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oder das Nötigste über den Klubs-Klub oder die Gesellschaften-Gesellschaft
Man hat die gute Bemerkung gemacht, daß dichtende Geschichtschreiber an drei Orten anfangen können, entweder am Ende (wie Homer) oder in der Mitte (wie viele Deutsche nach Horaz) oder am Anfange (wie die Franzosen und Moses). Ich habe mich bei meinem Anfange im vorigen Kapitel mehr den Deutschen zugeschlagen, doch in den Vorkapiteln etwas dem Moses hingeneigt und habe daher viel früher fortgefahren als angefangen. Ich hielt eben dabei den großen Unterschied zwischen dem Menschen im Leben und zwischen dem Menschen in dichterischer Geschichte fest. Der Mensch im Leben, auch der unbedeutendste, macht nie mehr Aufsehen in der Welt als zweimal, nämlich wenn er in sie und wenn er aus ihr tritt, kurz sie sieht nur zum Fenster hinaus, wenn er zum Taufstein und wenn er zum Grabstein getragen wird, eine Geburt und eine Leiche blickt jeder sehr an; – aber den langen Mittelweg von einem zum andern legen tausend Taglöhner, Kinder, Weiber, Schreiber, Höker, Stammhalter, Majoratherren, Grafen ohne sonderliches Aufsehen und ohne viel Glockengeläute und Kanonendonner der Welt zurück, – so daß wirklich für die Welt der Mensch ein Bissen (bolus) ist, den ein organischer Leib nur zweimal verspürt, erstlich wenn er eintritt in den Schlund, zweitens wenn er austritt aus dem After, zwischen beiden aber ungefühlt durch den ganzen Unterleib durchrückt. – Aber wie ganz anders geht es einem Menschen in der dichterischen Geschichte: hier genießen und bewundern ihn die Leser gerade am wenigsten, wenn er oder das Buch anfängt, und wenn er oder das Buch aufhört, denn sie legen es weg; aber wohl das, was zwischen dem ersten und dem letzten Blatte steht, ergötzt und ergreift sie stark; so wie er selber sein Geboren- und sein Begrabenwerden weniger spürt als sein Zwischenleben.
Alles überhaupt in der Welt ist sehr närrisch; besonders die Hauptsache derselben, und ich habe oft Gedanken darüber, die zu nichts führen.
Wer gegenwärtiges dichtend-historisches Werk für eine Alpenreise hält – worin den Leser Seltenheiten und Größen aller Art, Nadelberge (aiguilles) und Alpenrosen und Schnee- und Wasserfälle wohl leichter bestärken als widerlegen –, dem sind einige Vorkenntnisse vom Klub, vom Freimäuerer, vom Zuchthausprediger und Maler so nötig als einem schweizerischen Bergreiser eine Karte, des General Pfyffer Alpen aus Kork, ein Führer und ein Maulesel.
In der Handelstadt Rom blühten vier gute Kränzchen, welche, um sich auszuzeichnen als deutsche, sich nach vier fremden Völkern nannten, nämlich englisch, französisch, griechisch und welsch, oder Klub, Ressource, Harmonie und Kasino. Es gehört weit mehr in meine allgemeine Geschichte deutscher Klubs als in diese Geschichte, daß im Anfange des neunten Jahrzehends des vorigen Jahrhunderts die gedachten Romer Kränzchen ganz ins Welken und Entblättern gerieten. Daher untersuch' ich hier nicht, ob damal mehr die Mainzer Klubisten den romischen einen bösen Geruch und dadurch etwas anhingen – zumal da überall ein politischer Spürhöllenhund (Cerberus) mit sechs Nasenlöchern schnupperte und wedelte –, oder ob am meisten der damalige Landhauptmann in Rom die armen vier Kränzchen allmählich auseinanderzausete und verstreuete. Meine Privatmeinung ist mehr für letztes; denn der Landhauptmann war ein Mann, welcher den Bürger ungern an einem Sonntage, aber gern an sechs tüchtigen Werkeltagen hindurch sah, und der nur einen Jubel liebte, das Dienstjubiläum (Dienstfeier). Alle Billardbeutel und Puderbeutel in Strick- und Scherbeutel des Staates umstricken zu können, hätt' er gern noch bei seinen Lebzeiten von seinem Landesherrn oder von Gott erfleht. Nach dem Tode mußte er ohnehin in das himmlische Jerusalem einziehen, wo in keiner einzigen Gasse ein Arbeithaus steht, und wo so viele tausend Vollendete bei so vielen Kenntnissen und so starken unsterblichen Leibern und unverwüstlichen Gliedmaßen die schöne Ewigkeit mit Faulenzen hinbringen. Wie zarten Seelen, war ihm unter allgemeinen Lustbarkeiten das Seufzen nahe, aber freilich nur als einem »allgemeinen Kameralkorrespondenten« des Staats; und seine Rede ist auch außer Rom bekannt, daß er in der Weihnachtzeit an einem Tannenbaume mit mehr Vergnügen einen Gehenkten antreffe als Marzipan und Nüsse, Weil im ersten Falle doch der Baum noch lebe. Überhaupt war er kein verächtlicher Mann, sondern die Polizei, Finanzerei und Strenge leibhaftig.
