Jean Paul
Der Komet
Jean Paul

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Fünftes Kapitel,

worin am ersten Jahrmarkttage Neuestes vorgeht mit Diamanten – mit Drachendoktoren und ihren untersuchten Apotheken – und mit Doktordiplomen

Am ersten Markttage des sogenannten Frühlingsmarktes früh morgens mußte nach Marggrafs bester Rechnung der erste fertige Diamant im chemischen Ofen erscheinen und scheinen, und zwar solche neue Wunder darin tun, als mir noch nie unter den alten vorgekommen: Dies alles weiß jeder voraus, der die vorigen Kapitel nur im Vorbeigehen geborgt und gelesen. Auf den Abend des Diamantfundes hatt' er seine halbe Basen- und Vetterschaft zu einem großen souper fin eingeladen, um sich allen als frischen Kapitalisten zu zeigen. Das Geld zur Bewirtung wollt' er heute seinen drei Schwestern sogleich nach dem Verkaufe des Edelsteins reichlich in die Hand zuwerfen. Vergeblich hatte seine Schwester Libette vorgeschlagen, etwan den vierten oder fünften Markttag zu seinem Glanz- und Gasttage sich auszustechen, weil sie hoffte, bis dahin sei ihm die Goldkocherei versalzen und dann ohnehin jede andere Kochmaschine zurückgestellt. Aber eine Art von Übermut, der ordentlich durch das stärkere Setzen auf eine Karte vom Schicksale das Gewinnen erzwingen will, ließ ihn, wie früher den Wechselschreiber, so jetzo den ersten Markttag behalten.

Hier muß ich der Leser wegen, die sonst auf dem Romer Jahrmarkte gewesen und nur zwei Meßtage kennen wollen, bemerken, daß sie recht haben, daß aber der Landhauptmann dem Geiste und Körper der Zeit nach Vermögen folgte durch Vermehrung der Markttage und durch Verminderung der Festtage. Wenn jetzo auf der einen Seite Apostel- und Marientage in den Sonntagen mit ab- und weggefeiert werden – man will sie, scheint es, den wahren Sonntagen gleich schätzen –; und wenn der dritte Festtag in den ersten und zweiten hineinzieht und sich darin ungesehen mit begeht – ob es gleich noch viel weiter zu treiben und nach dem Muster des Allerseelentags ebensogut ein einziger Allersonntagetag für das ganze Jahr anzusetzen wäre –: so hält man sich wieder schadlos, daß man auf der andern Seite die profanen Meß-Börsentage desto mehr ausdehnt und sie mit einem und dem andern Nach- und Vorschabbes verstärkt und durch Meßwochen und die stillen oder Karwochen vergütet, an welchen ohnehin nur der Handelgeist der Zeit gekreuzigt und verraten wird. – –

Am frühen Morgen ging Marggraf langsam die Treppe hinab zum chemischen Ofen und betete unterwegs unter dem Frühgeläute und sah sich überall nach kleinen zufälligen Wahrsagereien seines Glücks oder Unglücks um. Vor dem Ofen saß seit Nachmitternacht der Stößer und reichte ihm die Tiegelzange zum Herausheben des großen Werks und sah hoffend genug aus. Der Edelstein wurde aus seiner Kohlenmutter in einen Kühlofen gebracht, und Apotheker und Stößer warteten die Abkühlung zum Prüfen ab. Endlich wurde er der Klingenprobe unterworfen. Der Stein ließ sich so gut an, daß er fast alle Fehler zeigte, die ein echter Diamant nur haben kann: er war unförmlich wie die sogenannten Käsesteine unter den Diamanten – er hatte viele gelbe Knoten und mehr als eine Ritze – er hatte Körner oder Points, die das Schleifen hindern – er hatte jene grauen matten Stellen, die der Juwelier an Diamanten Gendarmes nennt. Allein das weniger Angenehme bei dem Funde war, daß er von den Tugenden eines Diamants keine vorzeigen wollte: – die Feile schnitt in ihn – er mit seinen Kanten schnitt in nichts – in Vitriolöl konnte man ihn zwar kochen, aber zu seinem größten Schaden – er war weder vom ersten, noch zweiten, noch dritten Wasser – und als ihn Marggraf leicht mit dem Hammer schlagen wollte, zerfuhr er gar in so viele Stücke wie früher Polen und gleich diesem und ungleich dem echten Diamant in unähnliche Teile.Die Stücke, welche vom Diamant unter dem Brennspiegel abspringen, behalten völlig Figur, Eckflächen und Spitzen des Ganzen bei. Krünitz' Enzyklop. B. 9. Diamant.

