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oder wie der Diamant, desgleichen der Schächter Hoseas echt und hart befunden werden
Der Apotheker zog mit einer Zange die blitzende Schlacke heraus und ließ den Stößer mit einem Hammer wacker auf beide schlagen: der Stein hielt sich.
Er ließ ihn festkneipen und feilte daran mit einer englischen Feile: der Stein hielt sich.
Er und Stoß hauchten dessen Glanz an: letzter hielt sich.
Er legte den Stein auf einen Amboß und schlug mit einen Schmiedehammer gewaltig auf ihn ein: er bekam ein Grübchen, nicht der Stein, sondern der Amboß.
Folglich hatt' er nach allen Proben seinen ersten Diamanten verfertigt.
– Seltsames Menschenleben! Nichts als ein dünner undurchsichtiger Augenblick scheidet oft deine Hölle von deinem Himmel; und wie wir zuweilen in Träumen die Knochen marklos und Füße und Hände angekettet fühlen, plötzlich aber der Zuck des Erwachens uns voll Kraft und Bewegung in frisches Leben schickt, so reißt das Schicksal die Kette eines langen Qual-Traumes auf einmal durch eine Minute entzwei, und der Mensch erhält seine frohe Freiheit wieder und – wacht. – –
Außerordentliche Lehrer der Seelenlehre (Professores extraordinarii) werden auf ihren verschiedenen auseinandergelegenen Lehrstühlen den Heischesatz aufstellen, daß der Apotheker, welcher bisher schon vor den bleich gezeichneten Himmelkarten seiner Hoffnungen geblendet und wie außer sich gerissen stand, nun gar vollends im wahren Himmelwagen seßhaft, welcher um die Himmelkugel rollt, vor Schwindel des Jubelns sich gar nicht weiter werde zu lassen wissen. Es ist nicht meine Schuld, wenn ich diese so zuversichtlich hingestellten Paragraphen der Seelenlehrer gänzlich umwerfe. Denn der Apotheker suchte in der Überwonne ein Zweifler und sein eigner Dissenter zu werden und wollte sich Gedanken machen: »Die Sache ist ja aber kaum zu glauben, Stoß«, sagt' er, »- es wäre zu viel, ein Diamant – Schon 1 ungeschliffner Karat gilt seine 25 Taler, vier Karate gelten 16mal mehr, denn die Steine werden nach den Quadratzahlen ihres Gewichts bezahlt; aber hier sind vollends mehr als zwanzig Karate auf einmal, und an die Größe künftiger Diamanten denk' ich nicht einmal mit einer Silbe. – Mehre Proben wenigstens sollten wir machen, sollten den Stein ins Verkalkfeuer werfen, sollten ihn in Vitriolöl kochen und nachsehen. – Ach! freilich ist er echt und recht echt, und diese schwachen Proben sind jetzo nach den allerstärksten wahre Possen ...... O Stoß! so weit ist es endlich durch Gottes Güte gediehen, und wir sitzen nun beide im Sattel ..... Lasse dich umarmen, du alter Kalefaktor des faulen Heinzes .... Scheue dich nicht ehrerbietig; wer verdient mehr als du, daß man ihn umhalst? Warst du nicht der Mann, der manche Kohle nachschürte und auf sie blies und der mit der Zange hin- und herwandte, in der Nacht aufstand und hundert Dinge tat?«
Unter der Umarmung geriet der Stößer außer sich über lauter Himmel (jeder Arm und jede Lefze Marggrafs war schon ein Himmel); er schluchzete gerührt und schimpfte auf sich selber, als sei er dergleichen gar nicht würdig als ein solcher Schubjack, und beinahe hätt' er sogar den Apotheker angefahren vor Jubel über die allererste Umhalsung eines langjährigen Prinzipals. – Himmel! wie könnte oft eine einzige Umarmung eines bewunderten Mannes seine Schüler mit geistigen Geburten auf ein ganzes Leben befruchten und ein Körper einen Geist mit einer Geisterwelt schwängern!
Der Stößer setzte eine Reibschale (oder wars eine Abrauchschale) als Kappe auf den Kopf – er kegelte ein Drahtsieb vor sich hin – er rief zum Fenster hinaus: Juchheh! – er warf sich dem trocknen, eben schnupfenden Rezeptuarius um den Hals, – der ihm ins Gesicht niesete mit der Frage: »Hat man seinen Schuß, seinen Raptus, seinen Raps?« – Aber er antwortete: »Jawohl, ich habe alles in der Welt und brauche nichts mehr als ein seliges Ende und damit holla! und ich mache mir heute aus nichts etwas und juble nach Gefallen.« Zum Glück schickte ihn endlich sein Herr zum Juden Hoseas, um den kostbaren Stein vom Herzen zu haben und das Geld in der Hand.
