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Der Mensch ohne Poesie
Der Mensch, welcher das Leben bloß mit dem Verstande ohne innere Poesie genießt, wird ewig ein notdürftiges mageres behalten, wie glänzend auch das Geschick dasselbe von außen ausstatte; es bleibt einem Herbst voll Früchte und Farben, welchem der Zauber der singenden Vögel fehlt, oder den großen nordamerikanischen Wäldern ähnlich, welche tot und trübe schweigen, von keiner Singstimme beseelt. Wohnt aber ein poetischer Geist in dir, der die Wirklichkeit umschafft – nicht für andere auf dem Papier, sondern in deinem Herzen –, so hast du an der Weit einen ewigen Frühling; denn du hörst unter allen Gipfeln und Wolken Gesänge, und selber wenn das Leben rauh und entblättert weht, ist in dir ein stilles Entzücken, von welchem du nicht weißt, woher es kommt; es entsteht aber, wie das ähnliche in den blätter- und wärmelosen Vorfrühlingen des äußern Wetters, von den Gesängen im Himmel.
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Einsamkeit der Menschenseele
Wenn du in der Schlacht, wo Tausende mit dir wirken und stürmen, mitten in der blitzenden donnernden Menschenwelt stehst und mitglühst: so siehst du keine Einsamkeit, sondern eine ganze Menschheit um dich; – und doch ist eigentlich niemand bei dir als du. Eine einzige Bleikugel, welche als ein finsterer Erdball in deine Himmel- oder Gehirnkugel dringt, wirft das ganze Schall- und Feuerreich der Gegenwart um dich fern hinunter in die Tiefe, du liegst als Einsiedler im Getümmel, und hinter den zugeschloßnen Sinnen schweigt die Welt; dieselbe Einsamkeit umschließt dich, ob dir in der entlegnen Waldhütte oder auf dem Pracht- und Trommelmarkte des Todes die Sinnen brechen. Neben dir bluten die andern Einsiedler, jeder in seiner zugebaueten Kerkerwelt. – Wenn aber auf diese Weise, was aus der Ferne als Menschenbund gesehen, in der Nähe nur eine Menschentrennung wird und ein Einsiedlerheer, ein unauflöslicher Nebelfleck zusammenfließender Sonnen ist, welche in der Wahrheit sich voneinander durch Weltenräume scheiden; – und wenn dieses, was für die Prunkstätten des Lebens gilt, ebenso für jede andere Stätte gilt: ist denn nichts vorhanden, damit der Einzelne nicht einzeln bleibe, sondern sich zu einem Ganzen und Großen vereine? Ja, ein Wesen lebt von Ewigkeit, das alle Wesen zugleich bewohnt und beherbergt und so alle einander selber zunähert. Wir sind Sennenhirten, jeder auf seiner Alpenspitze fern vom andern, aber der Gesang geht zu den Hirten über die Abgründe hinüber und herüber und wohnt und spricht von Berg zu Berg in denselben Herzen auf einmal. So sind wir alle nicht allein, sondern immer bei dem, der wieder bei allen ist und in welchem alles von innen und außen zusammenfließt; und dies ist Gott, durch den allein das Größe und Liebe wird, was in der Welt Größe und Liebe scheint. – Und so bleibt denn auch nicht einmal unsere letzte dunkelste verschlossenste Minute einsam.
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Der Atheist in seiner Wüste
Der Leugner einer lebendigen Gottheit muß, da er unmittelbar bloß mit den Wesen seines Innern umgehen kann, sobald ihm das höchste darunter unsichtbar geworden, in einem starren toten All dastehen, eingekerkert in die kalte, graue, taube, blinde, stumme, eiserne Notwendigkeit; und wahrhaft ist für ihn nichts mehr rege und lebendig als sein flüchtiges Ich. So steht, wie er, der Wanderer auf dem Eismeere und den Eisbergen der Schweiz, rundum Stille – nirgends ein Wesen, das sich bewegt – alles starrt unabsehlich weit hinaus – nur höchstens zieht zuweilen ein dünnes Wölkchen hinauf und scheint sich zu regen in der unermeßlichen Unbeweglichkeit. Ja, wenn er Gott verloren aus seinem Glauben und vollends noch dazu in Unglück und Sünde zugleich geraten ist: so gleicht seine Einsamkeit jenem andern, fast der bloßen Vorstellung zu schmerzhaften Alleinsein eines in seiner Holzhütte zur Hinrichtung angeketteten Brandstifters, welchen Holzhaufen immer höher und breiter umbauen und einschlichten und der nun in der Hütte ganz einsam das Heranbrennen zum Sterben an der Kette erwartet.
