnlich nur eine Not. Wir geben die Nummern unter dem Namen Nesselblätter, da leider sein Tagebuch mehr ein Nessel- als Nelkenblätterkatalogus ist. Wir sagten ihm früher selber, er blase sein Leben gern auf einer Harm- und Trauerflöte ab, und ein Harmzusatz sei ihm ein lieber neuer Flötenansatz. Allein dessen ungeachtet liefern wir hier das erste (Nessel-)Blatt ganz wörtlich, so wie es geschrieben lautet, um womöglich zu zeigen, daß wir, wie überall, so hier, redlich ohne Selbstsucht zu Werke gehen.

Nesselblatt 1

Es gehört gerade nicht zu meinen Reisefreuden, daß ich den luftigen sogenannten Reisemarschall Worble wenigstens auf einige Tage zu meinem Zimmergenossen haben muß, zumal da der satirische Mensch sich der spanischen Wand bemächtigt hat, die zwar ihn gegen mich in seinem Bette deckt, hinter welcher er aber jede Minute, wenn ich gerade aus meinem mühsam aussteige, vorbrechen und mich sehen und stören kann. Ob er nicht vollends diese Nachbarschaft benutzt, um mich zu behorchen, wenn ich nachts im Schlaf die unsittlichsten Reden ausstoße – weil der Teufel ordentlich meinem frömmsten Wachen und Wandel zum Trotze mich im Schlaf Niederliegenden in die sündlichsten Träume hineinschleppt –, daran ist bei einem so lockern Gesellen wie W. gar nicht zu zweifeln, der mit Freuden einen reinen Mann in seinen epikurischen Stall-Gespann und Kollegen wird verwandelt hören. O, ich werde zuweilen ordentlich rot, wenn ich dem Schadenfroh meinen Morgengruß biete.

Nesselblatt 2

Daß sie in Gasthöfen die Kopfkissen etwa hoch genug für den Kopf aufschlichten, bringt man durch vieles Vordeuten und Fingerzeigen – obwohl immer ein halb lächerliches Kolloquium für einen gesetzten Geistlichen bei einer Gasthofdirne – vielleicht dahin; aber das ist nie zu machen, daß die Bettdecke gerade um keine Handbreite schmäler oder kürzer oder um kein Pfund leichter ausfällt, als man seit vielen Jahren gewohnt ist, sondern man muß sich eben bequemen, daß man die ganze Nacht bald vornen, bald hinten etwas Anwehendes, abgekühlte Stellen und Glieder verspürt und das Erkälten wechselnd unter sie durch Umwälzen im Bett verteilt; wobei man sich bloß durch die Aussicht tröstet, daß dieses Nachtleiden etwas abmagere, wenn man zu dick ist. – Ist endlich das Wälzen vorbei und frisches Morgenrot da, so fehlt für einen beleibten Mann der Bettzopf – denn gewisser als diesen will ich einen Weichselzopf, einen Weihwedel in Gasthöfen antreffen –, und ich muß mich nun mit meiner Last ohne Bettaufhelfer aufrichten und erbärmlich hebellos über das Bettbrett herausdrehen, mit jeder Windung gewärtig, daß der komische Schadenfroh hinter seiner Wand plötzlich hervorkömmt und scheinbar zurückfährt.