Es steht daher unter seinen Verdiensten um Rom dieses nicht zuletzt, daß er die oben gedachten vier Gesellschaft- (Sozietät-) Inseln dermaßen zu lichten, auszuroden und ordentlich zu entvölkern wußte, daß am Ende auf jeder nur ein Eiländer übrig blieb, nämlich im Klub Worble – in der Harmonie Süptitz – in der Ressource Marggraf – und im Kasino Renovanz, daher hieß nachher in der Stadt (was Millionen Durchreisende nicht begreifen konnten) Worble nur der Klubist – der Prediger der Harmonist – der Apotheker der Ressourcer – und der Maler der Kasiner. Die ganze Namensache wäre an sich zu klein; da ich jedoch in einem solchen großen dichterisch-historischen Werke mit diesen vier Kartenkönigen des ganzen Spiels öfters vermittelst ihrer Spitznamen zu stechen habe: so kann ich mit Vergnügen die Spitz- und Ehrennamen hersetzen, weil ich weiß, wie das Studium meines ganzen Werks gewinnt, wenn der Leser die Namen hier auswendig lernt, um damit seinem fliegenden Autor munter genug zu folgen.
Der neue Zustand der entvölkerten Gesellschaft-Inseln konnte nicht dauern. Warf es wohl für einen geselligen Mann, z. B. für Süptitz den Harmonisten, besondern Genuß ab, wenn er allein so dasaß in der Harmonie und rauchte und er keine einzige Seele (nicht einmal seine eigne) zum Harmonieren vor sich hatte, sondern nach ausgeklopfter Pfeife als stiller Solo-Harmonist aus der Ungesellschaft nach Hause schleichen mußte? Oder ging es dem Klubisten Worble besser? – Ich glaube, viel schlimmer. Wie es Schreibmenschen, so gibt es auch Sprechmenschen, die (z. B. die Hofleute) nur durch zweite Menschen zu ganzen werden, und welche, um viel Witz, Scharfsinn, Feuer zu haben, durchaus Zuhörer bedürfen. So einer aber war der Freimäuerer, welcher ohne System und von Gedanken zu Gedanken, wie im Genusse nur von einem Tage zum andern lebte. Kann sich denn die Welt wundern, daß er auf den vernünftigen Gedanken geriet, ob nicht aus vier letzten Dingen der vorigen vier ökumenischen Kirchen- oder Sakristei-Versammlungen, nämlich aus ihnen sämtlich, ein ganz neues haltbares, vier Mann hohes Kränzchen als erfreulicher Nachflor zu bilden und zu flechten wäre?
Der war zu flechten. Die vier Kränzchen wurden ein Kranz, die vier Eiländer schifften ab und mieteten zum Anlanden eine neue Gesellschaftinsel, nämlich ein artiges Gartenhäuschen an einer der schönsten Ecken des herrlichen Rheins, der hier das Lustgefilde mit einem seiner majestätischen Arme vermittelst des Ohrfingers (denn das Flüßchen ist mehr zu hören als zu sehen) berührt und entzückt.
Freilich auf diese Weise und nach einem solchen Zusammentreten und Zusammenstehen von vier Stammhaltern und Endlingen aus ebenso vielen Kränzchen war es kein Wunder mehr, wenn der Gesamtklub eine solche sozusagen fast vierschrötige Festigkeit gewann, daß selten ein Mitglied den Gesellschaftsaal – das erwähnte Gartenhäuschen – betrat, ohne ein zweites anzutreffen oder ein drittes, ja das vierte dazu, welches den ganzen geselligen Cercle zuründete, wovon schon der Anfang des ersten Kapitels ein Beispiel vorgezeigt. Die Sitzungen wurden gern in die schöne Jahrszeit verlegt, wo Leuchter und Ofen am Himmel hingen ohne eine Rechnung des Wirts.