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Der Dichter
Seh' ich im Gedichte nicht den Dichter als Menschen, sagt der eine, so sind mir alle seine Spieglungen des Großen bloße Vorspieglungen. Und seh' ich, sagt der andere, im Gedichte nichts weiter als den lebendigen Menschen, der es gemacht: so hab' ich sein Gedicht nicht nötig, denn die Alltäglichkeit steht auf allen Märkten feil. Aber der rechte Dichter vereinigt beide, weil das Gedicht ein Strom ist, der wohl den Boden zeigt, worauf er fließt, aber ihn durchsichtig macht und unter ihm in einer größern Tiefe, als er selber hat, den unergründlichen Himmel ausbreitet und spiegelnd ihn mit dem obern verwölbt.
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Geistige Erhabenheit der Berge
In der Ebene ist der Berg erhaben; aber auf diesem wird es jene. Man braucht freilich auf keinen Mastbaum zu steigen, um die Ebene des Meers erhaben zu finden; aber das Meer gewinnt seinen Vorzug der Erhabenheit vor der Ebene teils durch die größere Ausdehnung, teils durch seine Beweglichkeit, welche die Wogen zu Millionen Gelenken eines unermeßlichen lebendigen Riesen beseelt. Eine unabsehliche Ebene vergeistigt sich erst durch die Ferne zu einem verbundnen Ganzen und durch die Wohnungen der Menschen zu einem lebendigen. – Ein Berg gewinnt erst durch die Ferne seine Erhabenheit; in der Nähe wäre ein hochsteiler bloß eine Aufeinanderbauung von Türmen, und ihm gingen zu seiner romantischen Größenmessung der waagrechte Maßstab und die Wolken unter seinem Gipfel ab. – Romantisch erhaben ist eigentlich weniger der Berg als das Gebirg; nur dieses steht als die lange Gartenmauer vor fernen länderbreiten Paradiesen da, und wir steigen mit der Phantasie aus unserem beengten Bezirk hinauf auf die Scheidewand und schauen hinunter und hinein in das ausgelegte Länder-Eden. Stehst du jedoch selber wirklich auf der Scheidemauer zwischen deinem Lande und dem fernen: so verklären sich auf dem Tabor der Höhe beide zusammen, und deines schimmert als Vergangenheit und das ferne als Zukunft hinauf, und nichts ist kalt und kahl als der Boden unter deinen Fersen. – Aber warum bewegen und erheben uns ferne Waldungen viel weniger als Gebirge? Ja warum, wenn diese das Herz ausdehnen, schränken jene, obwohl auch Höhen, es zuweilen ein? – Rücke und tauche die Wälder nur tief und fern genug unter den Gesichtkreis, daß sie als niedrigere Wolkenstreifen sich hinzuziehen scheinen: so üben sie, wie ja sogar die Ebene, die Zaubermacht der Ferne aus. Näher hingegen herangestellt, so hebt der Wälderzug die Seele nur wenig, aus vielen zusammenwirkenden Nebenumständen, z. B. weil er zu keiner bestimmten Gipfelhöhe sich schließt – weil also die Phantasie sich auf keine zum Umherblicken begeben, sondern sich in die enge Tiefe versenken und darin nur zerstreuete Menschen, Köhler, Jäger, Diebe finden kann – weil er uns nur mehr mit der Länge erscheinen kann, welche ohne die erhebende romantische Breite nur eine undurchsichtige dünne Baumlinie ist. Hingegen sieht wieder ein Turm, der aus der an sich nicht erhabenen Waldung dringt, uns romantisch-erhebend an – was er auf einem Berge nicht täte –; aber wie viele Strahlen brennen hier zu einem Punkte zusammen! Eine in einen Wald verhüllte, von ihm umgitterte und beschattete Sammlung von Menschenherzen – die lange Waldung wieder als beherrschter Garten an die Gemeinde gedrängt – der Turm als offner lichter Sonnenweiser des aus den Schatten heraufbetenden Seelenbundes – die aufgedeckte Geselligkeit in der Waldwüste – das Sehnen der Verschatteten nach uns, das in uns wieder zu einem nach ihnen wird – – und Himmel! wie viel andere Farbenpunkte mögen sich noch erst heimlich ineinander verflößen, bis sie uns zu einem erhabenen Gemälde werden! – So wäre eine Größenlehre der Phantasie zu schreiben – ebenso unerschöpflich als die mathematische –, wenn man die ästhetischen Größen auf neue Weisen gruppierte und darüber die Aussprüche des Gefühls vernähme und aufnähme.