Der Apotheker ließ vor Ohnmacht den Stundenhammer seines Unglücks sich auf die Fußzehen fallen, welche gleichfalls in Ohnmacht lagen und nichts verspürten. Der Stößer Stoß, welcher bisher den Ankerproben des Edelsteins schweigend und bloß mit einem langen aufzuckenden Farbenklavier auf dem Gesichte zugesehen hatte, fuhr bei dem tödlichen Hammerschlage mit seinem Agitakel (eine hölzerne Keule zum Pflastermischen) heftig in die Höhe (weil er sich verwundern wollte) und gefährlich bei den Schläfen seines Herrn vorbei und sagte: »So ist also unsere ganze Herrlichkeit ein Hundedreck aus album graecum!«

»Defektuar!« – hob Nikolaus gelassen an – »wenn Er mich jetzo mit Seiner Keule ermorden oder sonst von der Welt wegraffen wollte – so hätt' Er ein gutes Herz, und der satanische Teufel hätte mir nichts mehr an, und ich wär' in meiner Ruhe. Er sieht nun an mir einen armen geschlagnen Mann vor sich, einen tausendmal geschlagnen Mann. Stadt und Land rottieren sich heute zusammen und pfeifen mich aus; Vettern und Basen stellen sich ein und schauen abends zu, wie ich aus der Haut fahre vor Elend – und zeig' ich mich öffentlich, so steh' ich vor der Welt wie ein ganzer vom Kopf bis zum Fuße langer Podex da. Ach großer Himmel! noch erst vor ein paar Tagen sah ich so hoch von Thronen auf Romer und Hohengeiser herab – Und jetzo sitz' ich da .... Er kann nun auch passen, bis Er neu gekleidet wird und aus Seinen Lumpen kriecht – – O Gott!« (rief er und schlug mit geballten Händen in zwei Tropfen der Augen) »wie hätt' ich alle Menschen zu Ehren bringen wollen und in die größten Freuden setzen, wäre mir das verdammte Diamant-Machen gelungen. – Ach erbarmender Heiland! – Hat Er kein Sacktuch?«

Stoß ertrug gern und viel von seinem Vorgesetzten, Stoßwinde des Zornes, es sei in Scheltworten oder in wirklichen Stößen, Launen, Befehle, ja alles; aber Tränen desselben hielt er nicht aus, sondern er schnauzte ihn dann ohne weitere Rücksicht an: »Da ist« – versetzte er – »der Lappen. – Alle die Wetter, wenn Sie freilich ein Mann wären, der nur für einen Heller Verstand besäße, in der Sache jetzo nämlich: so dächten Sie nach und guckten in den Ofen. Ist denn unser mittlerer Diamant schon fertig, oder gar unser größter? Und ist der größte nicht dreimal mehr unter Brüdern wert als der lumpige winzige, der noch dazu unecht ist? Und sagen Sie nicht selber immer, der wird erst gegen Abend gar? –«

»Gott gebe dergleichen!« – versetzte Nikolaus, gemildert durch den Gedanken, daß sein Aufbrausen als eine Sünde die chemischen Prozesse der übrigen Diamanten störe – »Vor der Hand stampf' Er Seinen Arsenik dort klar, da Er doch jetzo nichts anderes zu tun hat« – und er klaubte gebückt unter Tränen, die ungesehen fielen, die Splitter von dem Vor-Diamanten auf. Der Diener aber suchte seinen Herrn durch ein besonderes Geständnis aufzurichten: »Ich wills nur herausplatzen,« sagt' er, »die ganze Fatalität rührt bloß von mir boshaften Esel her; heute gegen Morgen, wo der Stein schon leuchtete, fass' ich aus bloßer Teufelei die Kätzin (ich kann sie nun im Märzen nicht leiden) mit der Tiegelzange am linken Ohr an und zwicke sie ganz höllisch (denn sie konnte nicht herum). Jetzo hab' ich den Spektakel; denn jeder Schaden, den man am Morgen einer Katze antut, bringt auf den ganzen Tag Unglück ..... Wetter! dort kommt wieder ein Unglück. Sollte man sich doch heute in seine eignen Hosen verkriechen, wenn man hinein könnte«, rief Stoß und stampfte grimmig in den Mörser voll weißen Arsenik mit so geringem Bedacht hinein, daß er nicht einmal Mund und Nase gegen das Fluggift zuband.

Der Drachendoktor zog die Gasse zur Untersuchung der Apotheke herauf.