Bl. 3

Sonst wird man im März nicht von Stubenfliegen heimgesucht, aber auf Reisen weiß der Fliegengott wenigstens eine oder ein paar Fliegen aufzutreiben, die er einem Gelehrten, der den so geiststärkenden Morgenschlummer durchaus nicht entraten kann, ins Gesicht treibt. Gegen eine solche Verbündete des Teufels grub ich gestern mich in Schlafmütze und Deckbette ein bis auf Mund und Nase, lieber das Schwitzbad vorziehend; – tausendmaliges Wegjagen mit Händen hilft ohnehin nichts; und schon Homer singt daher von der Unverschämtheit der Fliege – aber wer mit Fliegen umgegangen, oder mit welchem sie, der weiß längst, daß man ihrem Saugrüssel keine Blöße geben darf, z. B. durch das kleinste Loch im Strumpfe, wenn der Rüssel sie nicht benutzen soll. Meine Fliege setzte sich gern und immer auf Nase und Umgegend. Dadurch wurd' ich gegen meine ganze Natur, da ich sonst alle Tiere schone, weil ich mit BonnetSiehe dessen Palingénésie philosophique, T. 1. part. IV. Süptitz ließ gewöhnlich, wenn er einen stundenlangen Hin- und Herspaziergang von zehn bis zwölf Schritten zu machen hatte, seinen Mops daheim, weil er befürchtete, daß er durch das immerwährende Umwenden, wovon der Hund die Gründe nicht einsah, auf dessen Sittlichkeit nachteilig einfließen könnte und ihn zur Veränderlichkeit verführen, oder ihm doch Langeweile machen. sogar an die Beseelung und Unsterblichkeit der Blätter glaube, geschweige der Blattläuse, grimmig und blutdurstig; ich stellte den Mund als Mäusefalle auf und wollte den Feind etwa zufällig mit den Lippen erschnappen. Viel Morgenschlummer war nicht dabei zu erwarten. Zuletzt, als der Feind nach einer halben Viertelstunde mich noch nicht auf dem rechten Ort angriff, setzte ich mich lieber aufrecht und hielt mich unverrückt und zugleich ganz fertig, um diesen Störenfried, sobald er sich auf meine Backe begeben, mit einem Schlage zu erlegen. Ich verfehlte ihn aber vielleicht fünfmal. Da hörte ich etwas neben mir lachen – denn der Bettschirm-Lauscher hatte in einem fort observiert –, und ich antwortete: »Zuletzt fall' ich selber in Ihr Gelächter ein, daß mir der Teufel die Backenstreiche durch meine eigene Hand zuteilt.« – Wirklich trat Herr Worble hervor und an mein Bett und sagte ganz freundlich »Guten Morgen! Die Bestie will ich schon fangen.« Aber mir war die gewiß andern nicht ungewöhnliche Täuschung begegnet, daß ich für eine wiederkommende Fliege gehalten, was zehn einander ablösende waren. Natürlich hätt' ich mich lächerlich gemacht, wenn ich so lange, bis dieser Spaßvogel meine Stoßvögel und Harpunierer – (welche letzte Metapher von ihm wirklich passend ist, in bezug auf Stechen sowohl wie auf relatives Größen-Verhältnis zwischen Fischer und Walfisch) – insgesamt hätte eingefangen und erquetscht gehabt, wenn ich, sag' ich, so lange im Bett geblieben wäre, um dann noch auf Morgenschlummer zu lauern, was wohl der Schadenfroh am diesmaligen Nicht-Frohauf gern gesehen hätte; aber ich stieg ohne weiteres aus dem Bett.

Bl. 4

Der Morgenschlaf bringt leicht auf den Nachmittagschlaf. Aber wie wäre solcher auf Reisen denkbar? Kann ich ihn schon daheim nur wie eine Zeitung brocken- oder blätterweise zu mir nehmen, ob ich gleich jedes Klängchen von Geräusch, das vor meiner Stube vorbeilaufen will, abwehre und sogar meine Singdrossel einsperre, weil sie mich aus dem ersten Schlummer treibt: so ist wohl nichts natürlicher und unausweichlicher, als daß in Gasthöfen unter dem Wagenrennen der Kutscher und unter dem Treppenrennen der Kellner niemand als ein Stocktauber ein Auge zutun kann, oder etwa ein Berauschter unter dem Tische. Senk' ich mich endlich gewaltsam in ein halbes Entschlummern: so seh' ich darin schon von weitem Stallknechte Pferde herausziehen zum Anspannen und die Kellner als meine Wecker die Treppe hinauflaufen. – Inzwischen hab' ich doch ein kleines psychologisches Kunststück (wohl wenige machen mirs nach) zweimal glücklich durchgeführt, daß ich mich nämlich entschied, die vier oder fünf Minuten, die mir vor dem Aufwecken frei blieben, keck zu einem freien Schlummer zu verwenden und den Kopf ordentlich in ihn wie in einen Lethe-Pfuhl tief hinunterfallen zu lassen und erst aufzutauchen, sobald die Türe aufginge. Es waren zwei eigene Genüsse, diese Kurz- und Zwangschläfe, aber die Gründe, die ich schon von weitem sehe, entfalt' ich leicht näher bei Muße.

Bl. 5

Des Waisenhauspredigers Süptitz Brief an seine Frau in Rom

Reiseleiden wird man eigentlich in keinem Tagebuch so gut beschreiben als in einem Brief an die eigne Frau, da man ihr, die ohnehin an Hausleiden gewöhnt ist, desto lieber und breiter die außerordentlichen vortragen wird, zumal wenn der Gatte bedenkt, daß eine gute Frau durch sein elendes Ergehen draußen sich fast über das daheim geschmeichelt fühlen kann. Inzwischen ist die meinige noch besser, und ihr wär' es wohl am allerliebsten, wenn ich in der Ferne gar ein ganzer Seliger wäre. Daher hab' ich vor ihr manche Disteln meiner Reise umgebogen, und dagegen manche Rosen höher aufgerichtet. Ich kann daher eine treue Abschrift des Briefes recht gut als ein paar Blätter des Tagebuchs gebrauchen.