Es konnte oben unter dem Gedränge der neuen Himmel den obgedachten Seelenlehrern Marggrafs freudige Zweifelsucht nicht durch die Bemerkung erklärt werden, die erst jetzo folgt. Das Glück nimmt, wenn es aus einem fernen zu einem nahen wird, eine Größe an, durch welche es teils zweifelhaft, teils so reizend erscheint, daß wir mit Beweisen seines Daseins kaum zu sättigen sind; und auf diese Weise hindert, wie die Größe des Unglücks den Unglauben, so die Größe des Glücks den Glauben. –
Hoseas erschien wahrhaft vergnügt; als ein kaufmännischer Steingelehrter (Litholog) der klassischen oder idealen Steine erkannte er sogleich auf den ersten Blick am Diamante den Apotheker als den Ritter des echten diamantnen Vlieses und staunte heimlich einen so großen Mogul der Zukunft an. Um desto mehr leuchtete ihm die Notwendigkeit ein, daß er das Steinchen für unecht zu erklären und die stärksten Zweifel aufzuwerfen habe, um für sein bares Geld wenigstens so viel zu gewinnen wie der Apotheker, der statt Geldes bloße Kohlen aufgewandt. Als dieser zur Wiederholung aller Proben, gleichsam zur Helmschau des Adelsteins zu greifen anfing: so wehrte er aus Zärte den meisten und versicherte, er zähle am meisten auf sein Herz. Nur zuletzt erst, als der Diamant rein erprobt dalag, ließ ihm der Jude kein gutes Haar – ein Käsestein war er ohnehin – voll Federn und Knoten innen – finnig aber auch dabei, d. h. schwer zu schneiden – matter Stellen oder gendarmes genannt gar nicht zu gedenken.
Der Apotheker wollte den herrlichen Walfisch von Stein, den er sich zum Verspeisen gefangen, ungern wie einen gemeinen Kochfisch durch Zerdrückung der Gallenblase desselben verbittert haben; er fuhr deshalb auf und an und schlug eine niedergesetzte Committée vor, welche aus dem in der Marktzeit eben anwesenden Hofjuwelier zusammengesetzt sein sollte. Aber da schon wieder war Hoseas der Mann, wie er sein soll, der lieber dem Apotheker schönes Vertrauen zeigen wollte, als einen zweiten Bieter in der Stein-Versteigerung neben sich sehen; und schlug daher jenen aus und selber in den Handel ein.
Nach den geschichtlichen Papieren, die vor mir liegen, und der gewöhnlichen Diamantentaxe zufolge, nach welcher für den Karat eines geschliffnen Diamants 50 Rtl. bezahlt werden – für den ungeschliffnen nur die Hälfte – und nach der von Jeffery aufgestellten Regel, daß das Gewicht des Steines mit sich selber verdoppelt wird (mithin einer von 5 Karat für einen von 25 Karat gilt) und diese Summe wieder mit dem Kaufschilling (so daß ein Diamant von 5 Karat an 1250 Tl. gilt), nach allen diesen Ansichten kann der Schächter Hoseas unmöglich mehr als etwas über die Hälfte betrogen haben; denn obgleich der Diamant 20 Karat (ungeschliffen) wog und der wahre Preis mithin nur 10000 Tl. genau berechnet betrug: so zahlte ihm doch der Jude viertausendsechshundert und einen halben Taler willig aus. Gegen jeden, der im Handel wie im Spiele keinen Bruder anerkennt und in dessen Augen der Jude hier zu wenig entnimmt und gewinnt, rechtfertige ich ihn leicht, wenn ich erwägen lasse, was er selber sagt, daß er den Stein dem Apotheker darum etwas zu teuer bezahle, weil er bei dem Verkaufe seiner künftigen Steine sich seines Schadens zu erholen getröste. Auch daß Marggraf den Wechsel anderthalb Tage vor der Verfallzeit sich vom Kaufschilling abziehen lassen, rechtfertigt den freigebigen Hoseas. Gern gibt der Jude Geld um eine Minute später oder holet es um eine früher, weil die Minute aus sechzig Sekunden besteht, von welchen jede ihre sechs Prozent – und wär' es nur der Phantasie – abwirft. Denn jeder hat einen andern Zinsfuß: der eine nimmt Zinsen vom Monate, der andere von der Minderjährigkeit; der eine bessere von dem Augenblicke und der andere die besten von der Ewigkeit.