In Rom waren nämlich (es ist eine stadtkundige Sache) zwei Apotheken offen, die Hundapotheke (es ist eben die unseres Marggrafs) und die Drachenapotheke; jede hatte ihr Namentier, wie ein Schlitten, in hölzerner Abbildung vorgespannt. Ebenso gab es da zwei Ärzte, welche man, da sie Brüder waren, dadurch unterschied, daß man den, welcher nur aus der Drachenapotheke verschrieb, den Drachendoktor, und den andern (den Verschreiber aus der Marggrafschen) den Hundedoktor hieß. Nun hatte der Landhauptmann jeder Parteilichkeit in der jährlichen Untersuchung beider Apotheken dadurch vorgebeugt, daß immer nur der feindliche Arzt die ihm verhaßte Apotheke zu prüfen und auf die Apothekerwaage zu setzen bekam, weil zu hoffen war, daß so dessen Galle die beste sympathetische, ja antipathetische Dinte (liquor probatorius) aller Essenzen, Mixturen, Extrakte, Dekokten, Salben, Theriaken sein würde, welche das gemeine Wesen nötig hätte.

Daher hält nach der Geschichte gerade der Drachendoktor die Heer- und (Destillier-) Helmschau in der Hundapotheke, welche sich freilich lieber in die Probiertiegel des Hundedoktors geworfen hätte, weil dieser überhaupt mit dem Hunde um die Wette mit Schwanz und Zunge wedelte, der Drache aber Feuer spie samt Galle und Gift.

Kein Unglück kommt allein, sondern nach einem Lug-Diamant kommt in die Apotheke ein Lug-Drachendoktor – so sagt das Sprichwort, meinet aber damit nicht, daß das zweite der Sohn des ersten sei, sondern vielmehr, daß zwei wildfremde Pfeile aus Osten und aus Westen nacheinander eintreffen und treffen. Will jemand weich hierbei sein, so kann er sagen: »Ich wollte, ich wäre das Schicksal, ich hinge dem Apotheker zwar etwas an, aber nicht zweierlei, nicht den Vexier-Diamant und den Drachendoktor auf einmal – auch ein Schicksal muß ein menschliches Herz haben.« – Allein eben hier zeigt es eines: lieber in die offne Wunde die zweite gebohrt als erst in die verharschte; und lieber sogleich nach dem ersten Fingerglied das zweite abgehauen; denn zwei Schmerzen werden fast zu einem. Wie sehr ich recht darin habe, seh' ich am Apotheker, welcher gleichgültig darüber aussah und sagte: »Heute ist mir alles einerlei, und ich bin von jedem Teufel, der will, zu holen.«

Viel vom letzten brachte der Drachendoktor auf seinem Gesichte mit, das sich schon zu einem Kerbholze künftiger Apotheker-Schulden ausgeschnitten. Höflich und abgespannt empfing ihn Marggraf. Der Stößer aber umwickelte Mund und Nase, um nur nicht zu grüßen und um giftiger zu stampfen. Nach Marggrafs Höflichkeiten ging der Doktor schweigend an den Gestellen der Arzeneien hin und her und schüttelte den Kopf. Endlich zeigte er auf eine Pfeffermünz-Schublade mit dem Stocke und mit den Worten: mentha piperita Linnaei. Er griff hinein und zog heraus und sagte: »Fauler Fisch! Ist dies nicht ein Blatt der menthae viridis Linnaei? Betrug! – Sind dies nicht zwei Blätter der menthae aquaticae Linnaei? Unerhört! – Sind dies nicht drei Blätter der menthae sylvestris Linnaei? Ei Verfälschung und kein Ende!«

Hier machte der Stößer ein ihm nahes Fensterchen auf, damit der Luftzug den Giftstaub von ihm seitwärts mehr nach der Seite zu bliese, wo die Luft- und die Speiseröhre des Drachendoktors standen und einsogen; es ist aber klar, daß er den Doktor mit dem Luftzuge nicht sowohl erfrischen als vergiften wollte. Unerwartet trat der Freimäuerer Worble ein, welcher dem Geburttage eines neugebornen Diamanten oder dessen ersten Wiegenfeste beizuwohnen kam: als eben der immer dicker gefrierende Apotheker nicht wußte, was er sagen wollte. Der Drachendoktor fuhr fort; er roch an zu stark eingedickte Ochsengalle und stampfte und rief: »Branstig!« – Er foderte Mohnsaft, beleckte ihn und rief: »Süßholzsaft darunter, ei so soll dich doch!« – Er ließ mehre Fächer voll Rinden, Pulver, Kräuter herausziehen und überfuhr sie flüchtig, lachte aber darüber, wenn gar nichts daran auszusetzen war. – Er befühlte und zerbröckelte die spanischen Fliegen und sagte: »Uralt, seh' ich!« – Er nahm ein Wurzelmesser und ein Wiegenmesser (zum Kräuterschneiden) in die Hand und fuhr mit den Handballen über die Schärfe und sagte: »Schneiden nicht den Teufel, spür' ich.« – Einmal wollte der Apotheker erklären und bestreiten; da hob jener den Kopf in die Höhe und befahl langgedehnt: »Sich nur nicht gerechtfertigt!« – Dann ging er weiter und an den Rezeptiertisch, er foderte Galläpfel und legte eine Handvoll in die Waage und rief: »Zu schwer, falsch, Wind!« Darauf nahm er einen aus der Schale und schlug mit einem Pflasterbrett leicht auf ihn; wider alles Erwarten zerbröckelte sich eine graue Tonschale und deckte (die gewöhnliche Verfälschung) einen bloßen Stein auf; »und das ist ein Gallapfel, Herr?« fragt' er und steckte das Steinobst und die Tonhülse zu sich.