 
Meine sehr geschätzte Ehefrau!

Fett bleib' ich freilich noch immer, aber Einflüsse – die ich dir in meinen letzten Briefen breit genug vorgemessen – werden mich schon verdünnen. Dem guten Marggraf kann man nur leider nie entzückt genug sein. Manches Herrliche aber habe ich dir wirklich von vorgestern zu deinem Mitgenusse aufzutischen; um so leichter wirst du den Nachgeschmack der Henkermahlzeit von gestern verwinden, die ich dir nahher bringen werde.

Verzeihe nur – muß ich dich noch vorher bitten, eh' ich mich an das heilige Liebe- und Abendmahl von vorgestern mache – meine teuflische Handschrift in dem vorgestrigen Briefe. Aber der Teufel wußte eben seine Sache recht gut zu machen, wie gewöhnlich mit mir. Nämlich mitten im freudigsten Ergusse meiner Liebe für dich sprang mir durch Aufdrücken der Federschnabel um einen halben Zoll auf und trug keinen Tropfen und Buchstaben mehr. Nun wird in Wirtshäusern nichts mehr vernachlässigt als (außer etwa Dinte) Federn; und mit einer müssen oft zehn Landkutscher ihre Briefe schreiben – Federmesser fehlen ohnehin. Ich nahm daher meine Etui-Schere (ordentlich ahnend hast du mich mit einem Flick- und Nähzeug versorgt) und schnitt von der Feder den langen Storchschnabel ab – verkürzte wieder diesen, aber leider zu einem zu breiten Löffelgansschnabel – der mußte wieder mit der Schere geschmälert werden – dann war wieder die Spalte zu sehr verkürzt – und doch war neues Aufspalten wieder äußerst bedenklich – da schrieb und ackerte ich denn mit dem breiten Federspaten meine Freuden an dich ohne weiteres zu Ende und erwies dem Satan, gegen welchen ich mit einem fast lutherischen Trotze gerade, was er stören wollte, durchsetzte, gar nicht den Gefallen, nur nach Feder und Messer zu klingeln. – Lieber hätt' ich mit der Schere dir geschrieben und die beiden Spitzen als eine Federspalte eingetunkt. – –

Nun steh' ich bei dem seligen Vorgestern, das ich gar nicht freudig genug darstellen kann, damit du das nachherige Gestern mit noch weniger Schmerzen aushältst als ich, du edle Teilnehmerin! Ich sah und hörte nämlich dem vorgestrigen Amtjubiläum des Generalsuperintendenten Herzog in der Lukaskirche zu! Denke dir nun alles! Der junge Hofkaplan Hasert, das Faktotum oder Kann-Alles bei Hof, voll Wohlwollen und voll Vorbitten für Notleidende, aber ein feiner glatter Weltmann (der mich sehr zu suchen scheint), erhob den Jubelgreis mit Feuer und segnete ihn feierlichst ein. Vorher aber hatte der Greis dasselbe gleichsam an sich selber getan und in einer majestätischen Rede voll Würde und Gefühl für seine Amts-Leiden, Lasten und Taten und Saaten erzählweise Gott und seinen Kirchenkindern gedankt. Über alle Maßen und bis zu Tränen rührt' ich mich, indem ich mich ganz in seine Stelle versetzte und mich selber als den Jubilarius dachte, welcher mit seinen größeren Verdiensten und Würden dir gegenüber weinend auf dem Altar stände. Aber schon in dieser fremden Kirche sah ich voraus, daß mich der Teufel nie eine Rührung würde so rein durchsetzen lassen wie etwan den Generalsuperintendenten, dem es sogar gegönnt wurde, daß hinter ihm tags darauf seine alte Köchin jubilierte, wegen ihres langen Dienstes bei ihm. Denn herrliche Herzergießungen – schöne Empfindungen bei schönem Wetter – unbezahlbare Gefühle nach Wohltun leidet der Satan nicht, sondern setzt mich von ihnen unmittelbar auf Hiobs bekannten Misthaufen und läßt mich klagen wie diesen früher auch überglücklichen Mann.


 << zurück weiter >>