Dem Apotheker drehten sich Unmuttränen drückend hart unter den Augäpfeln herum und empor, und er konnt nur stotternd im Gefühle seiner Truglosigkeit aufschreien: »Ja, es ist ein Gallapfel und wird einer sein, aber ich bin an diesem Markttage ein Kind des Unglücks und werde überall aufs Haupt geschlagen und aufs Herz; aber es kann noch einen Gott geben, der sich meiner annimmt, wenns zu spät ist!«

Der Freimäuerer, längst auf feurigen Kohlen stehend, die er lieber auf des Doktors Haupt gesammelt hätte, war unterdessen, da er die übrigen Galläpfel des Schubfachs durchgefingert, weder auf glatte noch auf schwere gestoßen; »sonderbar,« sagt' er, »auch kein einziger falscher ist sonst noch im Fach, alles echt.«

– Der Drachendoktor, nicht jener bessere teuflische Hexendrache, der in den Schorstein Lebens-Mittel trägt, sondern jener spätere, der den Menschen holt, versetzte auf alles nichts, sondern prüfte fort.

– Der Stößer tat ihm hinter dem Tuche die unerhörtesten Grobheiten an, welche man zum Glück nicht hörte. – »Nein,« fing Worble wieder an, »auch nicht ein falscher Sodomsapfel ist mehr unter den andern zu finden, und ich wundere mich doch ...«

»Was stößt hier der Mensch?« fragte der Doktor, den Mörser musternd. Veit Stoß stieß stärker und tat, als versperre und verspünde sein Mund- und Nasengitter auch seine Ohren, und stampfte stumm fort. »Weißen Arsenik«, sagte Marggraf. »So seh' ich schon voraus graue Kreide darein eingeschwärzt«, sagte der Drachendoktor und holte sich zum Beweise mit einer Fingerspitze eine Prise weißes Giftpulver – rieb es – und sagte: »Graues oder kreidenartiges ist darunter.« – Und nach mehren glaubwürdigen Geschichtschreibern, die vor mir liegen, hatte er wirklich recht; denn etwas von dem weißlichen Ton des Gallapfels war von seinen Fingerspitzen in den Arsenik übergegangen. Nicht alle Jahrhunderte wird ein so ausgezacktes vollgeschriebenes Gesicht geschnitten, als jetzo an Stoßens Vorderkopfe hing. Doch hatte auf diesem die Natur der Kunst vorgearbeitet; denn sein Gesicht sah, besonders um den Mund herum, stets wie eines aus, das in grimmiger Kälte lachen will, ein weinerlich-freudiges festgefrornes Breitzerren. Mit diesem und der heißen Tobsucht im Blicke hob er eine Hand voll Gift für den Doktor heraus, gleichsam sagend: so lecke, wenns nur Kreide ist.

Marggraf konnte nun nichts mehr vorbringen und vorhalten, er lag erlegt, aber nicht aus Furcht. Das Anstaunen der Bosheit lähmt so gut die Zunge als das Anstaunen des Werts; und ein mildes Herz gerinnt tödlich vor einem grimmigkalten.

Worble – der sich gerade in solchen dickluftigen Hundegrotten des Zanks frisch gekühlt verspürte und den zankenden Männern im feurigen Ofen am liebsten als Schneemann vorstand – fing an: »Herr Stadt- und Landphysikus! Wenigstens zeigt unser Herr Hundeapotheker in dieser Sache den Mann, der mehr aufs Lebenlassen, wenn auch nicht aufs Beleben ausgeht; denn alles, was etwa zu fehlen scheint, besteht in Mordmitteln – Opium und Rattengift sind unschädlicher gemacht – spanische Fliegen durch Alter entkräftet – Galläpfel und sogar Messer ihrer Schärfe beraubt – und was Bitteres etwa in der Apotheke zu echt und zu inspissiert (eingedickt) wäre, ist, wie Sie besser wissen als ich, die Ochsengalle.« – Auch auf die geschwächte Pfeffer-Münze würd' er gut angespielt haben, wäre er früher angelangt.


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